Der Fastnachtsverweigerer 

Köln, Düsseldorf und Mainz sind schöne Städte. Cottbus sicher auch, aber das interessiert nicht weiter. Wer in einem dieser Städte lebt, der findet dort sehr viel Lebensfreude und hohe Mieten vor. Vier Jahreszeiten lang kann man dort ein Leben führen, wie man es möchte.
Doch es droht, kaum sind diese vorüber, Ungemach. Denn in diesen Städten gibt es die gefürchtete fünfte Jahreszeit, die auch gestandene Leute erst einmal überstehen müssen. Fastnacht, Fasching, Karneval!
Drei Begriffe, die für Jubel, Trubel, Heiterkeit stehen.
Für Maskenphobiker eine echte Herausforderung.
Schon so manches Nordlicht, was nichtsahnend in eine der Städte gezogen ist, der sieht die Entwicklungen dieser Zeit, nicht nur kritisch, nein auch äußerst skeptisch. Da kommen diese Narren aus ihren Löchern und verbreiten Unruhe unter den Zugezogenen, die diese Tradition mit ängstlicher Verwunderung sehen. Sich dem zu entziehen, ein Ding der Unmöglichkeit. Da wird die Schlange vor dem Arbeitsamt zu einer fröhlichen Polonaise. Menschen in gruseligen Horrorvollgummimasken, die ihre Bank aufsuchen, erregen eine heitere Stimmung, bei sonst eher banküberfallverängstigten Angestellten. Wann sonst sieht man Strapse tragende Nonnen, die ortsfremde Mönche knutschen. Sturmerprobte Matrosen, die kotzend an den Hauswänden lehnen. Auch apart, urinierende Cowboys und Indianer, in trauter Eintracht, Hauseingänge abspritzend. Wo sonst lassen sich solche beeindruckenden Szenen erleben?
Höchstens auf dem trachteneinheitlichen Oktoberfest, was es mittlerweile auch in jedem Dorf gibt.
Was dem Bayern sein „Prosit“ ist den am Vater Rhein gelegenen Städten ihr: „Helau – Alaaf – Narri-Narro – aloha“.
Denn bis ins allerkleinste Dorf werden individuelle Schlachtrufe gerufen, die alle den gemeinsamen Nenner haben, Aufruf zum kollektiven Betrinken. Allüberall scheint der Virus des maskierten Frohsinns ausgebrochen zu sein. Und der Absurdität an kreativen Rufen wird gefrönt, denn jedes Dorf möchte sein Alleinstellungsmerkmal. Denn Fastnacht, Fasching, Karneval ist eine todernste Angelegenheit. Nichts, aber auch gar nichts kann mich in eine solche Stadt ziehen, wo der närrische Frohsinn generalstabsmäßig durchgeplant ist. Und dann trat die Liebe auf den Plan, die alles veränderte. Liebe ist stärker als jedes Vorurteil, sei es auch noch so tiefsitzend. Bei mir war die Helau-Phobie extrem ausgebildet.
Ich wurde narrenfrei erzogen und jegliche Verkleidungsobsession, wurde seitens meiner Eltern nicht geduldet. Aufgewachsen bin ich zudem noch in einer Fastnachtsdiaspora, was jedoch meiner Entwicklung nicht geschadet hat.
Auch sexuell bemerkte ich nie, dass mir da etwas Entscheidendes fehlt. Keiner meiner, nicht wenigen Bettgenossinnen, legte keinen Wert auf Krankenschwesterspiele oder war eine Latexfetischistin. Auch von Leder blieb ich verschont. Mein Sex war sauber und anständig. So wie es sich für einen gesunden Mann gehört. Nackt und ohne Licht! Wenn in Deutschland einmal ein landesweiter Stromausfall ist, finde ich immer noch alles, was ich brauche.
Doch dann lernte ich Marie-Claude kennen. Sie saß im Bus neben mir und ich verliebte mich sofort in ihre Augen. Wenig später auch in den Rest, denn sie ließ nichts anbrennen. Wir übergingen jedes überflüssige Kennenlerngebalze und gingen, kaum das der Bus anhielt, in medias res. Hinterher, als ich das Licht anschaltete, sah ich, dass ich eine gute Entscheidung getroffen hatte, denn auch ohne rock und Bluse konnte sie sich sehen lassen. Auch ich entsprach, was mich nicht sonderlich verwunderte, ihren Vorstellungen. Deshalb war es auch nur die logische Konsequenz, aus der gemachten Erfahrung, eine längerfristige Beziehung einzugehen, bei der jeder auf seine Kosten kommen sollte.
Wochen später, ihr Urlaub und ein ärztlich attestierter Krankheitsverlauf später, musste sie zurück, in die Stadt in der sie lebte. Ganz nebenbei erzählte sie mir, sie käme aus Mainz. Sofort googelte ich, wo das liegt. Die Ernüchterung folgte sofort, nachdem ich als Kind der Küste, dank Wikipedia feststellen musste, dieses Mainz liegt nicht am Meer, Nichteinmal in der Nähe davon.
„Aber Süßer, Mainz ist alleine schon deshalb schön, weil ich dort lebe!“, meinte meine Süße.
Wir nannten uns Süße und Süßer, weil Schatz zu abgedroschen und inflationär gebraucht ist und auch eher geschlechtsneutral daherkommt.
Aber wir wollten unbedingt unsere geschlechtliche Identität beibehalten.
„Ohne Meer sterbe ich!“, gab ich offen zu.
„So schnell stirbt es sich nicht, Süßer!“
Und damit hatte sie mich überzeugt. Zwei Tage später zog ich bei ihr ein. Aber sie hatte ein dunkles Geheimnis, was sie mir erst später offenbarte. Aber da war es schon zu spät. Da war ich schon umgemeldet und Mainzer Neubürger auf Lebenszeit.
Eines Tages entdeckte ich in ihrem Kleiderschrank etwas verstörendes, was mich zutiefst verunsicherte, ja geradezu in Panik versetzte. Ich musste schmerzlichst erkennen, meine angedachte zukünftige Frau meiner Kinder, führte ein Doppelleben. Im Schrank befand sich ein blickdichter Kleidersack, der mit einem Vorhängeschloss gesichert war.
Mir stockte der Atem. Misstrauisch und höchst angespannt inspizierte ich den Sack und sein Sicherheitssystem.
Doch, um das Schloss zu knacken, war ein einstelliger Zahlencode erforderlich. Unmöglich zu öffnen! Meine Süße war viel zu ausgekocht, um eine simple Zahl zu benutzen. Nur ein gut ausgebildeter Geldschrankknacker könnte hinter das Zahlengeheimnis kommen. Leider waren meine Kenntnisse diesbezüglich nicht ausreichend. Handwerkliches Geschick konnte man mir noch nie vorwerfen. Enttäuscht über meinen mangelnden erfolg, den ich mir jedoch versuchte schönzureden, packte ich den Kleidersack zurück in den Schrank und entfernte meine Fingerabdrücke vorsorglich. Am Abend, als meine Süße zurückkam, sah ich mich gezwungen, sie einem unbarmherzigen Verhör zu unterziehen. In diesem Metier war ich zuhause. Schon als Kind konnte ich meiner Mutter immer den Inhalt meiner Weihnachtsgeschenke entlocken, ohne das sie es mitbekam. Als sie die Haustüre öffnete, stand ich bereits lächelnd im Flur. Eine Taktik, mit der ich schon früher großartige Erfolge erzielte. Warum sollte man auch auf Neue, noch nicht bewiesene Methoden zugreifen, wenn das Altbewährte sich ja als raffiniert herausgestellt hat. Und das Lächeln, was ihr entgegen strahlte, erfüllte seinen Zweck, denn sofort wurde von der generischen Seite vorbehaltlos zurückgelächelt. Das deutete auf eine vollkommene Ahnungslosigkeit hin, die ich mir sofort zunutze machte.
„Hallo Süße!“, meinte ich sanft und gab ihr einen Kuss.
„Wenn mein Süßer lächelt und mich küsst, dann weiß die Süße, dass mein Süßer einen schönen Tag hatte!“, sagte sie häppchenweise, denn zwischen jedem Satzteil wurde ich zärtlich geküsst.
Fast schon bewunderte ich ihre Naivität. Es schien ihr nicht seltsam, dass ich im Flur auf sie gewartet habe. Noch nie hatte ich sie davor jemals im Flur geküsst. Wir sind immer erst ins Schlafzimmer und wenn wir nackt bei geschlossenem Licht waren, dann wurde geküsst. Doch nun, nachdem das Ritual auf dem Kopf gestellt war, da hätte sie eigentlich Verdacht schöpfen müssen. Doch weit gefehlt. Zwar drängte es sie ins Schlafzimmer, dort wo sich ja ihr Geheimnis befand, aber ich zog sie ins Wohnzimmer, um von dem Hochsicherheitskleidersack abzulenken.
„Ich möchte mich mit dir gerne etwas unterhalten.“, erklärte ich ganz lapidar, als ob nichts sei.
„Ja gut Süßer!“, sagte sie zögernd, denn das war völlig neu für sie.
Kaum dort angekommen schloss sie die Jalousien und schaltete das Licht aus.
„Nein, ich will mit dir wirklich reden!“, rief ich und schaltete die Deckenlampe wieder an.
„Nur reden?“, fragte sie ganz überrascht, als würden wir sonst nie reden.
„Sonst reden wir doch nie. Jedenfalls nicht vorher!“, meinte sie ganz verblüfft und langsam schwante ihr, hier stimmt was nicht.
Entgegen der üblichen Gepflogenheit behielten wir nun die Kleider an. Es erschien mir, als ob ich den leichten Anflug einer nervösen Grundhaltung erkennen konnte. Auch zitterte ihre Unterlippe, etwas was immer verdächtig ist.
„Süße, ich muss dir etwas sagen, was ich noch keiner Frau zuvor gesagt habe, denn ich meine, eine glückliche Beziehung kann nur dann Bestand haben, wenn es keine Geheimnisse zwischen uns gibt. Hast du ein Geheimnis vor mir?“
Mit dieser Frage hatte ich sie da, wo ich sie haben wollte. Wenn sie jetzt lügt und nein sagt, dann war eine Trennung unausweichlich. Gespannt wartete ich, wie ihre Antwort ausfallen würde.
„Nein, ich habe kein Geheimnis vor dir und du?“
Mit dieser Antwort hatte ich nicht gerechnet. Noch weniger mit der Rückfrage. Kannte sie womöglich dieselben Verhörtechniken wie ich. Wissentlich oder unwissentlich hatte sie mich in die Ecke gedrückt und mir blieb nichts anderes übrig, als verbal nun die Hosen runterzulassen.
„Ja ... da gibt es das ein oder andere ... was ich dir noch nicht erzählt habe.“, stotterte ich.
Das tue ich immer, wenn etwas sehr Unangenehmes auf mich zukommt.
Schlagartig verschwand ihr Lächeln und ich ließ den Kopf tief senken. Eine Geste meiner Unterwürfigkeit, wie sie nur Männern vorbehalten ist. Frauen, die etwas auf sich halten, senken nie den Kopf, weil dann ein Doppelkinn sichtbar wird. Dies ist auch der Grund, weshalb man Frauen niemals sieht, die kopfüber in einen Spiegel hineinsehen. Sie schützen sich so vor dem Anblick und erhalten sich die Illusion von straffer Haut.
Männer behalten ihr Wissen diesbezüglich zurück, denn sonst sucht die Frau sofort bei ihm nach körperlichen Unzulänglichkeiten, die sie auch finden werden. Und meist auch mehr als nur eine, die sie dann genüsslich ihm vorhalten.
Frauen können ja so böse sein!
„Also gut, wenn du unbedingt alles wissen willst, dann musst du aber auch mit den Konsequenzen leben!“, drohte ich vorsichtig und sie musste annehmen, dass ich noch einen Trumpf in der Hinterhand haben musste.
Dies war zwar nicht der Fall, aber ich hoffte so auf ein Einlenken von ihr.
Dieser Plan ging vollumfänglich ... in die Hose!
„Dann erzähl mal deine Geheimnisse, denn ich habe keine.“, erklärte sie mir.
Da saß ich nun metertief in der Tinte und sah nur noch einen Ausweg.
„Lass uns ins Schlafzimmer gehen!“, hauchte ich ihr ins Ohr.
Sie begann wieder zu lächeln und ihre Lippen kamen nun meinem Ohr ganz nah.
„Nein, erst deine geheimsten Geheimnisse!“, hauchte sie.
Falls jemand jetzt behaupten sollte, dass Frauen und Männer nicht zusammenpassen, hier hat er den Beweis. Wie ein Wurm an der Angel kam ich mir vor. Zwischen Ertrinken und gefressen werden!
Kleinlaut begann ich zu erzählen und meine ganze Konzentration richtete sich darauf, nicht weinen zu müssen. Denn das wäre die absolute Kapitulation, gleichkommend einer unfreiwilligen Sterilisation, die aus einem Stier einen Ochsen macht.
„Weißt du Süße, Geheimnis ist vielleicht zu übertrieben. Es sind nur Kleinigkeiten, für die ich noch nicht die Zeit gefunden habe, sie dir mitzuteilen.“
„Ich bin ganz Ohr!“, unterbrach sie mich und sah mich scharf an.
„Also gut!“, sagte ich kleinlaut und begann mit meiner Lebensbeichte.
„Mit Vier habe ich noch ins Bett gemacht. In der dritten Klasse bin ich sitzengeblieben. Außerdem bin ich arbeitslos und habe noch eine Freundin. Und ich lese bei Krimis zuerst das Ende. So jetzt weißt du alles!“, schluchzte ich, denn bei der Erinnerung an die dritte Klasse überkam mich ein unkontrollierter Weinkrampf.
„Aber das ist doch alles nicht so schlimm und ich habe auch eine Freundin!“, rief sie freudig erregt und nahm mich in ihre Arme.
„Und du hast einen einbruchsicheren Kleidersack!, den du vor mir geheim hältst“, platzte es plötzlich aus mir heraus.
„Ach den meinst du. Da ist nichts Geheimnisvolles dran. Kannst gerne nachsehen, was drin ist.“
„Der ist gesichert mit einem Zahlenschloss!“, antwortete ich trotzig.
„Ach das Schloss ist doch kaputt. Du kannst den Reißverschluss einfach runterziehen.“
„Echt?!“, sagte ich leise und fühlte mich ganz elend.
Dann nahm die Süße meine Hand und ich folgte ihr ins Schlafzimmer. Sie öffnete den Schrank, nahm den Kleidersack heraus und öffnete den Reißverschluss. Ein farbig bunter Glitzerstoff kam zum Vorschein.
„Soll ich es für dich anziehen?“
„Ja.“
„Dann mach die Augen zu. Dann ist die Überraschung größer.“
„Au ja!“, rief ich aufgeregt, denn ich bin ein großer Freund von Überraschungen.
Sofort schloss ich sie und legte aus Sicherheitsgründen, die vollkommene Dunkelheit garantieren sollte, meine Hände über die Augen. Minuten des gespannten Wartens vergingen und unruhig wechselte ich von einem Bein auf das andere und wieder zurück. Endlich kam die erlösende Mitteilung, auf die ich, solange gewartet hatte.
„Augen auf!“, befahl sie mir.
Vorsichtig öffnete ich die Augen. Das brachte jedoch wenig, da die Hände noch davor waren. Ich atmete schwer und nahm meinen ganzen Mut zusammen. Ich zählte bis Drei und riss mir die Hände vom Gesicht und – ließ einen lauten Schrei los.
Vor mir, kaum wiederzuerkennen, stand da eine Gardeprinzessin, in vollem Ornat.
Ich rang nach Atem und Worten.
Wenn Fassungslosigkeit ein Gefühl wäre, so würde es sich in mein Gesicht ein gefräst haben. Mit vielem hatte ich gerechnet. Ein Burkini, das Hochzeitskleid ihrer Mutter oder das ihres Vaters, aber mit einem solch abartigen Fetisch hatte ich nicht gerechnet. Eine höchst militante Gardeuniform, mit integrierten brustschalen. Sie sah aus, als ob Harald Glöökler im Vollsuff es designt hätte. Bling-Bling und übersäht mit Fastnachtsorden und Ehrenzeichen, die schlimmstes befürchten ließen.
Sie wird doch diese perverse Neigung nicht auch noch öffentlich tragen? Unvorstellbar für mich, händchenhaltend mit dieser mir zukünftig fremden Dame, einträchtig durch die Stadt zu flanieren und mich als Mann einer Fastnachtsbekennerin zu outen!
„Zieh das sofort aus!“, befahl ich ihr, denn irgendwo hört der Spaß ja auf.
„Du Schlimmer, du Nimmersatt, du Sexteufel! Du willst es schon wieder.“
Und ehe ich noch erklären konnte, dass sie gerade das falsche Pferd reitet, riss sie die, mit Klettbändern versehene, Uniform sich vom Leib und machte es nur noch schlimmer. Was da zum Vorschein kam, überstieg so ziemlich alles, was ich mir jemals habe vorstellen können. Und ich kann mir wirklich viel vorstellen! Sogar eines Tages die CDU zu wählen. Zumindest wenn ich mit absoluter Gewissheit weiß, dass die Erde demnächst zufriert. Auch Pläne zu Flugbussen, Brennöfen in Leichenwagen, sachliche Berichterstattung der BILD-Zeitung, ja selbst selbstlose Politiker, die dem deutschen Volke dienen, kann ich mir unter Umständen ja vorstellen. Aber eine Frau, die ich mein Eigen nenne, wird niemals öffentlich als fastnachtliche Hupfdohle durch Sitzungen ballettieren und sich von angetrunkenen und geifernden alten Elferräten, die nur lachen, wenn der Tusch ertönt, karnevalistisch prostituieren. Längst hatte ich meine Augen geschlossen, denn dieser Anblick war einfach zu viel für meine zartbesaitete Seele, die auch so schon schweren Schaden nahm, der kaum wieder zu reparieren sein wird.
„Du kannst wieder gucken, das Licht ist aus und ich bin soweit.“, unterbrach sie mich in der größten Lebenskrise, seit Abschaffung des 500-Euro-Scheins.
Um wieder halbwegs runterzukommen, legte ich mich auf sie und schlief mit ihr. Jedoch tat ich es so widerwillig, wie ich sonst nur die Mülltonne Raustrage. Es kam mir endlos vor und endlich kam die erlösende Nachricht.
„Ok, reicht!“, rief sie mir zu. Das war die bekannte Aufforderung, meine Aktivitäten einzustellen.
Sie hatte zweifachen Vollzug gemeldet und ich konnte mich wieder anziehen und ein ernsthaftes Wort mit ihr sprechen, was dringend geboten war. Noch im Dunkeln verließ ich das Schlafzimmer und forderte sie auf, unverzüglich und angezogen im Wohnzimmer zu erscheinen. Mein Gesprächsbedarf war grenzenlos, ebenso meine Empörung, die sich trotz der Entspannungsübung nicht gelegt hatte. Es wurde ein langes, sehr ernstes Gespräch, gespickt mit Drohungen, von Sexentzug bis hin zu einer Trennung von Tisch und Bett. Wobei es weniger ein Gespräch, wohl eher ein Monolog, ein Appell, ein leidenschaftliche s Plädoyer war. Und dann kam ich endlich zu Wort!! Inzwischen waren wir jedoch bereits per Sie und getrennt.
Geduldig und äußerlich völlig ruhig hatte ich mir angehört was meine Ex-Süße mir alles an den Kopf geworfen hat. Sämtliche Schimptiraden ließ ich über mich ergehen, wie es nur ein Mann kann, der seine Prinzipien hat und fest im Glauben steht.
Leider hatte ich zu Beginn unseres Disputs einen kleinen, jedoch entscheidenden Fehler begangen, der sich bitter rächen sollte.
„Ich wünsche keine Unterbrechung, solange ich rede!“, war ihre Bedingung, die ich dummerweise zusagte.
Das war natürlich ein unverzeihlicher Kardinalfehler, der mich zwei Stunden Lebenszeit kostete. Und um mir die Zeit zu geben, über das Gesagte nachdenken zu können, warf sie mich aus der Wohnung. All dies hätte ich mit stoischer Gelassenheit hingenommen, wäre es nicht ausgerechnet an einem Donnerstag gewesen. An sich kein Problem! Jedenfalls nicht in Buxtehude, in Elmshorn oder auf der Hallig Pellworm. Aber doch nicht in Mainz! Jedenfalls nicht an diesem Donnerstag. Andere Donnerstage mögen ja in Mainz erträglich und angenehm sein, aber an diesem Donnerstag war Krieg. Weiberkrieg! Denn was da auf der Straße los war, nennt man Weiberfastnacht. Früher war dieser Donnerstag der Tag, der als Hauptschlachttag vor der Fastenzeit galt. Und genau so kam ich mir auch vor. Ich war das Schwein und um mich herum nur Metzgerinnen, Schlachterinnen und aufgestachelte hysterische Weiber, die nur eines wollten, mir an die Wäsche. Kaum hatte ich die Straße betreten, schon war ich eine halbe Krawatte ärmer. So schändlich entmannt, zwang man mich in eine Polonaise hinein. Vorne und hinten eingekesselt von Frauen, die lautstark etwas vom Schatten des Doms grölten. Dabei wurde eine Flasche Sekt von vorne nach hinten gereicht und eine Flasche Korn von hinten nach vorne. Unter der Drohung: „Trink oder wir küssen dich“, flößte man mir Schluck für Schluck ein, hinein in meinen leeren Magen, der alles andere als dankbar dafür war. Was er mir wenig später eindrücklich mitteilte, auf seine ganz eigene humorvolle Weise, die lediglich die Frau, die in der Polonaise vor mir lief, wenig amüsant fand.  Glücklicherweise kam gerade eine andere Polonaise entgegen, der ich mich aus Sicherheitsgründen anschloss. So zog ich durch die Stadt, beziehungsweise ich wurde gezogen. Und je mehr Alkohol ich bekam, desto lustiger wurde alles um mich herum. Als wir irgendwann am Dom vorbeikamen und ich um Kirchenasyl bei einer vermeintlichen Nonne nachsuchte, entpuppte diese sich als ein Polizeibeamter, der als verdeckter Ermittler, nach Handtaschendieben Ausschau hielt.
„Und da wackelt der Dom ...“, sangen wir und das Wunder geschah. Der Dom wackelte wirklich!
Ich war kaum wiederzuerkennen, denn inzwischen wurde ich längst zu einem Clown geschminkt worden.
Wie oft und warum ich helau gerufen habe, kann ich im Nachhinein nicht mehr sagen. Nur irgendwann versagte meine Stimme vollends. Doch wie im Fluge verging die Zeit und irgendwann kehrte ich reumütig nachhause.
„Hallo Süße!“, grüßte ich meine Angebetete.
„Wo warst du?“, erkundigte sie sich.
„Ich habe Weiberfastnacht gefeiert!“, erklärte ich.
„Wir haben Aschermittwoch!“
„Tja, wie die Zeit vergeht!“, sagte ich lapidar.
„Ab ins Wohnzimmer, wir müssen reden!“, befahl sie mir.
„Du meinst, du redest!“
„Darauf kannst du dich verlassen!“
Es wurde ein langes, ein sehr langes Gespräch und endete in einer Versöhnung, einer sehr langen, im Schlafzimmer.
Inzwischen besitze ich meine eigene Gardistenuniform und sitze in einem Elferrat. Beides hat mich ein Schweinegeld gekostet, aber dank Nebenjob und einem Kleinkredit, konnte ich mein neues Hobby mir leisten. Ich wurde sogar gefragt, ob ich nicht einen Vortrag halten möchte über meine ersten Erfahrungen als Zugezogener Fastnachtsmuffel.
Doch leider kann ich mich nicht mehr an die Tage erinnern.
Vielleicht auch besser so! Was immer auch an Fastnacht geschieht, an Aschermittwoch ist alles vorbei.

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