Anmerkung: Dies ist einer in einer monatlichen Serie von Posts, in denen ich die Bücher und Zeitschriften bespreche, die ich in diesem Monat gelesen habe. Darüber hinaus höre ich eine Menge Podcasts, die ich hier zentral bespreche, und lese viele Artikel, die ich ausschnittsweise im Vermischten kommentiere. Ich erhebe weder Anspruch auf vollständige Inhaltsangaben noch darauf, vollwertige Rezensionen zu schreiben, sondern lege Schwerpunkte nach eigenem Gutdünken. Wenn bei einem Titel sowohl die englische als auch die deutsche Version angegeben sind, habe ich die jeweils erstgenannte gelesen und beziehe mich darauf. In vielen Fällen wurden die Bücher als Hörbücher konsumiert; dies ist nicht extra vermerkt.

Diesen Monat in Büchern: Rechtes Denken, Bronzezeit, 1918/19, Reconstruction

Außerdem diesen Monat in Zeitschriften: Europa

BÜCHER

Ralf Fücks, Christoph Becker (Hrsg.) -  Das alte Denken der neuen Rechten: die langen Linien der antiliberalen Revolte

Die Autor*innen vom Zentrum für Liberale Moderne (wer es nicht kennt: ein Thinktank von Leuten, die man wahrscheinlich am besten als am Schnittpunkt zwischen Grünen und FDP einordnet) haben in diesem Band eine Reihe von Aufsätzen zusammengestellt, in denen sie wichtige Intellektuelle des rechten Denkens vorstellen und einordnen.

Von Oswald Spengler über Ernst Jünger geht es zu weniger bekannten Figuren wie Alain de Benoin oder Alexander Dugin zu sehr alten Bekannten wie Thomas Mann, der hier vor allem in seiner Frühphase als "Zivilisationskritiker" untersucht wird. Jeder Aufsatz ist nach dem gleichen Schema aufgebaut und stellt die jeweilige Person in einer Kurzbiographie vor, eher er in das Denken einführt und dessen Einfluss auf das rechte Politiksprektrum darstellt.

Die Leitlinien lassen sich recht schnell ausmachen. Allen diesen Intellektuellen ist letztlich eine tiefe Skepsis gegenüber der Moderne zu konstatieren, ein Hang zur Konstruktion "natürlicher" Ordnungen (gegen die die Moderne dann eklatant verstößt) und ein häufig reichlich verquastes Theoriekonstrukt zur Linderung, wenn es denn überhaupt soweit kommt. Für mich auffällig ist, dass zwar die Ideen und grundsätzlichen Normen der Rechten ziemlich konstant bleiben, von einem kohärenten Theoriegebäude aber kaum gesprochen werden kann.

Das ist freilich keine neue Erkenntnis. Ausgefeilte Theoriegebäude waren schon immer eher die Provinienz der Linken (nicht, dass das den linken Rand attraktiver oder in irgendeiner Weise besser gestalten würde, aber die Beschäftigung mit Marx ist allemal intellektuell fruchtbarer als die mit Spengler). Es ist aber gut zu wissen, welche Traditionslinien im rechten Denken gerne aufgegriffen werden - vor allem bei den erfolgreicheren Bewegungen jenseits von Deutschland (etwa in Orbans Vorstellungen, über die ich 2012 geschrieben habe), denn unser lokaler Rechtsextremismus ist nicht gerade voll relevanter Ideen.

Eric H. Cline - 1177 BC - The year in which civilization collapsed (Eric H. Cline - Der erste Untergang der Zivilisation)

Der Untergang der bronzezeitlichen Zivilisationen gehört zu den großen Mythen der Frühgeschichte. Zwar lässt er sich, anders als der Titel von Clines Buch suggeriert, nicht auf das eine Jahr 1177 v. Chr. datieren, aber als Marker ist es so gut wie jedes andere und lässt sich gut merken.

Lange Zeit dominierte in der Alterstumwissenschaft die Vorstellung der "Seevölker", unbekannter Barbaren aus den Weiten des Mittelmeers, die die Zivilisationen von Mykene und Ägypten und wie sie alle heißen hinweggefegt hätten. Ihre Identität war lange ein Mysterium. Inzwischen ist nicht einmal mehr klar, ob es sie überhaupt gab - wie so vieles, das die Gründe für den Untergang der bronzezeitlichen Reiche betrifft, liegt auch dieses Detail im Schatten der Geschichte.

Die Lektüre des eigentlichen Buchs allerdings hat mich, trotz des sehr interessanten Themas, eher enttäuscht. Das liegt weniger an Cline selbst, der Mann ist sicherlich ein kompetenter Altertumsforscher. Ich hatte mir nur eine stärkere Konzentration auf den eigentlichen Titel erhofft - das Jahr 1177 und den Kollaps.

Aber weite Teile des Buchs (zwischen zwei Drittel und drei Viertel) befassen sich mit der Zeit davor, stellen uns quasi die Opfer des Kollapses vor. Obwohl Cline recht verständlich und zugänglich schreibt, habe ich zudem immer das Gefühl, mir würden irgendwelche Basics fehlen (etwa die Perioden ägyptischer Geschichte oder die zeitliche Abfolge von Babyloniern, Assyrern etc.).

Ebenfalls weniger spannend fand ich die archäologischen Einschübe, also von welcher eingekerbten Steinplatte wir welche Inventarliste ägyptischer Händler hatten und was darauf steht.

Für mich war das Buch daher am Ende nicht, was ich mir erhofft hatte. Das mag aber auf andere Lesende nicht zutreffen.

Robert Gerwarth - November 1918: The German Revolution (Robert Gerwarth - Die größte aller Revolutionen. November 1918)

Die Revolution von 1918/19 ist für mich seit über einem Jahrzehnt ein zentrales Thema, das mich sehr interessiert und nachhaltig fasziniert. Nicht umsonst war es ein zentrales Thema im Examen für mich und kommt im Geschichtsunterricht nicht zu kurz.

Nicht nur ist die Revolution ein exemplarisch deutsches Ereignis in so vielen Ausprägungen. Das Potenzial, das in den Ereignissen des Winters der beiden Jahre steckt, ist kaum zu überschätzen. So viele Weichenstellungen fanden hier statt. So viele Was wäre Wenns wurden verhindert, vom spartakistischen Aufstand oder der Räterepublik bis hin zum rechtsextremen Gegenputsch. Am Ende stand die erste deutsche Demokratie, ein ungeliebtes Kind, wider Erwarten stark aufgestellt für die Zukunft.

Robert Gerwarths Buch bietet einen Rundumüberblick über die Geschehnisse. Gerwarth rekapituliert im ersten Drittel die zentralen Ereignisse zum Kriegsende - vom unbegrenzten U-Boot-Krieg, dem Kriegseintritt der USA, der russischen Revolution und der Herausbildung der Weimarer Koalition im Reichstag -, bevor er die eigentliche Revolutionserzählung, eingebettet in die Ereignisse der Friedensverhandlungen, nacherzählt. Im letzten Drittel findet sich dann der Ausblick auf die weiteren Geschehnisse bis 1923, vom Kapp-Putsch bis zum Ruhrkampf und Hitler-Putsch.

Für diejenigen, die nicht firm in den entsprechenden Ereignissen sind, ist das Buch ein extrem übersichtlicher Einstieg. Gut erzählt, mit sauberen Analysen und einem Blick für das Wesentliche, werden die zentralen Ereignisse rekapituliert.

Dabei erfüllt das Buch dann aber eher die Rolle einer Gesamtgeschichte als einer spezifischen Betrachtung der Revolution selbst. Diese wird AUCH behandelt, steht aber letztlich gleichberechtigt mit dem Ende des Weltkriegs, mit den Friedensverhandlungen und mit der Gründung der Republik. Das ist keine schlechte Geschichte, aber ich hatte mir eine spezifischere Betrachtung der Republik erhofft.

Eric Foner - The Second Founding. How the Civil War and Reconstruction remade the Constitution

Aus der beliebten Reihe "Orchideenthemen" stelle ich dieses Buch über die Entstehung des dreizehnten, vierzehnten und fünfzehnten Verfassungszusatzes vor. Die Thematik ist minimal abseitig und theoretisch. Ich finde es allerdings tatsächlich ziemlich interessant, das nachzuverfolgen.

Nicht nur sind die Verfassungszusätze elementar um zu verstehen, wie sich das Thema der Bürgerrechte und des Rassismus in den USA weiterentwickelt hat. Die Geschichte der Verfassungszusätze in der Reconstruction-Ära bietet auch wertvolle Lektionen für heute.

Nicht nur zeigt Foner in seinem Buch deutlich auf, welche politischen Kuhhändel zu der Verabschiedung dieser elementaren Grundrechte führten, sondern auch, welche Widerstände dabei überwunden werden mussten. Die Argumente klingen auf unangenehme Art vertraut. Wir finden sie heute praktisch wortgleich, wo immer Reaktionäre versuchen, Freiheits- und Bürgerrechte einzuschränken.

Am deutlichsten aber wird es, wenn wir in die eigentliche Reconstruction-Ära kommen, wo alte weiße Männer völlig unwillens sind, sich auf die neuen Realitäten einzustellen und mit teils absurden legalistischen Argumenten die Zusätze völlig aushöhlen. Spannend ist dabei, dass genau die Leute, die sich zur Rechtfertigung ihrer obrigkeitsstaatlichen und privilegiensichernden Auslegungen sonst auf den "Willen der Framer" oder so genannte originalistische Auslegungen stützen, diese Prinzipien bei diesen drei Amendments völlig vergessen - bis heute übrigens.

Obwohl Foner in recht trockenem Ton vor allem juristische Geschichte betreibt, kann man bei der Lektüre einen gewissen Zorn kaum verhindern - zu offensichtlich ist die rassistische Motivation dieser Leute, zu verheerend die Auswirkungen auf Generationen von Afro-Amerikaner*innen. Und, nebenbei bemerkt, der Frauen, deren eigene Rechte Kollateralschäden des rassistischen Extremismus sind.

ZEITSCHRIFTEN

Informationen zur politischen Bildung - Europäische Union

Die Europäische Union gehört nicht eben zu den übersichtlichsten politischen Gebilden dieser Erde. Allein, dass es den Europäischen Rat, den Rat der Euroopäischen Union und den Europarat zu unterscheiden gilt, kann uninitiierte Beobachtende schon wahnsinnig machen.

Da ist es durchaus hilfreich, ein von Fachleuten zusammengestelltes und mit zahlreichen Schaubildern versehenes Heft zur Erklärung zu haben. In kurzen Artikeln werden die relevanten Gremien und Politikfelder vorgestellt; Artikelauszüge in speziellen Textkästen erlauben einen klar abgegrenzten, kommentierenden Meinungsrahmen als Ergänzung.

Das Heft hat allerdings das übliche Problem dieser Reihe: Der genaue Adressat ist etwas unklar. Anfänger*innen oder gar Schüler*innen werden die Informationsdichte und Komplexität undurchdringlich finden; wer sich bereits auskennt, wird die Texte als oberflächlich wahrnehmen. Die Zielgruppe ist daher schmal. Ich zähle mich durchaus dazu, wurde dann aber durch den drög-sachlichen Stil hart auf die Probe gestellt. Wer immer noch nicht abgeschreckt ist - die Dinger sind kostenlos.

GEO Epoche - Rom und die Germanen

Die Germanen und ihr Verhältnis zu Rom sind ein heikles Thema, nicht erst seit Netflix seine neueste Blut-und-Titten-Serie im entsprechenden Setting herausgebracht hat. Die entsprechenden Quellen wurden zu allen Zeiten politisch missbraucht, am schlimmsten im 19. und frühen 20. Jahrhundert, als der deutsche Minderwertigkeitskomplex sich an Tacitus' Schilderungen der Germanen berauschte und dabei bequem nicht zur Kenntnis nahm, dass es sich um einen moralischen Apell an die Landsleute hatte, der zu real existierenden "Germanen" allenfalls gelegentlichen Bezug hatte.

Die Gefahr, in alte Klischees zu verfallen, ist bei diesem Thema daher besonders hoch. Dieser Gefahr eines sanften Germanen-Nationalismus entzieht sich Zeitschrift zwar weitgehend, aber nicht vollständig. Die Bewunderung der Germanen als derjenigen Barbaren, die sich erfolgreich Rom widersetzen, blitzt gelegentlich durch. Viel problematischer aber bleibt die Quellenlage. Weil wir über die Germanen nur sehr wenig wissen und auf Indizien aus archäologischen Funden angewiesen sind, bleibt der Fokus weitgehen auf Rom - und auf Spekulation. Dadurch ist das Ganze nicht wirklich Fisch und nicht Fleisch.

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