In der Weimarer Republik war die Medienlandschaft ungemein parteiisch und nach Klassen und Regionen geteilt. Arbeiter*innen lasen den "Vorwärts". Katholiken blätterten in der "Germania".  Linksliberale fanden sich in der "Vossischen Zeitung", Nationalliberale in der "Frankfurter Zeitung". Rechte und Konservative fanden in den Blättern der Hugenberg-Presse ihre Heimat, während Rechtsextremisten gerne den "Völkischen Beobachter" aufschlugen und "Rote Fahne"-Lesende Kommunisten prügelten. Nach der Machtübernahme 1933 wurden diese Medien dann alle gleichgeschaltet und verbreiteten dieselbe wirklichkeitsferne Propaganda. Im Krieg gab es nur eine Nachrichtenquelle, der die Deutschen vertrauten: den britischen Radiosender BBC. Wenig überraschend war es unter harter Strafe verboten, den "Feindsender" zu hören. Nach dem Krieg sollte auch Deutschland eine solche unbestechliche öffentlich-rechtliche Sendeanstalt bekommen. Die ARD, Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Deutschland.

Von Beginn an verstand sich dieser öffentlich-rechtliche Dienst als der Demokratie und dem Staatswesen an sich, nicht einer bestimmten Partei, verpflichtet. Der erste Kanzler, Adenauer kam damit nie zurecht. Stets bekämpfte er die ARD; in den 1960er Jahren versuchte er zudem, mit dem ZDF (Zweites Deutsches Fernsehen) ein eigenes "CDU-TV" zu schaffen, ein Plan, der nur deswegen scheiterte, weil das Bundesverfassungsgericht demokratischer dachte als "der Alte". Nicht, dass die ARD komplett neutral gewesen wäre; die öffentlich-rechtlichen waren stets der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet. Positive Kommentare zu KPD oder SRP suchte man bei der ARD sicher vergebens.

Es war auch die Hoffnung der CDU, endlich einen eigenen, ihnen gewogenen Nachrichtensender gewinnen zu können, die zur Privatisierung des Rundfunks führte (gegen den sich die SPD bis zuletzt sträubte). Diese Hoffnungen allerdings zerschlugen sich. Die dankbaren Unternehmer von Sat1 verschafften Kohl zwar eine halbstündige Sendung zur besten Sendezeit ("Zur Sache, Herr Kanzler"), neben einigen lukrativen und zwielichtigen Parteispenden und späteren wohl dotierten Posten, aber die Sendung wurde bald wegen mangelnder Quote eingestellt, und es begann, was man seither als die Güte des Privatfernsehens in Deutschland kennt: unpolitische, minderwertige Unterhaltung ohne jeden Anspruch.

Auch die Öffentlich-Rechtlichen suchten sich anzupassen, ob durch den Kauf von Fußballlizensen, das Senden von Werbung oder das Einführen ständig neuer Formate und Spartensender. Dass ihr Publikum zunehmend veralterte, konnten sie damit nicht verhindern, wenngleich die Tagesschau noch lange die entscheidende Institution blieb, ehe auch ihr in den späten 2000er Jahren mit der Verbreitung des neuländischen Internets der Rang abgelaufen wurde.

Diese kurze Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks soll kurz illustrieren, woher diese merkwürdige Konstruktion eigentlich kommt. Er war gedacht, um explizit die als Fehler empfundenen Strukturen der Weimarer Republik und Nazi-Zeit auszugleichen und bewusst an das Vorbild der britischen und amerikanischen öffentlichen Anstalten wie BBC und NBC angelehnt.

Diese Aufgabe erfüllte er auch. Die Öffentlich-Rechtlichen waren immer staatstragend, in dem Sinne, als dass er die freiheitlich-demokratische Grundordnung verteidigte. Er hat aber auch eine pädagogische Aufgabe bei der Demokratieerziehung. Politische Bildungsarbeit spielt in Deutschland historisch eine relativ große Rolle, weil man dafür, höflich ausgedrückt, nach den Erfahrungen des Zusammenbruchs von Weimar und der Diktatur des Nationalsozialismus eine gewisse Notwendigkeit erkannte.

Politische Bildung bedeutet: Neutralität, Hinterfragen, Kritisieren, Erläutern, Einordnen, Analysieren. Alleine diese Ziele widersprechen fundamental einer "objektiven" Berichterstattung, wie sie von den Gegner der Öffentlich-Rechtlichen gerade gerne gefordert wird; dazu widersprechen sie oft genug noch einander. Vollends problematisch wird es darin, dass der Öffentlich-Rechtlichen ja auch staatstragend (erneut, im Sinne der FDGO) sein muss. Dabei entstehen zwangsläufig Zielkonflikte, die sich niemals in einer optimalen Art auflösen lassen. (Ein ähnliches Problem hat die politische Bildung natürlich auch in anderen Kontexten, etwa Schulen und Gewerkschaften.)

Die Auflösung dieser Zielkonflikte wird immer irgendeine Seite unbefriedigt zurücklassen. Kaum ein Linker wird in den 1950er Jahren begeisterter ARD-Fan gewesen sein; schließlich wandte sich der Öffentlich-Rechtlichen mit ziemlichem Nachdruck gegen die KPD, die dann 1956 endlich verboten, aber bereits vorher in die politische Bedeutungslosigkeit geschickt wurde. Das hatte natürlich nicht zuvordererst mit dem Öffentlich-Rechtlichen zu tun, aber der leistete seinen Beitrag, weil anders als in Weimar kein abgeschotteter linksextremer Nachrichtenraum bestand. Die Öffentlich-Rechtlichen schufen eine gemeinsame Wirklichkeit für alle Deutschen. Nur die absoluten politischen Ränder fanden sich außerhalb dieses Konsens', und folgerichtig auch außerhalb der Parlamente. Das gilt für die KPD ebenso wie für die SRP, für die Apo wie für Neonazis.

Die Ränder hatten deswegen schon immer ein Problem mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Absolute Neutralität und Objektivität würde ihnen erlauben, diesen breiten Konsens und Meinungsraum zu infiltrieren und an der gewaltigen Legitimität teilzuhaben, die ein Interview in der ARD gibt. Das blieb ihnen lange Zeit versagt. Erst der Aufstieg der LINKEn erlaubte es sporadisch Linksextremist*innen und der Aufstieg der AfD vermehrt Rechtsextremist*innen, ihre Ansichten zur besten Sendezeit herauszuposaunen, als ob es irgendwie legitime Positionen im demokratisch-pluralistischen Meinungsstreit wären - ein Dilemma, aus dem die Medien keines Landes bisher herausgefunden haben.

Aber auch andere Strömungen fanden sich immer wieder auf der unangenehmen Seite der ÖR-Berichterstattung. Adenauers Feindschaft zur ARD ist legendär; nicht umsonst etablierte er das ZDF als wesentlich CDU-treuere Alternative gegen den vermeintlichen "Rotfunk". Das ist natürlich Unfug; die ARD war damals genauso wenig rot wie sie heute grün ist. Aber Hinterfragen und Kritisieren ist nichts, das einem Adenauer in den Kram passt; er war ein reichlich autoritärer Kanzler. Jede Person an der Macht wird ungern hinterfragt und kritisiert. Die CDU ist meist an der Macht, ergo wird sie mehr hinterfragt und kritisiert als die SPD. Sie ist da Opfer ihres eigenen Erfolgs, nicht des "Rotfunks".

Soweit zu Geschichte und Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich schreibe diesen Artikel weniger als einen Erklärartikel, sondern vielmehr als eine Analyse dessen, was aktuell mit ihm vor sich geht. Bereits vor einigen Wochen habe ich Stellung zu dem ebenso verbreiteten wie falschen Narrativ bezogen, der Rundfunk sei mittlerweile ein "Grünfunk". Die Attacken aus dem rechten Spektrum - "rechts" hier als "mitte-rechts" deskriptiv, nicht wertend, und damit CDU und FDP einschließend in Abgrenzung zu Grünen und SPD verstanden  - haben in letzter Zeit ein Besorgnis erregendes Ausmaß angenommen.

Solche Attacken sind grundsätzlich nichts Neues. Von den politischen Rändern kamen sie immer, weil die staatstragende Funktion der Öffentlich-Rechtlichen naturgemäß avers gegenüber radikalen Positionen ist. Die ÖR sind schon durch ihren Aufbau eine extrem mittige Institution, die revolutionärem Wandel abhold ist. Beispiele gibt es genügend. Für die NachDenkSeiten etwa, die das linksradikale Spektrum bedienen, sind die Öffentlich-Rechtlichen Systemmedien, verkappte Agenten des Großkapitals, die Propagandabotschaften im Sinne der herrschenden Klasse senden und deren Propaganda die Herausbildung eines Klassenbewusstseins verhindert. Für die AfD sind die Öffentlich-Rechtlichen ebenfalls Systemmedien, die den Interessen des "wahren" und eigentlichen Volkes entgegenstehen und Teil eines internationalistisch-kosmopolitischen Elitennetzwerks sind.

Diese Kritik von den politischen Rändern ist die Konstante durch die gesamte Bundesrepublik hindurch. Ob SDS oder NPD, stets gehörten die Öffentlich-Rechtlichen zur herrschenden Klasse, stets stellten sie sich gegen den "wahren" Volkswillen, die eigentliche Mehrheit, die die Ränder zu vertreten vorgaben. Es ist klassischer Populismus, und wie immer bei Populismus, ob von links oder rechts, ist er demokratiezersetzend: Hier sind wir, die wahre Mehrheit, und der Rest ist der Feind, der nicht zählt.

Solange diese Ränder klein bleiben und nicht wie in den USA, Großbritannien oder manchen osteuropäischen Staaten die Hälfte des politischen Spektrums übernehmen, ist das kein großes Problem. Es erfüllt sogar die halbwegs nützliche Funktion, die Mitte von den Rändern abzugrenzen. Aber wenn wie in den genannten Fällen der demokratiezersetzende Populismus in die Mitte vorrückt, haben wir ein Problem. Und das ist zunehmend der Fall.

Am extremsten sehen wir das etwa in Maaßens neueste Forderung zur Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Natürlich ist Maaßen ein absoluter Rechts-Außen in seiner Partei und steht mit Sicherheit nicht für die CDU als Ganzes. Aber es ist auf der anderen Seite jemand, der von seinem Landesverband aktiv gestützt und vom Bundesvorsitz passiv toleriert wird, eben weil er in der Partei eine Position vertritt, die mittlerweile so groß ist, dass Vorsitzende glauben, sich nicht gegen sie stellen zu können (wie das etwa am Ende in der SPD mit Tilo Sarrazin der Fall war).

Aber bei der CDU findet sich seit einigen Monaten die starke Tendenz, die Öffentlich-Rechtlichen zu delegitimieren und untergraben. Friedrich Merz ist der wohl hervorgehobendste Exponent dieser Bewegung, aber im gesamten konservativ-liberalen Spektrum werden plötzlich Begrifflichkeiten des rechten Randes wie "Systemmedien", "Staatssender" und ähnliche ebenso abwertende wie falsche Begriffe gebraucht, deren Zweck darin besteht, die Legitimität der ÖR anzugreifen. Es ist, als würde ich BILD und Fokus ständig als "Wirtschaftsmedien" bezeichnen, weil sie privatwirtschaftlich organisiert sind. Das hat natürlich auch einen wahren Kern, aber die unterliegende Insinuierung ist dunkler und dient der Delegitimierung als akzeptable Nachrichtenquelle.

Solche Delegitimierungsversuche gibt es natürlich auch von links. Da wäre etwa Maurice Höfgen, ein Wirtschaftsexperte der LINKEn:

Die Berichterstattung der ARD zum Thema Inflation und Geldpolitik ist eine Beleidigung für vernünftigen Wirtschaftsjournalismus. Und, ja, auch für den Intellekt.

— Maurice Höfgen (@MauriceHoefgen) September 10, 2021

Diese Linie ist typisch, und ich kenne sie noch aus meiner eigenen Zeit in dem Spektrum von den NachDenkSeiten. Sie ist harmloser als die Unterstellung von Verschwörungen, wie sie regelmäßig von Albrecht Müller kommen, sicherlich. Aber gleichzeitig würden sie sich in SPD und Grünen nicht finden. Ein anderes Beispiel wären die Aktivist*innen von #FridaysForFuture (und mit Sicherheit auch von Extinction Rebellion und Co, aber zu dem Milieu habe ich gar keinen Bezug), wie etwa hier:

Die Verwirrung, die die @tagesthemen aber auch der ganze restliche öffentlich-rechtliche Rundfunk bei elementarsten Themen stiften, ist verrückter als Armin Laschets Wahlkampf.

Nur fällt uns die Erklärungsnot, die Inkompetenz und der Unwille zu Verstehen nicht so direkt auf. https://t.co/IHxDjnHoUi pic.twitter.com/6XZaj9hVZ6

— Stefan for Future (@friiyo) September 10, 2021

Nur, da sind es eben deutlich die Ränder und die die etablierten Parteien, aus denen das kommt. Nicht, dass es nicht genug Anlass zur Kritik gäbe; die geringe Rolle etwa, die das Thema "Klimakrise" in den Triells spielte, sollte jeden Grünen auf die Barrikaden bringen. Allein, das ist normal. Die Triells sind harmlose Konsensveranstaltungen und versuchen jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden, eine Vorsicht, die leider auch jeden möglichen Erkenntnisgewinn zunichte macht und ausschließlich auf "gaffes" und "horse-race journalism" setzt.

Hinter den Attacken aus dem Mitte-Rechts-Spektrum stecken auch handfeste wirtschaftliche und politische Interessen. Wie bereits bei der Einführung ZDFs und des Privatfernsehens haben konservative Politiker*innen die Hoffnung, eine ihnen deutlich geneigte Medienlandschaft zu schaffen.

Das wirtschaftliche Interesse ist hier das des Springer-Konzerns. Angesichts sinkener Auflagen des Flaggschiffs "BILD" und sinkenden Einflusses in der Gesamtbevölkerung - von der publizistischen Macht, die Gerhard Schröder zu seinem berühmten Ausspruch brachte, er brauche nur "BILD, BAMS und Glotze" zum Regieren, ist genauso wie beim "Sturmgeschütz der Demokratie" SPIEGEL wenig geblieben - ist die Schaffung einer hoch engagierten Blase nach dem Vorbild des Murdoch-Konzerns sehr attraktiv. Solche Versuche gab es schon öfter; aktuell unternimmt Springer mit "BILD TV" einen nie dagewesenen Versuch, eine solche Blase aufzubauen.

Dazu werden die entsprechenden Delegitimierungsattacken gefahren. Sonderlich viel Substanz gibt es nicht. Nicht einmal die BILD findet allzu viele Beispiele angeblich tendenziöser Berichterstattung, so sehr sie es auch versucht hat. Das größte Beweisstück bleibt den Rechten eine über zehn Jahre alte Umfrage nach der Parteipräferenz angehender Journalist*innen, die etwa so viel Aussagekraft hat wie eine ähnlich gelagerte Umfrage unter Wirtschaftswissenschaftler*innen. Oder zweifelt jemand, dass die FDP dort überproportional vertreten wäre? Zieht dies die Erkenntnisse der Wissenschaft, die Freiheit ihrer Lehre, die Zustände in den Hörsälen in Frage? Nur aus der Perspektive des politischen Randes.

Man könnte nun mit den Schultern zucken und die Verwerfungen mit einem branchenweiten Strukturwandel abtun, aber die Medien sind einerseits keine Branche wie jede andere. Journalist*innen, ob von den ÖR oder den privat geführten Häusern, genießen zahlreiche rechtlich abgesicherte Privilegien, Privilegien, die für das Funktionieren einer Demokratie essenziell sind. Innerhalb dieses Systems erfüllt der Öffentlich-Rechtlichen noch einmal eine Sonderfunktion, wie ich sie eingangs beschrieben habe. In Deutschland funktionierte dies bis zuletzt wesentlich besser als in fast allen anderen Ländern der Welt. Diese Begeisterung für den deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk teilen inzwischen auch amerikanische Beobachtende. Die Angriffe auf den Öffentlich-Rechtlichen sind deswegen auch Angriffe auf die Demokratie.

Das heißt nicht, dass es an den Öffentlich-Rechtlichen nichts zu kritisieren gäbe. Weit gefehlt. Die Medienanstalten sind verkrustet, überreguliert, übervorsichtig, verzetteln sich und haben ihre Finger in zu vielen Geschäften drin. Von der ganzen Problematik um die "Depublizierung", eines der abartigsten Mediengesetze der BRD, wollen wir gar nicht anfangen. Stefan Stuckmann schreibt in seinem Artikel "Wer einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk will, muss ihn radikal umbauen!" auf Übermedien schön über diese Problematik:

Es wäre unfair, sie alle in den gleichen Topf zu werfen, aber viele Forderungen nach einem Radikalumbau der öffentlich-rechtlichen sind klar politisch motiviert, die Sorgen um schlecht ausgegebene Beitragszahlungen fast immer nur vorgeschoben. Doch der Spott und die Ironie, die sich auch jetzt wieder über die konservativen Möchtegern-Reformer ergoss, sind vor allem auch naiv, weil sie verkennen, wie geschickt hier politische, im Falle der AfD sogar antidemokratische Wünsche in Argumente verkleidet werden, denen man schwer widersprechen kann. „Zu teuer, die Strukturen veraltet, der Aufgabenzuschnitt überholt“, schreibt das „MittelstandsMagazin“ der Union gleich im ersten Satz seiner Zusammenfassung des Reformkonzepts – und benennt damit Probleme, die selbst den meisten Menschen in den Sendern längst bewusst sind. [...] Schon die Aufgabe, die wir den Sendern in ihrer jetzigen Form zumuten, klingt unmöglich: Sie sollen zum einen den bewährten Apparat am Laufen halten und zum anderen digital durchstarten, gegen Netflix und Disney und Amazon. Internationalen Milliarden-, im Fall von Amazon sogar Billionenunternehmen, die völlig befreit von analogen Verpflichtungen Inhalte produzieren können, maßgeschneidert für die digitale Welt. [...] Nirgends sonst zeigt sich das Drama der Öffentlich-Rechtlichen besser: Seit Jahrzehnten gibt es kaum jemanden in Deutschland, der soviel Geld und Zeit in Nachwuchs investiert, aber so wenig daraus macht. Und das oft völlig unverschuldet: All die jungen Menschen mit guten Ideen, die jedes Jahr nachkommen, sie zerschellen oft nicht an der Inkompetenz irgendwelcher Vorgesetzter. Sie zerschellen vor allem an einem System, in dem es nie darum geht, das beste Programm zu machen, sondern immer nur das beste Programm für einen bestimmten Sendeplatz.

Reformbedarf gibt es also genug. Daran kann wenig Zweifel bestehen. Die Vorgaben der Politik sind allzuoft widersprüchlich, zudem blockieren eingefahrene Interessen und institutionelle Beharrungskräfte. Die Aussichten auf eine grundlegende Reform sind gering.

In meinen Augen sollten die Öffentlich-Rechtlichen damit aufhören zu versuchen, den Privatsendern Konkurrenz zu machen. Unterhaltung können diese wesentlich besser. Wir brauchen keine Gebühren zu bezahlen und gesetzlich Sendeanstalten zu privilegieren, damit sie die Bundesliga, eine miese Reality-TV-Sendung oder die Synchronisation der neuesten HBO-Serie senden. Dazu gibt es wesentlich bessere Anbieter. Das wird, wie Expert*innen immer wieder betont haben, die Kosten der Öffentlich-Rechtlichen nicht wesentlich drücken (wir reden von einem geringeren einstelligen Eurobetrag vom jetztigen Rundfunkbeitrag). Da geht es eher um das Prinzip.

Die Öffentlich-Rechtlichen stellen aber zahlreiche Programme her, die qualitativ hochwertig und wertvoll sind. Sie finden sich nur nicht im Abendprogramm von ARD und ZDF zur besten Sendezeit, wo Unterhaltungsprogramme einerseits und seichtes Politainment à la Anne Will neben der Nachrichtensimulation der Tagesschau überwiegen. Sieht man sich aber etwa an, was gerade die Regionalsender oder der Deutschlandfunk auf dem Feld der Podcats zustande bringen (ich empfehle hier meine Liste), so stellt sich die Frage, warum dieses Qualitätslevel nicht grundsätzlich auch ins Fernsehen zu bringen sein sollte. Das Traumschiff kann auch auf Pro7 fahren.

Für mich ein Vorbild, wonach das Fernsehprogramm - das ja das sichtbare Flaggschiff der Öffentlich-Rechtlichen ist und die ganze Kritik auf sich zieht - beziehen könnte, Günter Gaus, der in den 1960er Jahren auf Sendung war. Natürlich wäre er heutzutage kein Quotenhit (und war das auch damals nicht), aber wozu finanzieren wir mit horrenden Gebühren die Öffentlich-Rechtlichen, wenn sie nicht grundsätzlich solche Bedenken beiseite lassen könnten? Wenn deren Programm ein Publikumsschlager wäre, bräuchte es die Gebührenstruktur ja nicht, dann könnte man sie auch am freien Markt bestehen lassen. Aber gerade der pädagogische, demokratiebildende Auftrag blockiert genau das, und das zu Recht.

Aber diese Fantasien werden keine Umsetzung erfahren, genauso wenig wie die Abschaffung der Öffentlich-Rechtlichen, wie sie in rechten Fieberträumen stattfindet, oder die Verwandlung in aktivistische Elemente revolutionären Umbruchs, wie es sich im linken Spektrum erhofft wird. Genauso wie jedes andere Element gesellschaftlichen Lebens sind die Öffentlich-Rechtlichen nie so gut, wie sie sein könnten, haben immer Probleme, die berechtigte Kritik erfahren.

Aber: sie sind für die Gesundheit der Demokratie elementar. Die massiven Angriffe, die gerade aus dem rechten Spektrum gefahren werden und die sich immer weiter in den Mainstream fressen - ob in den Kommentarspalten der Welt oder den Leitartikeln des Focus - gefährden daher nicht nur einen bürokratischen Moloch. An diesem Moloch hängt viel mehr. Das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.

Dir gefällt, was Stefan Sasse schreibt?

Dann unterstütze Stefan Sasse jetzt direkt: