Die nordfriesische Insel Sylt ist seit langer Zeit ein Symbol für Luxus, Extravaganz und „geschlossene Gesellschaft“. Schenkt man den politischen und medialen Granden der Republik Glauben, ist diese Bedeutung im kollektiven Bewusstsein der Nation unlängst um eine weitere Dimension ergänzt worden. Vor kurzem tauchte ein Video in den sozialen Medien auf, das junge Menschen im Kampener Szenelokal „Pony“ dabei zeigte, wie sie den ausländerfeindlichen Sprechchor „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ zu Gigi D’Agostinos „L’Amour toujours“ anstimmten. Der Vorfall stieß dabei nicht nur auf berechtigte Empörung, sondern rief befremdliche Stilblüten in Politik und Gesellschaft hervor und ist letztlich zu einer Art „Staatskrise“ hochstilisiert worden. Die soziale Existenz mehrerer junger Menschen ist dabei mutwillig und geradezu lustvoll ruiniert worden. Die Reaktionen im Nachgang sind bisweilen an Absurdität nicht zu überbieten und stellen im Lichte des gesellschaftlich-politischen Klimas der Bundesrepublik einen Offenbarungseid ihrer Protagonisten dar.
Die Lust an der Zerstörung
Die Uminterpretation des nostalgischen Partyhits aus den 1990er-Jahren ist freilich nicht neu. Bekannt geworden ist sie bereits vergangenes Jahr, als eine ähnliche Videoaufnahme von einem Erntefest in der vorpommerschen Provinz die Runde machte. Als aber das Sylter Video publik wurde, ließ die Empörung nicht lang auf sich warten. Nicht nur die großen Medienhäuser sprangen in einer atemberaubenden Geschwindigkeit auf den Zug auf, sondern auch eine unüberschaubare Menge aufmerksamkeitshungriger Spitzenpolitiker. Jeder wollte seine Erschütterung und Verurteilung zum Ausdruck bringen. Mit maoistischer Inbrunst sind die Namen der Beteiligten recherchiert und anschließend publiziert worden. Die soziale Existenz nicht weniger junger Menschen ist gezielt und mit fast frivoler Ekstase innerhalb weniger Tage zerstört worden. Aus dem Familien- und Bekanntenkreis der Beteiligten ist sogar von Bedrohungen berichtet worden. Die Personen im Video wurden kurzerhand zu Neonazis erklärt. Ist der intonierte Sprechchor geschmacklos? Ohne jeden Zweifel. Teilen die Beteiligten rechtsextremes Gedankengut oder tüfteln gar einen diabolischen „Masterplan“ einer ethnischen Säuberung aus? Nein.
Wer so etwas allen Ernstes behauptet, versteht die (eigentlich allgemeinkundige) Wirkung von Ethanol und vor allem die Dynamiken einer internetinduzierten „Memekultur“ nicht. Und überhaupt: Es gibt Menschen, die in jungen Jahren wesentlich Schlimmeres verbrochen und es später sogar zu Spitzenpolitikern gebracht haben. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein“ (Joh 8, 7). Eine Dummheit im Schatten übermäßigen Alkoholgenusses wird absichtlich genutzt, um sich eine Legende vom „reichen Rechtsextremen“ zu konstruieren. Angeknüpft wird dabei an die in Deutschland weit verbreitete und sich in Vorbehalten gegenüber den gut Betuchten artikulierenden Neidkultur. Wenn in der FAZ mittlerweile darüber philosophiert wird, ob man sich einen Pullover noch über die Schulter werfen darf, sollten derlei Überlegungen doch normalerweise von jedermann mit Kopfschütteln quittiert werden. Normalerweise. Aber normal ist in Deutschland schon lange kaum noch etwas. Die Art und Weise, wie die öffentliche (wohl eher: die medial kolportierte) Meinung über die Gefilmten herfiel, ist befremdlich. Der Vorfall wird zum Anlass genommen, das seit jeher genährte Narrativ von „Alltagsrassismus“ und angeblich omnipräsenter Ausländerfeindlichkeit in Deutschland weiter zu befeuern. Rechthaberei kann durchaus imponierende Wirkung entfalten. Dies aber nur unter der Voraussetzung, dass die eigenen Behauptungen überhaupt der Realität entsprechen. In der ZEIT spricht man nun sogar von einer „Heimsuchung“. Die deutsche Gesellschaft ist eben der leibhaftige Satan und als Herrscher der Unterwelt allgemein für alles Unheil auf dem Planeten verantwortlich. Und die Reichen spielen im herbeiphantasierten Orchester des Bösen nun auch einmal wieder die erste Geige. Die quasi-religiösen Glaubenssätze müssen täglich bekräftigt, die kollektiven Reinigungsrituale mit aller Akribie durchgeführt werden. Sylt war dafür ein gefundenes Fressen.
Dabei haben die in den vergangenen Wochen allgegenwärtigen Empörungsbekundungen im Stile einer Gebetsmühle nicht einmal ihr Ziel erreicht. Die Verfremdung der eingängigen Diskomelodie ist augenscheinlich eben nicht verpönt, sondern das Gegenteil ist eingetreten. Der Song ist schnurstracks in den oberen Teil der deutschen Ranglisten einschlägiger Musikstreamingdienste aufgestiegen. Vielleicht offenbart gerade das – ähnlich wie hohe Umfragewerte für die AfD unter Jungwählern – keineswegs ein unbekanntes Problem des bundesdeutschen Gegenwartsdiskurses: Überzogene Moralisierung und ideologisierte Dauer-Empörung rufen Gegenwind hervor. Es entsteht eine provokante Protestkultur, die sich bewusst gegen den als übergriffig empfundenen Zeitgeist wendet. Und das ist für die Jugend nicht untypisch. Das heißt auch nicht, dass junge Menschen in Deutschland schlagartig zu springerstiefeltragenden Neonazis mutiert sind. Getragen ist dieser Trend nicht von ideologischer Überzeugung, sondern von adoleszentem Protest. Derlei soziokulturelle Entwicklungen haben sich die selbsternannten Eliten der Republik höchstselbst zuzuschreiben. Wer seine politische Agenda mit missionarischem Eifer und ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen will, Kritik an ihr nicht zulässt und so den Kontakt zur Normalbevölkerung verliert, riskiert den sozialen Frieden. Deutschland besteht nicht nur aus den Berliner, Kölner oder Hamburger Innenbezirken.
Volksverhetzung! Oder doch nicht?
Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft Flensburg. Der vorläufige Gipfel der Skurrilität war in diesem Zusammenhang erreicht, als Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei einer Feier zum 75-jährigen Geburtstag des Grundgesetzes implizit die Höchststrafe (§ 130 Abs. 1 StGB: fünf Jahre) für die Beteiligten forderte. Nur zur Information: Bas bekleidet das nach dem Inlandsprotokoll der Bundesregierung zweithöchste Staatsamt. Zwar betonte die parlamentarische Grande Dame sogleich, eine etwaige Verurteilung sei natürlich Sache der Gerichte. Dieser Kommentar stellt nicht nur die völlige Unkenntnis der einschlägigen strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Grundlagen unter Beweis, sondern offenbart auch eine latente Respektlosigkeit vor dem Grundsatz der Gewaltenteilung, immerhin einem Fundamentalsatz der Verfassung. Die vielzitierte „Würde des Hauses“ spielt im Kreuzfeuer verfassungsfeindlicher Parité-Forderungen und der vergangenes Jahr veröffentlichten offiziellen Ablichtung der Bundestagsverwaltung mit nackten CSD-Teilnehmern schon längst keine Rolle mehr. Haftstrafen sind im vorliegenden Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Nach bisherigem Sachstand müssen die präsumtiven Täter allenfalls mit Geldstrafen rechnen, auch eine Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage (§ 153a Abs. 1 Nr. 2 StPO) schein nicht unwahrscheinlich.
Die Kommentatoren aus Politik, Gesellschaft und Medien schienen sich schnell einig zu sein, dass das Video den Straftatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllt. Dies mag indes unter Verweis auf einen Kammerbeschluss des BVerfG aus dem Jahr 2010 (NJW 2010, 2193 [2195 Rn. 28]) bezweifelt werden. Das Gericht ging seinerzeit davon aus, die Parole „Ausländer-Rückführung – Für ein lebenswertes deutsches Augsburg“ lasse sich nicht pauschal unter den Tatbestand subsumieren, sondern lediglich unter Hinzutreten weiterer Begleitumstände. Deren Vorliegen kann aber wohl kaum auf Grundlage eines zehnsekündigen Videoausschnitts unterstellt und schon gar nicht durch laienhaft-aktionistische Bestrafungserwartungen in der Öffentlichkeit substituiert werden. Die vollständige Ermittlung des Sachverhalts und dessen rechtliche Würdigung liegt nun vorerst bei den Strafverfolgungsbehörden.
Fundgrube für die Juristerei
Aber auch über die diskursive Kernfrage einer Strafbarkeit und der möglichen Sanktionierung werfen die Vorkommnisse eine ganze Fülle rechtlicher Probleme auf, derer sich wohl nunmehr nicht nur das Schrifttum, sondern auch die Gerichte annehmen dürften. Rasch hat sich im Kontext der Berichterstattung mitunter die Praxis etabliert, die Beteiligten im Videoausschnitt nicht unkenntlich zu machen. Diese sind deshalb schnell identifiziert worden, ebenfalls folgte die Veröffentlichung ihrer Namen. Daran beteiligten sich nicht nur anonyme Internetnutzer, sondern sogar der SPD-Politiker Torsten Liebig, der den Namen der im Video zu sehenden jungen Frau auf seinem Instagram-Profil teilte. Die Zulässigkeit einer solchen identifizierenden Berichterstattung seitens der Medien befindet sich jedoch auf dünnem Eis. Eine Einwilligung (§ 22 KUG) liegt wohl ausschließlich in die Verbreitung im kleinen Personenkreis vor. Ob es sich bei dem Vorgang aber um ein zeitgeschichtliches Ereignis (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) handelt, ist ebenso fraglich. Im Angesicht der enormen Prangerwirkung ist zudem ein Rekurs auf die Rückausnahme des § 23 Abs. 2 KUG naheliegend. Überdies ist eben unklar, ob sich die Beteiligten überhaupt strafbar gemacht haben. Zwar wird das öffentliche Interesse an einem zeitgeschichtlich relevanten Vorkommnis geschützt, hiervon ist aber nicht das Interesse an Vergeltung oder das Bedürfnis nach „Konsequenzen“ erfasst. Die Sanktionierung sozial missbilligten Verhaltens ist Aufgabe des Strafrechts. Die Berichterstattung kommt vor diesem Hintergrund einer unzulässigen Vorverurteilung gleich. Jedenfalls eine Verpixelung der Gesichter scheint in Ansehung der Persönlichkeitsrechte in jedem Fall unausweichlich. Die beteiligten Pressehäuser sehen sich also wahrscheinlich schon bald mit presserechtlichen und zivilgerichtlichen Sanktionen konfrontiert. Die Veröffentlichung der Namen wiederum ist in jedem Falle unzulässig und sogar strafbar (§ 126a StGB), denn die Gefahr von Straftaten ist durchaus realistisch und von den Verantwortlichen für das „Doxxing“ wahrscheinlich sogar beabsichtigt.
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Auch die fristlosen Kündigungen mehrerer im Video zu sehenden Personen dürften in naher Zukunft die Arbeitsgerichte beschäftigen. Gegen die eingangs erwähnte junge Frau ist seitens ihrer Hochschule sogar ein Hausverbot ergangen. Derartige Schritten dürften zweifelsfrei rechtswidrig sein, ist doch eine auf Tatsachen gestützte, nachvollziehbare Gefahrenprognose offenbar gänzlich ausgeblieben. Es ging einzig um eine Pönalisierung des missbilligten Verhaltens einer Studentin. Eine Bestrafung im verwaltungsrechtlichen Gewand ist indes offenkundig unstatthaft, denn es geht im ordnungsrechtlichen Kontext nicht um Repression, sondern um Prävention. Zahllose gesellschaftliche Akteure haben bereits die Untersagung des Songs angekündigt, so zuletzt etwa die UEFA im Hinblick auf die kommende Woche beginnende Fußball-Europameisterschaft in Deutschland. Ob behördliche Verbote rechtlichen Bestand haben würden, ist demgegenüber unwahrscheinlich. Der Borkumlied-Fall des Preußischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1929 (PrOVGE 85, 270), wahrlich ein Klassiker des Polizeirechts, und die problematische Figur des Zweckveranlassers, gelangen hier zu neuer Prominenz. Nun aber genug des Tauchgangs durch juristische Subtilitäten.
Hysterie prallt auf Realität
Die Empörungsorgien erreichten absurdeste Ausmaße: Mal werden die Beteiligten als „Champagner-Nazis“ diffamiert, die Stellungnahmen anderer lassen fast vermuten, die rechtsextreme Terrororganisation NSU habe eine Neugründung in der nordfriesischen Inselwelt erfahren. Der alkoholbedingte Fehltritt der Sylter High Society ist rhetorisch zu einer Art „Staatskrise“ eskaliert worden, die an die Reaktionen auf die angeblichen Deportationsforderungen des stets mit einem konspirativ-bedrohlichen Unterton unterlegten „Geheimtreffens“ Anfang des Jahres erinnern. Unfreiwillig komisch wurde es dann noch, als die SPD den Spruch persiflieren wollte und sich dafür mit einem Shitstorm in den sozialen Medien konfrontiert sah. Die bizarre mediale Aufbereitung erhärtet den Eindruck, so manch ein Protagonist in Politik und Medien sehne sich zum Zwecke moralistischer Selbstinszenierung geradezu eine kurz bevorstehende „Machtergreifung“ herbei. Politischer Sensationalismus in Reinform. Man bekommt fast den Eindruck, in Deutschland passiere nichts anderes mehr.
Dabei tut es das eben doch: Erst am vergangenen Wochenende ist der bekannte Islamkritiker Michael Stürzenberger in Mannheim von einem gewalttätigen Moslem brutal niedergestochen worden, ein ebenfalls attackierter Polizist ist mittlerweile verstorben. Stürzenberger kam nur um Haaresbreite mit dem Leben davon. Der Täter stammt aus Afghanistan und kam als Asylbewerber nach Deutschland. Dessen Asylgesucht ist bereits im Jahr 2014 abgelehnt worden, Suleiman A. hielt sich trotzdem seither in Deutschland auf. Auf die Bluttat gab es zwar Reaktionen auch der hohen Politik, die aber allesamt die Schlagworte „(politischer) Islam“ und „Migration“ vermissen ließen. Im Gegenteil: Das Attentat ist in der Presselandschaft als „Vorfall“ oder „Ereignis“ heruntergespielt worden. Das Motiv: Angeblich immer noch unklar. Die Sachlage ist natürlich völlig offen. Weshalb würde ein junger Mann mit einem typisch islamischen Bart wohl einen landesweit bekannten Islamkritiker attackieren? Fragen über Fragen. Ricarda Lang, Co-Vorsitzende der Grünen, setzte den halbherzigen Verurteilungen noch die Krone auf, indem sie das Sylt-Video allen Ernstes auf eine Stufe mit der bestialischen Messerattacke in Mannheim stellte. Der WDR machte die Gesichter der Sylter Clique nicht unkenntlich, es handele sich schließlich um ein Ereignis der Zeitgeschichte und die Personen hätten sich freiwillig in die Öffentlichkeit begeben. Der Sender referenziert also die Rechtslage und die zugehörigen Rechtsprechung (dazu oben). Soweit, so gut. Eigenartig wird es aber, wenn man dies in Relation zur Berichterstattung über den Anschlag von Mannheim setzt. Der Täter ist seitens des WDR mit aller Selbstverständlichkeit vollständig verpixelt worden. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.
Unglaubwürdige Prioritätensetzung
Nimmt man im politisch korrekten Elfenbeinturm aus Redaktionsräumen und Parteibüros überhaupt noch wahr, in welche Richtung sich Deutschland gegenwärtig entwickelt? Deutlich über 1000 Vergewaltigungen und mehr als 100 Gruppenvergewaltigungen im vergangenen Jahr, allein in Berlin? Kaum der Rede wert. Man könnte schließlich die eigenen, über Jahre sorgsam gepflegten Narrative torpedieren. Ein auch nur rudimentäres Bewusstsein für die drängenden und realen Probleme in diesem Land? Fehlanzeige. Bestürzende Partyvideos von einer Urlaubsinsel oder zu einer Art missglücktem „Umsturzversuch“ umgedeutete angebliche „Deportationsphantasien“ in Potsdam sind schließlich wichtiger. À propos verfassungsfeindliche „Geheimtreffen“: Interessiert sich eigentlich irgendein relevanter Akteur aus der entsprechenden politisch-medialen Bubble für das Treffen von über 400 radikalen Moslems am Osterwochenende in Hamburg, auf dem die Errichtung eines islamischen Gottesstaates gefordert wurde? Oder für den kürzlich ebendort organisierte Aufmarsch, bei dem mehr als 2000 Anhänger der extremistischen Gruppierung „Muslim Interaktiv“ ein Kalifat forderten?
Oder etwa für die nach wie vor stattfindenden antiisraelischen und antisemitischen Demonstrationen für „Palästina“, auf der altbekannte judenfeindliche Parolen, Narrative und Begriffsformeln völlig ungeniert bedient werden? Oder die lange vollkommen ungestörte Besetzung einer ehemals renommierten Berliner Universität durch israelfeindliche Kriminelle, von denen einige ganz offen kundtun, ihnen ginge es nur um eine Zerstörung des Hochschulinventars? Oder eine umstrittene Universitätspräsidentin, die dies nur achselzuckend zur Kenntnis nimmt? Die Präsidentin der unweit gelegenen Technischen Universität, der antisemitische Posts auf der Plattform „X“ (vormals: „Twitter“) gefallen? Die ehrenhaften Kämpfer „gegen rechts“ legen doch für gewöhnlich eine akribische Sorgfalt an den Tag, wenn es um die Durchleuchtung von Personen des öffentlichen Lebens und die Suche nach problematischem Verhalten geht. Es wird ignoriert, relativiert und womöglich sogar legitimiert, warnende Stimmen werden mundtot gemacht. Antisemitismus ist dann eben doch nur interessant, solange er nicht von Migranten oder Linken ausgeht.
Die Tragikomödie der politischen Gegenwart
Glaubwürdigkeit? Fehlanzeige. Böse Zungen würden behaupten, den Beteiligten ginge es weniger um eine ernsthafte Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, als eher um die kurzweilige narrative Aufblähung und Ausnutzung eines zweifelsohne unglücklichen Vorfalls zu Wahlkampfzwecken. Gewiss ist der Vorwurf der Doppelmoral kein besonders schlagfertiges Argument. Wenn Heuchelei aber solche Ausmaße erreicht, dass sie geradezu eine Beleidigung für jeden vernunftbegabten Menschen mit den dafür erforderlichen Sinnesorganen darstellt, ist wahrlich die Spitze der Erbärmlichkeit erreicht. Die politische Hypokrisie der Gegenwart ist struktureller Natur, sie hat System. Niemand behauptet, es existiere keine Bedrohung von Rechtsextremismus. Soll das Engagement für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Lichte des Geburtstages unserer Verfassung aber ernst genommen werden, muss es konsequent sein. Und das ist es beileibe nicht. Solange eine derart offenkundige Disparität in der Aufmerksamkeit für tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen existiert, ist es unmöglich, die Auseinandersetzung mit der Causa Sylt ernst zu nehmen oder ihren Protagonisten eine ehrliche Motivation zu unterstellen.
Das Problem ist aber schon Grundsätzliches: Was ist eigentlich „Rechtsextremismus“? Lauscht man stellenweise den Worten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ist von diesem Stigma bereits jeder erfasst, der nicht die Grünen wählt. „Rechtsextrem“ ist hingegen nicht dasselbe wie „rechts“. Hier wird planmäßig eine völlig normale politische Richtung mit Extremismus in Verbindung gebracht, um sie zu delegitimieren. Das ist aber nun wahrlich nichts Neues, denn um Nuancen oder eine differenzierte Betrachtung geht es schon längst nicht mehr. Wie denn auch? Schenkt man den Worten des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Glauben, soll heutzutage bereits eine „Delegitimierung des Staates“ (was auch immer das sein mag) und Äußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ ein geheimdienstliches Einschreiten legitimieren. Wer so etwas mit aller Selbstverständlichkeit in der Öffentlichkeit propagiert, hat mit dem Grundgesetz kaum noch etwas zu tun. Es wäre fast amüsant, wenn es nicht so traurig und vor allem gefährlich wäre.
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