Ich komme gerade aus vielerlei Gründen nicht dazu, für alle Dinge, die ich lese, eigene Rezensionen zu erstellen. Deswegen lasse ich eine alte Tradition wieder aufleben und erstelle hier eine Übersicht über einige Titel, die ich in der letzten Zeit gelesen habe, mit einigen Anmerkungen. Alle Links führen zu Amazon; wenn ihr darüber bestellt, erhalte ich einen kleinen Anteil. Damit genug der Vorrede, los geht’s.
Rick Riordan: Percy Jackson 1: Diebe im Olymp (Hörbuch)

Ein Jugendbuchklassiker der 2000er Jahre. Bisher kannte ich nur den Film, den ich vor Ewigkeiten einmal gesehen (und praktisch komplett vergessen) habe, aber für die Schule habe ich das Ding gelesen. Mit Sicherheit ist das nicht unbedingt Literatur, wie ich sie normalerweise lesen würde, und es war auch eher ein Kampf. Weder die Prosa noch Charaktere oder Handlung waren sonderlich ansprechend. Die Grundidee ist ja ganz nett und im Endeffekt ein "auserwählter Problemschüler ist in Wirklichkeit ein Superheld", mit einem ordentlichen Schuss humanistischer Referenzen. Aber die Götter wirken nie wirklich wie Götter, und Riordan kann sich nicht wirklich einigen, ob er das absichtlich macht oder nicht. Einerseits sollen wir sie mit Percy fürchten, andererseits reden sie in einem Tonfall von coolen 13jährigen auf einer Harley sitzend. Das Highschoolsetting überträgt sich auch nur eingeschränkt gut in das Ganze. Letztlich hat das World Building ungefähr die innere Konsistenz von Twilight, allerdings mit dem Bonus, dass es für 13jährige geschrieben wurde und nicht für junge Erwachsene.
Jeremy D. Popkins - New World Begins: The History of the French Revolution (Hörbuch)

Die französische Revolution ist ein so zentrales Ereignis, dass es eigentlich nie schadet, sich wieder eine Monografie zum Thema zu gönnen. Popkins Gesamtdarstellung beginnt nach einer kurzen Rückblende auf Louis XIV. mit dessen Enkel, Louis XVI., und schildert ihn überraschend einfühlsam als einen Charakter von großem Pflichtgefühl (im monarchischen Sinne, versteht sich) und gleichzeitig unglaublich beschränktem Horizont. Die Verkrustung des absolutistischen Systems (durch seine gar nicht absolutistische Abhängigkeit vom Adel und den parlaments) kontrastiert mit der Wut und der Aufbruchstimmung der entstehenden Pariser Bourgeoisie, die dann ja Treiber der Revolution sein wird.
Die Schilderung des Revolutionsverlaufs bietet eine gute Mischung aus quasi "herausgezoomten" Analysen und Beschreibungen, die immer wieder durch "hereingezoomte" Betrachtungen von Akteuren unterbrochen wird. Darunter sind natürlich die üblichen Verdächtigen wie Olympes de Gouges, Robespierre und Napoleon, aber auch weitgehend unbekannte Zeitzeug*innen, die Einblicke in die Lebenswelt der Franzosen der Zeit geben und zeigen, wie diese direkt durch die Revolution beeinflusst wurden.
Eine wichtige Frage ist immer das Ende der französischen Revolution. Wann setzt man es an? Popkins macht es relativ klassisch und lässt es mit Napoleons Krönung und der Ausrufung des Empire enden. Das ist sicherlich nur konsequent und sorgt dafür, dass auch die Direktoratszeit zu ihrem Recht kommt, die ja wesentlich unbekannter als etwa der Terror ist. Popkins lässt auch sie zu ihrem Recht kommen und zeigt, dass das Direktorat eigentlich eine Art mittiger Revolutionsregierung war. Auch die sonstigen ideologischen Konflikte und komplizierten Verschiebungen des politischen Spektrums kann er hervorragend darstellen.
Rutger Bregman - Moral Ambition (Hörbuch)

Rutger Bregman ist so eine Art Optimismus-Pop-Philosoph. In seinem neuesten Buch argumentiert er, dass es mehr moralische Ambition bräuchte - also dass Menschen statt hochbezahlten Bullshit-Jobs lieber an der Verbesserung der Welt arbeiten sollten. Es wird argumentiert, dass viele Menschen in wohlhabenden Ländern in Berufen arbeiten, die sie selbst als gesellschaftlich bedeutungslos empfinden. Dies sei ein Ergebnis einer kulturellen Entwicklung, in der Erfolg zunehmend mit finanziellem Gewinn gleichgesetzt wird. Bregman fordert dazu auf, diese Definition von Erfolg zu überdenken und sich auf sinnstiftende Tätigkeiten zu konzentrieren. Anhand von Beispielen wie Thomas Clarkson, einem Abolitionisten des 18. Jahrhunderts, wird gezeigt, wie Einzelpersonen durch moralisches Engagement gesellschaftlichen Wandel herbeiführen können. Diese historischen Figuren dienen als Inspiration, um zu verdeutlichen, dass individueller Einsatz bedeutende Veränderungen bewirken kann.

Bregman analysiert die Bewegung des effektiven Altruismus und erkennt deren Bemühungen an, das Gute zu maximieren. Gleichzeitig kritisiert er jedoch deren Tendenz zur Überoptimierung und den Fokus auf abstrakte, langfristige Ziele. Er plädiert für eine pragmatischere Herangehensweise, die unmittelbare Bedürfnisse berücksichtigt und nicht nur auf theoretische Modelle setzt. Es wird vorgeschlagen, dass Menschen ihre Talente und Fähigkeiten nutzen sollten, um drängende gesellschaftliche Probleme anzugehen. Dabei wird betont, dass nicht nur große Gesten zählen, sondern auch kleinere Beiträge einen Unterschied machen können. Die Idee ist, die eigene Karriere so zu gestalten, dass sie sowohl persönlich erfüllend als auch gesellschaftlich nützlich ist. Bregman hebt die Bedeutung von Gemeinschaften hervor, die moralisches Engagement fördern.
Er warnt jedoch vor der Gefahr, dass solche Gruppen dogmatisch oder elitär werden könnten. Stattdessen wird empfohlen, sich mit kritischen, aber unterstützenden Menschen zu umgeben, die helfen, auf dem richtigen Weg zu bleiben und Selbstüberschätzung zu vermeiden. Zum Abschluss bietet das Buch konkrete Vorschläge, wie man moralische Ambitionen in die Tat umsetzen kann. Dies beinhaltet die Auswahl von Projekten, die sowohl bedeutend als auch lösbar sind, sowie die Bereitschaft, Risiken einzugehen und aus Fehlern zu lernen. Es wird betont, dass der Weg zu einer besseren Welt mit kleinen, aber konsequenten Schritten beginnt.
Insgesamt war das Buch nett zu lesen. Höchst relevant und wichtig fand ich seine Ablehnung der Überhöhung individueller, aber symbolischer Akte des Widerstands beziehungsweise der Resistenz, und vor allem seine Punkte zur Illusion von Veränderung waren sehr relevant. Die Überbewertung von "awareness" vor allem in progressiven Kreisen spießt er völlig zurecht auf, genauso wie die Idee, dass Dinge von alleine passieren würden. Organisation und vor allem die unermüdliche Arbeit engagierter Menschen mit moral ambition sind der relevante Punkt. Allerdings kann auch er natürlich das eigentliche Problem nicht lösen: wie bekommt man mehr Menschen dazu, entsprechend zu handeln? Das bleibt das Panacea.
Philip Matyszak - Legionär in der Römischen Armee. Der ultimative Karriereführer (Hörbuch)

Ich hab dieses Buch schon öfter gelesen, weil ich Matyszaks flotte Schreibe sehr mag und das manchmal schon fast rotzige, gleichzeitig ironische und doch ernsthafte dieses Buchs mag. Die Lektüre des "Karriereführers" erlaubt es, von A wie Anwerbung bis Z wie Zur-Ruhe-setzen die Karriere eines römischen Soldaten nachzuverfolgen. Das Buch ist am stärksten, wo Matyszak den Alltag eines Legionärs beschreibt und etwa erklärt, wie man lästigen Pflichten im Lagerleben entgeht, sich am besten auf einen Feldzug vorbereitet oder plündert. Man kann nicht sagen, dass ein so populärwissenschaftliches Werk dabei auf dem Stand der Forschung oder wissenschaftlich super korrekt wäre; so ist ja allein die Idee, "den" Legionär beschreiben zu können (wenn auch auf dem Stand Trajans) ein Anachronismus und grobe Vereinfachung.

Aber in einem so schmalen Bändchen geht das kaum anders. Sofern man also nicht davon ausgeht, dass man hier eine Art Proseminar zum römischen Legionärswesen in Kurzform bekommt, sondern eher eine Art "Was ist Was" für Erwachsene, kann man damit wenig falsch machen. Meine erneute Lektüre wurde vor allem durch meine Entdeckung des Hörbuchs und die Tatsache, dass es wegen seiner Kürze zwei zum Preis von einem bei Audible gibt, geweckt. Leider musste ich feststellen, dass das Hörbuch gekürzt ist, weswegen ich die Originallektüre empfehlen würde, sofern man nicht wie ich eh auf der Suche nach einigen kurzen Hörbüchern für die Credits ist.
Michael Prestwich - Ritter. Der ultimative Karriereführer (Hörbuch)

Aus der Serie der "ultimativen Karriereführer" gibt es auch einen für Ritter. Genauso wie für den oben beschriebenen Legionär gilt auch hier, dass ich die Hörbuchversion gehört habe. Da ich das Buch selbst nicht habe, kann ich nicht sagen, ob es auch eine gekürzte Version ist, ich würde das aber grundsätzlich annehmen. Noch mehr als beim Legionär ist hier natürlich ein unüberwindbarer Anachronismus, weil es "den" Ritter natürlich nicht gibt und hier auch noch quasi das ganze Mittelalter abgedeckt wird; wir sollten annehmen, dass hier das in der Minne- und Aventiuredichtung beschriebene hochmittelalterliche Idealbild vorliegt.

Wir begleiten einen Ritter von der Pagenzeit (die allerdings sehr kurz abgehandelt wird) zum ebenso kurzen Knappendasein über seine "Laufbahn" und erfahren dabei auch das Wertesystem. Prestwich versucht durchaus, den Widerspruch zwischen den höfischen Idealen und der Realität darzustellen und erwähnt am Rande auch die Kreuzzüge, aber es fällt ihm recht schwer, "die" Ritterkarriere in einen Leitfaden zu kondensieren, was bei der Schlachterfahrung und dem Lösegeldnehmen noch am besten gelingt. Mediävisten werden sich bei der Lektüre vermutlich die Zehennägel kräuseln, aber wer eine unterhaltsame Auffrischung vor einem Kinoabend mit Mittelalterfilmen oder für den Rollenspielcharakter braucht, macht bei dem Preis auch wenig falsch.
Philipp Matyszak - Gladiator. Der ultimative Karriereführer (Hörbuch)

Im zweiten Karriereführer aus der Feder Matyszaks wendet man sich der häufig eher unfreiwilligen Karriere als Gladiator zu. Zwar gab es durchaus Freiwillige für diese "Karriere", doch lässt Matyszak wenig Zweifel daran, dass die Karriere sowohl recht tödlich ist (eine Chance von 1:5, in einem Kampf zu sterben, macht bei drei Kämpfen pro Jahr eine Lebenserwartung von etwas über zwei Jahren). Gleichzeitig ist das Leben als Gladiator bis dahin überraschend komfortabel. In der Gladiatorenschule gibt es nicht nur eine überdurchschnittlich gute Verpflegung (Gerstenbrei und Gemüse, macht zwar Blähungen, hat aber viel Kohlenhydrate und Protein), sondern auch sonstige Rundumversorgung inklusive Krankenversicherung.

Die schlechte Nachricht ist natürlich, dass man die auch braucht. Mit das größte Problem der Gladiatoren"karriere" zieht sich durch den gesamten Leitfaden: dass man in der römischen Gesellschaft ein Paria ist, was sich auch nach einem erfolgreichen Ausscheiden als Publikumsliebling nicht sonderlich ändert. Auch hier gilt, dass die popgeschichtliche Darstellung von der Authentizität näher am Russel-Crowe-Film als an der historischen Forschung ist, aber das nimmt wenig vom Unterhaltungsgrad. Man sollte sich dessen nur bewusst sein.
Stephen Turnbull - Samurai. Der ultimative Karriereführer (Hörbuch)

Der letzte der als Hörbuch verfügbaren Karriereführer (es gibt noch ein Buch für Wikinger, aber das kenne ich nicht) beschäftigt sich mit den Samurai. Turnbull nutzt eine etwas andere Perspektive als Matyszak und Prestwich, die zwar auch eine Art anachronistisch-lustvolle "Gegenwartsliteratur" ihrer Epoche geschrieben haben, entfernt aber eine gehörige Portion ironisches Augenzwinkern und versucht, das Ganze eher als Quelle aus der Kaiserzeit erscheinen zu lassen, was für einen reichlich gekünstelt-hölzernen Schreibstil sorgt, der wesentlich weniger zum Sujet passt als bei den anderen Büchern der Reihe.

Das nimmt nichts vom Informationsgehalt; Turnbull zeigt schön den Ethos des Samurai, seine Stellung in der japanischen Gesellschaft und legt überraschend viel Gewicht auf seine weltlichen Pflichten, vor allem seine Rolle als Beamter und Lehensherr (auch wenn er beides reichlich unzulässig vermischt). Erneut bekommen wir vor allem ein Idealbild präsentiert, aber das ist nicht so dramatisch, da das Buch bestenfalls als Einstiegslektüre ins Thema durchgehen dürfte.
Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?
Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: