… und er nutzt die Corona-Krise, um weiter vorangetrieben zu werden. Das wird leider immer offensichtlicher, wenn man sich die immer dreisteren Ansinnen von Rechten und Konservativen aus Politik und Wirtschaft so anschaut.
Dabei ist das kein ganz neues Phänomen als Reaktion auf die Corona-Pandemie, sondern diese wird vielmehr als Legitimation zu verwenden gesucht, um die eigene rückwärtsgewandte Agenda voranzubringen. Schon Ende 2018 wurde von Alexander Dobrindt und anderen Rechten aus Politik und Wirtschaft eine „konservative Revolution“ gefordert – was eigentlich schon vom Begriff her reichlich grotesk ist, denn „Restauration“ wäre hier wohl wesentlich angebrachter als „Revolution“. Aber das klingt dann eben nicht so gut …
Und auch da war die Tendenz zu mehr Konservativismus schon länger absehbar und vorhanden. Dies konnte man beispielsweise am Rechtsruck und dem Aufkommen der AfD bemerken, was ja zugleich auch dazu führte, dass ewiggestrige Äußerungen, für die man sich vor 20, 30 Jahren noch geschämt hätte, auf einmal wieder unsanktioniert ausgesprochen werden konnten: „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“
Doch nicht nur die Sprache, sondern auch das Denken und Verhalten wurde rückschrittlicher, beispielsweise was Frauenfeindlichkeit angeht, die hemmungslos gerade auch in sozialen Medien geäußert wurde. Laura Penny hat über ihre diesbezüglichen Erfahrungen im Juli 2018 einen interessanten Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik geschrieben (leider nur gegen Bezahlung lesbar). Und auch ein Vorfall von sexueller Belästigung beim eigentlich ja doch als sehr weltoffen geltenden FC St. Pauli (der in einem Gastbeitrag des Blogs Magischer FC geschildert wird – ebenfalls vom Juli 2018) zeigt, dass es nicht nur beim verbalen Rumgeprolle gegen Frauen bleibt, sondern durchaus auch handfest werden kann. Und dass solche Vorfälle eben nicht die Ächtung erfahren, die sie eigentlich als Reaktion bekommen sollten.
Weitere Beispiele gefällig? Das Aufkommen von Patriotismus als Massenphänomen seit 2005/2006 deutet auch in diese Richtung, denn Patriotismus ist ja generell eine eher konservative Sache, die dann sogar schnell in Nationalismus abgleiten kann, der wiederum eine große Nähe zum Rechtsextremismus hat. Wenn dann noch hinzukommt, dass in der Medienlandschaft ein zunehmender Rechtsruck zu beobachten ist (den Georg Seeßlen in einem Artikel im neuen deutschland Ende 2018 ausführlich schildert), und zwar aufgrund sowohl des Aufkommens neuer rechtskonservativer Medien als auch einer Präsenz von rechten Politikern und Stimmungsmachern in sogenannten bürgerlichen Medien, dann ergibt sich da schon ein gesellschaftlicher Trend, der Progressives zur Außenseiterposition werden lässt und Konservativ-Reaktionäres einen Anstrich von Normalität verleiht.
Das ist allerdings auch wenig überraschend, denn Albrecht Müller beschrieb schon 2009 in seinem Buch „Meinungsmache“ die Entpolitisierung des Fernsehprogramms und auch vieler anderer Medien. Dazu muss man sich nur mal vor Augen halten, wie groß mittlerweile der Anteil von Promi-News, Event-Sport und selbst Absonderlichkeiten wie Dschungelcamp und Castinshows in der deutschen Presselandschaft geworden ist. Da bleibt dann eben weniger Platz für Politisches, das zudem im Fernsehen dann oft in verkürzter Form auf spätere Sendeplätze verschoben wird. Und unpolitische (oder entpolitisierte) Menschen tendieren nun mal eher zu konservativen Sichtweisen.
Doch auch in alltäglichen Dingen lässt sich schon seit Längerem eine Zunahme von Konservativismus beobachten. Wenn ich nur daran denke, wie zu meiner Jugendzeit in den 80er-Jahren Mülltrennung eine Selbstverständlichkeit wurde, weil eben auch viele junge Menschen das mit ihren Eltern ausdiskutierten (also durchaus ein Politikum), und mir dann anschaue, wie das mitunter heutzutage läuft … In dem Haus, in dem ich noch bis vor gut einem Jahr in St. Pauli gelebt habe, waren wir die Einzigen, die nicht alles (Papier, Glas, alte Möbel, Elektroschrott …) einfach in die Hausmülltonnen gekloppt haben, und die anderen Mitbewohner im Haus waren alle (zum Teil deutlich) jünger als wir. Übrigens kein Phänomen, was sich auf unser Haus beschränkte, sondern im ganzen Stadtteil zu beobachten war. Da war man gut 30 Jahre zuvor schon mal deutlich weiter.
Passend dazu auch, dass die Populärmusikkultur deutlich konservativer geworden ist. Wirklich schräges und abgefahrenes Zeug findet sich nur noch in Nischen, das, was einem im Radio und Fernsehen präsentiert wird (und dementsprechend auch die musikalische Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen prägt), ist reichlich konservativer Kram, der bis auf den aktuell omnipräsenten Einsatz von überzogenem Autotune seit 25 Jahren eigentlich kaum noch eine Entwicklung durchgemacht hat. Und die Konfrontierung mit ständig stereotyper Kultur bewirkt natürlich auch nicht eben die Ausbildung von progressiven Denkweisen und Ansichten.
Passend dazu, dass viele meiner Freunde, die selbst Kinder im Teenageralter haben, mir immer wieder berichten, wie langweilig ihre Kids eigentlich seien, da sie nur noch vor dem Rechner, Tablet oder Smartphone hingen. Für mich kein Wunder, denn ich dachte schon bei Julia Engelmanns Beitrag zum Hörsaal-Slam von 2013, der ziemlich steil in den sozialen Medien ging: „Boah, was erzählt die denn da, was nun so spannend und abgefahren sein soll? Das war bei mir und meinen Freunden in dem Alter das Normalste der Welt.“ Aber immerhin hat sie damit die konservative Schlafmützigkeit weiter Teile ihrer Generation mal gut auf den Punkt gebracht, wie ich finde.
Und jetzt droht diese Entwicklung aufgrund der Corona-Pandemie, der damit zusammenhängenden Eindämmungsmaßnahmen und der daraus resultierenden Wirtschaftskrise noch mal einen richtigen Push zu bekommen, und das wir auch von rechtskonservativen Kreisen ganz offen so ausgesprochen.
So finden sich in einem Artikel der Frankfurter Rundschau folgenden Forderungen von Wirtschaftspolitikern der CDU/CSU:
Wegen der Corona-Krise fordern Wirtschaftspolitiker der Union im Bundestag, den Mindestlohn in Deutschland abzusenken oder zumindest eine Erhöhung im kommenden Jahr auszusetzen. Diese Empfehlung an die Mindestlohnkommission findet sich in einem „Wachstumsprogramm für Deutschland“ der AG Wirtschaft und Energie. Der gesetzlicheMindestlohn wurde zuletzt im Januar auf aktuell 9,35 Euro erhöht.
Weiter schwebt den CDU/CSU-Politikern vor, das Arbeitszeitgesetz zu ändern. „Generell sollte an die Stelle einer täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden treten, die in tarifgebundenen wie in tarifungebundenen Unternehmen gilt“, heißt es in dem Papier. Die in der Corona-Krise für systemrelevante Branchen ermöglichten Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz sollten „sofort auf alle kleineren und mittleren Unternehmen ausgeweitet werden“.
Die Wirtschaftspolitiker verlangen auch, die Beiträge zur Sozialversicherung, also die Lohnnebenkosten, „verbindlich und langfristig“ auf maximal 40 Prozent zu deckeln. Steigende Ausgaben und fehlende Einnahmen müssten durch Einsparungen ausgeglichen werden, insbesondere versicherungsfremder Leistungen. Außerdem verlangt die AG, dass die Abschaffung des Solidaritätszuschlags auf den 1. Juli vorgezogen wird und vollständig gelten soll.
Klar, die Umverteilung von unten nach oben ist ja schon immer ein Lieblingsthema und -projekt der Konservativen gewesen, aber zumindest haben sie es bisher meistens noch ein bisschen verklärend formuliert. Hier wird nun offen die Abschaffung von etlichen Errungenschaften der Arbeitnehmerschaft aus den letzten Jahrzehnten gefordert. Was kommt als Nächstes? Die Rückkehr zum Manchesterkapitalismus?
Und in einem Artikel von LobbyControl wird die Forderung nach einem „Belastungsmoratorium“ vonseiten der konservativer Wirtschaftsverbände und rechter Politiker wie Friedrich Merz thematisiert. Darunter wird nichts anderes verstanden, als dass alles, was Unternehmen daran hindert, auf Kosten von Mensch und Umwelt hemmungslos Profite zu scheffeln, erst mal ausgesetzt werden soll – also, wegen Corona und so, damit die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Umweltschutz? Klimaschutz? Menschenrechte in Lieferketten? Tierwohl? Alles egal, weg damit – das ist nicht nur konservativ, das ist schon zutiefst reaktionär.
Und auch LobbyControl stellt im oben verlinkten Artikel fest:
Ein kurzer Blick auf die letzten Jahre verdeutlicht, dass die Forderung nach einem „Belastungsmoratorium“ geradezu ein Dauerbrenner in der Lobbyszene ist. Etwa wie die Drohung mit Produktionsverlagerungen ins Ausland und Abbau von Arbeitsplätzen.
Ein „Belastungsmoratorium ist daher das Gebot der Stunde“, forderte beispielsweise die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände BDA bereits im Juni 2019. Anderes Beispiel: Im Frühjahr 2015 war es erneut der BDA, der gemeinsam mit dem BDI, dem Handwerks-Lobbyverband ZDH sowie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag DIHK ein Belastungsmoratorium forderte. Damals sprang ihnen FDP-Chef Christian Lindner bei.
Es handelt sich also auch hier um keine neue Entwicklung, sondern einen schon länger andauernden Prozess, dessen Protagonisten nun die Corona-Krise gnadenlos in ihrem Interesse zu nutzen suchen.
Vor Kurzem las ich einen Artikel von Johanna Montanari, in dem sie sich Sorgen machte, dass nun feministische und Gleichstellungserrungenschaften der letzten Jahre im Zuge der Corona-Restauration unter die Räder kommen könnten. Diese Sorgen scheinen mir mehr als berechtigt, wenn man sich anschaut, wie derzeit die rechtskonservativen Kräfte mobil machen mit ihren rückschrittlichen Forderungen. Denn sollte Derartiges tatsächlich umgesetzt werden, schlägt sich das ja auch auf den generellen Zeitgeist nieder, sodass eine umfassende Hinwendung zu reaktionärem Denken zu erwarten ist.
Und auch hier kommt eine aktuelle Entwicklung im kulturellen Bereich den Rückschrittlichen sehr gelegen bzw. wird m. E. sogar von ihnen forciert: Die Corona-Maßnahmen treffen in besonders starkem Maße die Kulturschaffenden im Land, die nicht zu den ohnehin staatlich geförderten Künstlern oder Betrieben gehören. In der Musikzeitschrift eclipsed las ich gerade einen interessanten Artikel (leider nur in der Printausgabe vorhanden), in dem mit einigen Betroffenen über die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen gesprochen wurde: Veranstalter von Konszerten und Festivals, Betreiber von Clubs und Plattenlabels, Musiker … Und bei vielen waren deutliche Existenzängste zu spüren, was auch kein Wunder ist, wenn man bedenkt, dass die Verbände der deutschen Musikwirtschaft bei einer sechsmonatigen Dauer der Maßnahmen von etwa 5,5 Milliarden Euro Umsatzeinbußen ausgehen.
Das betrifft dann vor allem die eher progressiven, undergroundigen Bereiche der Musikszene, die eben kein Radio-Airplay und keine Fernsehpräsenz haben. Hier droht eine kulturelle Verarmung, von der in erster Linie die konservative Mainstream-Kultur profitieren dürften, da deren Akteure eben schlichtweg einen längeren Atem aufgrund größere Rücklagen haben, um diese Zeit einigermaßen schadlos zu überstehen.
Tobias Mann und Christoph Sieber habe in ihrer Sendung vom letzten Monat zu dem Thema einen sehr gelungenen Beitrag gemacht, der zeigt, dass die Kulturschaffenden nicht nur inhaltlich, sondern auch wirtschaftlich ein sehr relevanter Teil unserer Gesellschaft sind. Rettungsmilliarden gibt es dennoch dann lieber für ewiggestrige Konzerne wie die Lufthansa oder die Automobilindustrie …
Ich hab mich ja in den letzten Wochen in einigen Artikeln (s. hier, hier, hier und hier) zu den Auswirkungen und Profiteuren des „Krisenmanagements“ unserer Regierung geäußert und dabei festgestellt, dass vor allem die „Weiter so“-Fraktion gestärkt aus dieser Krise hervorgehen wird. Das muss ich jetzt dahin gehend noch ein wenig ergänzen, dass die reaktionären Kräfte gerade in jeder Beziehung deutlich zulegen und ihre Anliegen durchzuboxen gedenken. Womit sie, so meine Befürchtung, auch bei den verantwortlichen Politikern auf allzu offene Ohren stoßen werden.
Der reaktionäre Backlash nimmt also gerade richtig Fahrt auf – und genau das ist es, was wir aufgrund der nach wie vor drohenden Klimakatastrophe nun als Allerletztes gebrauchen können.
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