Na so was! Da kam doch gerade glatt raus, dass die vom Robert Koch Institut (RKI) kommunizierte Impfquote zu niedrig sei (s.hier). Also, eigentlich stand diese Aussage ja schon länger im Raum, nur eben nicht so prominent, sondern beispielsweise höchstens mal in einem Artikel auf den NachDenkSeiten vom 12. August. Aber das war ja auch noch vor der Bundestagswahl, und daher darf man sich dann wohl mal die Frage stellen, warum das denn nun gerade erst kurz nach dem landesweiten Urnengang auch hinreichend öffentlichkeitswirksam ans Licht kommt.
Und wie Ihr Euch vorstellen könnt, hab ich da auch schon so meine Vermutung: Immerhin wurde die vom RKI zu niedrig angegebene Impfquote ja auch schön von Leuten wie Christian Drosten aufgegriffen, um zu verlautbaren, dass er deshalb wieder mit Kontaktbeschränkungen im Herbst rechnen würde (s. hier und hier). Dass Corona-Guru Drosten hier dann auch falschen Zahlen aufsaß und diese nicht mal (wie beispielsweise Jens Berger von den NachDenkSeiten im oben verlinkten Artikel) hinterfragte, passt nun mal wieder zu meinem Bild, was ich vom Charité-Chefvirologen seit einiger Zeit habe (s. hier), soll aber hier gar nicht weiter thematisiert werden.
Mir geht es eher darum, was denn solche Aussagen bei den Menschen bewirken, die damit konfrontiert werden. Und das dürfte vor allem eins sein: Angst. Angst vor weiteren Covid-19-Toten, Angst vor einem erneuten Lockdown mit all den daraus resultierenden Folgen, Angst davor, die gerade wieder so ein bisschen zurückgewonnene „Normalität“ wieder zu verlieren. Auch wenn diese Normalität eigentlich mittlerweile so abnorm ist, dass sie dringend verändert werden müsste – Stichwort Klimakatastrophe.
Aber genau solche notwendigen Veränderungen treten für den Verängstigten in den Hintergrund. Und so kommt es, dass anscheinend der Klimawandel, der ja zuvor immer wieder als das zentrale Thema dieser Wahl behauptet wurde, für die meisten Leute beim Wählen kaum eine Rolle gespielt haben dürfte. Denn schließlich wurden mehrheitlich Parteien gewählt, die überhaupt keinen Klimaschutz betreiben wollen.
Angst führt nämlich zu konservativem Denken. Das hab nicht nur ich selbst schon mal vor zwei Jahren in einem Artikel beschrieben, sondern wird auch von dem Kriminologen Nils Zurawski in einem Interview mit der taz so erläutert:
Seit dem 11. September 2001 greift die Angst ohnehin um sich: Wir stünden im Zentrum des Terrorismus, sagt der Innenminister, wir hätten neue Gefährdungslagen, aber man könne nicht sagen, welche. Die Angst macht enorm konservativ und führt zu einer Verteidigungshaltung, die für mich als fast 50-Jährigen in dieser Republik neu ist.
Angst sei eben schon immer ein manipulatives Herrschaftsmittel gewesen, vor allem von rechten Regierungen, wie die brasilianische Sozialwissenschaftlerin Esther Solano in einem Interview mit dem Goethe Institut Kolumbien erläutert. Und der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel bescheinigte der Bundesregierung vor einem Jahr in einem Interview mit Zeit Online ein „Regieren durch Angst“ im Zuge der Corona-Pandemie, da dies dazu führte, die eigenen Zustimmungswerte zu erhöhen.
Konservative sind wohl grundsätzlich ängstlicher als Progressive, was sich sogar in der Hirnphysiologie widerspiegelt, wie eine US-Studie aus dem letzten Jahr, über die ein Artikel von MDR Wissen berichtet, herausgefunden hat: Das Hirnareal Mandelkern bzw. Amygdala, das für Emotionen wie Angst und Wut verantwortlich ist, ist bei konservativen Menschen stärker ausgeprägt. Und kann entsprechend auch durch Input von außen stärker aktiviert werden.
Und so hat dann auch aufgrund der falschen Zahlen des RKI und der darauf aufbauenden Panikmache von Christian Drosten und Co. die Angst vor Covid-19 für viele den vorher als zentrales Thema dieser Wahl wahrgenommen Klimaschutz verdrängt. Der Klimawandel ist zwar auch etwas durchaus Furchteinflößendes, allerdings ist das eben eine eher diffuse Angst, denn die Auswirkungen werden bei uns im Land ja erst langsam spürbar und sind nicht so konkret greifbar wie die Angst vor Covid-19 oder weiteren Lockdown-Maßnahmen, die ja in den letzten gut eineinhalb Jahren am eigenen Leib erfahren wurden.
Das spiegelt sich dann auch im Wahlergebnis wider: Die als progressiv geltenden Parteien die Grünen und die Linke haben schlechter abgeschnitten, als in den Wochen und Monaten zuvor prognostiziert wurde, die CDU hingegen hat dann doch noch mal einige Prozentpunkte mehr bekommen, denen wurde ja schon ein Ergebnis von unter 20 Prozent vorhergesagt. Und auch das gute Abschneiden der SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz passt dazu, denn zum einen ist Scholz ein sehr konservativer SPDler, zum anderen steht er als Vizekanzler eben auch für Beständigkeit – was ja für Konservative extrem wichtig ist.
Und für diejenigen, die nicht verängstigt, sondern eher trotzig auf die Aussicht weiterer Lockdowns im Herbst aufgrund der angeblich schlechten Impfquote reagiert haben, boten sich dann FDP und AfD an, die es ja geschafft hatten, sich als eine Art Corona-Opposition zu inszenieren – ein Versäumnis von Grünen und Linken, hier relativ kritiklos das miese „Krisenmanagement“ der Bundesregierung mitgetragen zu haben. Da Kinder und Jugendliche in besonders starkem Maße unter den Corona-Maßnahmen gelitten haben, würde dies auch erklären, warum so viele Erst- und Jungwähler die ansonsten ja reichlich reaktionäre FDP gewählt haben.
Ich wage mal eine These, die natürlich, da sie sich auf eine hypothetische Vergangenheit bezieht, nicht überprüft werden kann: Wären hier in den Wochen vor der Wahl korrekte Zahlen vonseiten des RKI geliefert worden, die dann auch nicht zu „Wir kriegen wieder Lockdown“-Panikmache, sondern einem eher positiven „Es geht gut voran, wir könnten uns drauf einstellen, dass wir so langsam mit dem Thema Covid-19 durch sind“-Ausblick geführt hätten, dann könnte es durchaus für eine Rot-Grün-Rote Mehrheit im Bundestag gereicht haben.
So haben nun vermutlich viele Wähler, die eher auf der Kippe standen zwischen dem konservativen und dem progressiven Lager, aufgrund von geschürter Corona-Angst doch eher zu den Konservativen tendiert.
Das dürfte ja auch ziemlich im Sinne des CDU-geführten Bundesgesundheitsministeriums gewesen sein, dem das RKI ja untersteht …
Ein weiterer aus Sicht der Konservativen positiver Effekt: Auf diese Weise wurde Wissenschaft mal wieder diskreditiert und als unglaubwürdig dargestellt, denn das RKI wird ja vor allem als wissenschaftliche Institution und nicht als politischer Befehlsempfänger gesehen. So kann man dann auch beim Klimaschutz darauf bauen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse und Tatsachen von vielen Menschen angezweifelt werden, sodass der Handlungsdruck hin zu mehr Klimaschutz reduziert wird.
Wem das jetzt zu weit hergeholt erscheint, der möge bitte noch zwei Aspekte berücksichtigen:
Zum einen hat das RKI nicht nur die Impfquote zu niedrig angegeben, sondern auch, wie Bertram Häussler vom Forschungs- und Beratungsinstitut für Infrastruktur- und Gesundheitsfragen IGES festgestellt hat (s. hier), die Zahl der in der Zeit seit Anfang Juli 2021 an Covid-19 Verstorbenen als deutlich zu hoch angegeben. Das ist ja nun auch etwas, was den Menschen Angst macht, oder?
Zum anderen ist ja bereits Anfang des Jahres bekannt geworden, dass das Bundesinnenministerium vom RKI eingefordert hat, ein Schreckensszenario in Bezug auf Covid-19 zu erstellen und zu kommunizieren, mit dem die Bevölkerung schockiert und verängstigt würde, sodass die Akzeptanz von repressiven Maßnahmen erhöht würde. In meinem Artikel vom Februar zu dem Thema habe ich die Anwältin Kerstin Horstmann zitiert, und da diese Aussage hier nun auch gerade sehr passend ist, will ich noch mal darauf hinweisen:
Es drängt sich der Verdacht auf, dass das RKI nicht unabhängig ist, sondern politisch gesteuert ist und mit der Verbreitung der ‚Zahlen‘, bestimmte politische Ziele verfolgt werden. Dies wiegt umso schwerer, weil zahlreiche Gerichte diesen Zahlen bislang völlig unkritisch gefolgt sind und das RKI als unabhängiges Institut respektieren, was es augenscheinlich nicht ist.
Das könnte man ja so als Fazit auch glatt unter diesem Artikel stehen lassen, oder?
Und insofern scheint es mir auch nur stimmig zu sein, dass es sich bei den vom RKI kommunizierten zu niedrigen Impfquoten nicht nur um einen Fehler gehandelt hat, sondern eben um die Fortsetzung eines stringenten Verhaltens im Zuge der Corona-Pandemie – mit leider sehr unschönen und weitreichenden Auswirkungen.
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