Der Mensch braucht eine gesellschaftsrelevante Aufgabe zur Erbauung, sonst verkümmert er geistig, körperlich und in seiner Gänze, als vollwertiges Mitglied der menschlichen Gemeinschaft. Zu groß sonst die Gefahr der Vereinsamung und Isolation. Man wird sonderbar, eigenartig, eigenwillig und entwickelt sich hin zu einem Sicherheitsrisiko.
Mit dieser kurzen, aber prägnanten Analyse und Charakterisierung, ist ein Mensch beschrieben, den ich in den Mittelpunkt meiner Geschichte stellen möchte. Bei dieser Person handelt es sich nicht um eine fiktive Person.
Es ist ein mir bestens vertrauter Mann, der sinnbildlich für alle Männer steht, denen das Zutrauen in sedierte Ordnungsbehörden abhandengekommen ist und sich aufschwingt, diese Lücke zu schließen, zum Wohle seiner Mitmenschen. Der einfachheitshalber und unter Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte, nennen wir ihn kurz Fritz. Eigentlich heißt er Helmut, spielt aber auch keine Rolle. Denn ganz gleich welchen Namen ich ihm gebe, er ist ein Niemand und daher nicht von überregionalem Interesse. Sein geschätztes Alter liegt irgendwo jenseits der Siebzig, aber noch knapp unter der Achtzig. Mittsiebziger würde es wohl am ehesten treffen. Alleinlebend. Glücklich, wenn andere unglücklich sind.
Eine Frau hat er nie besessen und trotzdem ist er, wie sein näheres Umfeld ihn beschreibt, ein zuverlässig schlecht gelaunter Misanthrop. Einer, der Menschen nicht mag und das auch gerne zum Ausdruck bringt, wo auch immer er auf die Spezies Mensch trifft. Zum Glück für diese ist das nur sehr selten der Fall, weil sie, gutbegründet, ihm aus dem Weg gehen, wo immer es geht. Wenn er durch die Straßen kommt, grüßt ihn niemand. Längst hat man es sich abgewöhnt, denn er grüßt aus Prinzip nicht zurück.
„Warum jemanden einen schönen Tag wünschen, wenn man es nicht auch so meint.“, so seine Meinung dazu.
Aber er grüßt nicht nur nicht, nein er verstärkt es noch, indem er seine Umwelt missachtet, ja geradezu verachtet. Denn in seinen Augen gibt es nichts, was diese richtig machen. Als selbsternannter Hilfssheriff hat er die Straße, indem sein kleines altes verwahrlostes Haus steht, fest im Blick. Kinder spielen schon lange nicht mehr in dieser, obwohl von der Stadt als Spielstraße ausgewiesenen. Dem hat er schon vor Jahren Einhalt geboten. Inzwischen sind diese Kinder längst selbst Eltern und schützen ihre kleinen Schreihälse, indem sie sie im Haus halten.
Mit Fritz sich anzulegen, so sinnvoll wie Bäumen das Wachsen zu verbieten.
Tag für Tag, bei Wind und Wetter, patrouilliert Fritz durch seine Straße und sorgt für Recht und Ordnung.
Es ist von einer anfänglichen lästigen Pflicht, inzwischen längst zu einer Passion, zu seiner Lebensaufgabe geworden. Bestückt mit selbstgestalteten Knöllchenzetteln, geht er gegen Parksünder vor. Mit einer eigens angeschafften Digitalkamera, zum Zwecke der Dokumentation von Müllsündern, fotografiert er jede Zigarettenkippe auf dem Boden, jeden achtlos weggeworfenen Kaugummi. Ja selbst vom Wind hierher geblasene Eichenblätter, die aus der Parallelstraße, dem Eichenweg, hier unstatthaft sich herumtreiben.     Zu seiner Ausstattung gehört selbstverständlich auch ein Dezibel Messgerät. Für die Einhaltung und Überprüfung der Nachtruhe unerlässlich. Bei der letzten Fußballweltmeisterschaft war die komplette Straße verwaist, alle verreist, um irgendwo in Ruhe sich die Spiele anschauen zu können, die nach Zweiundzwanzig Uhr noch liefen. Fritz hasst nicht nur die Menschen im Allgemeinen, sondern Fußballspielende im speziellen, wegen der Ausschläge auf seinem Messgerät. Besonders Tore, die zu Gunsten der eigenen Mannschaft gewertet wurden, ließen die Dezibelzahlen in astronomische Höhen schießen.
Ein Umstand, den Fritz nicht unbeantwortet oder ignorieren konnte.
„Auch Lärm ist Schmutz!“, so seine Devise, die er restriktive einfordert. Und sei es auch nur ein Dezibel über dem Erlaubten.
„Wehret den Anfängen!“, so seine zweite Lebensweisheit.
Auf diesen beiden Säulen hatte er seinen Überwachungsstaat begründet, der zwar nur eine kleine unbedeutende Seitenstraße darstellte, aber für Fritz die ganze Welt bedeutete.
Nachts, wenn er auf Streife war, trug er eine handgebatikte gelbe Signalweste und einen, auf dem Flohmarkt erstandenen alten Bauhelm, den er mit einem ausrangierten Blaulicht versah, den er einem Schrotthändler kostenlos abtrotzte, der nur so einer Anzeige wegen Umweltverschmutzung zuvorkam. Am Gürtel trägt Fritz zudem Pfefferspray, einen Elektroschocker, sowie einen abgesägten und schwarz lackierten Besenstiel, der als Schlagstock seinen Dienst verrichtete. Dazu ein kostengünstiges Prepaidhandy, mit direktem Draht zur hiesigen Ortspolizei, um in Extremfällen Amtshilfe ersuchen zu können. Auch die Nummer zur GSG9 hatte er im Kurzwahlspeicher, für den Fall der Fälle.
„Terror fängt in der kleinsten Zelle bereits an, also der Familie.“, so eine seiner Thesen.
Nur auf einen Kampfhund musste er verzichten, was ihn sehr schmerzte. Die Behörden hatten ihm untersagt, ihn ohne Maulkorb mitzuführen. Damit war für Fritz die Sache erledigt, da der Hund ja dann seinen Zweck verfehlen würde und zu einem zahnlosen Tiger verkommen würde.
„Die Bestie muss sich in einen Angreifer verbeißen. Mit Maulkorb könnte er den Feind ja nur anschubsen.“, betonte er vor Gericht, weil er wie selbstverständlich den Staat verklagte. Doch das Gericht konnte ihm nicht Folgen und wies die Anklage ab. Dafür verhängte es eine Geldstrafe wegen Beleidigung.
Fritz zahlte nicht. Er wollte es als ein Zeichen des zivilen Ungehorsams verstanden wissen und als Märtyrer, erhobenen Hauptes, lieber einsitzen.
Im Laufe der Jahre reihte sich ein Aktenordner an den anderen.
Zwei Billy-Regale von Ikea, nur mit Anzeigen von Fritz, zierten die Polizeiwache. Eine ganze Abteilung war damit beschäftigt, diesen nachzugehen, was Fritz nicht unbedingt zu einem beliebten Mitbürger machte.
Der nur als „Knöllchenfritz“ titulierte, war ständiger Besucher bei seinen Kollegen, denen die Hände gebunden waren, denn die Polizei ist verpflichtet, jeder Anzeige nachzugehen. Fritz brachte Unmengen von weggeworfenen Zigaretten an, um sie auf DNA Spuren untersuchen zu lassen. Jedes mal wenn Fritz die Polizeiwache betrat, hätten die Beamte am liebsten von ihrer Dienstwaffe Gebrauch gemacht. Einmal hatten sie sogar einen fünfhundert Euro Schein auf den Tresen gelegt, in der Hoffnung Fritz würde ihn einstecken. Dann hätten sie ihn auf der Flucht erschießen können und es als „Gefahr im Verzug“ deklarieren können.
Eines Tages jedoch tat sich Ungewöhnliches in der kleinen beschaulichen Nebenstraße. Reges Treiben bereits am frühen Morgen. Ein Klavier wurde auf die Straße, die für den Verkehr abgesperrt war, getragen.
Ein kleiner Waffelstand wurde aufgebaut. Ebenso eine Bierzapfanlage. Mit vereinten Kräften wurde eine Hüpfburg aufgeblasen. Kinder spielten lautstark miteinander. Aus Lautsprechern auf dem Balkon ertönte Partymusik. Einige Bewohner wagten sogar ein Tänzchen. Es war eine ausgelassene Stimmung. Alles in allem eine Provokation für Fritz. Doch in dem kleinen Häuschen war es verdächtig ruhig, fast unheimlich diese Stille, die es verströmte. Von Fritz war weit und breit nichts zu entdecken. Und niemand schien sich darüber zu wundern oder war beunruhigt. Dies hatte einen ganz natürlichen Grund. Fritz war in treuer Pflichterfüllung letzte Nacht verstorben. Man fand ihn zerfleischt und furchtbar entstellt in den frühen Morgenstunden.
Die Polizei, die sofort verständigt wurde, ließ sich dieses Schauspiel nicht entgehen und erschien in voller Mannschaftsstärke. Alle seine Freunde waren gekommen. Eine oberflächige Untersuchung ergab, dass es sich vermutlich um ein marodierendes Wolfsrudel gehandelt hatte, welches vom Wege abgekommen war und sich verirrt hat, wie ein Polizeisprecher der Presse mitteilte. Bei dem zufälligen Zusammentreffen hatte Fritz augenscheinlich den Kürzeren gezogen. Der Fall wurde selbstverständlich, mit Hinweis auf höhere Gewalt, zu den Akten gelegt, denn Wölfe stehen unter Artenschutz und so vor Verfolgung geschützt, ähnlich wie Diplomaten.
Seit jenem denkwürdigen Ereignis feiert man in der kleinen Nebenstraße ein großes Straßenfest, nur zu Ehren von Fritz.
Doch es ist nur ein Pyrrhussieg, denn es gibt überall einen Fritz. Sie treten dort nur unter anderem Namen auf, wie Gerd, Oskar, Friedhelm oder Manfred. Aber tief innen, sind es alles kleine Fritzchen, die ihre Straßen terrorisieren.

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