Vom «ambitioniertesten Klimaprogramm aller Industrienationen» spricht das deutsche «Ampelbündnis» zwischen Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen im Koalitionsvertrag. Tatsächlich soll vor allem der Ausbau erneuerbaren Energien dramatisch beschleunigt werden. Doch es gibt auch einige Ungewissheit.
In Anspielung auf die 1924 in Betrieb gegangene erste Verkehrsampel Deutschlands sprach der wahrscheinliche künftige deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz an der Pressekonferenz zum Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit Grünen und der liberalen FDP davon, dass «dieses Ampelbündnis eine ähnlich wegweisende Rolle für Deutschland spielt». Hohe Ansprüche also. Tatsächlich lesen sich die 40 der 177 Seiten, die dem «Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft» gewidmet sind, in etwa so, wie es der – wahrscheinlich – künftige Finanzminister Christian Lindner (FDP) beschrieb: als das «ambitionierteste Klimaprogramm aller Industrienationen». Das erstaunt, nachdem im Vorfeld davon geredet worden war, die FDP werde alles tun, um die Klimaambitionen insbesondere der Grünen zu verwässern. Nun soll, etwas relativiert mit dem Wort «idealerweise», der überfällige Kohleausstieg um acht Jahre auf 2030 vorgezogen werden. Um dieses Ideal umzusetzen, soll der Ausbau der Neuen Erneuerbaren Energien, namentlich Wind und Sonne, aber auch die Biomasse wesentlich beschleunigt ausgebaut werden. Bei der Photovoltaik sollen es 200 Gigawatt sein, eine knappe Vervierfachung der heutigen Kapazität. Dazu soll praktisch jedes verfügbare Dach mit Solarzellen gedeckt werden, bei Neubauten sollen diese verpflichtend gebaut werden müssen. Beim Wind ist auf dem Meer ein Zubau von 30 Gigawatt bis 2030 geplant, aktuell sind es 56. Das sind rund 1000 Windräder mehr als von der Vorgängerregierung geplant. Dazu sollen zwei Prozent der Landfläche für Windkraftanlagen reserviert werden. Das lässt erhoffen, dass 2030 in etwa die Hälfte des Bruttostrombedarfs in Deutschland mit Wind und Sonne gedeckt wird. Die Ampel-Koalition rechnet mit einem Strombedarf 680 bis 750 Terrawattstunden. Heute sind es um die 550, davon die Hälfte aus erneuerbaren Quellen. Bis 2030 soll dieser Anteil auf 80 Prozent gesteigert werden (die Vorgängerregierung hatte noch von 65 Prozent gesprochen), was mit diesen Ausbauzielen zu schaffen sein müsste. Die Herausforderung ist dennoch gross, zumal Ende 2022 auch die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Darauf zurückzukommen, schliessen die Ampel-Koalitionäre aus, auch die Entwicklung von sogenannten «Small Modular Reactors», wie sie Grossbritannien und Frankreich propagieren, wird ausgeschlossen. Stattdessen will sich Deutschland beim grünen Wasserstoff an der Weltspitze etablieren, vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass es auch in Zukunft einen Rohstoff brauchen wird, der sich ähnlich wie die fossilen Brennstoffe verwenden lässt, vor allem für die Industrie, aber auch, um durch Umwandlung überschüssige Elektrizität zu speichern. Wasserstoff soll, sobald verfügbar, künftig auch die Gaskombikraftwerke speisen, die es für eine Übergangszeit brauchen wird, um die Stromversorgung sicherzustellen. Deshalb werden die zu bauenden Gaskraftwerke so konzipiert, dass sie auf Wasserstoff umgestellt werden können. Wann das der Fall sein wird, steht in den Sternen. Denn
Um diese Ziele zu erreichen, sollen vor allem Bewilligungsverfahren beschleunigt werden, aber auch die EEG-Umlage, die die privaten Stromverbraucher zwang, für die Finanzierung des Umbaus der Energieversorgung mitzubezahlen, soll abgeschafft werden: Die Gelder werden aus Haushaltsmitteln gespiesen. Das ist eine klassische Umschichtung. Die teuersten Strompreise Europas werden damit wohl Geschichte sein. Wie das Geld aus dem öffentlichen Haushalt finanziert werden soll, darüber schweigt sich der Koalitionsvertrag aus. Klar aber ist, dass ab 2023, so die Corona-Krise dann überwunden ist, die von der FDP ultimativ verlangte Schuldenbremse wieder eingeführt wird. Als Zugeständnis an die Autoindustrie zu werden ist auch das recht bescheidene Ziel, bis 2030 15 Millionen Autos mit Elektroantrieb auf die Strasse zu bringen. Heute sind über 66 Millionen Autos auf deutschen Strassen unterwegs. Bis 2035 soll dann in einer reichlich vagen Ankündigung die Elektrifizierung abgeschlossen sein. Erst ab 2025 sollen Heizungen vorgeschrieben werden, die zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Ein Heizkesselverbot sähe anders aus. Auch die Ziele im Bereich Landwirtschaft muten eher bescheiden an. Bis 2030 sollen 30 Prozent der Flächen ökologisch bewirtschaftet sein – eine Verdreifachung - und die Tierbestände an der zur Verfügung stehenden Fläche ausgerichtet sein. Doch wenn man bedenkt, dass es rund vier Jahrzehnte gebraucht hat, um zehn Prozent der landwirtschaftlichen Flächen ökologisch zu bewirtschaften, dann sind rund acht Jahre durchaus ambitioniert, zumal die gesetzgeberischen Mühlen zuerst einmal angeworfen werden müssen. Das wird, trotz komfortabler Mehrheit im Bundestat, eine Mammutaufgabe sein, zumal in vielen Fragen die Bundesländer, aber auch die Europäische Union, ein gewichtiges Wort mitreden werden. Es bleibt zu hoffen, dass die grosse Einigkeit, wie sie bei der Präsentation des Koalitionsvertrages demonstriert wurde, auch in den Niederungen des politischen Alltages hält. Es wird nicht einfach werden.