#allesdichtmachen: 53 Schauspielerinnen und Schauspieler kritisieren in Kurzvideos die politischen Massnahmen zur Pandemiebekämpfung. Speziell aufs Korn nehmen sie die Menschen, die sich an die Massnahmen halten. Doch das Publikum schimpft zurück.
Die Schauspieler*innen wollen satirisch überspitzen. Doch das Ziel der Satire ist nicht die zerstrittene Politik, die die oft inkohärenten Massnahmen beschliesst, sondern die Öffentlichkeit, die sie befolgt. Diese «Publikumsbeschimpfung» sei gewollt, so Dietrich Brüggemann, mutmasslicher Drahtzieher der Aktion.
Nun ist «Publikumsbeschimpfung» Titel und Inhalt eines Sprechstücks von Peter Handke aus dem Jahr 1966. Handke brach damals bewusst mit den Konventionen des Schauspiels, indem er das Publikum nicht die Interaktion der Schauspieler*innen auf der Bühne beobachten, sondern die Schauspieler*innen direkt zum Publikum sprechen liess. So wurde die Kommunikationsstruktur des Theaters, das Gegenüber von Bühne und Publikum, selbst zum Thema des Theaters. Aber Handkes Sprechstück bleibt Einwegkommunikation, und genau das hat sich heute geändert: Das Publikum schimpft zurück.
Nein, nicht alle beschimpfen nun die 53 Schauspieler*innen: Die Querdenker*innen und Coronaskeptiker*innen klatschen Beifall, wie es sich für ein rechtes Publikum gehört. Einige der 53 Schauspieler*innen überrascht das. Sie löschen ihre Videobeiträge oder distanzieren sich vom Applaus von rechts. Andere sind irritiert, weil ihre Aktion so viel Kritik bekommt. Das Zurückschimpfen des Publikums überrollt sie. Dabei wollten sie doch nur satirisch überspitzen, zum Nachdenken und zur Diskussion anregen! Und halten wir an dieser Stelle fest: Genauso wie bei den Videos der Schauspieler*innen, so gibt es beim zurückschimpfenden Publikum neben intelligenten Ansätzen auch so einiges, das von schlechter Diskussionskultur zeugt.
Zur Diskussion anregen? Sehr gern! Doch die Diskussion hat eine Basis. Nicht nur eine Basis der Diskussionskultur, zu der es zum Beispiel gehört, auf Morddrohungen zu verzichten – sondern auch eine inhaltliche Basis, die da lautet: Wir leben in der Zeit einer Pandemie, und es braucht gemeinsame Anstrengungen, um aus der Krisensituation herauszukommen. Hinter diese Erkenntnis gibt es kein Zurück. Kein «es ist eine harmlose Grippe», kein «die PCR-Tests sind unzuverlässig und die Pandemie wird herbeigetestet» und schon gar kein «das ganze ist von Merkel/dem Deep State/Bill Gates inszeniert».
Auf einer solchen Basis, welche die Realität anerkennt und nicht weglachen will, ist es sehr wichtig, dass sich Schauspieler*innen und viele andere zu Wort melden. Es ist Aufgabe der Kunst- und Kulturschaffenden, auf die prekäre Lage von Kunst und Kultur aufmerksam zu machen. Sie dürfen nicht nur, sie sollen sogar die Prioritäten der Politik bei den Schutzmassnahmen in Frage stellen. Sie kommen gar nicht darum herum, lautstark zu kritisieren, wenn die Politik den Kulturbetreiben trotz guter Schutzkonzepte fast alles verbietet, aber der Industrie trotz häufig mangelhafter Schutzkonzepte fast alles durchgehen lässt. Und natürlich müssen Schauspieler*innen und andere Kunstschaffende unbedingt daran erinnern, dass Kunst und Kultur etwas leistet, was Autobauer, Schlachthöfe und Baumärkte nicht leisten können: dem Leben in der Pandemie eine Sinndeutung geben.
Doch was bekommen wir stattdessen von den 53 Schauspieler*innen? Wir bekommen das altbekannte Gefasel von einer angeblich gleichgeschalteten Medienwelt – wo doch die Medien voll sind von Kontroversen zur Pandemie und zu den politischen Massnahmen. Wir bekommen das Narrativ, dass die Kritiker angeblich zum Schweigen gebracht werden – dabei publizieren die Kritiker Bücher, geben Interviews und hängen in Talkshows herum. Wir bekommen aufgewärmte Alternativkonzepte zur Bekämpfung der Pandemie – die entweder bereits ausprobiert und für untauglich befunden wurden, zu schwammig sind für eine ernsthafte Erwägung oder aber für die aktuelle Pandemiesituation nicht passend.
Ja, ich kritisiere, und ja, ich bin nicht nett. Das Publikum schimpft zurück. Aber das Publikum will den Schauspieler*innen ja nichts Böses. Es will ihnen den satirischen Spiegel vorhalten und sie zum Nachdenken anregen.