oder: Warum ich mit Herrn Spahn sprechen möchte!

Seit der ersten Maiwoche schreibe ich täglich an Herrn Spahn - über twitter, per Mail, als getaggte Druko oder Kommentar auf Facebook.

Ich habe (noch) keine Antwort – nicht mal eine Eingangsbestätigung. In der Bevölkerung sieht das anders aus. Ich werde unterstützt durch Retweets, man macht mir Mut, nicht aufzugeben, man sagt „du sprichst für uns mit“, man fordert auf, mich zu unterstützen, man schreibt selbst Herrn Spahn an/taggt ihn, um auf mein Anliegen aufmerksam zu machen.

Ich werde aber auch beschimpft, belächelt, mit zynischen, beleidigenden Kommentaren bedacht. Wie kann ich mir als Bürgerin nur einbilden, mit einem Bundesminister sprechen zu wollen. Und es werden jede Menge seltsame Gründe angeführt, warum ich für Herrn Spahn irrelevant sei.

Soweit die Situation nach 14 Tagen.

Die Nicht-Reaktion des Bundesgesundheitsministers einerseits und die großflächige Reaktion von Lesern aus der Bevölkerung andererseits, lösen in mir einen Reflexionsprozess aus.

Warum will ich das eigentlich?

Warum schreibe ich Tag für Tag einen unserer höchstrangigen Bundesminister an? Ist nicht von Vornherein zu erwarten, dass mein Anliegen wenn überhaupt, mit einem kleinen müden Lächeln zu den Akten gelegt wird? Wo kämen wir hin, wenn der Herr Minister sich mit 83 Millionen Menschen treffen, mit ihnen sprechen, einem Streitgespräch oder einem Interview zustimmen würde. 83 Millionen. Abzüglich der Kinder. Warum also bilde ich mir ein, auch nur den Hauch einer Chance zu haben, wirklich zu einem Termin in Berlin eingeladen zu werden, sein Gehör – oder sogar sein Verständnis zu finden?

Nun, schauen wir auf die Situation. Wir erleben seit mehr als einem Jahr eine epochale Situation mit Folgen noch ungeahnten Ausmaßes auf Menschen, Gesellschaft, Wirtschaft. Wir erleben eine Pandemie, die den ganzen Globus in Schach hält, die allein in Deutschland bis heute fast 90.000 Tote gefordert hat und eine besorgniserregend steigende Zahl von Langzeiterkrankten hervorbringt. Die Betroffenheit von Kindern ist lange nicht in den Fokus gerückt worden, Studienanfragen zur Infektionsgefahr von Kindern wurden abgelehnt, Narrative gebildet wie in keinem anderen gesellschaftlichen Bereich, Kinder lange zu wenig beachtet. Aber die Realität einer Pandemie für die junge Generation  lässt sich nicht dauerhaft unter Verschluss halten. Es entstehen doch Erkenntnisse, Hypothesen, wissenschaftliche Studien, es entstehen Infektionen, Übertragungen, Erkrankungen… Todesfälle.

Wissenschaft ist international vernetzt und nicht in allen Ländern dieser Erde ging man so narrativ mit Kindern und Schulen um wie bei uns. So bestand zumindest mit Eigeninitiative in der Bevölkerung die Möglichkeit, an Informationen abseits der medial transportierten Narrative zu gelangen. Der "Kampf" um die Deutungshoheit der Rolle von Kindern in der Pandemie durchzog alle Bereiche: in der Wissenschaft diskreditierten sich Kolleg:innen, wer Kindern eine "Rolle" zuschrieb (oder sie gar belegen konnte), wurde sofort mit "Gegenmeinungen" und Schmähung übezogen. In den Medien, in der Politik, in der Gesellschaft geschah dies noch offensiver. Aber selbst heute, mit besseren wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem zunehmenden Eingeständnis, dass wir die Pandemie nicht bewältigen können, wenn wir die Kinder außen vor lassen oder sie der Durchseuchung ausliefern, fällt es uns in Deutschland immer noch schwer, die Rolle von Kindern in der Pandemie angemessen und sachlich zu betrachten. Die Narrative verändern sich, hinken der Realität etwas hinterher. Ich beobachte das am Beispiel der „sicheren Schulen“: von „die Schulen sind sicher“ über „sie sind keine relevanten Infektionsorte“ bis zu „Kinder nehmen am Infektionsgeschehen teil, aber...“ verändern sich die politischen Platzierungen, immer wieder phasenweise zurückfallend.

Die zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu treffenden Maßnahmen stehen im Konflikt zu diesen Narrativen. Wenn wir Luftfilter in den Schulen aufstellen, können Schulen doch nicht so „sicher“ sein. Wenn Schüler:innen Masken tragen sollen, kann es doch nicht stimmen, dass Kinder das Virus nicht oder nur vernachlässigbar übertragen.

Das alles hat Eltern seit Beginn der Pandemie in schwere Verunsicherung gestürzt. Es oblag ihnen fast komplett selbst, angemessen politikferne, wissenschaftlich fundierte und dem eigenen Informations- und Schutzbedürfnis entsprechende Informationen zu erlangen. Eltern von 11 Millionen Kindern und Jugendlichen sind für die Politik und die Wirtschaft ein nicht zu vernachlässigender Machtfaktor. So ist es nicht verwunderlich, dass viele mit scheinbarer Expertise und Prominenz in der Öffentlichkeit ihre Sichtweise als gewichtige Information darstellen und die Meinung der Eltern beeinflussen wollen.

Die Krise zu bewältigen, ist Aufgabe der Politik. Den Erfolg getroffener Maßnahmen zu sichern, ist (Verhaltens-)Aufgabe der Bevölkerung. Politik diskutiert, wägt ab, entscheidet. Und sie entscheidet – aus Sicht einer jeweiligen Bevölkerungsperspektive – immer falsch. Politik ist schon immer das Spiel darum, es nie allen Recht machen zu können, den eigenen Wahlerfolg dennoch nicht zu gefährden und zu den notwendig anstehenden Problemen eine Lösung zu erarbeiten.

In der Pandemie erfährt dieser Prozess eine Dynamisierung, die wir so noch nicht kannten. Jeder Tag ist geeignet, eine neue Entscheidung zu produzieren, die unmittelbar auf die Bevölkerung wirkt. Und zwar auf ALLE, mehr als je in unserem Alltagsleben sonst. Im Allgemeinen funktioniert das in unserem ausbalancierten demokratischen System gut. Nicht mit allen Entscheidungen sind alle immer einverstanden, Demokratie lebt auch von der Kontroverse und dem Ringen um die beste Lösung. Letztlich aber trägt die Bevölkerung im Grunde Entscheidungen mit oder duldet sie zumindest. Dafür ist Kommunikation ein wichtiger Informationsträger – in der Pandemie mehr denn je in beide Richtungen. Politiker müssen sagen, welche Entscheidungen sie getroffen haben und welches Ziel sie verfolgen, die Bevölkerung muss aussprechen, was ihr wichtig ist und was sie braucht. Beides in Einklang zu bringen, ist eine der größten Herausforderungen, v.a. wenn der dritte Faktor „Virus“ heißt, dessen hervorstechendste Eigenschaft es ist, niemals zu verhandeln und jede sich bietende Gelegenheit ohne Zögern zu nutzen, um sich zu verbreiten, sich zu verändern und die Grenzen, die man ihm versucht zu setzen, auszuhebeln.

Eindämmende Maßnahmen müssen einsichtig sein – das ist Kommunikation mit der Bevölkerung. Eine Strategie muss ein Ziel aufzeigen – das ist Kommunikation mit der Bevölkerung. Das Leben der Menschen auch in der Pandemie zu beachten und zu schützen – das ist Kommunikation mit der Bevölkerung.

Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Politiker sprechen – die Bevölkerung hört zu. Und umgekehrt? Die Bevölkerung spricht – der Politiker hört zu?

Diese Richtung der Kommunikation funktioniert meist über Interessensvertretungen, Verbände, Gewerkschaften, Initiative, Vereine, Umfragen… hier werden Meinungen und Sichtweisen der Bevölkerung erfasst und gebündelt. Und oft gefiltert, um den verbandlichen Einfluss einzusetzen, dem Ziel des eigenen Interesses näher zu kommen. Ein offensichtliches Beispiel ist der Verband der Kinder- und Jugendärzte, deren Stellungnahmen zu „Kinder und SARS-Cov-2“ zu großem Widerspruch bei vielen Kinderärzten geführt haben. Eine Stimme in der Öffentlichkeit und einen Platz bei einem Politikergespräch haben aber nicht die Kinderärzt:innen, die tagtäglich bspw. mit LongCovid-Symptomatiken zu tun haben, sondern die Verbandsführenden, die eine Mischung aus medizinischer Expertise und politischer Agenda transportieren.

Diese interessengeleiteten Zusammenschlüsse sind m.E. nur bedingt geeignet, der notwendigen Kommunikation zwischen Bevölkerung und Politik Genüge zu tun.

Dafür bedarf es mehr und Politiker sind immer wieder bereit, mit Bürger:innen zu sprechen. Auf Wahlkampfveranstaltungen, Hearings, am Werbestand in der Stadt, auf Demonstrationen, im Radio, im Fernsehen, in Podcasts und Internetformaten. Dankenswerterweise stellen sich Politiker dem und sie wissen, dass sie diese bevölkerungsnahe Kommunikation brauchen, um Vertrauen und letztlich Wähler:innen zu gewinnen. Die Bevölkerung braucht diese Kommunikation, um das Gefühl der Mitsprache zu haben, das Gefühl gehört und wahrgenommen zu werden von denen, die ihre Geschicke leiten. Mir geht es auch so, ich bemühe mich aus dem Bedürfnis des Gehört-werden-wollens um einen Gesprächstermin und ich habe von vielen anderen Menschen das Bedürfnis des Gehört-werden-wollens mit im Gepäck. Herr Spahn stellte sich auf Demonstrationen der Meinung der Demonstrierenden. Er sprach mit Kai Lanz. Er lud Ricardo Lange ein. Er spricht also mit der Bevölkerung...

Wie kommt man nun zu der Gelegenheit, in Ruhe mit einem Politiker zu sprechen?

„Sich selbst bemerkbar machen (...) sich melden... immer mal“ - das sagte Jens Spahn zu Kai Lanz von krisenchat.de, als dieser in einem bemerkenswerten Gespräch auf insta live seinen Eindruck äußerte, dass junge Menschen von der Politik nicht genug wahrgenommen werden. Gerade für den Bereich Schule würde mehr über als mit den Schülerinnen und Schülern gesprochen.

Sich melden… immer mal… diesen Rat befolge ich, ohne dass ich Herrn Spahns Rat schon kannte. Auch Eltern haben letztlich das Gefühl, dass mehr über sie als mit ihnen gesprochen wird – das wird auch nicht gemildert durch die emotional aufgeheizten Diskussionen verschiedener Gruppen, Initiativen und Verbände, die im Disput mit Politikern liegen, bei denen aber immer auch eine Agenda mitschwingt, die selbst politisch ist und nicht die Meinung der Bevölkerung, ihr alltägliches Erleben und ihre Bedürfnisse abbildet.

Sich melden… immer mal… Also scheine ich ja alles richtig zu machen. Ich melde mich – immer wieder. Per twitter, per Mail, auf Facebook… Und so denke ich, dass meine Chancen steigen. Es ist vielleicht doch nicht so abwegig, mit einem Bundesminister ins Gespräch zu kommen. Ich werde mich weiter melden Herr @jensspahn. Immer mal… und warte auf Ihr Angebot.

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