Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Joe Biden, MSNBC and 2024: Is liberal propaganda distorting our perception?

Der Artikel kritisiert die Berichterstattung von MSNBC und anderen liberalen Medien in den USA. Es wird behauptet, dass diese Medien oft selektive Informationen liefern und eine positive Darstellung der Biden-Regierung fördern, während sie gleichzeitig die negativen Aspekte ignorieren. Dies wird als Form von Propaganda bezeichnet. Der Autor weist darauf hin, dass MSNBC und ähnliche Medien sich oft auf die politischen Gegner von Biden und diejenigen, die von reichen rechten Spendern unterstützt werden, konzentrieren, aber nicht genug Kritik an mächtigen Oligarchen und Spendern aus dem eigenen politischen Lager üben. Dies wird als einseitige Berichterstattung kritisiert. Es wird auch argumentiert, dass MSNBC und andere liberale Medien die Erfolge der Biden-Regierung überbetonen, während sie deren Schwächen und politischen Kehrtwenden ignorieren. Einige konkrete Beispiele werden genannt, wie die fehlende Erklärung eines Klimanotstands durch Biden und seine zögerliche Haltung zur Studentenverschuldung und Gesundheitsreform. Der Artikel schließt mit der Behauptung, dass Biden ein schwacher Kandidat für die Wiederwahl im Jahr 2024 sei und dass die Demokraten möglicherweise einen neuen Kandidaten benötigen, um die Republikaner und Trump zu besiegen. (Jeff Cohen, Salon)

Es gibt einige Genres politischer Berichterstattung, die einfach nicht totzukriegen sind. Auf Seiten der Linken ist dieser hier ein herausragendes Beispiel. Die Suche nach einem liberalen Jesus (as of yet unidentitied), der den ungeliebten zentristischen Kandidaten ersetzen kann, war bereits während der Obama-Ära ein ständiges Desiderat der radikaleren Linken. Es basiert auf dem, was während der Obama-Ära als „Green Lantern Theory of the Presidency“ bekannt wurde, der Vorstellung, dass wenn man nur die richtige (sprich: linientreu linke) Person an die Spitze wähle, alle Probleme magisch gelöst würden. Es ist und bleibt eine stupide Fantasie, völlig wirklichkeitsfremd, die zu nichts führt als der Demobilisierung der eigenen Anhänger*innen und der Fokusverschiebung im Wahlkampf in ungünstige Richtungen. Aber wenn die Linke in etwas gut ist, dann darin, sich selbst in den Fuß zu schießen.

2) A working class Tory is something to be

Der Artikel analysiert die Veränderungen in der politischen Landschaft Großbritanniens im Hinblick auf die Beziehung zwischen sozialer Klasse und politischer Zugehörigkeit. Früher war die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Klasse ein starker Prädiktor für die politische Parteipräferenz, aber diese Verbindung hat sich im Laufe der Zeit gelockert und ist inzwischen fast vollständig verschwunden. Der Autor argumentiert jedoch, dass das Verständnis der Arbeiterklasse nach wie vor wichtig ist, insbesondere für die konservative Partei. In jüngerer Zeit neigen Arbeiter eher dazu, die Konservative Partei anstelle der Labour-Partei zu wählen. Dies wird als eine Art Verrat an den wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterklasse wahrgenommen, da die Konservative Partei in der Regel mit wohlhabenderen Schichten in Verbindung gebracht wird. Der Artikel argumentiert, dass die konservative Partei die Motivation der Arbeiterklasse nicht richtig versteht und sich stattdessen auf Themen wie Einwanderung und politische Korrektheit konzentriert, die die Arbeiterklasse weniger ansprechen. Die Arbeiterklasse habe historisch gesehen den Wunsch nach sozialer Aufwärtsmobilität und einem besseren Leben für ihre Kinder und Enkelkindern gehabt, und das sei der eigentliche Antrieb für ihre politische Unterstützung gewesen. Der Artikel kritisiert die Art und Weise, wie die konservative Partei Einwanderungsthemen anspricht und argumentiert, dass die Ängste und Sorgen der Arbeiterklasse oft missverstanden werden. Es wird auch darauf hingewiesen, dass es innerhalb der konservativen Partei unterschiedliche Ansichten gibt, wie die Arbeiterklasse angesprochen werden sollte, wobei einige für eine stärkere Betonung von Gemeinschaft und lokale Entwicklung plädieren. Schließlich wird argumentiert, dass die konservative Regierung von Rishi Sunak die Arbeiterklasse falsch versteht und ihre politische Botschaft nicht auf ihre tatsächlichen Hoffnungen und Bedürfnisse ausrichtet. Die Arbeiterklasse sehne sich nach sozialer Mobilität und einer besseren Zukunft und nicht nach Angst und Stillstand. (Philipp Collins, The Time)

Ich bin mir bei solchen Artikeln immer nicht hundertprozentig sicher, inwieweit ist sie einfach nur eine Verschriftlichung der eigenen ideologischen Vorlieben darstellen und inwieweit sie tatsächlich analytischen Gehalt haben. Es klingt soweit alles sehr stichhaltig; allein, ob es tatsächlich signifikante Mengen einer Wählendenschaft gibt, die für eine solche Botschaft empfänglich wären, bleibt abzuwarten. Letztlich ist es genau dieselbe Gruppe, die die potenzielle Wagenknecht-Partei ansprechen möchte: sozial konservativ und wirtschaftlich links. Ich halte es allerdings für gut möglich, dass es sich dabei letztlich um eine Projektion handelt, mit der man für sich selbst unangenehme Realitäten zu übertünchen versucht. Schließlich ist das Beharren darauf, dass die Leute EIGENTLICH (im eigenen Sinne) gut sind und nur durch [ideologisch passende Erklärung einsetzen, etwa den Kulturkampf, Privatmedien, Propaganda, Meinungsmache oder grüne Machenschaften] abgelenkt werden, einfach viel zu attraktiv.

3) The real reasons for the west’s protectionism

In diesem Artikel wird die Entwicklung der Beziehung zwischen dem Westen und China im Kontext der Welthandelsorganisation (WTO) und der Globalisierung diskutiert. In den frühen 2000er Jahren hoffte der damalige US-Präsident George W. Bush, dass die Integration Chinas in die Weltwirtschaft zu mehr Offenheit und Demokratie führen würde. Diese Hoffnung hat sich jedoch unter Xi Jinping nicht erfüllt, da China sich stattdessen autoritärer entwickelt hat. Inzwischen sieht der Westen China als wirtschaftliche Bedrohung und als geopolitischen Rivalen. Der Artikel argumentiert, dass die Aufnahme Chinas in die WTO möglicherweise ein Fehler war, da sie zur Deindustrialisierung des Westens beigetragen haben könnte. Dies wiederum führte zu sozialer Ungleichheit und trug zum Aufstieg von populistischen Bewegungen wie Donald Trump bei. Die USA unter der Regierung von Joe Biden haben daher Schutzzölle auf chinesische Produkte beibehalten und fördern eine industriepolitische Agenda, um die nationale Industrie wiederzubeleben und technologische Führung zu erlangen. Ähnliche Tendenzen sind auch in Europa zu beobachten, wie die Untersuchung von Subventionen für Chinas Elektroautoindustrie zeigt. Die Automobilindustrie ist ein Schlüsselsektor in Europa, insbesondere in Deutschland. China hat jedoch in diesem Bereich aufgeholt, insbesondere im Bereich der Elektrofahrzeuge. Dies stellt eine Herausforderung für die europäische Industrie dar und könnte politisch brisante Arbeitsplatzverluste zur Folge haben. Obwohl Protektionismus verlockend erscheint, ist die Realität komplex. Europa benötigt immer noch chinesische Inputs, um Elektrofahrzeuge herzustellen, und China ist ein wichtiger Markt für europäische Autohersteller. Eine Eskalation von Handelskonflikten könnte daher zu Gegenschlägen führen. Dennoch wächst der politische Druck, die europäische Industrie zu schützen, angesichts des Aufstiegs populistischer Parteien. Es bleibt abzuwarten, wie die EU auf diese Herausforderungen reagieren wird, aber es ist klar, dass Industriepolitik und Protektionismus wieder akzeptabel sind, sowohl in den USA als auch in Europa. (Gideon Rachmann, Financial Times)

Ich lese in letzter Zeit immer häufiger die Idee, dass Liberalismus und Globalisierung vom Westen letztlich nur so lange verfolgt und für gut geheißen wurden, wie ist den eigenen Interessen diente und dass nun eine Rückkehr zu einer nationalstaatlichen und protektionistischeren Orientierung erfolge. Das Auffällige daran ist, dass diese Vorstellung sowohl nach links als auch nach rechts anschlussfähig ist, was für Liberale ziemlich besorgniserregend sein dürfte. Diese sind ohnehin noch nie eine Mehrheitsbewegung gewesen und gegenüber solche Arten eines politischen Sandwiches besonders verletzlich. Dazu kommt, dass die These, die Globalisierung und die WTO hätten zu die Industrialisierung des Westens entscheidend beigetragen, ja nicht einmal kontrovers ist. Die Liberalen hatten nur immer versprochen, dass durch sinkende Preise so große Wohlstandsgewinne entstehen würden, dass dies ein lohnenswerter Deal für alle Seiten sein würde (a rising tide lifts all boats and all that). Und das mag sogar stimmen! Schließlich ist der Lebensstandard unzweifelhaft gegenüber dem 20. Jahrhundert massiv angestiegen. Dieses Argument scheint allerdings immer weniger zu verfangen.

4) Die Wiedergänger

In Erfurt erinnert ein historischer Schriftzug an den Besuch des Bundeskanzlers Willy Brandt im Jahr 1973, als die Berliner Mauer noch stand. Menschen versammelten sich mutig vor dem Hotel, um für Brandt zu rufen, ein Symbol für Hoffnung, Fortschritt und Einheit in Zeiten der DDR. Heute scheint dieser demokratische Geist in Erfurt verblasst. Kürzlich stimmten die Abgeordneten von Union, FDP und AfD im Thüringer Landtag für eine Grundsteuersenkung, was als Zeichen der Zusammenarbeit mit der AfD gesehen wird. Dies führt zu Bedenken hinsichtlich der Demokratie und des Aufstiegs der AfD unter Björn Höcke, der enge Verbindungen zu rechten Ideologen wie Götz Kubitschek und Renaud Camus hat. Camus' Theorie des "Großen Austauschs" propagiert eine Verschwörung gegen weiße christliche Einheimische und dient als Rechtfertigung für rassistische Gewalttaten. Die Zusammenarbeit von CDU und FDP mit der AfD in Thüringen gefährdet die Grundprinzipien des Grundgesetzes und spaltet die politische Landschaft. Solche Entwicklungen bedrohen insbesondere Migranten, Minderheiten und alle, die nicht in das rechte Weltbild passen. Der Autor mahnt zur Wachsamkeit und warnt vor den Gefahren dieser rechten Bewegungen. (Nils Minkmar, Der Siebte Tag)

Die Kritik über den Tabubruch in Erfurt ist natürlich besonders im progressiven Spektrum sehr laut, zieht sich aber bis weit in die liberale Mitte hinein, während auf der demokratischen Rechten eher die Zustimmung dominiert. Ich bin bei dem spezifischen Fall etwas hin und hergerissen. Auf der einen Seite besitzt die Regierung im Parlament schlichtweg keine Mehrheit. Andernfalls wären all diese Probleme nicht gegeben. Das Tabu, jemals auf dieselbe Art wie die AfD abstimmen zu dürfen, ist daher transparent ein gewaltiger Vorteil für die Regierung Ramelow, die auf diese Art die CDU effektiv ausschalten kann. Hier keinen Umgang gefunden zu haben und auf Konfrontation zu setzen ist die Schuld der Regierung, die sich durchaus auch den Vorwurf gefallen lassen muss, für 2% Grunderwerbssteuer die Demokratie aufs Spiel zu setzen.

Gleichwohl schlägt dieser Vorwurf umso stärker auf die bürgerlichen Parteien zurück, die ausgerechnet diese Frage für einen solchen Tabubruch nutzen. Es ist wenig glaubwürdig, eine Zusammenarbeit mit der AfD bei solchen relativen Kleinigkeiten zu legitimieren und dann in größeren Fragen ablehnen zu wollen.

Ich bin mir unsicher, inwieweit Thüringen repräsentativ für die gesamte Problematik sein kann. Es zeigt sich in dem Bundesland aktuell, warum die Politik in Deutschland stets so skeptisch gegenüber Minderheitenregierungen war. Sie sind schlichtweg instabil und neigen zur Produktion solcher Krisen. Ich habe das selbst in der Vergangenheit deutlich unterschätzt.

Aktuell hadere ich auch mit meiner eigenen Einstellung zum Umgang mit der AfD. Mir scheint der Ansatz der Brandmauer und des Tabus letztlich gescheitert. Die Forderung zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung ist unter dem Gesichtspunkt zu begrüßen, als dass die Partei mit ihrem Forderungen im Programm ja massenhaft Angriffsfläche bietet. Ich bin allerdings auch skeptisch, dass eine solche Auseinandersetzung tatsächlich stattfinden und zu dem gewünschten Ergebnis führen würde. Vielmehr steht eine weitere Normalisierung der Zusammenarbeit und eine graduelle Zerstörung der Demokratie zu befürchten. Ich bin allerdings natürlich auch in dieser Sache kein neutraler Beobachter.

Weitere Links zum Artikel: Die Salonkolumnisten blasen in dasselbe Horn. Siehe zu historischen Analogien auch diesen Tweet. Bei der ZEIT gibt es auch was Gutes. Dito Tagesspiegel.

5) Wer mit Strauß und Adenauer wirbt, hat keine Idee von der Zukunft

Die CDU und CSU setzen im Wahlkampf auf die Vergangenheit, indem sie die Namen und Orte von Konrad Adenauer und Franz Josef Strauß verwenden. Dies wird als rückwärtsgewandt und peinlich kritisiert und spiegelt den aktuellen Zustand der Union wider. Die neue Corporate Identity der CDU mit den Farben Cadenabbia-Türkis und Rhöndorf-Blau wird als stilistischer Fehltritt angesehen. Die Wahlkampfstrategie offenbart, dass die CDU keine klare Vision für die Zukunft hat und sich auf vergangene Zeiten stützt. Dies wird als reaktionär betrachtet. Die CSU geht noch einen Schritt weiter, indem sie Franz Josef Strauß posthum in ihrem Wahlkampf einsetzt. Die Autorin argumentiert, dass die CDU und CSU in der aktuellen politischen Landschaft keine neue Politik bieten und von gestern sind. Sie fehlen an Ideen und frischer Aufgabe. Die Äußerungen eines CDU-Vertreters, der die AfD als Ziel hat, die Union zu zerstören, verdeutlichen die interne Problematik der Partei und ihre potenzielle Selbstzerstörung. Dies wird als konsequent, wenn auch traurig, bezeichnet. (Fréderic Schwilden, Welt)

Es ist generell auffällig, das nur die Union einen so stark vergangenheitszentrierten Wahlkampf betreibt. Es ist ja nicht so, als würden anderen Parteien Bezugspersonen fehlen. Die FDP hätte Theodor Heuss, Walter Scheel und Friedrich Genscher (oder sogar Guido Westerwelle), die Grünen können sich auf Joschka Fischer oder Petra Kelly berufen, die SPD kann immer Helmut Schmidt oder Willy Brandt ausgraben. Aber bei keiner dieser Parteien passiert das. Ich denke daher, dass die These Schwildens, dies hänge mit einer generellen Ideenlosigkeit bei der Union zusammen, durchaus tragfähig ist. Ich habe einen ähnlichen Gedanken ja seinerzeit im Wahlkampf mit meinen drei neuen Parteipaarungen formuliert und sehe bislang wenig Grund, diese Analyse zu revidieren.

Resterampe

a) Spannende Rezension zu einem neuen Sammelband zu Queer Studies in der FAZ.

b) Hohle Phrasen, Bildungs-Edition.

c) Spannender Artikel über die Geschichte der IQ-Obsession.

d) Porträt der Politikbeziehung Spahn-Wüst.

e) Gauck ist völlig lost.

f) Interessante Rezension des Liberalismus-Buchs von Elif Özmen.

g) Eine der weniger überraschenden Folgen der EZB-Politik ist ein deutlicher Einbruch bei den ohnehin nicht berauschenden Wohnungsbauzahlen.

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