Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) „Politische Neutralität” als Kampfbegriff

Der Artikel setzt sich mit der politischen Instrumentalisierung des Begriffs „Neutralität“ auseinander und stellt heraus, dass ein allgemeines Neutralitätsgebot für zivilgesellschaftliche Organisationen juristisch nicht existiert. Die Autorin kritisiert, dass vor allem rechte Akteur*innen den Begriff nutzen, um Demokratieförderung und zivilgesellschaftliches Engagement zu delegitimieren. So seien etwa Initiativen gegen Rassismus oder für queere Rechte zunehmend Zielscheibe solcher Vorwürfe. Die Verfasserin weist darauf hin, dass zwar staatliche Einrichtungen zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet seien, dies jedoch nicht bedeute, dass sie wertneutral agieren dürften. Im Gegenteil: Das Grundgesetz verpflichte sie zur Wahrung demokratischer Grundwerte und zur Ablehnung diskriminierender Ideologien. Zivilgesellschaftliche Organisationen wiederum unterlägen nicht dem Neutralitätsgebot, auch wenn sie öffentliche Mittel erhalten. Sie dürften sich politisch äußern, demonstrieren und auch Position zu parteipolitischen Themen beziehen – sofern dies sachlich begründet sei und ihren Satzungszwecken diene. Gerichte hätten mehrfach bestätigt, dass „Neutralität“ kein rechtlich bindender Maßstab für NGOs sei. Vielmehr werde dieser Begriff zunehmend dazu genutzt, Kritiker*innen rechter Politik einzuschüchtern. Die Autorin betont: Wer Demokratie verteidigt, dürfe nicht durch einen falsch verstandenen Neutralitätsdiskurs mundtot gemacht werden. (Vera Ohlendorf, Belltower)

Was Vera Ohlendorf zum Nicht-Existieren eines Neutralitätsgebots für Demokratiefördervereine, NGOs etc. schreibt, trifft alles zu. Weder diese Organisationen noch Parlamentarier*innen oder Ministerpräsident*innen müssen "neutral" sein (was auch immer das heißen soll, wenn es um die Demokratie geht). Nur, das geht am Thema letztlich vorbei. Denn zwar schreibt das Gesetz etwa "Demokratie jetzt!" nicht vor, politisch neutral zu sein und auch Vertreter*innen der AfD einzuladen. Das Gesetz schreibt aber dem deutschen Staat auch nicht vor, "Demokratie jetzt!" mit Fördergeldern zu unterstützen. Der Staat ist angehalten, die Demokratie zu verteidigen, völlig richtig. Aber nirgendwo steht, dass er dazu NGOs unterstützen muss oder dass es diese NGOs sein müssen. Ich hoffe, dass das nicht bald ein Fall für irgendwelche Gerichte wird. Die Entscheidung, wo Fördergelder eingesetzt werden, obliegt dem Parlament. Und wenn das deutsche Volk da eine Mehrheit reinwählt, die etwas gegen NGOs hat, dann widerspricht es nicht der Demokratieförderung insgesamt, dass diese dann die NGOs nicht mehr fördert. Und man kann nicht eben behaupten, das sei kein Thema im Wahlkampf gewesen.

2) Elon Musk Updated Grok. Guess What It Said.

Der Artikel berichtet über besorgniserregende Ergebnisse eines Tests mit Grok 4, der neuen Version von Elon Musks KI-Modell. Der Autor beschreibt, wie Grok 4 auf die diskriminierende Anfrage, eine Funktion zu programmieren, die gute Wissenschaftler anhand von Geschlecht und Herkunft identifiziert, trotz anfänglicher Warnung tatsächlich rassistische und sexistische Kriterien anwendete. Das Modell listete demografische Gruppen – wie weiße, asiatische oder jüdische Männer – als „gute Wissenschaftler“ auf. Andere KI-Modelle wie ChatGPT, Claude oder Gemini verweigerten solche Anfragen mit Verweis auf ethische Standards. Der Artikel verweist auch auf Groks Bereitschaft, sich auf rassistische Gesetzgebungen zu stützen, etwa beim Erstellen einer Punktebewertung für „würdige Einwanderer“, wobei europäische, weiße Männer bevorzugt würden. Trotz gelegentlicher Hinweise auf die Problematik dieser Inhalte seien diskriminierende Antworten häufig ausgegeben worden. Zudem werde das Modell auffällig oft durch Elon Musks eigene Aussagen beeinflusst. Auf Fragen zur AfD etwa habe Grok 4 eine Wahlempfehlung ausgesprochen – mit Verweis auf Musks angebliche Unterstützung. Die Kritik des Artikels richtet sich abschließend auf die Tatsache, dass ein einzelner Unternehmer ein so einflussreiches KI-Modell entwickeln und prägen könne, ohne ausreichende externe Kontrolle oder Transparenz. (Matteo Wong, The Atlantic)

Abgesehen davon, dass es wieder einmal zeigt, warum Milliardäre halt doch eine andere Einflusskategorie als irgendwelche Mini-NGOs sind, sieht man hier generell die Relevanz unserer Prämissen beim Erstellen von KI. Die Dinger werden von Menschen geschrieben und basieren deswegen zwangsläufig auf deren Annahmen. Da es sich nur um Sprachmodelle handelt, lernen die ja auch nicht; die haben ja keine Chance, quasi die Quellen zu sichten und daraus ein eigenes Bild abzuleiten. Angesichts der Bedeutung, die diese Modelle haben (und der massiven Zunahme, die zu erwarten ist), gehört das mit zu den unterbeleuchteten Aspekten der ganzen Diskussion.

3) Der Coronastreit lässt sich nicht befrieden

In dem Kommentar wird die Einsetzung einer Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie kritisch betrachtet. Zwar sei der Ansatz prinzipiell nachvollziehbar, jedoch wird bezweifelt, dass die Kommission ihr Ziel einer Versöhnung erreichen könne. Die lautstarken Vertreter der Maßnahmengegner hätten sich seit Beginn der Pandemie nicht als dialogbereit gezeigt. Statt eines offenen Austauschs werde „Rache“ gesucht, so der Tenor. Die kritische Minderheit stelle die Gefährlichkeit des Virus infrage und unterstelle den Verantwortlichen bewusste Täuschung. Frühere staatliche Kommunikationsstrategien wie Merkels Fernsehansprache hätten diesen Verdacht aus Sicht der Kritiker nur verstärkt. Die damaligen Maßnahmen hätten stets dem Ziel gedient, die Belastung des Gesundheitssystems unter Kontrolle zu halten, auch wenn es Übertreibungen gab. Während die Politik inzwischen einige Fehler eingeräumt habe, sei von Selbstkritik auf Seiten der Maßnahmengegner „absolut nichts“ zu hören. Die Wortführer dieses Lagers hätten mit ihrer Radikalität eher einen Kulturkampf befeuert als zur Aufklärung beigetragen. Die Gefahr bestehe, dass die Kommission zu einer Bühne eben dieses Kampfes werde. Dialog sei so kaum möglich. (Nikolaus Blome, Spiegel)

Ich bin völlig bei Blome. Ich habe das in meiner eigenen Retrospektive auf Corona auch erlebt. Ich bin mittlerweile der Überzeugung, dass dieses tiefsitzende Ressentiment der Maßnahmengegner*innen eine brodelnde Ursuppe ist, aus der sich ein guter Teil der aktuellen Vertrauenskrise und des Aufstiegs der Extremisten speist. Diese Unversöhnlichkeit spürt man auch hier in den Kommentaren immer wieder, wenn das Thema hochkommt, und man konnte sie im Drama um das Bundesverfassungsgericht erneut sehen. In bestimmten Kreisen eignet sich das jeweilige (echte oder eingebildete) Verhältnis zu den Maßnahmen als ein sofortiger Lackmustest, der keinerlei Grautöne oder Differenzierung kennt, sondern nur eine ungeheuer moralistische Gut-Böse-Theologie.

4) Teuer und überflüssig – die Kopfnote kann weg

Alan Posener argumentiert in seinem Meinungsbeitrag, dass sogenannte „Kopfnoten“ – also Verhaltensnoten in deutschen Schulzeugnissen – abgeschafft werden sollten. Er verweist dabei auf eine aktuelle Studie des ifo Instituts, wonach diese Noten weder den Bildungserfolg noch den Berufseinstieg von Schüler:innen positiv beeinflussen. Gleichzeitig verursachen sie jährlich rund 206 Millionen Euro an Kosten, da Lehrkräfte im Schnitt 30 Minuten pro Schüler und Jahr für die Beurteilung aufwenden. Posener kritisiert, dass die Bewertung des Verhaltens ideologisch aufgeladen sei: Konservative befürworteten sie meist im Sinne von Disziplin, während linke Bildungspolitiker entweder dagegen seien oder alternative Tugenden wie Kooperation oder Kreativität bewerteten. Der Bildungsföderalismus verhindere dabei eine systematische Überprüfung von Effizienz, da Landespolitiker sich ideologisch „austobten“. Aus seiner Sicht sind Kopfnoten überflüssig, weil sich Verhalten bereits in den Fachnoten niederschlage. Zudem seien sie nicht versetzungsrelevant und für Eltern häufig bedeutungslos. Der Autor plädiert dafür, Lehrerarbeitszeit für sinnvollere pädagogische Aufgaben zu verwenden. Sein Fazit: „Die Kopfnote kann weg.“ (Alan Posener, Welt)

Das Thema ist ein bildungspolitischer Evergreen; auch News4Teachers hat etwas dazu. Mir ist ehrlich nicht ganz klar, woher diese Erregung kommt. Ich halte die Kopfnoten auch für quatschig und habe einen Grundsatzartikel geschrieben, in dem ich meine Position dazu erkläre. Aber letztlich spielen sie keine große Rolle. Ich weiß auch nicht, an welchen Schulen das ifo-Institut seine Daten gesammelt hat, aber dieser angebliche riesige Aufwand ist Quatsch. Der Aufwand ist einmal im Jahr in den Zeugniskonferenzen, und es ist furchtbar ätzend, aber letztlich weitgehend irrelevant. Es gibt gute Argumente gegen die Kopfnoten, aber Aufwand und Kosten sind es in meinen Augen nicht; diese 206 Millionen sind ein Studienergebnis, das großartig klingt. Aber echte Kosten sind es auch nicht, schließlich läuft das für uns Lehrkräfte eh als eh-da-Arbeitszeit. Daher einfach eine Stufe niedriger hängen. Können weg, weil nutzlos, ist aber auch kein Drama, wenn sie bleiben, weil nutzlos.

5) “Geisterlehrkräfte!”, “Größter Bildungsskandal seit Jahrzehnten!” – Schwere IT-Panne: Land entdeckt 1.440 (seit 2005!) unbesetzte Lehrerstellen

Ein schwerer Softwarefehler hat dazu geführt, dass in Baden-Württemberg seit 2005 insgesamt 1.440 Lehrerstellen unbesetzt geblieben sind – ohne dass dies jemand bemerkte. Ursache war ein Programmfehler bei der Umstellung der Personalverwaltungssoftware, durch den Stellen zwar als belegt galten, tatsächlich aber vakant waren. Die Diskrepanz wuchs jährlich um bis zu 100 Stellen an. Erst eine vollständige Neuberechnung offenbarte das Ausmaß des Problems. Finanzielle Mittel seien laut Ministerium nicht verloren gegangen, da die entsprechenden Gelder nicht abgeflossen seien. Dennoch wird kritisiert, dass Schüler:innen und Lehrkräfte über Jahre hinweg massiv benachteiligt wurden. Es sei „der größte Bildungsskandal seit Jahrzehnten“, heißt es vom Landeselternbeirat. Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert, die unbesetzten Stellen bis zum Schuljahresbeginn zu besetzen und die eingesparten Mittel für dringend nötige Bildungsmaßnahmen zu verwenden. Kultus- und Finanzministerium haben nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um die Ursachen aufzuarbeiten und künftig verlässliche Verwaltungsabläufe zu gewährleisten. Politisch schlägt der Vorfall hohe Wellen und wird parteiübergreifend als strukturelles Versagen kritisiert. (News4Teachers)

Das ist eine Geschichte, bei der man - vor allem wenn man die Bildungspolitik kennt - nur mit dem Kopf nicken kann. Jupp, sounds legit. Ein Softwarefehler aus dem Jahr 2005? Klar; man darf auch vermuten, dass der zugrundeliegende Code irgendwann in den 1980er Jahren auf Magnetband geschrieben wurde und seither von dem einen Halbtagsmenschen im Ministerium, der seit der Rente einmal die Woche einen Vormittag da ist und der einzige ist, der weiß, wie das System funktioniert, gepflegt wurde. Auch die Bräsigkeit, mit der etwa Kretschmann und Schopper bisher auf den offensichtlichen Personalmangel reagiert haben und die dummen Ausreden, mit denen man das Debakel jetzt kleinzureden versucht (unter massiver Kritik von SPD und FDP, was putzig ist, da beide im fraglichen Zeitraum auch an der Regierung waren), passen ins Bild. Auf der anderen Seite glaube ich denen kein Wort. Ich halte es auch für völlig vorstellbar, dass diese Stellen völlig bewusst nicht besetzt wurden und dass die uns allen krass ins Gesicht lügen. Das ist leider Gottes auch Alltag im Regierungspräsidium und Kultusministerium, wenn es um Personalangelegenheiten geht.

Resterampe

a) Arzt hat über 1200 Impfnachweise gefälscht. (BR) Alter, was für ein krasser Verstoß gegen jedes Recht.

b) Warum der Klimawandel kein Thema ist. (Welt) Deliberation-Daily-Lesende wussten das schon lange.

c) Im Zeichen der Grünen (Welt). Was für eine Hysterie.

d) AfD: Bundesländer wollen Parteimitglieder nicht im Staatsdienst haben (Spiegel). Auf der einen Seite, verständlich. Auf der anderen Seite hat der Radikalenerlass jetzt nicht eben den besten Leumund.

e) Früh-Militarisierung mit Hüpfburg und Hubschrauber? GEW kritisiert Bundeswehr-Ferien für Grundschüler (News4Teachers). Boah, Leute, kriegt euch ein!

f) Grüne Jugend: Jette Nietzard darf offenbar Hausausweis für Bundestag behalten (Spiegel). Alles andere wäre auch echt albern.

g) Zohran Mamdani’s Lesson for the Left (The Atlantic).

h) Wer so spricht, will sich nicht mäßigen (Welt). Cheers.

i) Die Botschaft des Kruzifix-Urteils (Welt). Wieder so ein Beispiel für meine These vom Stühlerücken. Weiterer Beleg von Anna Schneider: Warum Konservative immer verlieren.

j) Eine Verteidigung der Regenbogenfahne (Welt).

k) Why Do So Many People Think That Trump Is Good? (The Atlantic) Diese Kommentatoren lernen echt gar nicht dazu.

l) The AI Industry Is Radicalizing (The Atlantic).

m) Collections: Life, Work, Death and the Peasant, Part I: Households (ACOUP) Schon der erste Teil dieser neuen Serie echt großartig.

n) So was kommt von so was. (Spiegel)

o) Kommentar zu Trumps Zollpolitik. (ZEIT)

p) Pensioners for war. (Global Inequality). Ich finde diese Balkan-Vergleiche ja immer sehr interessant.

q) Sammlung an Kommentaren zum Richter*innenwahldesaster: ZEIT, Handelsblatt, beimwort, FAZ, nochmal ZEIT, nochmal Spiegel, lto, Twitter, nochmal Spiegel, nochmal Spiegel, nochmal Spiegel, nochmal Twitter, NTV, noch mal Spiegel.

r) Es ist so verrückt, dass irgendjemand Obama als radikal sehen würde. (Salon)

s) Der übliche Trump-Doppelstandard. (Twitter)

t) Renten-Soli für Babyboomer? (Twitter) Siehe dazu Nikolaus Blomes Reaktion. Kürzen ist immer ok, wenn es andere betrifft.

u) Die linke Bubble kann sich echt genauso in die Hysterie stürzen wie die rechte. (Twitter)

v) Gespräch zwischen Wolfgang Schmidt und Robin Alexander zum Ampel-Ende. (ZEIT)

w) AfD triumphiert: Pauschaler Ausschluss vom Staats- und Schuldienst – einkassiert (News4Teachers). Richtig so. Und sorry, das war echt mit Ansage. Was ein Bullshit.

x) The AI Mirage (The Atlantic).

y) Plädoyer für Bürokratieabbau. (Spiegel)


Fertiggestellt am 17.07.2025

Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?

Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: