Jedes Elternteil kennt die Probleme mit schulpflichtigen Kindern: von der Wahl der weiterführenden Schule zum Hausaufgabenmachen, vom Mobbing in der Schule zu Nachsitzen, von Abschlussprüfungen und Freundschaften. Oft genug ist man damit reichlich überfordert, denn das System Schule ist byzantin und schwer zu durchdringen. Mit Matthias Zeitler, der das Buch “Schule Backstage” geschrieben hat und den Dschungel für Eltern und Interessierte lichten möchte, spreche ich über all diese Themen.
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(Musik: Intro aus Accou – Sarabande BWV 1002 (Partita No.1 for violin solo in B-minor), Outro aus Accou – Bourree (I.S. Bach BWV 1002, Violin Partita No 1 in B minor))
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Transkript:
00:00:00.01
stefansasse
Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von den Bohrleuten. Ich möchte heute mit einer kleinen Geschichte einsteigen. Ist mittlerweile wieder zwei Jahre her, aber mein Sohn ist in die weiterführende Schule gekommen, als er vierte Klasse fertig. Und dann steht die große Entscheidung an das Kennen Eltern mit Kindern, glaube ich, ziemlich gut. Wo geht's hin nach der vierten Klasse? Auf welche Schule? Und ich meine, ich bin ja jetzt Lehrkraft am Gymnasium schon seit mittlerweile einem Jahrzehnt.
00:00:24.09
stefansasse
Und ich fand es beeindruckend, wie schwierig mir trotz allem die Entscheidung gefallen ist und was für eine Black Box diese Entscheidung letztlich ist. Und ich kann mir nur vorstellen, wie schwierig das für Leute ist, die mit dem System nicht so ähnlich vertraut sind wie ich. Und da kam mir dieser Gedanke, wäre es nicht praktisch, wenn irgendjemand ein Buch darüber schreibt, wie Schule eigentlich so backstage funktioniert. Und wie es der Zufall will, gibt es eine solche Person und die habe ich mir heute eingeladen. Hallo, wer bist du denn?
00:00:48.75
Matthias Zeitler
Hi Stefan, ich bin Matthias Zeidler, auch Lehrer an einer Werk-Realschule im Baden-Württemberg. Muss man vielleicht erklären, das ist so das, was man sonst vielleicht eher als Hauptschule kennt. Selber Podcaster auch, so wie du, und Autor neuerdings. Und das Buch, von dem du erzählt hast, heißt Schule Backstage, was Jugendliche und Schule wirklich brauchen und wie Eltern sie dabei unterstützen können.
00:01:15.93
stefansasse
Kann man das denn schon kaufen? Na dann, dann ist es aktuell noch nicht erreichbar, aber ich glaube auf Amazon kann man schon vorbestellen. Ich werde auf jeden Fall den Link in die Show Notes packen. Hervorragend. Dann schon mal vielen Dank und du gibst mir auch gerade den idealen Aufschlag für dieses Gespräch, wo du sagst du schon so, mit diesem ganz leicht verschämten, ja ich bin Lehrer an einer Werkreal-Schule und früher nannte man das mal Hauptschule. Das ist ja quasi so dieses
00:01:17.57
Matthias Zeitler
Das kommt auf an, wann du das sendest. Am 26. September erscheint es. Absolut.
00:01:46.09
stefansasse
Da schwingt schon so ein bisschen eine kleine Abwertung mit sozusagen. Die Hauptschule hat ja uns mal sozusagen nicht den besten Ruf und auch in Baden-Württemberg die Werkreal-Schule nicht. Ich weiß gar nicht, was da deine Erfahrung ist, ob die Leute tatsächlich den Begriff verwenden Werkreal-Schule oder ob sie immer noch alle Hauptschule sagen, so ein bisschen wie ich immer noch Twitter sage, obwohl das Ding mittlerweile X heißt.
00:01:59.17
Matthias Zeitler
Vielen Dank für's Zuhören!
00:02:07.02
stefansasse
Da würde mich mal interessieren, kannst du da ein bisschen Kontext geben, quasi woher kommt eigentlich dieser schlechte Ruf und wie stellt sich denn die Werkrealschule mittlerweile dar?
00:02:17.44
Matthias Zeitler
Also erstmal, ich glaube, es sagen schon relativ viele Werkrealschule, weil sie ja eigentlich anstreben, nicht den Hauptschulabschluss zu machen, den man ja auch machen kann, sondern eben weiter zu machen, um dann den mittleren Bildungsabschluss zu machen. Warum? Weil natürlich immer der, wenn wir jetzt mal so in Hierarchien denken wollen, was mir eigentlich nicht gefällt, aber hilft, um bildlich zu bleiben,
00:02:44.09
Matthias Zeitler
weil sie den höheren Abschluss haben wollen. Und wie sich das so darstellt, na ja, es ist ja so, das wirst du als Gymnasiallehrkraft ja auch kennen, alle wollen das Abi und das Abi ist das höchste Gut und so wird es ja auch gesellschaftlich leider immer wieder dargestellt und auch bildungspolitisch.
00:03:08.48
Matthias Zeitler
Und deshalb kommen zu uns die Schülerinnen und Schüler, die erstmal schulmüde sind, die frustriert sind, die vier Jahre lang auf der Grundschule das immer nur gesehen haben, was andere viel, viel besser können als sie selbst. Und wir machen dann Aufbauarbeit, die echt hart ist. Und dann gibt es verschiedene Phänomene.
00:03:32.94
Matthias Zeitler
zum Beispiel eben, dass dann eben trotz einer anderen Empfehlung auf die Realschule oder Gemeinschaftsschule in unserem Fall dann gegangen wird, jetzt weniger aufs Gymnasium. Und das kann gut gehen, das kann aber auch scheitern und dann kommen die in Klasse 7, 8 wieder zu uns und sind noch frustrierter, noch deprimierter, weil sie dann ja gefühlt gescheitert sind und im Ansehen der Gesellschaft auch noch wieder durchs Wasser fallen. Und dann das aufzubauen ist echt schwierig.
00:04:02.94
Matthias Zeitler
Und ein letzter Impuls, weil du gesagt hast, wie sich das so in Baden-Württemberg darstellt. Wir sind ja jetzt vor einer ganz besonderen Herausforderung mit der neuen Bildungsreform, die da auf uns zukommt. Da hast du mich ja auch schon leicht getriggert in deiner Fragestellung, weil jetzt sind wir vor der besonderen Situation, dass der Werk Realschulabschluss
00:04:26.36
Matthias Zeitler
abgeschafft werden soll. Also die Argumentationsgrundlage, überhaupt auf unsere Schule freiwillig zu gehen, ist dann weg. Und jetzt haben Werk-Realschulen verschiedenste Möglichkeiten. Entweder sie werden zur Gemeinschaftsschule, was, würde ich jetzt mal sagen, eher vielleicht fragwürdig ist pädagogisch, oder sie bleiben Werk-Realschule, aber ohne Werk-Realschulabschluss. Das macht einfach gar keinen Sinn.
00:04:56.25
Matthias Zeitler
oder sie werden zu einer sogenannten Verbundrealschule. Also Ziel der Bildungsreform war eigentlich, wir machen keine Verwirrungen mehr und wir wollen das Ganze entschlacken. Was passiert? Wir haben eine Werkrealschule ohne den dazugehörigen Abschluss und wir haben eine neue Schulart, nämlich die Verbundrealschule. Großartig gemacht.
00:05:15.11
stefansasse
Hervorragend. Aber das ist ja das erste Mal, dass jemals das Kultusministerium eine Reform macht und daher ist alles kompliziert und keiner versteht es mehr. Deswegen, die haben ja einen hervorragenden Trackrecord. Normalerweise. Ich nehme mal an, ihr kriegt wahrscheinlich auch noch zusätzlich noch ein bisschen mehr Druck, weil ja jetzt die Gymnasialreform auch passiert. Baden-Württemberg war ja eines der letzten Länder.
00:05:33.78
stefansasse
das quasi diese Rückkehr zu G9 lange vermieden hat, was quasi alle anderen Bundesländer schon gemacht haben. Und jetzt ist es auch hier im Ländle soweit, dass das Experiment G8 endgültig beendet wird, was vermutlich auch dazu führt, dass die Attraktivität des Gymnasiums wieder leicht steigen wird. Ich weiß nicht, ob das für euch dann durchschlägt. Das betrifft wahrscheinlich eher die Realschulen. Aber da würde ich mir auch noch Verschiebungen erwarten.
00:05:58.40
Matthias Zeitler
Also ich glaube, dass uns das nicht wirklich tangiert mit Blick auf Gymnasium, weil bei uns tatsächlich ja eher dann die Überlegung ist, gehen sie auf die Realschule, Gemeinschaftsschule oder eben Werkrealschule. Aber trotz allem merkt man halt wieder einmal bei der aktuellen Bildungsreform, dass der Fokus ganz stark Richtung Abitur geht und eben nicht Richtung, ich sage jetzt mal,
00:06:24.96
Matthias Zeitler
Mittelstand oder eben auch mittlere Schulabschlüsse. Den Fachkräftemangel kriegen wir dadurch auch nicht behoben.
00:06:33.78
stefansasse
Ja, das ist was, das haben wir schon mal ein bisschen diskutiert, als wir uns quasi privat gesehen haben, dass dieser Fokus auf dem Gymnasium permanent liegt. Und das ist wahrscheinlich Betriebsblindheit bei mir. Das fällt mir gar nicht auf, weil ich umgebe mich ja damit quasi tagtäglich. Das ist mein Thema sozusagen. Aber es ist schon wahr. Also wenn wir über Schule sprechen oder wenn es dann zum Beispiel wieder um den Leistungsgedanken geht oder sowas, ist eigentlich
00:06:59.38
stefansasse
immer des Abitur wenigstens im Blick, meistens geht es auch um das Abitur, ob da jetzt dann die Noteninflation beklagt wird oder dass die Leute alle nicht studienreif sind oder was auch immer. Also diese ganze Debatte läuft in diesen Richtungen, was vermutlich auch daran liegt, dass Leute, die eine öffentliche Debatte führen, halt üblicherweise Abitur haben.
00:07:19.63
Matthias Zeitler
Ja.
00:07:19.77
stefansasse
Das ist ja quasi das System, das die kennen, mit dem die aufgewachsen sind und dann sprechen die natürlich auch darüber. Aber wie du schon sagst, das hat gewisse andere Konsequenzen. Wenn du jetzt quasi einen Wunschzettel schreiben könntest für die öffentliche Debatte über, was würdest du denn eigentlich gerne reden wollen?
00:07:37.87
Matthias Zeitler
Ich würde immer erstmal von den Jugendlichen her denken. Und zwar immer erstmal von den Jugendlichen her, die die meiste Unterstützung brauchen. Also ich vergleiche das auch immer. Mein Papa hat mir immer beigebracht, wenn wir wandern gehen, wir gucken immer auf denjenigen, der die meiste Unterstützung braucht.
00:07:56.41
Matthias Zeitler
Und danach richtet sich erstmal das Tempo. Und ich glaube, so müssen wir es auch machen. Wir machen aber immer nur der, der die starke Leistung bekommt, der wird sozusagen gefördert und in den Fokus genommen. Und das ist halt genau andersrum eigentlich, finde ich, auch pädagogisch. Und ich glaube, wir wollen ja eigentlich alle Pädagogen sein und pädagogisch handeln.
00:08:16.94
Matthias Zeitler
Also von den Jugendlichen her denken, von denen her denken und die in den Fokus nehmen, die einfach viel, viel mehr Unterstützung brauchen, die einfach vielleicht auch ein bisschen länger brauchen, um zu ihrem Ziel zu kommen. Das ist ja völlig in Ordnung. Und der dritte Ansatz in der öffentlichen Debatte ist, wir müssen endlich wieder dahin kommen, dass alle Schularten und damit alle gesellschaftlichen, sage ich jetzt mal, Schichten
00:08:45.67
Matthias Zeitler
alle Jugendlichen den gleichen Wert haben. Ich bin froh um jeden Handwerker, der mir die Fliesen legt. Ich bin froh darüber, dass wir Leute an der Supermarktkasse haben, dass wir Pflegepersonal haben. Wo hatten wir den Fokus? Während Corona. Da haben wir uns auf den Balkon gestellt und haben applaudiert. Der Applaus ist schnell wieder verhallt, finde ich. Also ich sehe keinen mehr, der sich bedankt bei irgendjemandem an der Supermarktkasse, dass er da ist.
00:09:11.44
Matthias Zeitler
Und diese Wertschätzung muss einfach wieder her, und zwar für alle in der Gesellschaft. Gleichermaßen.
00:09:18.17
stefansasse
Ja, ich halte das für einen sehr guten Punkt. Ich bin ehrlich gesagt auch gar nicht so hundertprozentig sicher, ob wir alle Pädagogen sein wollen. Also gerade jetzt bei uns am Gymnasium, da ist es, glaube ich, gar nicht so sehr im Fokus, was ein eigenes Problem ist und ein Thema für eine ganz eigene Folge gegebenenfalls. Weil das ist etwas, das mir tatsächlich sehr positiv aufgefallen ist, als ich durch dein Buch durch bin.
00:09:39.32
stefansasse
dass du diese starke Betonung legst auf Beziehungsarbeit. Du hämmerst das als Mantra immer und immer wieder den Eltern an, die sich das errichten. Die Eltern sind quasi die Zielgruppe, die du in deinem Buch ansprichst, wobei es natürlich auch nicht Eltern lesen können. Aber das ist sozusagen der Tonfall, den du anschlägst.
00:09:55.54
Matthias Zeitler
Ja.
00:09:56.82
stefansasse
wo du den wirklich immer wieder einhämmerst, das Zentrale ist ja wirklich, dass es den Jugendlichen gut geht, dass die sich wertgeschätzt fühlen und dass die was fürs Leben lernen, um diese abgedroschene Phrase mal zu verwenden, dass die funktionierende Menschen werden und dass der Stoff dem Gegenüber mal hinten anstehen können muss. Natürlich nicht permanent, man kann natürlich nicht hinstellen und sagen, scheiß auf Stoff generell und auf Bildungspläne, aber eben einfach mal wirklich die
00:10:25.28
stefansasse
die Prioritäten an der Stelle umzudrehen. Und das ist was, das hat mich schon während der Lektüre immer wieder so zum Nachdenken gebracht. Wenn ich halt an meinen eigenen Unterricht denke und was wir machen müssen, wir klagen ja auch permanent darüber, dass wir solche Stoffmengen zu bewältigen haben und Diskussionen drehen sich eigentlich immer um dieses Durchkommen mit dem Stoff. Und darüber fallen die Menschen, glaube ich, häufig hinten runter.
00:10:27.82
Matthias Zeitler
Ja.
00:10:50.88
stefansasse
Und das ist ja ein Problem, weil die Schule, die soll ja auch im Endeffekt funktionierende Erwachsene heranbilden oder in deinem Fall Jugendliche. Und ich glaube, das ist tatsächlich eine Aufgabe, die spielt viel zu sehr, gerade auch in der Institution zweite Geige. Also du brauchst quasi diese engagierten Lehrkräfte, die das quasi für sich als Mission entdecken und die das dann machen. Aber die Institution selbst,
00:11:16.22
stefansasse
nimmt das bestenfalls hin und steht quasi nicht störend im Weg, aber wirklich gefördert wird es nicht und sehr sehr häufig steht sie störend im Weg. Also das war wirklich so ein Perspektivwechsel, den ich sehr bereichernd fand bei deiner Lektüre.
00:11:30.98
Matthias Zeitler
Das freut mich sehr, weil ich das Ganze ja auch wirklich geschrieben habe, so mit dem Motto weniger Überjugendliche, sondern mehr Mitjugendlichen zu sprechen.
00:11:44.31
Matthias Zeitler
Ich bin jetzt in zwei Sachen relativ hart. Du hast gesagt, du weißt gar nicht, ob viele auch im Gymnasium da wirklich Pädagogen sein wollen. Das ist schön, dass du das als Gymnasiallehrkraft dann auch so siehst, wie ich das manchmal wahrnehme. Und ich bin da sehr radikal. Jede Lehrkraft, die nicht pädagogisch handeln möchte und pädagoge sein möchte, darf bitte gerne diesen Beruf verlassen.
00:11:51.27
stefansasse
Vielen Dank für's Zuschauen.
00:12:08.37
Matthias Zeitler
Weil das ist einfach Käse. Also so wie ich es in dem Buch geschrieben habe, wir müssen Vorbilder sein, wir müssen diese Beziehungsarbeit immer bei jedem Menschen nach vorne stellen, damit überhaupt mal gerne gelernt werden kann. Und jetzt hast du zweimal den Begriff funktionieren gesagt, also dass wir funktionierende Jugendliche oder Erwachsene heranziehen. Und da stelle ich immer gerne so die Rückfrage.
00:12:33.03
Matthias Zeitler
Na, wer entscheidet denn, wie so ein Mensch zu funktionieren hat? Das ist ja auch keine Maschine. Da sind wir Erwachsenen ja auch immer sehr schnell dabei, da nehme ich mich ja nicht aus, Tipps zu geben und uns vorzustellen, wie das denn ideal wäre, anstatt mal die Jugendlichen zu fragen, was sie eigentlich wollen. Also ich habe mich mit ehemaligen Schülern unterhalten und habe die gefragt, was wäre denn eigentlich gut für euch,
00:13:02.81
Matthias Zeitler
Also was braucht ihr, um euch so zu entwickeln, wie ihr es möchtet, so wie es für euch gut ist und dass ihr euch auch gleichzeitig öffnet den Erwachsenen gegenüber. Und es kam immer wieder raus, einfach mal zuhören. Also auf gut Deutsch, wie Erwachsenen, dürfen auch einfach mal die Fresse halten und nur zuhören.
00:13:26.68
Matthias Zeitler
Und dann, wenn ein Tipp gefragt wird, den Tipp raushauen. Und ansonsten das Vertrauen in die Jugendlichen mal zu setzen, dass sie das schon machen werden. Die müssen sich ausprobieren dürfen.
00:13:38.78
stefansasse
Unbedingt. Das ist einer meiner Dauerkritikpunkte an unserem Schulsystem, dass Scheitern eigentlich bestraft wird, wo Scheitern an und für sicher das ist, wo man am meisten lernt. Also quasi, wir sind immer so defizitorientiert und zwar in allen Dingen. Also einerseits natürlich rein im Unterricht. Ich sage quasi immer, das kannst du noch nicht. Hier ist noch ein Manko, deine Rechtschreibung oder der Aufbau deiner Argumentation oder was auch immer.
00:14:06.12
stefansasse
Es ist quasi immer das, was fehlt. Wir loben auch viel zu wenig etc., pp. Aber das Ganze läuft natürlich auch auf der menschlichen Ebene. Weil, ich meine, wer sind letzten Endes die Schülerinnen, die problemlos durch das System durchlaufen? Das sind die, die keinen Ärger machen. Die, die laufen durch. Dann hast du so die Paare, die super engagierten und so weiter. Das sind dann quasi immer so die Lieblinge des ganzen Kollegiums. Das sind, muss man natürlich auch sagen, das sind diejenigen, die den Laufen mit am Laden,
00:14:22.69
Matthias Zeitler
Ja. Ja.
00:14:32.79
stefansasse
die Daten mit am Laufen halten jetzt aber, die dann in der SMV engagiert sind, also deine typischen SchülerInnen, SprecherInnen und so weiter, KlassensprecherInnen, etc., die sich da reinhängen und die damit mitorganisieren und alle anderen, die sind quasi Abweichler.
00:14:48.74
stefansasse
Die sind Problemfälle und die müssen dann irgendwie zur Ordnung gebracht werden. Dann hast du Strafarbeiten und du hast Nachsitzen und du hast die Schulrausordnung abschreiben und hast sie nicht gesehen. Aber wir arbeiten ja immer quasi auf dieser Defizit orientierten Ebene und dabei findet ja auch kein Austausch statt sozusagen.
00:15:03.59
Matthias Zeitler
Absolut.
00:15:12.21
stefansasse
Und es ist jetzt nicht so, als ob Strafarbeiten oder Nachsitzen niemals die richtige Lösung sein können. Aber ich glaube, als Default sind sie nicht so der Weisheit letzter Schluss. Und ich glaube, da tickst du ähnlich, wenn ich mich an die Lektüre richtig erinnere.
00:15:30.30
Matthias Zeitler
Oh ja, du pickst mich aber heute ordentlich. Also, Strafarbeiten und diese Störtexte und dieses sinnlose Stumfe nachsetzen, hat noch nie was gebracht. Außer einem kurzfristigen Erfolg, wo man sagen kann, ich habe den Schüler oder die Schülerin jetzt gerade ruhig gestellt. Aber das eigentliche Problem, warum dieser, du hast gesagt Problemschüler,
00:15:59.87
Matthias Zeitler
Warum der so handelt, das habe ich noch gar nicht erforscht. Also jeder Mensch hat einen guten Grund, so zu handeln, wie er handelt. Das heißt, ich muss diesen guten Grund irgendwie rausfinden. Das mache ich nicht, wenn ich sage, hier, jetzt schreibst du mal die Hausordnung oder die Schulordnung ab. Sondern ich muss eben auch da wieder in Beziehung gehen und dann spreche ich eher von Konsequenzen.
00:16:23.85
Matthias Zeitler
Und Konsequenzen haben eben den Vorteil, dass sie langfristig viel effektiver sind und ja, die Kosten zahlen, ja, das kostet Nerven, aber sind eben effektiver. Kann in Beziehung gehen und Strafen und Strafe beiden haben immer nur den negativen Impuls. Konsequenzen können beides sein. Die können
00:16:46.76
Matthias Zeitler
eventuell negativ sich anfühlen, aber der Schüler, die Schülerin darf auch mit einem positiven Gefühl rausgehen. Also Beispiel, irgendwas ist verwüstet worden und jetzt muss eben die Konsequenz sein, er muss das wieder herstellen, also Wiedergutmachung.
00:17:05.30
Matthias Zeitler
erster Teil der Konsequenz und zweiter Teil Verantwortung übernehmen, im besten Falle die Empathie herstellen, um zu checken, ah, wenn ich das jetzt nicht verwüstet hätte oder wenn ich es verwüstet habe, muss es der Hausmeister machen, der hat auch keinen Bock, keine Zeit und so weiter. So und jetzt kann der mit einem positiven Gefühl da rausgehen und sagen, ah,
00:17:25.33
Matthias Zeitler
Ich habe aber was geschafft. Oder ich habe zum Beispiel, ich kann dem anderen Schüler dabei helfen zu lernen. All solche Dinge können das Gleichgewicht, sage ich jetzt mal, da wieder herstellen und sind langfristig viel, viel effektiver. Richtig, genau.
00:17:47.83
stefansasse
restaurative Gerechtigkeit quasi. Das ist so ein Konzept, das mag ich eh total, also auch außerhalb von Schule. Ich finde, das müsste auch viel, viel mehr quasi in der, ich weiß nicht, ob das der richtige Begriff ist, ich bin kein Jurist, aber in der Strafgesetzgebung quasi Anwendung finden. Einfach weil, wie du schon sagst, diese Strafen, die tun ja nichts.
00:18:06.67
stefansasse
Sondern was wir tatsächlich wollen ist genau das, was du gerade beschrieben hast. Also überall in der Gesellschaft, wann auch immer wir das tun. Das gilt ja auch in der Erziehung letzten Endes. Also mit meinen eigenen Kindern, da versucht man sowas ja üblicherweise eigentlich auch zu machen, dass man denen erklärt, warum das falsch ist und versucht da Empathie zu wecken und in der Schule etc. gilt dasselbe.
00:18:25.59
stefansasse
Und ja, ich zweifle auch sehr hart daran, dass die übliche Aufgabe, und jetzt schreibst du eine Seite, warum das falsch war, was du gemacht hast, ob das dermaßen viel taugt. Also wenn ich sage, ich bin skeptisch, bin ich der Überzeugung, dass nicht.
00:18:37.52
Matthias Zeitler
Also vor allen Dingen bringt es ja viel mehr, dann mit dem Jugendlichen darüber zu sprechen, warum das vielleicht keine gute Idee war. Von selber, jetzt schreibt das mal auf, wird da nicht viel kommen. Das kennen wir ja alle. Da kommt ja auch wirklich nicht viel. Oder immer nur dasselbe. Oder wenn es um Hausordnung, Schulordnung abschreiben geht, dann haben sie die schon vorbereitet. Hier habe ich schon längst geschrieben.
00:19:03.44
Matthias Zeitler
Auch das wird sehr ins Absurde. Wenn wir von Nachsitzen sprechen, bin ich auch kein Fan von, weil das klaut mir Zeit, woanders für meine Familie aufbrauche und bringt auch nichts. Außer, und jetzt kommt das große Aber, ich verbinde dieses Nachsitzen, der Schüler bleibt länger, damit, dass er mir zum Beispiel etwas hilft.
00:19:07.41
stefansasse
Vielen Dank für's Zuschauen.
00:19:25.95
Matthias Zeitler
Beispiel, wenn ich ein Medienbeauftragter bin, muss ich mit den iPads noch ganz viel machen und was erledigen. Und dann kann ich Hilfe gut gebrauchen. Und wenn der natürlich ständig zu spät kommt, der Schüler oder die Schülerin, dann kann ich sagen, pass mal auf, die Zeit holst du nach, aber mit mir zusammen kannst du mir was helfen. Hat er auch was Gutes getan, aber trotzdem der Konsequenz bekommen. Und dass Strafen nicht funktionieren, merken wir ja auch als Erwachsene, wenn wir geblitzt werden.
00:19:57.19
Matthias Zeitler
Es ist ja nicht so, dass wenn wir geblitzt werden, wir danach sagen, oh jetzt fahre ich aber immer die angegebene Geschwindigkeit. Nein, tun wir nicht an der Stelle vielleicht, dann ja. Die Frage ist dann auch wie lange. Aber daran können wir das ja auch merken. Genau.
00:20:05.66
stefansasse
Vielen Dank für's Zuschauen.
00:20:15.96
stefansasse
Das merkt man, finde ich, auch an den Formulierungen. Weil die Leute sagen ja dann so was wie, da hats mich erwischt oder so was, da hatte ich Pech. Und genau dasselbe passierte dann auch in solchen Kontexten. Ob wir jetzt vom Blitzer reden oder von den Schmierereien in der Schultoilette. Das ist ja dann häufig kein Unrechtsbewusstsein. Da hatte ich Pech und jetzt muss ich quasi nachsitzen oder was auch immer. Aber das ändert ja nichts, weil die Hoffnung ist ja dann einfach, das nächste Mal hatte ich mich nicht erwischt oder das nächste Mal stelle ich mich geschickter an oder wie auch immer.
00:20:39.19
Matthias Zeitler
Gut. So. Absolut.
00:20:45.26
stefansasse
Aber es entsteht ja quasi kein Bewusstsein für das Problem. Ich würde an der Stelle gerne noch in das schwierigste Thema überleiten, das es in dem Kontext gibt, finde ich, wo ich mich persönlich auch immer extrem schwer tun, das Mobbing.
00:21:00.91
stefansasse
Weil gerade da ist es ja ein super, super wichtiges Konzept. Und da würde mich interessieren, einfach weil ich persönlich mich da immer super hilflos finde als Lehrkraft. Also da, wenn ich das mitbekomme sozusagen, ich weiß immer gar nicht, wie ich damit umgehen soll, weil ich bin mir ziemlich sicher, es hilft nichts, wenn ich das quasi vor der ganzen Klasse thematisiere oder wenn ich die Leute rausziehe oder wie auch immer. Also ich kann als Lehrkraft Mobbing nicht beenden, indem ich den Mobbenden sage, lass den Scheiß.
00:21:22.88
Matthias Zeitler
Danke.
00:21:32.29
stefansasse
Aber ich finde es super, super schwierig. Und auch da hast du ja angesprochen gehabt im Buch, dass da dieses Konsequenzen und der Wiedergutmachungsaspekt und so weiter eine entsprechende Rolle spielen kann. Wie gelingt das? Das würde mich jetzt ganz brennend interessieren.
00:21:49.63
Matthias Zeitler
Es ist tatsächlich eines der schwierigsten Themen. Es ist auch nicht so, dass ich sage, ich habe das Patentrezept und es funktioniert immer eins zu eins genauso. Nee, funktioniert nicht, weil wir haben es ja Überraschungen mit Menschen zu tun und jeder Fall ist irgendwie anders und jeder Typ ist irgendwie anders. Aber
00:22:10.04
Matthias Zeitler
Auch aus meiner eigenen Erfahrung, als ich war selbst in der Klasse des Mobbing-Opfer, kann ich nur sagen, der Ansatz, den du hast, ist insofern schon mal gut, das nicht vor der ganzen Klasse zu thematisieren. Also explizit, guckt mal hier, der, keine Ahnung wer, Franz, wird vom Martin gemobbt und so. Weil was dann passiert, ist, dass das halt Martin nochmal eine Schippe drauflegt, weil Martin hat jetzt Ärger bekommen. Also das hilft schon mal nix.
00:22:39.02
Matthias Zeitler
Sondern was glaube ich viel eher hilft ist erst mal, ich nenne es mal Martin und Franz. Franz wird gemobbt und jetzt höre ich Franz erst mal zu.
00:22:49.36
Matthias Zeitler
Und dann sage ich bitte nicht solche Sätze wie, komm, du musst dich halt mal wehren oder ignoriere es einfach, weil wie soll man was ignorieren, was einem jedes Mal so drückt wie eine Pistolenkugel. Das funktioniert nicht. Und dann, ja, jetzt entschuldigst du dich mal. Funktioniert auch nicht. Könnte ich jetzt noch weiter ausholen, aber das funktioniert nicht, weil was kommt raus. Entschuldigung.
00:23:18.52
Matthias Zeitler
So, das heißt, was ich dann versuche ist, ich höre dann Franz Tu und dann schnapp ich mir Martin. Und mit schnappen meine ich nicht, dass ich ihn jetzt anklage, sondern ich möchte verstehen, warum er das macht.
00:23:32.43
Matthias Zeitler
Das funktioniert natürlich nicht, wenn ich sage, du bist jeder Mobber und du machst den Franz fertig und so, sondern ich versuche einfach mal, dass die erzählen. Sag mal hier, also zum Beispiel klassische Einstiegsfrage, muss ich irgendetwas wissen, möchtest du mir was sagen, bevor ich es vielleicht von anderen höre?
00:23:53.54
Matthias Zeitler
Dann kommen die schon mal hin zu grübeln. Ja, was meinen sie? Und dann kommt es entweder raus oder man kann natürlich dann auch sowas sagen, wie mir ist so angekommen, dass sich manche in der Klasse, es sind auch meistens mehrere, nicht ganz so wohl fühlen. Könntest du dir vorstellen, was du damit zu tun hast?
00:24:16.22
Matthias Zeitler
Und dann kommt auch schon mal so ein bisschen was. Und dann nicht anzuklagen ist, glaube ich, ganz arg wichtig, sondern zu verstehen, warum das so ist. Und im besten Falle schafft man das, weil das sind ja meistens die Coolen, die eh schon zu den Coolen gehören.
00:24:35.01
Matthias Zeitler
Und dann sage ich zu, pass mal auf, du musst es niemandem beweisen, sondern du zählst zu den Coolen. Das musst du hier niemandem mehr irgendwie klar machen. Das ist Fakt. Es ist so. Und dann haben die Coolen ja ganz oft so einen Punkt, wo sie ja gar nicht mehr cool sind. Und den habe ich relativ schnell gefunden bei den Allermeisten, dass sie so einen weichen Kern haben.
00:25:03.18
Matthias Zeitler
Weil die ja damit mit dem Mobbing versuchen, ihr Selbstbewusstsein so ein bisschen wieder hoch zu bekommen. Dann sag ich, du pass mal auf, du bist total cool, du hast aber natürlich auch deine Schwachstellen. Und die brauchst du nicht zu überspielen und ich gebe dir jetzt eine Aufgabe, als Vorbild zu fungieren.
00:25:28.30
Matthias Zeitler
Weil das schaffst du auch. Du kannst diese Verantwortung tragen. Wandle mal diese, ich sag jetzt mal, negative Energie. Wandle die mal in was Positives um mit dem, dass du für die anderen da bist.
00:25:43.34
Matthias Zeitler
Und es gab schon Fälle, wo ich das geschafft habe, dass genau das dann passiert ist, dass die sich dann eben ganz im Gegenteil vor die anderen gestellt haben, vor die Schwächeren gestellt haben, weil sie gemerkt haben so, naja, scheiße, so will ich ja selber irgendwie auch nicht behandelt werden. Und meistens wurden die selber ja, die Mobber ja auch mal schlecht behandelt. Und da versuche ich die irgendwie zu kriegen.
00:26:04.05
stefansasse
Ja, das wäre meine Frage. Was ist denn da die Erfolgsquote? So ganz grob. Also wie oft klappt sowas?
00:26:10.45
Matthias Zeitler
Boah, kann ich nicht sagen, es klappt mal mehr, mal weniger gut und auch mal länger und mal weniger lang. Also so ein Muster zu verändern, das ist ja so ein Kreislauf letztendlich und aus dem auszubrechen ist natürlich auch ultra schwer, weil den kennen die ja. Und aus dieser Komfortzone, aus diesem Kreislauf rauszugehen, ist auch nicht von heute auf morgen möglich.
00:26:34.39
Matthias Zeitler
Und das ist auch nicht nur mit einem Gespräch getan, sondern halt immer und immer wieder und eben versuchen nicht anzuklagen, weil wenn wir anklagen und wenn wir dann den Täter
00:26:48.03
Matthias Zeitler
mit einer Strafe wieder belegen, machen wir es de facto nur schlimmer und das eigentliche Problem sehen wir nicht. Deshalb, ich kann dir keine Erfolgsquote sagen, ich kann nur sagen, versucht es immer wieder und versucht es auf den Wegen, die man intuitiv vielleicht nicht gehen würde.
00:27:09.26
stefansasse
Du hast, das war ein weiterer Teil, der mich sehr abgeholt hat in deinem Buch, weil du ja nicht nur quasi das Ganze aus der Sicht der Schule siehst, sondern weil du die Elternseite auch noch mit rein nimmst. Nochmal, die sprichst du ja quasi immer wieder an. Und da hast du ja auch diesen Teil drin gehabt mit dem, mit den Kindern sprechen, wenn die Mobbingopfer sind und wie man das tut.
00:27:30.59
stefansasse
Weil das ist ja auch eine super schwierige Angelegenheit. Du sagst ja gerade, du warst als Kind selber auch Mobbing-Opfer. Ja, wir kommen im Club. Ich kenne das auch noch sehr gut. Und dein Tipp war ja letzten Endes, das muss man den eigenen Kindern quasi auch erzählen. Und es war jetzt nur ein Beispiel sozusagen für generell dieses Zuhören, was du vorher schon für uns als Lehrkräfte angesprochen hast. Das Gleiche gilt ja für Eltern auch. Man muss den Kindern, man muss den Jugendlichen
00:27:47.36
Matthias Zeitler
Vielen Dank.
00:27:58.93
stefansasse
ernsthaft quasi zuhören und auf der anderen Seite von sich selbst erzählen, sozusagen. Weil ich glaube, das ist tatsächlich so ein Aspekt, das vergessen gerade wir als Eltern häufig. Die Kinder kennen uns oft gar nicht wirklich.
00:28:15.60
stefansasse
Weil wir sie noch für zu unreif halten oder weil wir es einfach aus anderen Gründen nicht tun. Aber wir teilen unsere eigenen Unsicherheiten, unsere eigenen Verletzungen etc. Meistens aus so einem, glaube ich, falsch verstandenen Schutzidee. So was, ich will mein Baggage nicht bei meinen Kindern abladen sozusagen, ich muss ja der Fels in der Brandung sein und so.
00:28:36.18
stefansasse
Dabei hilft es denen ja eigentlich, wenn sie sehen, Papa und Mama sind quasi auch nur Menschen, hatten ähnliche Erfahrungen, können auch verletzt sein und so weiter und so fort.
00:28:49.63
Matthias Zeitler
Absolut, weil nur so funktioniert auch wieder am Vorbild Lernen. Auch wie sind die Eltern mit den Emotionen, mit den Mobbinggeschichten umgegangen.
00:29:05.98
Matthias Zeitler
mit Misserfolgen umgegangen und daraus wiederum können die Jugendlichen ja lernen oder sich die Sachen rausziehen, die ihnen vielleicht dann auch helfen. Und dann wiederum ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Und ganz wichtig ist eben glaube ich als Eltern, wie du sagst, dieses Zuhören.
00:29:24.60
Matthias Zeitler
auch dieses nicht verurteilen, ja dann hast du wahrscheinlich auch was gemacht und dieses so abtun, so ja komm das war doch sicherlich auch nur Spaß oder ignorier es doch einfach und so weiter. All diese Sätze mal wegzulassen, sondern die Emotionen der Jugendlichen oder der Kinder auch wirklich wahrzunehmen, zuzulassen und zu sagen, ist völlig in Ordnung. Ich kann das verstehen.
00:29:53.31
stefansasse
Verständnis ist ja nicht zwingend Zustimmung oder Guteisung. Ich kann ja problemlos sagen, ich verstehe, warum du es tust. Ich weiß, was los ist. Geil ist es trotzdem nicht.
00:29:59.78
Matthias Zeitler
Ja. Genau, richtig, ja. Und das ist halt wirklich so der Punkt, einfach zu sagen, dieses Verständnis zu haben und die Jugendlichen auch wirklich so zu sehen, wie sie halt nun mal in dem Moment sind, ob es uns jetzt schmeckt oder nicht.
00:30:25.100
stefansasse
Ich fand auch, um das Thema mal ein bisschen zu wechseln, immer noch bei dem Verhältnis Eltern zu Jugendliche, aber ein Satz, der mir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist, den du geschrieben hast, war, lass die Jugendlichen nicht deine Träume leben. Das fand ich auch ein ganz, ganz wichtiges Ding, weil ich das auch immer und immer wieder mitkriege sozusagen, dass quasi
00:30:45.06
Matthias Zeitler
Vielen Dank.
00:30:46.42
stefansasse
der Weg der Kinder vorgezeichnet wird von den Wünschen der Eltern. Ich unterrichte ja im beruflichen Gymnasium und da haben wir ganz häufig eben Leute von der Realschule oder die nach der 10. Klasse, also nach der mittleren Reife quasi, dann noch weiter den Weg zum Abigehen drei Jahre lang oder aber Leute, die vom Allgemeinbildendengymnasium runterkommen, üblicherweise, weil aus irgendwelchen Gründen sie mit dem Allgemeinbildenden nicht zurecht kamen.
00:31:12.23
stefansasse
Und ich höre halt wirklich immer wieder, wenn man da mit denen spricht sozusagen, was willst du eigentlich machen nach dem Abi? Ich meine die Antwort ist bei fast allen keine Ahnung, aber das ist ja ganz normal. Aber bei diversen, wenn du dann quasi die Frage hast, warum machst du überhaupt Abi? Also quasi was ist deine Motivation da dafür?
00:31:21.25
Matthias Zeitler
Ja. Ja. Ja.
00:31:30.86
stefansasse
Man hört doch überraschend häufig, ja meine Eltern wollen sein. Ich will eigentlich gar nicht mehr in die Schule, aber meine Eltern sagen halt, ich soll es machen sozusagen. Und das ist glaube ich wirklich so ein Thema.
00:31:45.93
stefansasse
dass da dann in den Familien auch einfach zu wenig gesprochen wird über solche Sachen und dass quasi die Perspektive, die Wünsche der Jugendlichen gar nicht in die Gleichung einbezogen werden. Und es kann durchaus sein, dass wenn man dieses Gespräch dann führt, dass die Jugendlichen dann von selber sagen, ja, okay, deine Argumente überzeugen mich, ich mach mal ab, weil vielleicht kann ich es tatsächlich brauchen. Aber
00:32:06.95
Matthias Zeitler
Hm. Ja.
00:32:08.66
stefansasse
Wenn ich solche Sachen höre, dann ist ziemlich offensichtlich, dass dieses Gespräch nicht stattgefunden hat, sozusagen, sondern dass die Jugendlichen quasi in so einer Art Trott drin sind, in denen sie immer tun sozusagen, was ihnen von Mama, Papa, Gesellschaft, whatever, vom System quasi vorgegeben wird. Die rutschen so von einem Automatismus in den nächsten. Die sind dann hauptsächlich in der Schule, weil es warm und trocken ist.
00:32:33.64
stefansasse
Und weil der Tag Struktur hat. Aber nicht, weil sie es fühlen, sozusagen. Und ich glaube, das ist wirklich so ein Teil, was auch wirklich reinläuft in diese Geschichte von Zuhören und miteinander sprechen und die Jugendlichen als Personen auch wertschätzen, sozusagen. Dass man das mit denen durchspricht. Weil, und letzter Punkt da dazu, wie soll ich erwarten, dass die dann nachher Abi machen, da sind sie üblicherweise 19.
00:33:01.44
stefansasse
wenn die da rauskommen. Manche auch schon 20 oder sowas. Und dann ist dann üblicherweise dieser Punkt, wo man sagt, so, und jetzt seid ihr volljährig, und jetzt trefft mal Entscheidungen für euer Leben. Und es ist dann das erste Mal, dass die das jemals tun müssen. Kein Wunder, machen die dann erstmal ein freiwilliges soziales Jahr. Oder gammeln erstmal ein halbes Jahr durch die Gegend oder sowas und treiben ziellos rum. Weil die haben ja noch nie Entscheidungen für sich getroffen.
00:33:17.12
Matthias Zeitler
Hm.
00:33:30.79
stefansasse
Die waren noch nie autonom. Da muss man quasi an die Eltern appellieren, glaube ich, dass da mehr läuft. Aber, und da müssen wir uns dann an die Nase fassen, auch in der Schule haben die ja keinerlei Mitbestimmungsrechte. Da sind wir wieder bei solchen Geschichten wie SMV oder sowas.
00:33:46.54
stefansasse
null Einfluss oder wirklich minimalen Einfluss darauf, was in der Schule passiert, wann es war, was wird gelehrt, wie wird es gelehrt, was muss ich tun, was sind die entsprechenden Beurteilungen und so weiter. Da ist einfach keinerlei Autonomie dabei und das halte ich schon auch für ein Problem.
00:34:04.51
Matthias Zeitler
Absolut. Ich höre ganz oft die Sätze, meine Eltern wollen das halt so und deshalb mache ich das, so wie du es gesagt hast. Aber auch, ich muss oder will meine Eltern stolz machen.
00:34:18.40
Matthias Zeitler
Und dann sage ich immer, das ist ganz arg ehrenhaft der Gedanke, aber erst mal müsst ihr selber auf euch stolz sein. Und dann können wir über andere Leute reden. Und dann versuche ich rauszufinden, was die denn wollen. Also was macht sie denn stolz? Was macht euch glücklich? Wohin willst du als Mensch gehen? Jetzt erst mal. Und dann kriegt man relativ schnell raus,
00:34:46.25
Matthias Zeitler
Das kommt auch darauf an, mal mehr, mal weniger schnell, aber in welche Richtung es gehen könnte. Und da versuche ich dann auch in Elterngesprächen, bin ich da relativ
00:34:59.16
Matthias Zeitler
hartnäckig auch, wenn die Eltern dann so sagen, ja, aber ich möchte das, aber ich sage ich ganz oft, es ist schön, dass sie das wollen, aber haben sie schon mal ihr Kind gefragt und das Kind sitzt ja meistens dabei. Und ich hatte schon mal den Fall, dass das Kind gesagt hat, so ja, nee, ich weiß nicht und die Mutter hat alle Entscheidungen getroffen und das hat mir so leid getan. Und irgendwann, also nachdem ich immer wieder nachgebohrt habe und zu der Schülerin gesagt habe, pass mal auf, du musst doch wissen, was du willst.
00:35:29.16
Matthias Zeitler
Ich kann dir hier viel erzählen, deine Mutter kann dir hier viel erzählen, aber wenn du nicht weißt, was du willst und du machst nachher irgendwas, was wir dir oder deine Mutter dir sagt, dann wirst du im Zweifel vielleicht irgendwann an einem Beruf landen, den zwar deine Mutter toll findet, aber du total drof und dann wirst du unglücklich. Und das wollen wir ja nicht. Und das habe ich ein halbes Jahr lang gemacht.
00:35:52.65
Matthias Zeitler
Und jetzt endlich irgendwann nach diesem halben Jahr war wieder eben Eltern-Kind-Lehrer-Gespräch und auf einmal wusste die Schülerin, was sie möchte. Und hat das selber auch gesagt, wenn ich so endlich, weil jetzt können wir anfangen zu arbeiten. Wenn das dein Weg ist, wird steinig, wird nicht leicht, aber dann bin ich bei dir. Aber dann hast du ein Ziel, das du dir setzt. Und das müssen wir halt rausfinden.
00:36:22.60
stefansasse
Und für diese Ziele, wenn sie im schulischen Kontext sind, da brauchen wir dann trotzdem eine gewisse Verbindlichkeit. Und das ist dann, glaube ich, der Punkt, an dem wir bei dem leidigen Thema sind, mit dem Bildungsplan, mit den Zertifikaten, mit dem Stoff, mit den Hausaufgaben, mit den Noten und so weiter, die da ja alle reinspielen. Und da sind wir auch in einem Spannungsfeld letzten Endes, weil wir
00:36:47.07
stefansasse
Die wollen ja am Schluss den Abschluss haben, wie auch immer der dann aussieht. Das ist ja bei dir offensichtlich gerade nicht so ganz klar. Aber zumindest beim Abitur haben die Leute da eine gewisse Vorstellung mit allgemeine Hochschulreife. Da gehört so dieses ganze Ding dazu. Da wird dann immer diskutiert, was denn alles angeblich ins Abitur gehört. Und üblicherweise sagen die Leute, was auch immer ich besonders geil finde, ist unverzichtbar.
00:36:50.42
Matthias Zeitler
Vielen Dank.
00:37:08.67
stefansasse
Und das muss abgeprüft werden und das muss gelernt werden sozusagen. Also wie kann man Abi haben ohne XY zu können oder mittlere Reife muss dieses und jenes sein oder was auch immer. Und auf der einen Seite ist diese Verbindlichkeit natürlich notwendig, weil wir zertifizieren ja trotz allem eine gewisse Vergleichbarkeit braucht es ja zwangsläufig.
00:37:28.70
stefansasse
Auf der anderen Seite ist es aber zumindest mein Eindruck, dass das Schulsystem dann ein bisschen zu sehr in diese Richtung von Normierung geht und zu sehr Gewicht auf das Abhaken von Stoff legt. Also quasi immer dieses, die große Lüge, die sich das komplette Bildungssystem und alle die drin arbeiten immer selbst erzählen ist, wenn ich das im Unterricht gemacht habe, dann können das die Leute.
00:37:53.70
stefansasse
dass er diese Idee hinter dem mit dem Stoff durchkommt. Wenn ich ins Tagebuch geschrieben habe, wir haben die Gründung des Deutschen Kaiserreichs behandelt, dann wissen im nächsten Schuljahr noch alle über die Gründung des Deutschen Kaiserreichs Bescheid. Und das ist eine Illusion, um es mal milde zu sagen.
00:37:57.28
Matthias Zeitler
Ja. Ja.
00:38:15.41
stefansasse
Das wäre jetzt quasi erstmal, worüber man einfach nur lachen kann, gewissermaßen. Aber da hängen ja dummerweise Dinge dran, weil dann eben dieser Druck aufgebaut wird, dass bestimmte Noten erreicht werden müssen und dass bestimmte Inhalte und idealerweise Kompetenzen in Prüfungen abgeprüft werden. Und da leiden die Leute ja wirklich teilweise massiv drunter.
00:38:39.97
Matthias Zeitler
Ja. Hm.
00:38:40.13
stefansasse
Also das scheint mir eines von den unterdiskutierten Dingen zu sein, weil so die Annahme immer ist, das musst du können, das ist immer wieder beim Funktionieren. Also das gehört quasi zum System dazu, das kann gar nicht ohne sein, sonst ist es ja nicht ernst zu nehmen, also wenn du nicht schwitzt für deinen Abschluss und ein bisschen leidest, dann ist der quasi nichts wert. Wir kennen das vom Referendariat.
00:39:06.13
stefansasse
Und genau dasselbe in grün transportiert sich ja quasi in beide Richtungen jeweils weg. Also nur wenn man leidet, ist es quasi was wert und das halte ich für ein Problem.
00:39:16.77
Matthias Zeitler
Ja, absolut. Einerseits nur, wenn man leidet, andererseits eben, was du ansprichst, dieser Druck, der da aufgebaut wird und gleichzeitig ja auch mit einer Art und Weise Prüfungen abzuhalten, die einfach nun mal erstens nichts damit zu tun haben, was später wirklich gebraucht wird an Kompetenzen.
00:39:45.84
Matthias Zeitler
dann das ganze Wissen, was wir damals auch alles im Abi gelernt haben und so. Ja, weiß ich das heute noch? Nee, so. Also es prüft auch gar nicht das ab, was wirklich nötig ist. Ja, das macht so einfach gar keinen Sinn und baut nur Druck auf. Ja. Ich hatte noch einen anderen Gedanken, aber der ist gerade weg.
00:40:11.82
stefansasse
Kommt bestimmt wieder. Ein weiteres Problem, das du auch in deinem Buch ansprichst zu dem Komplex, ist die Ungleichheit, die da drin ist. Also diese soziale Ungleichheit. Ich thematisiere das auch immer und immer wieder. Ich habe das jetzt zum Beispiel im Rahmen von dieser unsäglichen Bundesjugendspieldebatte schon angebracht. Wenn die Leute da sagen, wir brauchen das als den Wettkampf, weil es geht ja um den Leistungsgedanken.
00:40:36.49
stefansasse
Die Bundesjugendspiele prüfen aber keine Leistung ab. Das tun Leistungsfeststellungen, wie sie so schön heißen, im Unterricht relativ selten tatsächlich. Sondern was da üblicherweise quasi mit einer Note zertifiziert wird oder mit einer Urkunde oder was auch immer, ist, was auch immer die Leute mitbringen. Also ich finde es immer ganz, ganz auffällig im Sportunterricht. Also da erschließt sich das den meisten Leuten auch. Ich habe, ich stelle diese Frage auch immer wieder SchülerInnen sozusagen. Wer von euch
00:40:45.74
Matthias Zeitler
Ja.
00:41:04.92
stefansasse
lernt jemals für Sport im Sinne von, ihr macht gerade leicht Athletik, wer geht denn tatsächlich dann nachmittags raus und rennt ein bisschen durch die Gegend, um eine bessere Note zu kriegen? Oder wenn ihr Fußball macht, wer spielt denn dann, wer es normalerweise nicht tut? Wer trainiert denn dann Fußballtechnik, damit er eine bessere Note in Sport kriegt? Was da abgeprüft wird, ist eben keine Leistung, sondern das ist, was auch immer die Leute schon mitbringen. Wer Fußball spielen kann, kriegt im Sportunterricht eine gute Fußballnote.
00:41:24.16
Matthias Zeitler
Nein.
00:41:30.74
stefansasse
Wer in Leichtathletik gut ist, kriegt eine gute Leichtathletiknote. Und das gleiche bei dem Bundesjugendspielen. Du kriegst die Siegeurkunde, wenn du diese Fähigkeiten schon mitbringst. Und wenn nicht, halt nicht. Aber Leistung ist das nicht. Diese Leistung wurde anderswo erbracht.
00:41:43.85
stefansasse
Aber das macht überhaupt keinen Sinn, das in der Schule zu zertifizieren. Das ist, wenn jemand im Verein ist, dann gewinnt der ja da Wettbewerbe und so weiter und da erbringt der die Leistung. Aber eben nicht, wenn er dann völlig willkürlich irgendwas dran kommt, was da in der Schule geprüft wird. Das ist, wie wenig eine Unterrichtseinheit machen würde zum Fortnite spielen oder was auch immer die Jugendlichen jetzt halt gratis spielen, ich bin da so ein bisschen raus. Und dann mache ich das, keine Ahnung, ich setze das allen vor und dann spielen wir zwei Wochen lang Fortnite und machen Noten.
00:42:12.86
stefansasse
Und ich habe eine Vorstellung, wer da dann einigermaßen gut abschneiden wird und wer nicht. Und es ist ein total absurdes System. Und an der Stelle haben wir wirklich nur über die Fähigkeiten gesprochen. Und du schneidest es ja auch an. Gerade auch bei Hausaufgaben oder sowas. Ich bin ein totaler Gegner von Hausaufgaben. Ich gebe nie welche auf. Ich finde die komplett bekloppt.
00:42:31.20
Matthias Zeitler
Ja.
00:42:34.83
stefansasse
Und ich könnte mich so unendlich aufregen über das, was mein Sohn und meine Tochter da teilweise als Hausaufgaben mit heimbringen, aber ich schweife schon wieder ab. Das Ding ist halt, da kommt auch noch eine soziale Ungleichheitskomponente rein. Weil eben manche Leute von Haus aus die entsprechenden Ressourcen haben, um auf diese Prüfungen sich vorzubereiten oder aber, was der Normalfall ist, gar nicht vorbereitet werden müssen, weil sie es schon mitbekommen haben sozusagen. Das fällt den Leuten ja meistens gar nicht auf.
00:43:03.42
stefansasse
Also wenn ich aus so einem Akademikerhaushalt komme, ich wachse ja mit ganz anderen Denkweisen, Arbeitsweisen und Materialien sozusagen auf, als eine Person, die das nicht tut. Und das bringt mir in dem System so gigantische Vorteile, dass diese ganze Idee von einer objektiven Notengebung ohnehin völlig hinfällig ist.
00:43:29.62
Matthias Zeitler
Absolut und ich habe gestern erst mit dem Vorsitzenden des Landes Schülerbeirats im Baden-Württemberg telefoniert, der einen Abi-Schnitt von 1,0 erreicht hat.
00:43:43.34
Matthias Zeitler
Und da kann man jetzt applaudieren und er sagt aber ja, er will aber gar nicht für diese 1-0 Applaus bekommen, sondern schaut euch doch mal an, wie ich das erreicht habe, mit welcher harter Arbeit, was bei mir privat und so weiter los war und ich es trotzdem geschafft habe. Darauf bin ich stolz, nicht auf die 1-0. Dafür kann man applaudieren oder was auch immer.
00:44:09.94
Matthias Zeitler
Das fand ich sehr interessant. Das fand ich sehr, sehr cool. Das andere, was du ansprichst, sind die Noten und wie sie auch gemacht werden. Also sprich, es wird ihr dann auch nicht berücksichtigt bei so einer Klassenarbeit. Die ist dann festgesetzt auf einen Termin. Und dann war vielleicht der, ich nenne zu Beginn meinen Franz, war dann krank. Woche Fieber oder eineinhalb.
00:44:39.10
Matthias Zeitler
Dann setzt man voraus, dass der Franz des trotz seiner Krankheit aber irgendwie zu Hause noch mit oder nacharbeitet. Das wird nicht passieren, nicht in dem Umfang. So. Und jetzt schreibt der Franz eine dementsprechende Note, jetzt nehmen wir mal eine 5. Und anstatt zu sagen, oh, jetzt hast du es echt nicht geschafft, es nachzuholen,
00:45:05.100
Matthias Zeitler
Also eigentlich müsste man sagen, er schreibt die Arbeit gar nicht mit uns, sondern später, aber das ist mal Punkt 1. Jetzt schreibt er aber die Arbeit mit und jetzt hat er die 5. Anstatt zu sagen, boah, jetzt setzen wir uns hin und wir holen das alles nach, passiert doch folgendes. Boah, das tut mir jetzt leid, dass du die 5 hast, aber wir machen trotzdem weiter im Stoff. So, also ein Irrsinn. Er holt das also nie auf.
00:45:28.25
Matthias Zeitler
Und beim Thema Hausaufgaben ist es genau dasselbe. Es gibt ja unterschiedlichste Typen von Leuten, wie sie Hausaufgaben machen. A. Sie machen die Hausaufgaben. B. Sie machen sie gar nicht. C. Sie schreiben sie ab.
00:45:44.24
Matthias Zeitler
Und es gibt ja Studien, die wirklich beweisen, dass Hausaufgaben überhaupt gar keinen Effekt haben. Also die, die gut sind, die werden dadurch nicht noch besser, weil das nicht differenziert genug ist, was wir da als Hausaufgaben dann geben. Und die, die es in der Schule nicht verstanden haben, die werden es doch nicht auf einmal zu Hause verstehen mit einer Hausaufgabe. Das wird also auch nicht passieren.
00:46:08.73
Matthias Zeitler
Das heißt, wir brauchen gar keine Hausaufgaben, weil zu Hause werden sie dann eventuell unterstützt, wenn die Eltern das können. Und ich stelle mir wirklich regelmäßig die Frage, wenn wir dann zu Hause üben mit unserer Tochter,
00:46:21.70
stefansasse
Untertitel im Auftrag des ZDF, 2020
00:46:28.37
Matthias Zeitler
Was machen denn jetzt die, die das nicht können, die die Zeit nicht haben, die vielleicht auch das Deutschverständnis nicht dafür haben, die das Wissen über den Stoff nicht haben? Also ich bin auch mal gespannt, wie das mal wird, wenn meine Tochter an einer weiterführenden Schule ist. Also mit Grundschule und so weiter komme ich noch klar. Ich weiß nicht, ob ich jetzt noch Parabeln in Mathe könnte. Doch, weiß ich. Ich könnte es nicht.
00:46:53.92
Matthias Zeitler
Also das ist das alles ein Irrsinn, das heißt wir bräuchten das gar nicht oder wir sollten das bitte gerne abschaffen und dann aber wiederum mehr Zeit in der Schule dafür verwenden, genau das zu üben. Das ist so effektiv, wenn ich diese Übungsaufgaben, die ich als Hausaufgabe gebe, in der Schule mache, dann kann ich nämlich als Lehrer auch rumgehen und tatsächlich ernsthaft helfen.
00:47:17.04
Matthias Zeitler
weil was ja nochmal absurd ist, ist, das ist dann der letzte Punkt dazu, wir geben eine Hausaufgabe auf, die wird dann nur teils, teils gemacht von der Klasse und dann kontrollieren wir die Hausaufgabe auch noch während des Unterrichts, geht also nochmal Zeit drauf. Viel effektiver wäre es doch die Zeit, wo ich mit Kontrolle beschäftigt bin, schon mal das Übungszeit einzuplanen. Ja, genau.
00:47:41.24
stefansasse
oder sie wird gar nicht kontrolliert. Das ist noch viel schlimmer. Ich erlebe das so oft. Da werden dann tonnenweise Hausaufgaben aufgegeben. Du sitzt quasi mit der Schülerin oder dem Schüler dann zu Hause, weil du Elternteil bist und
00:47:56.83
stefansasse
machst, weiß ich nicht, eine Stunde oder sowas, prügelst du mit unmotivierten Kiddies gegen alle Widerstände durch, dass dann halt irgendwie diese Lösungen nachher im Heft stehen und darauf läuft es auch häufig raus. Hauptsache es ist da, ob das dann sinnvoll war oder nicht, sei mal dahingestellt und dann wird es in der Schule gar nicht kontrolliert.
00:48:10.11
Matthias Zeitler
Mmh.
00:48:17.30
stefansasse
Da fehlt dann auch jeglicher, also ich verstehe gar nicht, warum überhaupt irgendjemand die Dinger macht bei manchen Leuten, weil das eine so offensichtlich reine Beschäftigungstherapie ist, wo was gegeben wird im Endeffekt, weil man halt schon immer Hausaufgaben gegeben hat. Und ich finde, damit ist schlimmste, dass die Eltern das immer einfordern. Ich weiß nicht, ob dir das auch so geht, aber ich muss mich immer und immer wieder dafür rechtfertigen, dass ich keine gebe.
00:48:43.86
stefansasse
Da heißt es, warum geben Sie keine Hausaufgaben, weil es Zeitverschwendung ist. Aber es ist wirklich etwas, was von Elternseite häufig eingefordert wird.
00:48:48.20
Matthias Zeitler
Genau.
00:48:54.92
Matthias Zeitler
Also es wird ab und zu schon auch eingefordert, aber ich mache das ganz klar am Elternabend, genauso wie ich es jetzt argumentiert habe, auch am Elternabend und dann sind erstmal die Blicke so ein bisschen skeptisch. Aber letztendlich sind dann, es ist so eine Mischung aus, ah ja stimmt oder auch Gott sei Dank, da muss ich da nicht hinterher sein. Und insofern
00:49:19.89
Matthias Zeitler
Ja, komme ich damit eigentlich immer ganz gut klar, sage aber auch dazu, es wird Situationen geben, wo wir nicht umhin kommen, eventuell mal was zu Hause fertigzustellen.
00:49:32.12
Matthias Zeitler
Das wird's geben. Und gerade jetzt, wenn ich Richtung Abschlussklasse gehe, ist es aufgrund, leider, der Stoffmenge oftmals gar nicht anders möglich, als zu sagen, bitte, ihr müsst das zu Hause machen. Also zum Beispiel mal jetzt weiter in der Lektüre zu lesen oder so.
00:49:49.92
Matthias Zeitler
Das geht dann leider dann doch nicht ganz ohne in der Abschlussklasse, aber ich kann ja überlegen, welche Hausaufgabe macht denn jetzt Sinn. Also zum Beispiel das Buch weiter zu lesen, das kann jeder erstmal schaffen und dann danach dann drüber zu sprechen, was ist denn da jetzt passiert und so. Näher, Örterung alleine zu schreiben,
00:50:13.76
Matthias Zeitler
In der Abschlussklasse ist schon eventuell ein bisschen schwieriger. Andererseits, wenn ich halt jetzt sehe, dass ein Schüler während des Unterrichts halt nur rumgammelt und das aufgrund dessen nicht schafft, dann sage ich halt auch irgendwann, du pass auf, das sind zwei Möglichkeiten. Entweder du machst das jetzt zu Hause und zeigst es mir dann oder schickst es mir dann über Schulklaut und ich schaue es jederzeit gerne an.
00:50:42.16
Matthias Zeitler
oder aber du machst das nicht, letztendlich ist es dann aber deine verlorene Trainingszeit und du musst es ja dann im Abschluss zeigen können. Und das verstehen die meisten doch relativ gut, dass wenn sie es gar nicht machen, dann doch ihnen die Übung einfach fehlt, so wie halt eben zum Beispiel beim Fußballtraining, die Metapher funktioniert dann immer ganz gut, dass sie es dann doch irgendwie machen.
00:51:06.83
stefansasse
Ich finde, das ist auch wieder die Kehrseite der Medaille von dem, was wir vorher gesprochen haben. Mit dieser Autonomie, den Leuten zuhören und so weiter. Weil diese Verantwortung kann man ihnen dann, finde ich, auch guten Gewissens geben. Dass man quasi sagt, so hier, alle Möglichkeiten sind da. Ich bin hier zu den und den Zeiten. Du kannst mir jederzeit deine Übungsaufsätze schicken. Ja, das ist immer ein Angebot, das kann ich meinen Schülern völlig problemlos machen, weil ich weiß, ich kriege eh eine Fehler.
00:51:33.39
stefansasse
Und diese Möglichkeiten gibt es alle. Und wenn du nichts tust, dann kannst du das machen. Weil selber groß. Und dann musst du aber auch natürlich mit den Konsequenzen leben. Und das sind dann auch häufig so die Gespräche, die ich mit denen führe, dass ich quasi auch so sage, du bist bei mir im Unterricht quasi körperlich anwesend, wenn überhaupt.
00:51:38.85
Matthias Zeitler
Genau.
00:51:55.78
stefansasse
Und ich bin dir deswegen nicht böse. Ich sag dann häufig, das interessiert dich mein Fach nicht, sozusagen. Ja, ist tatsächlich halt Geschichte oder Deutsch oder was auch immer interessiert mich halt nicht. Ja, ich hab nix gegen sie persönlich und so weiter. Ist kein Problem. Ich hab mich als Schüler auch für bestimmte Sachen nicht interessiert. Und ich frag dann meistens auch, ja, hast du den anderen Fächer, in denen es gut läuft? Und wenn sie dann sagen, ja klar, hier, was weiß ich, in Mathe oder Bio bin ich voll gut. Ja klar, dann hast du halt den Deutschen eine Vier. Wenn so lange das für dich okay ist, passt es. Dir muss halt einfach nur klar sein, was die Konsequenz ist.
00:52:25.30
Matthias Zeitler
So.
00:52:28.08
stefansasse
Das sind diese Art von Gesprächen, die ich dann an der Stelle führe. Also von mir aus macht nichts, aber bitte beschwer dich da noch nicht über die Note.
00:52:40.43
stefansasse
einfach die Erwartungshaltung gegenseitig abchecken. Einfach, dass da nicht am Ende irgendeine Überraschung kommt. Die meisten haben damit kein Problem. Wie du schon sagst, die sehen das. Aber es gibt halt immer wieder so die einzelne Person, die arbeitet das Ganze ja überhaupt nicht, die hockt wirklich nur rum und ist dann total empört, dass sie nicht eine zwei Minus hat oder so. Und das ist halt bedauerlich.
00:53:00.47
Matthias Zeitler
Ja und genauso, glaube ich, kann man mit den Jugendlichen auch wirklich sprechen. Also was ich zum Beispiel liebe, ist so sechs Wochen vor der Abschlussarbeit zu sagen, das kostet auch ein bisschen Mut, ich bereite jetzt erstmal nichts mehr vor, sondern ich gehe in die Klasse rein und frage, was braucht ihr denn jetzt? Und dann passiert folgende Dynamik. Die einen sagen, wir müssen nochmal Satzglieder üben. So, dann habe ich halt
00:53:30.06
Matthias Zeitler
ein paar Übungsaufgaben immer irgendwie in petto oder ich such welche raus. Da machen die eine, machen Satzglieder, die anderen machen, da hat eine Schülerin gefragt, ja aber Satzglieder kann ich schon, die mit der Lektüre, die habe ich noch nicht so ganz verstanden, darf ich hier jetzt im Unterricht die Lektüre lesen, alleine? Da sag ich, ja klar, go for it.
00:53:48.20
Matthias Zeitler
pflanzt dich irgendwo hin, irgendwo, wo du dich wohlfühlst, liest die Lektüre. Dann hat die aber tatsächlich verantwortungsvoll diese Lektüre gelesen. Die hat nichts anderes gemacht. Die anderen haben die Lektüre nochmal zusammengefasst und alles der ganzen Klasse zur Verfügung gestellt und so macht jede Gruppe das, wo sie gerade oder einzelne Schüler das, wo sie denken, da muss ich jetzt nochmal ein bisschen Gas geben, da muss ich jetzt nochmal üben. Und das habe ich gelernt von meinem Gymnasiallehrer damals.
00:54:17.36
Matthias Zeitler
im Leistungskurs Wirtschaft Recht und das war also in Bayern und da hast du drei Teilbereiche Recht, BWL und VWL und nur zwei Teilbereiche musstest du im Abi machen. Und bei mir war es wirklich so, ich fand den Lehrer mega, ich fand den Leistungskurs super, wir haben zuerst Recht gemacht, habe ich super verstanden, BWL gemacht, war auch cool, dann haben wir VWL gemacht und ich wollte es so gern verstehen,
00:54:45.91
Matthias Zeitler
Und es ging nicht. Es ging nicht in meine Birne rein. Wie so ein Schalter, der so... aus. So. Und das hat mein Lehrer damals gesehen. Und meinem Banknachbarn ging es auch so. Dann hat er uns gefragt, ich sag mal, wollt ihr VWL dann im Abi machen? Nein, wir machen Recht und BWL auf jeden Fall. Seid ihr euch da sicher? Ja, aber sowas von. Dann hat er folgenden Satz gesagt, dann bitte verlasst meinen Unterricht.
00:55:03.89
stefansasse
Das war's für heute.
00:55:13.40
Matthias Zeitler
geht in die Cafeteria und lernt dort Recht und BWL. Aber die Zeit hier jetzt abzusitzen ist völlig nutzlos. Und natürlich haben wir das tatsächlich auch gemacht, weil wir dieses Vertrauen, das er uns entgegengebracht hat und dieses Verständnis nicht ausnutzen wollten.
00:55:30.66
stefansasse
Ich mache das gleiche in Deutsch, weil da ist die Thematik auch so, dass quasi von den fünf Abi-Themen die Leute wissen ja vorher, was sie nehmen wollen. Also wollen sie eine Erörterung schreiben, wollen sie einen Essay schreiben, wollen sie eine Gedichtinterpretation machen, wie auch immer. Und da sage ich auch immer, ich mache jetzt heute, also in der heißen Phase vor dem Abi sage ich auch, an dem und dem Tag, zu der und der Stunde mache ich Wiederholung, Gedichtinterpretation. Da brauchen nur die von euch zu kommen, die das machen wollen.
00:55:53.40
stefansasse
Und der Rest sollte die Zeit halt anders nutzen. Und was ihr da lernt, ist mir dann egal. Ob ihr dann BWL lernt oder Mathe oder Deutsch, euer Fach, das ist mehr Hupe. Aber es macht halt keinen Sinn, wenn ihr da einfach nur drin rumhaut. Das ist einfach nur eine Störquelle.
00:56:05.14
Matthias Zeitler
Wobei ich großer Fan davon bin, also bei uns ist ja auch so, entweder machen sie einen Prosatext, Lyrik oder Erörterung und ich bin großer Fan auf alles trotzdem vorzubereiten.
00:56:20.59
Matthias Zeitler
Weil, weil Folgendes passiert ist, also de facto ist es so, dass die meisten Schülerinnen und Schüler nehmen die Erörterung. Aber ich sage auch immer, was macht ihr, wenn ihr mit dem Erörterungsthema nichts anfangen könnt. Das heißt, ihr braucht zum Basis Wissen bei den anderen. Und dann ist Folgendes passiert, wir haben mal, dann noch mal Gedichte wiederholt und da kam Erich Kästner, der blinde Mann, haben wir gemacht.
00:56:45.30
Matthias Zeitler
Eine Woche später Abschlussarbeit und dieses Gedicht kam dran zufällig. Man weiß es ja nicht. Und als ich das gesehen habe morgens, als ich die Aufgaben durchgeguckt habe, ich habe ein Halleluja losgelassen und ich dachte, das gibt es doch nicht. Und viele haben dann wirklich dann genau den Text auch genommen, weil sie gedacht haben, da haben wir doch erst vor einer Woche gemacht, können wir doch nochmal so runterschreiben. Und es hat echt gut funktioniert. Echt super.
00:57:09.12
stefansasse
Ja, das kann durchaus klappen. Das ist eine Detaildiskussion quasi zum Thema Deutsch. Ich mache das tatsächlich nicht so, aber das mag auch mit den unterschiedlichen Formaten, also mit der Abi-Prüfung zusammenhängen oder einfach eine unterschiedliche Philosophie sein, weil ich habe die Diskussion auch jedes Jahr mit meinen Leistungskusslern.
00:57:23.06
Matthias Zeitler
Vielen Dank.
00:57:28.34
stefansasse
Und die fragen dann auch immer, soll ich mehrere Themen lernen, soll ich nur auf eins lernen? Und mein Ansatz ist eher, dass ich sage, wenn du dich auf ein Thema wirklich voll vorbereitest sozusagen, dann wirst du auch bei einem Text, den du nicht so magst, mit dem du nicht so viel anfangen kannst, üblicherweise mehr rauskriegen, als wenn du quasi willkürlich irgendein Thema nimmst, auf das du nicht so gut vorbereitet bist. Und das Ding ist halt, das ist so ein, ich kenne die Leute ja. Die allerwenigsten investieren ja überhaupt die Zeit für ein Thema.
00:57:58.03
stefansasse
zwei Themen auf dem Niveau vorzubereiten. Es gibt ein paar Leute, die das machen würden und die haben es nicht nötig. Und die, bei denen es relevant wäre, die bereiten sich schon auf das eine Thema nicht richtig vor. Deswegen ist mein Ansatz tatsächlich inzwischen der, ich habe früher immer gesagt, macht zwei. Und inzwischen sage ich Leute, ihr macht das eine, von dem ihr rechnet, dass ihr es machen wollt. Das macht ihr richtig. Und dann überraschen euch die Texte üblicherweise auch nicht. Also so schlimm kann der eigentlich gar nicht.
00:58:10.52
Matthias Zeitler
Ja.
00:58:27.11
stefansasse
sein. Aber wie gesagt, das ist glaube ich an der Stelle so ein didaktisch-philosophischer Mini-Streit sozusagen. Da gibt es auch glaube ich keine Ideallösung oder so.
00:58:37.35
Matthias Zeitler
Also da würde ich auch sagen, da streiten wir uns nicht, sondern beide Ansätze sind doch völlig in Ordnung und können funktionieren.
00:58:44.59
stefansasse
Und grundsätzlich auch hier, ich glaube, das geht ja bei dir genauso, wir lassen den Schülerinnen ja die Freiheit. Also ich sag denen ja, ich leg denen ja keine Steine in den Weg, wenn sie sich auf verschiedene Themen vorbereiten wollen, das dürfen die ja gerne machen, nur wenn sie mich fragen, was soll ich tun, mein Ratschlag ist üblicherweise, bis auf wenige Ausnahmen, wo die Leute halt tatsächlich einfach keinen Favorit haben, dann quasi sich auf das zu konzentrieren, was sie können.
00:59:08.73
stefansasse
Du hast ja schon angeschnitten gehabt diese Idee von, die Leute sollen selber arbeiten. Wir hatten das bei dem Hausaufgabenthema, gerade auch im Unterricht. Die lernen viel, viel mehr, wenn sie eigenständig arbeiten können. Und das ist für mich gerade deswegen ein sehr aktuelles Thema, weil wir an unsere Schule jetzt eine starke pädagogische Reform quasi reinziehen, weil wir auf die sogenannte Dalton-Pädagogik gehen. Ich weiß nicht, ob dir das einen Begriff ist, es ist so mit freier Arbeitsstunden.
00:59:36.03
Matthias Zeitler
Mhm.
00:59:36.15
stefansasse
Also da haben die quasi in manchen Fächern ungebundene Stunden in der Woche, wo sie dann Aufgaben machen, wo auch Lehrkräfte da sind, die ihnen helfen können, aber sie müssen halt eigenständig arbeiten. Und die Idee ist sozusagen, die viel früher daran zu gewöhnen, eben selbstständig zu arbeiten und nicht nur immer diese passiven KonsumentInnen von Unterricht zu sein.
00:59:58.61
stefansasse
Und ich erwähne das jetzt hauptsächlich, weil ich das Gefühl habe, dass du auch in die Richtung gehst und weil ich davon ausgehe, dass das eine Richtung ist, in die sich die Schule deutlich mehr entwickeln muss. Das quasi nicht so sehr alles in mundgerechten Häppchen serviert wird. So jetzt rechnen wir alle eine Aufgabe an der Tafel vor und
01:00:07.94
Matthias Zeitler
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01:00:17.55
stefansasse
so weiter und so fort, sondern dass da mehr selbst gearbeitet wird und dass die Leute ihre eigenen Schwerpunkte setzen können. Die können dann noch zu den Lehrkräften gehen, zu denen sie möchten sozusagen. Also die sind da nicht gezwungen. Also keine Ahnung, wenn die bei mir Geschichte haben, dann müssen sie zwar meine Geschichteaufgaben machen, aber sie können auch zu meinem Kollegen gehen, wenn sie den mehr mögen oder so. Dass der denen hilft.
01:00:38.39
stefansasse
Und das scheint mir grundsätzlich die entsprechende Richtung zu sein. Das Ding ist, am besten würde das funktionieren, das kannst du aber als einzelne Schule natürlich nicht entscheiden, wenn gleichzeitig die Bildungspläne wieder ein ganz klein wenig entschlagt werden würden.
01:00:53.06
Matthias Zeitler
Ja.
01:00:54.02
stefansasse
Ich weiß nicht, wie euch das geht an der Werkrealschule, dafür kenne ich die Bildungspläne zu schlecht, aber die sind ja am Gymnasium so absurd voll. Die lassen sich ja schon unter Idealbedingungen nicht erfüllen, was im Übrigen die Leute, die die geschrieben haben, selbst zugeben. Dass die wesentlich zu voll und unerfüllbar sind, basically.
01:01:12.02
stefansasse
Und die Idee ist immer, das wird dann auch auf den Fortbildungen immer gesagt, ja die Schülerinnen, die müssen das mal eigenständig machen, was im Unterricht nicht passiert. Aber diese Eigenständigkeit bringen wir ihnen ja nicht bei, weil wir müssen ja mit dem Stoff durchkommen. Da beißt sich diese Katze immer selbst in den Schwanz. Und das zu durchbrechen, das halte ich für eine der ganz, ganz großen Aufgaben aller Schularten, so quasi perspektivisch fürs nächste Jahrzehnt letzten Endes.
01:01:35.08
stefansasse
weil wir einfach noch zu sehr in einer völlig veralteten Vorstellung von Schule hängen, die die im Endeffekt nicht auf das vorbereitet, was wir später mal tun müssen.
01:01:44.67
Matthias Zeitler
Stimme ich dir zu 100% zu. Jetzt hast du mir eine Eigenschaft zugeschrieben, die ich gar nicht so sehr erfülle, weil ich sie gar nicht so sehr erfüllen kann. Nämlich dieses, ich nenne es jetzt mal selbst regulierte Lernen. Findet bei mir erstmal, also ich mache in den letzten Durchgehenden meistens bei sieben oder acht an,
01:02:08.93
Matthias Zeitler
Kaum ist gar nicht statt. Und ihr sagt ja auch gleich warum. Und diese selbst regulierte, freiere Lernen ab Klasse 9. Wenn denn dann überhaupt. Und das hängt sehr stark von der Klasse ab. Warum? Und jetzt komme ich wieder zum Thema Werkreal-Schule. Bei uns kommen ja Leute an, die, ich sage immer, schulmüde sind, die leider zum
01:02:36.51
Matthias Zeitler
großen Teil, auch mal mehr oder mal weniger, es gibt ja auch nicht den klassischen Werkrealschule, gibt's nicht, aber sie im großen Teil jetzt nicht das Selbstbewusstsein haben, dass sie sagen, boah krass, ich bin so selbstbewusst und ich kann, wenn ich alleine was lerne, kann ich was reißen. Das sind die ja nicht. Die brauchen eine Lehrkraft, deshalb Klassenlehrerprinzip bei uns ganz achtwichtig, weil da die Beziehungsarbeit wieder so mit rein spielt. Die brauchen eine Lehrkraft,
01:03:04.07
Matthias Zeitler
auf Dauer, das würde also nicht funktionieren bei uns zu sagen, ja dann gehst du zu dem Lehrer oder zu dem Lehrer. Und dann bauen wir die auf und zwar jahrelang, indem das wir sagen und ihnen immer wieder Growth Mindset mäßig versuchen beizubringen, hey du kannst was reißen.
01:03:24.33
Matthias Zeitler
Du brauchst halt nur ein bisschen länger, du brauchst mehr Unterstützung, ist alles voll in Ordnung. Aber du kannst was reißen. Sondern sind wir in Klasse 9 und dann sind die endlich mal so weit nach ihrer Pubertät, Hormon, so beschwappt über und so, ja, Phase. Dann können die mal in die Richtung selbstverantwortendes Lernen gehen. Gibt auch Klassen, wo das vielleicht nicht geht oder wo es dann insofern scheitert, dass sie das halt dann eben nicht tun.
01:03:54.24
Matthias Zeitler
Aber mal so im Großen und Ganzen. Und das ist so mein zweischneidiges Schwert. Also ja, ich finde es cool. Ja, da muss die Bildungspolitik oder Landschaft auf jeden Fall hin in den nächsten Jahrzehnten. Haken dran, absolute Zustimmung, aktuell umsetzbar. Nein. Und jetzt komme ich zu dem Punkt, warum das auch so ist.
01:04:16.51
Matthias Zeitler
Das Problem ist doch, warum können es unsere Schülerinnen und Schüler an der Werkrealschule beispielsweise noch nicht in Klasse 5? Weil sie in der Grundschule gelernt haben, sie können nichts.
01:04:27.94
Matthias Zeitler
Weil, und da mache ich keiner Lehrkraft einen Vorwurf, also überhaupt nicht. Aber was ist denn, meine Frau ist selber Grundschullehrerin, was passiert denn da? Die haben an die 30 Schüler in einem viel zu kleinen Klassenraum eine Lehrkraft und ganz unterschiedliche Lerntypen. Also ja, wir an den weiterführenden Schulen, wir haben ja sozusagen
01:04:49.24
Matthias Zeitler
zwar auch immer noch heterogene Klassen, aber wir haben eine Laufrichtung. Die sind ja schon, auch wenn es mir jetzt nicht gefällt der Begriff, aber die sind ja in irgendeiner Form schon jetzt vorsortiert.
01:05:01.46
Matthias Zeitler
Aber in der Grundschule haben die ja alles. Die stellen die Aufgabe und manche haben sie danach schon längst gemacht, die anderen suchen immer noch die Stifte raus. So. Und wie soll das eine einzelne Lehrkraft wuppen? Wird nicht funktionieren. Das heißt also, wenn wir diese selbst regulierende Lernen wollen, müssen wir schon an der Grundschule ansetzen und das ist das, was wäre mein Hauptwunsch eigentlich, buttet doch endlich mal alles an Ressourcen, an Kohle, an Lehrkräften, an Geld,
01:05:28.90
Matthias Zeitler
in die Grundschuld rein, damit die in multiprofessionellen Teams in kleinen Klassenzimmern und in kleinen Klassengrößen arbeiten können, sodass wir dann in Klasse 5, 6, wie auch immer, wie lange man dann zusammen lernen mag, da kann man ja auch darüber streiten, ob das so sinnvoll ist, nach Klasse 4 dann zu entscheiden, wohin es geht, dass wir dann da daran anknüpfen können.
01:05:57.28
stefansasse
Ich glaube, der Streit ist ziemlich entschieden an und für sich. Das ist sehr, sehr unsinnvoll, aber wir machen es halt aus sozialgesellschaftlichen Gründen, die alle ziemlich unangenehm sind, sobald man mal genauer schaut, was da die jeweiligen Argumente sind. Aber auch das ist einmal mehr eine andere Debatte. Ich finde, was du gerade gesagt hast, das hat uns sehr schön wieder zum Einstieg zurückgeführt, nämlich diese Wichtigkeit von Beziehungsarbeit.
01:06:05.88
Matthias Zeitler
Wir müssen. Ja.
01:06:21.94
stefansasse
dass wir die Jugendlichen wirklich als Menschen sehen und dass wir weniger versuchen, die durch ein System zu schleusen und Benchmarks zu erfüllen, im Endeffekt. Und ich denke, wenn wir das hinkriegen, dann haben wir schon viel geleistet.
01:06:39.75
stefansasse
und machen ein wesentlich besseres System, völlig unabhängig von den Noten, von den Prüfungsergebnissen oder sonst irgendwas. Aber dann kriegen wir wesentlich bessere Menschen aus diesem System heraus, die auch viel positiver auf ihre Zeit blicken und da wirklich etwas mitnehmen, das eben ihr ganzes Leben etwas nützen wird und das nicht der Aufbau einer Zelle in allen Details auswendig gelände, was man dann für die Arbeit danach sofort wieder vergessen hat.
01:07:08.11
stefansasse
Also von daher, ich denke, das können wir sozusagen als eine Art Fazit an der Stelle mitnehmen.
01:07:14.44
Matthias Zeitler
Ja, definitiv. So ist es.
01:07:17.04
stefansasse
Dann danke ich dir ganz, ganz herzlich für das Gespräch. Wer jetzt Lust bekommen hat auf noch mehr Content von dir, der findet dich ja nicht nur quasi auf Amazon oder anderen Buchbestellungsseiten in den Vorbestellungslisten, sondern der findet auch noch den Podcast von dir, der, wenn mich nicht alles täuscht, auch Schule Backstage heißt und in dem du mit diversen Leuten über alle möglichen solchen Themen redest. Da geht es ja von Mobbing über die
01:07:41.22
stefansasse
über die verschiedenen Schulformen, über eben die Beziehungsarbeit ganz ganz häufig. Du redest mit Eltern, du redest mit ehemaligen Bodyguards und solchen Leuten. Also es ist ja wirklich eine ganz ganz spannende Bandbreite und es ist absolut empfehlenswert. Auch hier, ich werde den Link in die Show Notes packen. Ich danke dir ganz herzlich für das Gespräch und wir treffen uns bestimmt wieder.
01:08:01.99
Matthias Zeitler
Absolut, ich danke dir für die Einladung.
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