Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) Eliten ohne Realitätskontakt? Genau darum brauchen wir die Wehrpflicht
Im Artikel wird die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht in den USA als Lösung für die zunehmende gesellschaftliche Spaltung vorgeschlagen. Die Beobachtung lautet, dass eine Freiwilligenarmee vor allem Menschen aus ärmeren Verhältnissen anziehe, während die besser Gebildeten und Wohlhabenden der Realität des Militärdienstes fernblieben. Diese Trennung verschärfe die gesellschaftliche Kluft, insbesondere zwischen akademischer Elite und dem Rest der Bevölkerung. Es wird argumentiert, ein verpflichtender Nationaldienst würde das Gemeinschaftsgefühl stärken und junge Menschen aus allen sozialen Schichten zusammenbringen. Der Vorschlag orientiert sich an früheren Initiativen, wie denen des Politikers Charles Rangel, der forderte, dass alle jungen Erwachsenen zwei Jahre im Militär oder im zivilen Bereich dienen sollten. Neben militärischen Aufgaben wird dabei auch an Einsätze im Sozialwesen gedacht, etwa in der Altenpflege oder beim Wiederaufbau nach Naturkatastrophen. Befürworter sehen darin die Chance, Vorurteile abzubauen und ein besseres Verständnis füreinander zu schaffen. Kritisch wird hingegen angemerkt, dass sich Eliten auch bei einer Wehrpflicht oftmals entziehen könnten. Dennoch wird betont: »Der einzige Weg, unsere kindische Abneigung gegen die andere politische Partei zu überwinden, besteht darin, alle in ein und demselben Team arbeiten zu lassen.« (Jonathan Zimmermann, Welt)
Die Welt hat dieser Tage eine ganze Reihe von Artikeln, die für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht trommeln, veröffentlicht, aber der hier scheint mir ziemlich symptomatisch für ein Problem, das ich bereits im letzten Vermischten im Zusammenhang mit Stephan Anpalagans Plädoyer für Rentner*innen in Kitas angesprochen habe. Allzu häufig ist eine Lösung auf der Suche nach einem Problem. Genauso wie man mit Schach spielen besser Schach spielen lernt oder mit Latein Latein (und nicht irgendwie logisches Denken oder was da sonst immer angepriesen wird), genauso sorgt eine Wehrpflicht dafür, dass man Wehrpflichtige hat. Man sollte das nicht über die Gebühr mit anderen gesellschaftlichen Projekten oder Erwartungen aufladen. Klar, wenn das passiert ist nett, aber erstens ist es bei weitem nicht garantiert und zweitens gilt, dass wenn du etwas Spezifisches erreichen willst du eine Policy dafür machen solltest. Geht es darum, Vorurteile abzubauen und besseres Verständnis zu schaffen? Fein. Dann mach was, das dieses Ziel spezifisch fördert, aber laste es nicht anderen Dingen auf.
2) What would a real anti-China trade strategy look like?
Im Text wird analysiert, dass Trumps derzeitige Handelspolitik unbeabsichtigt die Position der USA schwächen, technologische Fähigkeiten untergraben und China geopolitisch stärken könnte. Zwar sei dies wohl weniger Absicht als vielmehr „Stupidität“, wie es heißt, dennoch verfolge ein Teil der Trump-Administration durchaus das Ziel, Chinas Einfluss einzudämmen. Es wird betont, dass eine wirksame Strategie gegen China eine enge Allianz mit Partnern wie Japan, Südkorea, Vietnam und Indien voraussetze, um China wirtschaftlich zu isolieren. Hierzu müssten alle Handelsbarrieren zwischen Nicht-China-Staaten abgebaut werden, um eine Art gemeinsamer Wirtschaftsraum zu schaffen. Ergänzend brauche es gezielte Zölle auf chinesische Zwischenprodukte sowie eine präzise Überwachung der Lieferketten, um Abhängigkeiten zu verringern. Industriepolitik solle Schlüsselindustrien stärken, während Investitionshemmnisse im Inland abgebaut werden sollten. Letztlich wird festgestellt, dass die aktuelle Politik hinter diesen Anforderungen weit zurückbleibe, obwohl die beschriebenen Maßnahmen notwendig wären, um China wirksam wirtschaftlich einzudämmen. (Noah Smith, Noahpinion)
Wir sind beim üblichen Thema, dass in praktisch keinem Land eine Wirtschaftspolitik betrieben wird, die diesen Namen verdient, in dem Sinne, dass irgendein größerer Plan und nicht irgendwelche halbseidenen ideologischen Überbauten darüberstehen. Trump handelt instinktiv, und wie bei jedem solchen Akteur findet der blinde Elefant gelegentlich auch Erdnüsse. Aber was hilft es, wenn er währenddessen den umgebenden Porzellanladen einreißt? Ansonsten gilt, was Smith sagt, grundsätzlich auch für uns. Es wird davon geredet, dass man gegenüber China Decoupling oder Derisiking betreiben müsste (ohne dass man das Gefühl hätte, dass die Leute verstehen würden, was diese Begriffe eigentlich bedeuten), aber gleichzeitig will man keinesfalls Handelsnachteile in Kauf nehmen. Diese "wasch mich, aber mach mich nicht nass"-Einstellung sorgt dafür, dass das alles Gerede bleibt.
3) "Das hat Scholz nie zugelassen" (Interview mit Johannes Hillje)
Im Interview erläutert der Politikberater Johannes Hillje, dass die AfD nicht nur mit Wut und Angst, sondern auch mit positiven Emotionen wie Hoffnung arbeite. Ihre Inszenierung als „Gute-Laune-Partei“ stärke die Identifikation ihrer Anhänger. Hillje spricht von einer „Eventisierung der Politik“ und einer Allianz von „Demagogie und Technologie“, durch die die AfD über soziale Medien gezielt Emotionen schüre. Er fordert eine „demokratische Gegenemotionalisierung“, da frühere deutsche Politikstile, wie Scholz' „regierende Regungslosigkeit“, nicht mehr zeitgemäß seien. Emotionen gehörten unverzichtbar zur politischen Kommunikation, sollten aber bestimmte Grenzen nicht überschreiten, etwa keine Dehumanisierung oder Feindbildkonstruktion. Erfolgreiche emotionale Ansprache könne gelingen, wenn zentrale Werte wie Sicherheit oder soziale Gerechtigkeit betont würden. Als Beispiel nennt Hillje Heidi Reichinnek von der Linken, die es geschafft habe, Themen wie Mieten oder Energiekosten emotional aufzuladen. Politik solle den Menschen vermitteln, dass sie ihr Schicksal selbst gestalten können. (Annika Leister, T-Online)
Ich denke, Hillje ist da durchaus etwas auf der Spur. Aber, um das Beispiel auf den im Artikel erwähnten Habeck zu bringen, mir scheint der Schlüssel nicht darin zu liegen, dass Politiker*innen emotional sind. Das geht natürlich; ich will hier nicht das Loblied auf den Scholz-o-Mat singen. Aber die Emotionalisierung darf, wenn sie den erwünschten Effekt haben soll, nicht mit der Person verbunden bleiben, sondern muss das Ganze betreffen. Das heißt, dass ein Habeck gerne gefühlig zuhören kann und ihm das vielleicht Wählendenstimmen bringen kann (oder auch nicht). Aber das wird nichts am Grundproblem ändern. Was es stattdessen braucht, ist eine emotionalere Beziehung zum Gemeinwesen als Ganzem, zum pluralistischen, demokratischen Projekt. Und da haben im Übrigen die Konservativen mit ihrer Einforderung von mehr Patriotismus und gegebenenfalls auch einem Dienst an der Gemeinschaft schon einen Punkt.
4) Ein kleiner Wurf – und vier zentrale Defizite
Der Artikel beschreibt den neuen Koalitionsvertrag von Union und SPD als mühsam errungenes Ergebnis, das trotz offensichtlicher Mängel zumindest eine gewisse Stabilität verspreche. Die anfänglichen Befürchtungen seien nun durch Erleichterung ersetzt worden, da das politische „Kind“ nun geboren sei. Kritisiert wird die lange Liste kostspieliger Kompromisse, die zwischen Lobbyinteressen und Populismus schwanke. Gleichzeitig wird jedoch hervorgehoben, dass der Vertrag ein respektables Investitionsprogramm vorsehe, darunter Sondervermögen für Infrastruktur, Steuererleichterungen und Bürokratieabbau. Dennoch bleiben zentrale Defizite bestehen: Die großen Zukunftsfragen wie Demografie, Rente und Klima würden ausgespart, eine überzeugende Zukunftsvision fehle, und die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger stünden kaum im Mittelpunkt. Auch zeige der Vertrag wenig geopolitisches Bewusstsein. Insgesamt wirke das Bündnis wie ein pragmatisches Arbeitsprogramm ohne große Erzählung. Die Hoffnung liege darauf, dass Wirtschaft und Staat wieder funktionierten und Solidarität mit den Fleißigen gestärkt werde – ein Minimalziel, das weder über- noch unterschätzt werden solle. (Dieter Schnaas, Wirtschaftswoche)
Einmal ernsthaft: wann war je ein Koalitionsvertrag der große Wurf? Eine der größten Reformen der letzten Jahrzehnte, die Agenda2010 (egal, wie man zu ihrem Erfolg steht) stand nicht einmal im Koalitionsvertrag. Der Koalitionsvertrag ist ein kleinster gemeinsamer Nenner, arbeitet Konsenspunkte ab. Die wahre Prüfung kommt erst in der Krise, und die kann kein Koalitionsvertrag vorhersehen. Wenn krisenhafte Ereignisse rasches und durchgreifendes Handeln erfordern, zeigt sich die wahre Handlungsfähigkeit von Regierung, Staat und Verwaltung. Dann müssen die Leute beweisen, was sie können. Die Ampel hat diesen Test nicht bestanden. Man kann hoffen, dass sich Merz' Regierung ihm nie wird aussetzen müssen, aber ich fürchte, das wird nicht passieren.
5) Trump aides suggest Warner Bros. give Don Jr. a hunting show to improve White House ties
Nach der Wahl Donald Trumps im Jahr 2024 suchen Medienunternehmen verstärkt den Kontakt zur neuen Regierung. Laut einem Bericht von Intelligencer soll ein Vertreter von Warner Bros. das Trump-Team kontaktiert und gefragt haben, wie sich das Verhältnis zum Weißen Haus verbessern ließe. Als Antwort wurde unter anderem vorgeschlagen, Donald Trump Jr. solle eine Jagd- und Angelsendung auf dem Discovery Channel erhalten. Zudem wurde auf das Beispiel von Amazon verwiesen, das Melania Trump 40 Millionen Dollar für eine Dokumentation gezahlt habe. Auch mehr „pro-Trump-Stimmen“ auf CNN seien gewünscht. Die Medienlandschaft reagiere damit auf die bekannte Medienkritik Trumps, der etablierte Sender oft als „Fake News“ bezeichnet. Warner-CEO David Zaslav, der auch CNN verantwortet, wird im Artikel als zögerlich beschrieben. Weitere Medien wie Meta und The Washington Post sollen bereits begonnen haben, ihre Inhalte Trump-freundlicher zu gestalten – offenbar aus Sorge vor Repressalien durch das Weiße Haus. (Ailia Zehra, Alternet)
Die Korruption in diesem Land ist auf so lächerliche Weise öffentlich, dass einem der Atem stockt. Deswegen hatte ich auch keine Geduld mit Leuten, die bereit waren, Hunter Bidens Laptop ernsthaft als Grund zu sehen, Donald Trump wählen zu wollen. Dieser Mann ist auf eine Art korrupt und zerstört jegliche demokratische Ordnung, dass es jeder Beschreibung spottet. Und das war zu 100% abzusehen. Und nicht nur ist er einfach nur korrupt; er nutzt den Einfluss der staatlichen Macht auf eine hier ebenfalls sichtbare Weise so krass und demokratiefeindlich, dass man gar nicht weiß, was man sagen soll. Es ist dasselbe Spielbuch, dass die Autoritären um die ganze Welt herum abarbeiten. Und alle diejenigen, die Warnungen vor einer neuen Trump-Regierung nicht ernst genommen haben, sollten sich in Schande und Scham kleiden.
Resterampe
a) Sahra Wagenknecht: Rückzug oder Kampf nach Wahlniederlage des BSW? (Spiegel) Habe die Hoffnung, dass die Frage letztlich irrelevant ist.
b) Wir leben jetzt in der Weltwirtschaft eines Dummkopfs (beimwort)
c) It is difficult to imagine a post-American world. But imagine it we must (The Guardian).
d) Gute Nachrichten aus der Fleischindustrie (Boeckler).
e) Es mangelte nicht an Warnenden. (Daily Beast)
f) Die Methode Spahn (ZEIT).
g) The only persistent thread of Trumpism. (Persuasion)
h) Spannende Meinungsvergleiche 1937 mit heute. (Bluesky)
Fertiggestellt am 20.04.2025
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