Überall wird dafür geworben, dass wir die #Coronakrise als Chance nutzen. Es ginge darum, Lehren zu ziehen und eine effektive, digitalisierte und nachhaltigere Gesellschaft zu gestalten. Man hört, dass mehr Geld für Schulsanierungen ausgegeben werden solle und Home-Office Lösungen auch nach der Krise Möglichkeiten seien, um einen Einklang von Familie und Beruf zu schaffen. Ich möchte mich heute dafür stark machen, auch einen anderen Bereich der Gesellschaft nach dieser Krise neu zu denken: den Sozialstaat.

Der „Vater“ des Wirtschaftswunders in Deutschland, Ludwig Erhardt, proklamierte zu Beginn der BRD das wirtschaftliche Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“. Seitdem versteht sich Deutschland als Staat, der für seine Bürger Sorge trägt. Es ist eine Prämisse der Politik, dass das System reguliert wird, um allen Menschen eine finanzielle Absicherung zu ermöglichen. Das ist die moralisch richtige Entscheidung, weil Solidarität und Gemeinwohl zentrale Merkmale einer Gesellschaft sein sollten. Vor allem in den letzten Jahren wird im Parlament darum gerungen, welche Ausmaße der Sozialstaat annehmen sollte. Diese Diskussion liegt vor allem im Parteienpluralismus begründet, da das gesamte Spektrum vertreten ist.

https://www.deutschlandfunk.de/sozialpolitik-corona-belebt-debatte-um-das-bedingungslose.724.de.html?dram:article_id=479046

Dieser Zwist ist durch Corona nur noch weiter angeschwollen: Während Friedrich Merz verlangt, alle Sozialleistungen auf den Prüfstand zu stellen, um so viel wie möglich zu streichen, gibt es immer mehr Initiativen, die sich für ein stärkeres Netz der Sicherung einsetzen.

https://www.freiepresse.de/nachrichten/deutschland/merz-nach-der-krise-alle-staatlichen-leistungen-ueberpruefen-artikel10819002

Ja! Es ist an der Zeit, ein Grundeinkommen in Deutschland einzuführen.

Um meiner Forderung Nachdruck zu verleihen, räumen wir doch direkt mit den beiden zentralen Gegenargumenten auf:

  1. Ein Grundeinkommen ist zu teuer.

Es wäre zu einfach, einen konkreten Betrag mit der Bevölkerung zu multiplizieren und zu sagen: das ist zu teuer. Es gibt unterschiedliche Modelle, ein solches Grundeinkommen umzusetzen. Eine Form, die ich mir wünsche, ist das bedingungslose Grundeinkommen (BGE), mit dem alle Menschen einen bestimmen Betrag erhalten, ganz ohne jegliche Bedingung eben. Mir ist bewusst, dass es die kostenintensivste Variante ist, doch ich halte sie für die solidarischste und befürworte sie daher, weil sie keine Diskriminierung vornimmt, sondern die ganze Gesellschaft vereint – auch Milliardäre. Setze ich Grenzen, wie Alter oder Einkommen als Maß und schütte nur an Menschen aus, die diese erfüllen, ist es kein BGE mehr – aber immer noch humanistischer als unser derzeitiges System.

Wie ein solches System finanziert werden kann, findet ihr unter http://www.grundeinkommen.de.

An dieser Stelle sei auch mit dem Schreckgespenst der „Steuererhöhung“ aufgeräumt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir füreinander da sind, deshalb sind Steuern notwendig und sinnvoll. Wenn die Liberalen und Konservativen damit Angst verbreiten wollen, zeigen sie nur, dass sie nicht wissen, was Menschlichkeit im Staat bedeutet. Grüße gehen raus an Herrn Merz.

Der bürokratische Aufwand würde zudem verringert werden, da viele Ämter und Institutionen wegfallen, wenn es keine Bedingungen gäbe. Sachbearbeiter von Hartz-IV-Anträgen oder anderen Sozialleistungen würden anderweitig beschäftigt, da hier Stellen gestrichen werden. Des Weiteren sollte klar sein, dass momentan knapp 800 Euro Haushaltsbudget eines Singles im Hartz-IV-System so oder so schon geleistet werden.

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wie-viel-geld-bekommt-ein-hartz-iv-empfaenger-1.3905657

Wir reden hier also nicht von einer gigantischen Erhöhung, sondern von einer Umstrukturierung und einer leichten Steigerung der finanziellen Sicherheit der Menschen in Deutschland, auch wenn klar ist, dass derzeit etwa 6,22 Millionen Personen Hartz-IV erhalten, während ein Grundeinkommen in einigen Szenarien alle betrifft.

Doch selbst wenn ich sage, dass es teurer ist, als es bisher war: Unsere Mitmenschen sollten uns so viel wert sein, dass wir in unser staatliches Zusammenleben mehr investieren.

2. Menschen, die ein Grundeinkommen erhalten, arbeiten nicht mehr.

Immer wieder hört man, dass Menschen, die finanzielle Unterstützung erhalten, sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen und nichts mehr leisten. Manchmal weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, dieses Argument zu zerlegen. Zuerst einmal wird hier bewiesen, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben. Du bist erst etwas wert, wenn du etwas leistest, schaffst, machst. Im Grundgesetz steht aber, dass unsere Würde nicht erst unantastbar ist, wenn wir etwas „geleistet“ haben. Demnach braucht mir keiner damit kommen, denn wir beurteilen Menschen nicht nach Leistung, sondern nach seinem Wesen. Unser Weltbild darf es nicht sein, erstmal vom Schlimmsten auszugehen, auch wenn es Beispiele für das Extreme gibt. Grundlegend akzeptieren wir, dass es schwarze Schafe gibt, um allen anderen eine lebenswerte Gesellschaft zu ermöglichen – und darauf kommt es an. Zu oft beurteilen wir uns selbst nach den besten Intentionen und andere Gruppen nach ihren schlechtesten Beispielen. (Frei nach G. W. Bush)

Des Weiteren ist die Aussage auch inhaltlich kritisch zu sehen, denn bei einer Orientierung an der Bedürfnispyramide nach Maslow zeigt sich, dass wir immer nach einer Selbstverwirklichung streben. Es geht dabei darum, das eigene Potenzial voll auszuschöpfen und dazu zählt unter anderem kreatives Interesse und Können. Befriedige ich über ein Grundeinkommen Bedürfnisse wie Nahrung und Sicherheit, fällt es mir viel leichter, sich der Selbstverwirklichung zu widmen. Im Gespräch mit anderen zeigt sich dann oft, dass sie nicht faul wären, sondern mehr Sport treiben würden, sich ehrenamtlich engagieren, mehr lesen, einen Teil spenden würden und sich insgesamt auf andere Art und Weise um sich selbst kümmern und dabei dennoch einen Beitrag für die Gesellschaft leisten.

Dass sich die Bereitschaft zu arbeiten nicht senkt, zeigt auch die praxisnahe Studie aus Finnland, die dieses Jahr veröffentlicht wurde.

Demnach ist das Grundeinkommen bezahlbar/umsetzbar und führt nicht dazu, dass unsere Gesellschaft zusammenbricht, sodass resümierend bleibt, es ist mehr als nur einen Versuch wert. Wem das nicht reicht: Die finnische Untersuchung zeigt ebenfalls, dass die Menschen mehr Vertrauen in die Zukunft haben und dabei Stress- und Depressionssymptome verringert werden.

Ich denke, es ist Zeit, unser soziales Netz umzuwandeln und ein Grundeinkommen zu führen und diskutiere dabei gerne mit euch, wie hoch es sein kann und wie konkret es ausgezahlt wird – doch ich bleibe dabei: Wir sollten es einführen, um dem Traum von einer gerechteren Gesellschaft näher zu kommen.

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