Kürzlich las ich eine Meldung, dass sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und sein Mann in Berlin eine Villa für über vier Millionen Euro kaufen würden. Und das wurde dann auch im Netz diskutiert, wobei ich es schon erstaunlich fand, wie viele es gab, die Spahn nun gegen Kritik an diesem Verhalten in Schutz nahmen – lauter kleine Diederich (und Diederichline) Heßlings, die einen Minister anscheinend umso großartiger finden, je mehr dieser sich feudalistisch gebärdet.

Ich schrieb ja schon zu Beginn der Corona-Zeit, dass der Untertanengeist durch diese Pandemie am Wachsen sei (s. hier), und später widmete ich diesem Phänomen sogar noch mal einen separaten Artikel. Leider bestätigt sich das dort Geschilderte seitdem beständig, und das nicht nur wie jetzt bei Jens Spahns Viellenkauf, sonder auch bei anderen Themen.

Doch zunächst mal zu Spahn:

Wenn ein Politiker tönt (so geschehen 2018), dass Hartz IV nicht Armut bedeuten würde, und sich dann zwei Jahre später für gut vier Millionen Euro eine Villa in Berlin zulegt, dann sei zumindest die Überlegung gestattet, ob dieser Typ noch ansatzweise einen Bezug zur Lebensrealität vieler Menschen hat, deren Repräsentant er ja nun mal sein sollte.

Und es sei auch die Frage erlaubt, ob das nicht langsam, aber sicher immer offensichtlicher in feudalistisches Gebaren ausartet, wenn man meint, als Abgeordneter in solchen Villen residieren zu müssen.

Na ja, und dann darf man vielleicht auch noch die Frage stellen, wie jemand als Abgeordneter (da verdient man zwar nicht schlecht, aber eben auch nicht so extrem viel) überhaupt zu so viel Geld kommt …

Und nein: Solche Überlegungen haben nichts mit „Neid“ zu tun (ist ja immer ein Standard-Totschlagargument von CDUlern, FDPlern, AfDlern usw.), sondern sollten jeden umtreiben, der sich ein paar Gedanken über den Zustand unserer Demokratie macht.

Ein demokratisch gewählter Politiker hat m. E. eine gewisse Vorbildfunktion. Sich nun so eine riesige Protzbude zu kaufen, während er auf der anderen Seite arme Menschen verhöhnt, ist nichts anderes feudalistische Dekadenz – und das disqualifiziert jemanden charakterlich für derartige Ämter.

Seine „Verteidiger“ bringen dann oft genug vor, dass es ja schließlich Spahns Privatsache sei, wenn er sich so eine Villa kaufen würde. Nun stehen Leute wie Spahn ja ganz bewusst in der Öffentlichkeit, suchen diese sogar – und wenn dann die Öffentlichkeit deren Verhalten kritisch kommentiert, dann heißt es auf einmal: „Das ist deren Privatsache!“ Mal abgesehen davon, dass Spahn als Bundesminister ja nun auch ein Gehalt aus öffentlichen Mitteln bezieht …

Zudem geht es hier ja nicht um private Details, die wirklich niemanden etwas angehen (wie zum Beispiel die genaue Adresse der Villa), sondern um den Ausdruck eines Lebensstils, der für einen Parlamentarier mit Hang zum Sozialdarwinismus zwar bezeichnend, aber eben dennoch nicht angemessen ist.

Diese Art der Rechtfertigung unangemessenen Verhaltens von Regierenden zeigt letztlich nur eines: Der Untertanengeist ist wieder sehr en vogue.

Was dann noch weitergehend hinzukommt: Man könnte sich ja auch mal fragen, ob es nicht generell verkehrt sein könnte, wenn sich Menschen in derartig übertrieben große und pompösen Buden einnisten. Spahn und sein Mann haben dort schließlich mehr Platz zur Verfügung als mehrere Familien mit einigen Kindern zusammengenommen, wenn diese ihre zunehmend teureren Mietwohnungen mit „normalen“ Gehältern finanzieren müssen. Ich denke da gerade an Helmut Schmidt zurück, der in Hamburg in einem recht gewöhnlichen Reihenhaus in einem nicht besonders schicken Stadtteil wohnte. Oder an den ehemaligen Präsidenten von Uruguay, José Pepe Mujica, der die Bescheidenheit der Lebensführung regelrecht kultivierte.

Aber so ein Format ist von einem karrieregeilen Emporkömmling wie Spahn natürlich nicht zu erwarten, der ja vor allem in seiner bisherigen Laufbahn an seinem eigenen Vorankommen gearbeitet hat und als Lobbyist der Pharmaindustrie auch wenig Relevantes oder gar Produktives zum Funktionieren unserer Gesellschaft beigetragen hat. Und man muss sich dabei auch vor Augen halten: Es geht den meisten von uns finanziell schlechter, weil es eben solche Menschen gibt, deren Rendite oder deren überdimensioniertes Einkommen für eigentlich unnütze Tätigkeit durch die Arbeit anderer erwirtschaftet werden muss. Die Idee, dass Spahn das Geld für seine Villa tatsächlich „verdient“ haben könnte, ist also recht absurd.

Doch diejenigen, die Royalties gut finden, werden so was natürlich auch bewundern – da dürfte Spahn auch von seinem Parteispießgesellen Guttenberg gelernt haben, den ja die unpolitischen RTL-Glotzer trotz politischen Vollversagens immer noch toll fanden, selbst nachdem sein Betrug beim Erschleichen seines Doktortitels offensichtlich wurden und er auch danach noch die Öffentlichkeit dreist anlog. Der Untertan findet in seiner Jämmerlichkeit immer einen auch noch so fadenscheinigen Grund, um das schäbige Verhalten seiner geliebten Granden irgendwie zu rechtfertigen.

Das weiß Spahn natürlich auch, und deswegen zielt er vermutlich genau auf die Zielgruppe ab, denn wer sich nur ein bisschen mit Politik beschäftigt, wird an Spahns Agieren (gerade auch in der Corona-Zeit) nicht viel Gutes finden können. Aber klar: CDU-Wähler interessieren sich in der Regel ja eh nicht sonderlich für Politik, sonst würden sie ja schließlich nicht CDU – und damit (zumindest der Großteil von ihnen) gegen die eigenen Interessen – wählen.

Ein weiteres „Argument“ der Spahn-Verteidiger ist, dass ja viele Sportler noch viel mehr Geld bekämen und viel mehr damit rumprotzen würden – und darüber würde sich keiner aufregen.

Mal davon abgesehen, dass ich recht viele Menschen kenne, die sich über überbezahlte Sportler aufregen: Muss man nicht vielleicht an einen Profifußballer (die zuweilen auch nicht gerade die hellsten Kerzen auf der Torte sind) auch andere ethische Maßstäbe anlegen als einen demokratisch gewählten Repräsentanten der Bevölkerung? Ich finde, schon …

Und dann hab ich auch ein paarmal etwas in der Richtung gelesen, dass vier Millionen ja nun gar nicht so viel Geld seien.

Diese Aussage offenbart eines der Grundprobleme überhaupt in unserer Gesellschaft. Ich erinnere mich noch daran, wie diskutiert wurde, ob es ethisch vertretbar war, in der Sendung „Die 100.000 Mark Show“ dem Gewinner tatsächlich einen so hohen Betrag von 100.000 DM auszuzahlen, der sein Leben ja komplett auf den Kopf stellt. Und das war nun nicht irgendwann vor dem Krieg, sonder ist gerade mal so um die 25 Jahre her.

Der Großteil der normal arbeitenden Menschen wird in seinem ganzen Leben kaum auf eine solche Einkommenssumme kommen. Oder andersrum: Wenn man sich nicht ganz doof anstellt, muss man nie mehr arbeiten, wenn man vier Millionen Euro hätte.

Nur weil es immer mehr Milliardäre gibt (für deren Geld dann richtig vielen Menschen ein Teil ihres Verdientes vorenthalten werden muss) und etliche Promis mit Millionen zugeschmissen werden, bedeutet das ja nicht, dass es sich bei vier Millionen nicht noch um richtig viel Geld handelt.

Aber genau diese Denke ist eben m. E. auch eine der Intentionen der ständigen Berichterstattung über im Geld schwimmende und es sinnlos verprassende Promis: So wird eine Normalität des abnormalen Reichtums geschaffen, sodass ein reichlich dekadentes Verhalten wie das hier von Spahn dann trivialisiert werden kann.

Und dieser sich zurzeit stetig verfestigende Untertanengeist äußert sich dann auch bei anderen Themen, so beispielsweise bei Berichten/Videos von Polizeigewalt, die es aktuell ja leider auch zur Genüge gibt (s. hier). Da wird dann Minderjährigen unterstellt, dass sie es schon verdient hätten, von Polizisten körperlich misshandelt zu werden – die Ordnungsmacht und deren Schutzleute machen schließlich keine Fehler! Der Untertan macht sich also nützlich, indem er kritische Stimmen an ausufernder Repression und Gewalt seitens der Staatsmacht niederblökt.

Die gleichen Leute begrüßen dann natürlich auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass Containern, wenn sich Menschen also weggeschmissene abgelaufene Lebensmittel aus dem Müll von Supermärkten holen, strafbar sei. „Sollen die sich doch die Nahrungsmittel im Laden kaufen“ konnte ich dazu in dieser und ähnlicher Form immer wieder lesen. Das geht zwar komplett am Thema Lebensmittelverschwendung vorbei, aber mit dem differenzierenden Nachdenken hat es der Untertan ja nun eh nicht sonderlich …

Und genau dieser Typus Untertan wird zurzeit auch vonseiten der Regierenden dringend benötigt, denn es treten mehrere Dinge immer offensichtlicher zutage:

Die Politik ist immer offensichtlicher in weiten Teilen korrumpiert und dient vor allem den Interessen von Vermögenden und Konzernen – und das gegen den Großteil der Bevölkerung.

Die sozialen Verwerfungen werden immer größer und produzieren immer mehr Unzufriedenheit.

Der Sicherheitsapparat geht immer repressiver vor, mitunter wirkt es auf mich so, als sollte deren Gewaltbereitschaft „trainiert“ werden, um gegen mögliche systemkritische Proteste dann massiv vorgehen zu können.

Diese Entwicklungen sind wenig demokratisch-rechtsstaatlich, sondern zunehmend despotisch. Um dies nicht allzu offensichtlich werden zu lassen, müssen die Untertanen ran, die dieses Gebaren rechtfertigen und gutheißen, sodass man sich das Deckmäntelchen einer Legitimität umhängen kann: Schaut doch, die Leute finden es doch richtig so.

Wer angesichts dessen nun immer noch meint, dass der Villenkauf von Jens Spahn keine politische Dimension hätte, dem ist wahrlich auch nicht mehr zu helfen …

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