Seit mittlerweile drei Jahrzehnten gehört es zu den großen amerikanischen Weihnachtstraditionen, in rechtsgerichteten Medien eine moralische Panik über einen angeblichen „War on Christmas“ auszuleben. Bereits in den 2000er Jahren machte sich Jon Stewart alljährlich darüber lustig: permanent herrscht ein angeblicher Krieg gegen Weihnachten, ohne dass sich dieser Krieg je manifestieren würde. Bis vor Kurzem konnte man das als eine Kuriosität des rechten Spektrums in den USA abtun, aber seit ein paar Jahren findet der „Krieg gegen Weihnachten“ (wenngleich wegen der deutschen Aversion gegen die Kriegs-Metaphorik nicht unter diesem Namen) auch in Deutschland statt. Es ist nur ein Fall einer merkwürdigen Mode, amerikanische Kulturkämpfe zu importieren, die keinerlei Verankerung in deutschen Diskursen haben.
Denn in den USA besitzt der „War on Christmas“ ja insofern wenigstens eine Verankerung, als dass öffentliche Institutionen in dem dort wesentlich ausgeprägteren Spannungsfeld zwischen säkularem Staat und christlicher Tradition bei wesentlich frommerer Gesellschaft als hierzulande eine schwierige Positionierung haben, wenn es um offene religiöse Positionierungen geht. Viel früher als hierzulande etwa wurde in den USA Rücksicht auf jüdische Feiertage wie Hanukka genommen.
Wer das Glück hat nicht zu wissen, was der „War on Christmas“ ist: auf FOX News und in den Fiebersümpfen des rechten Talk Radio wir seit den 1990er Jahren alljährlich behauptet, dass die finsteren Mächte, die angeblich die kompletten Eliten beherrschen, einen finsteren Plan zur Auslöschung des Weihnachtsfests hegen würden. Der Beleg ist üblicherweise die Phrase „Happy Holidays“, die an manchen Stellen „Merry Christmas“ ersetzt hat, da ja nicht alle Weihnachten feiern, die Ferien aber von allen wahrgenommen werden. Diesseits wie jenseits des Atlantiks steht das Leben zwischen den Jahren weitgehend still.
Nun war da natürlich nie viel dahinter. Weihnachtsschmuck ist ubiquitär, und die allermeisten Menschen feiern immer noch „Weihnachten“, was auch immer man darunter genau versteht (was das Konsumfest mit Cola-Santa mit christlichen Werten zu tun hat, ist eine Debatte, der die angeblichen Tugendwächter aus guten Gründen ausweichen). Die Behauptung, irgendjemand wolle das Fest abschaffen, ist schon angesichts der Geschäftszahlen des Einzelhandels und dem weiteren Florieren der Weihnachtsmärkte albern.
Das ändert nichts daran, dass immer wieder oft aus dem Kontext gerissene Einzelbeispiele von Märkten, die nicht offiziell „Weihnachtsmarkt“ heißen, als Beleg für einen finsteren links-grün-versifft-atheistischen Plot herhalten müssen (meist entsprang die Umbenennung einem geänderten Zeitraum, etwa über Weihnachten hinaus). Soweit, so albern. Menschen zu finden, die diskriminiert würden, weil sie Weihnachten feiern, dürfte jedenfalls schwer fallen.
Aber die Kulturkämpfe entspringen auch keinen realen Bedrohungslagen. Adrian Daub hat das exemplarisch für den importierten Diskurs über die Cancel Culture (und mittelbar von „Political Correctness“ und „Woke“) nachgewiesen, der ebenfalls ohne jede eigene intellektuell-kulturelle Grundlage in Deutschland aus den USA importiert wurde:
Für Daub ist der Cancel-Culture-Diskurs letztlich ein literarisches Genre, ein Framing, das angesichts seiner Profession als Listeratur- und Sprachwissenschaftler naheliegt. Da er sich ständig um amerikanische Universitäten dreht, macht es mehr als Sinn, dass er in Kapitel 3 die Universität als literarischen Topos genauer unter die Lupe nimmt. Immerhin 40% aller Amerikaner*innen (!) haben Zeit auf einem Campus verbracht, wenngleich natürlich für viele die Erfahrung schon länger zurückliegt. Anders als in Deutschland ist der Campus ein weit verbreiteter Handlungsort der Popkultur, von Komödien bis zu Law&Order. In all diesen literarischen Verarbeitungen ist der Campus ein ewig gleicher, unveränderlicher, festen Klischees gehorchender Ort. Diese Unveränder- und Unspezifiziertheit macht den Campus kaum greifbar, dafür aber paradoxerweise umso präsenter und stets verallgemeinerbar.
Kulturelle Globalisierung, gewissermaßen. Der Weihnachtskulturkrieg findet sich genau hier. Das Merkwürdige ist allerdings, mit welcher Verve die Union in den letzten Jahren auf diesen Zug ausgesprungen ist.
Seit Friedrich Merz Parteichef geworden ist, scheinen die beiden Schwesterparteien jedenfalls nur noch Kulturkampfthemen zu kennen; ob Gendern, irgendwelche Uni-Seminare, Cancel Culture oder nun der Weihnachtskrieg, alles wird aufgegriffen und rigoros eingedeutscht. Und das hat ernsthafte Konsequenzen.
Die Geschichten dieser Kulturkriege entstehen üblicherweise aus einzelnen Meldungen, die häufig aus zweiter Hand über irgendwelche Geschehnisse berichten, die sich zugetragen haben sollen. Sie passen in narrative Strukturen, die für alle diese Kulturkämpfe ähnlich aufgebaut sind, sind also formalistisch und in feste Konventionen gebettet. So war es auch beim vorliegenden Beispiel. Die Meldung, die durch alle Hetzportale der Republik gejagt wurde, besagte, dass eine Kita in Hamburg den Weihnachtsbaum abgeschafft habe, angeblich, um keine religiösen Gefühle zu verletzen. Diese Meldung wurde von CSU-Chef Markus Söder aufgegriffen, der Stimmung gegen die Kita machte und so, wie es immer so schön heißt, sein konservatives Profil schärfen wollte. Was für deSantis funktioniert, kann einem Söder ja nur zur Ehre gereichen.
Der Schönheitsfehler: nichts an dem Geschehen war wahr. Söder war auf Fake News hereingefallen:
Die ursprüngliche Meldung über ein Weihnachtsbaumverbot in einer Hamburger Kita aus religiösen Gründen war falsch. Die Kita und ihr Träger haben dies dementiert. Die Behauptung wurde von verschiedenen Medien übernommen, darunter auch von Focus Online. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder teilte die falsche Information auf Twitter, was zu Kritik führte. Tatsächlich gibt es in der Kita weihnachtliche Bräuche, aber in diesem Jahr wurde kein Weihnachtsbaum aufgestellt. Die Entscheidung wurde nicht aus religiösen Gründen getroffen, sondern weil bereits andere weihnachtliche Bräuche geplant waren. Die Kita und ihre Träger wurden nach der Verbreitung der falschen Meldung mit rassistischen Drohungen und Anfeindungen konfrontiert. (Söder schießt fälschlicherweise gegen Hamburger Kitaz, NTV)
Es wäre schön, wenn die Geschichte an dieser Stelle endete; eine Peinlichkeit, die für Parteigänger*innen der Grünen und SPD relevant ist, die sie als Beispiel für Söders Unseriosität heranziehen können, ein Kopfschütteln von konservativen Dissidenten wie Andreas Püttmann, fertig. Leider endete die Geschichte an der Stelle nicht.
Vielmehr geschah, was in diesen Fällen viel zu häufig passiert: die Kita und ihre Mitarbeitenden erhielten hunderte von Journalist*innenanfragen zu den Vorgängen, die den Laden praktisch komplett lahmlegten. Auch das kann man noch unter „unangenehm, aber Reibungsverlust einer pluralistischen Demokratie“ abheften. Doch die Mitarbeitenden erhielten auch die leider mittlerweile üblichen Hass- und Drohbriefe und wurden aktiv belästigt. Und an der Stelle wird es unangenehm.
Denn ein Spitzenpolitiker wie Söder besitzt eine Verantwortung. Wenn er auf offener Bühne hetzt, dann muss er – dieser Tage leider umso mehr – damit rechnen, dass genau das passiert. Er muss das, weil es ständig passiert. Aus welchen Gründen auch immer hat die Bereitschaft signifikanter Bevölkerungsteile, Hass und Drohungen auf Basis irgendwelcher Meldungen und Gerüchte an ihnen unbekannte Personen zu richten, in letzter Zeit massiv zugenommen. Und Söder macht sich an der Stelle zum Mittäter.
Schlimmer noch: als er mit den Wirkungen seines Irrtums und seiner Tat konfrontiert wurde, übernahm er nicht etwa die Verantwortung und gestand seinen Fehler ein. Stattdessen erklärte er in dürren Worten: „Die Meldung ging durch ganz Deutschland…und wenn es passiert wäre, wäre es schlimm gewesen.“ Ob das Ereignis real war oder nicht, ist also irrelevant – es hätte real sein können, und das rechtfertigt nicht nur die Hetze durch Söder, sondern macht auch die Bedrohung der Kita-Mitarbeitenden verhältnismäßig. Das ist eine solche charakterliche Bankrotterklärung, dass es einen schüttelt.
Ein weiteres Beispiel für dieses Fechten importierter Kulturkämpfe durch Söder findet sich, wie könnte es anders sein, beim Thema Gendern. Die Ankündigung, künftig das Gendern an allen Schulen verbieten zu wollen - eine rechtlich mehr als dubiose Konstruktion - hat selbst aus dem nicht eben progressiven und gender-freundlichen Philologenverband Kritik hervorgerufen. Die rhetorische Frage, ob die CSU nun die neue Verbotspartei sei (als wären Konservative das je nicht gewesen), beantwortete Söder mit einer rhetorischen Verrenkung, die durchaus Edmund Stoiber zur Ehre gereichte: "Im Gegenteil, wir verhindern, dass es Verbote gibt, nämlich das Verbot zu reden, wie man es bislang gemacht hat." Verbote, um Verbote zu verhindern - das ist eine Volte, die selbst den Grünen Respekt abnötigen dürfte.
Die Begründungen entstammen wieder dem formalisierten Fundus der immerselben Debatte, die Adrian Daub analysiert hat. So behaupteten etwa hessische CDU-Politiker (die gerade ein ähnliches Verbot zusammen mit der SPD planen), dass man verhindern wolle, dass jemand eine schlechtere Note erhalte, wenn er oder sie nicht gendere. Wo dies jemals vorgekommen sein soll, bleibt in dieser Debatte immer unklar. Anekdoten und gefühlte Wirklichkeiten werden zu realen Grundlagen einer Debatte, die längst ohne Verankerung in der Realität auskommt. Auch die Konzentration auf obskure Universitätsphänomene ist ein lange bestehender Topos der Kulturkampfdebatten, der bei der Frage um den Genderstern auch immer wieder hervorbricht.
Mir ist unklar, warum die CDU/CSU in jüngster Zeit begonnen hat, sich einerseits so auf diese Kulturkampfthemen zu versteifen und andererseits die amerikanischen Debatten zu importieren. Das ist natürlich ein Trend, der das gesamte Milieu erfasst; die FAZ oder NZZ etwa sind da ja auch massiv dabei. Es ist ja nicht so, als hätten Deutschlands Linke plötzlich aufgehört, irgendwelchen Unsinn zu erzählen, der sich skandalisieren ließe - der Gazakrieg gibt ja genug Anlass dazu. Und auch hier debattiert die konservative Öffentlichkeit mehr eine Anhörung amerikanischer Universitätspräsident*innen vor dem Senat als die in Deutschland stattfindenden Ereignisse. Auch hier fällt im Übrigen auf, wie viel da auf Fake News beruht; nicht, dass das etwas am grundlegenden Ekel gegenüber diesen Nachfahren der Palästinensertuch-Generation ändern müsste. Aber warum Erfindungen aus den USA übernehmen, wenn man doch genug real existierende Idioten vor der Haustür hat?
Gefühlt jedenfalls hängt damit auch zusammen, dass die CDU so überrascht von ihrem eigenen Erfolg in der Haushaltsklage war und nun dasteht wie ein Hund, der das Auto eingefangen hat und nicht weiß, was er mit dem plötzlichen Jagderfolg anfangen soll. Von dem Anspruch, die "beste Opposition zu sein, die Deutschland jemals hatte" und die noch 2022 in der Reaktion auf die Ukrainekrise diesen Anpruch einzulösen versuchte, ist ebensowenig geblieben wie von dem Anspruch der Ampel, eine Fortschrittskoalition sein zu wollen. Geholfen ist damit aber niemandem.
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