Vor gut drei Jahren überrollte das Corona Virus die Welt. Und mitten drin war ein junger Vater der nicht nur seinen Job verlor, sondern auch nicht akzeptieren konnte, was er erlebte. Er entschied sich laut zu sein - gegen diejenigen, die in allem eine Verschwörung wittern und durch die Straßen ziehen um Menschen Angst zu machen. Vor Impfungen und Schutzmaßnahmen. Und dafür wurde er zum Ziel von Querdenkern und Rechtsextremen. Ein Erfahrungsbericht.
Man hat dich erkannt...
Es ist irgendwann im Spätsommer 2020 als ich mit einer Kamera durch den Volksfestplatz meiner Heimat laufe. Auf der Bühne brüllt ein Mann gerade in ein Mikrofon und ich filme jemanden der ein Schild in die Luft hält, welches zum "Wiederstand" aufruft. Da tippt mir jemand auf die Schulter und ich zucke zusammen. Erst als ich den Beamten in Zivil erkenne, der sich mir bereits vor der Demo der Querdenker vorgestellt hatte, entspanne ich mich ein wenig. Auch, wenn er in diesem Moment informiert, dass ich "erkannt" worden sei. Und jetzt bessere gehen solle. Man könne für meine Sicherheit nicht garantieren.
Es ist der erste Kontakt mit der Schattenseite eines Einsatzes, der lokal schon seit vielen Jahren ein Teil meines Lebens ist. Doch seit kurzem habe ich einen Youtube Kanal - und spreche über die Dinge, die mich stören: Hass, Lügen, Egoismus. Und darüber, wie einige wenige Hassprediger sich selbst an ihren Zuhörern bereichern, während sie aktiv Menschenleben gefährden. Immerhin ist es der Beginn der Pandemie. Niemand ist geimpft und Corona keine Kleinigkeit. Auch ich selbst habe Freunde die zu Risikogruppen gehören. Die Großeltern meiner Frau werde ich erst Jahre später wieder sehen - aus Angst vor einer Infektion.
Da stehe ich jetzt also, mit gut 300 Abonnent*innen und dem Hass Im Nacken. Es ist der Moment an dem ich mir eine Frage stelle, die wichtig für die weitere Geschichte ist: aufhören oder weitermachen? Auch wenn die Antwort klar ist, weil es sonst diesen Text nicht gäbe, ist sie damals doch begleitet von vielen Gedanken. Immerhin bin ich Familienvater und wurde erst kurz zuvor von meiner Firma unsanft zusammen mit einigen anderen vor die Türe gesetzt. Aber ich entscheide mich für das Hobby und für das "Maul aufreißen" wie man es mir oft vorwirft. Kurz darauf wird mir bei einem Vorstellungsgespräch gesagt, dass ich meinen Kanal schließen müsste, wenn ich die Stelle wolle.
Der Hass von Hildmann
Dem vorausgegangen war ein Posting von Attila Hildmann, der mich in Telegram als korrupten "Jutuber", einem Kunstwort aus Jude und Youtuber, bezeichnete und Hunderte seiner Anhänger zu meinem Kanal schickte. Die Zeitungen in meiner Heimat berichteten. Für viele war es ein kurzes Spektakel und Menschen schickten Fotos, die mein Bild in den Informationssystemen der Straßenbahnen zeigten. Darüber prangte die Überschrift “Er legt sich mit Attila Hildmann an”. Und im Netz erschlugen mich förmlich tausende Kommentare - die meisten beleidigend, bedrohend, ehrabschneidend. Nicht nur gegen mich, sondern auch gegen meine Kinder, meine Frau und Freunde.
Kurz darauf veröffentlichte Bodo Schiffmann meine Adresse im Netz. Ironischerweise wenige Tage, bevor das sogenannte Doxing strafbar wurde. In einem Video versprach er, dass ich “für die wenigen Minuten des Ruhms” einen Platz bei den Nürnberger Prozessen innehaben werde. Diese Neuauflage der Nazi-Prozesse nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ist in den Köpfen der Querdenker das Finale ihrer Machtergreifung. Immer wieder geht es darum Menschen, die sie als Feinde betrachten, auf Listen für diese “Prozesse” zu setzen. Damit sie uns nach ihrer Übernahme aburteilen können.
Den Hasspredigern folgten die Menschen, die sich selbst "Herzmenschen" nennen und auf Demos von Liebe träumen. Im Netz wünschen sie mir den Tod durch Impfungen oder direkt durch die Hand derjenigen, die "aufräumen" werden. Entweder durch eben die "Nürnberger Prozesse 2.0" oder hemdsärmeliger per Strick an einem Baum, wie es Nutzer des Compact-Magazines im Netz öffentlich forderten. Die Emails, Kommentare und Briefe, sie liegen abgeheftet in einem Ordner. Angezeigt habe ich nur zwei davon. Weil ich nicht daran glaube, dass mir die Polizei helfen kann. Dass sie mein Problem überhaupt versteht. Einmal sagte mir ein Beamter: “Dann hören sie halt auf…”.
Er mag vielleicht Recht haben. Für mich fühlt es sich wie eine grausame Schuldumkehr an. Und das brauche ich nicht.
Querdenken, ein Verein für Juristen
Im Gegensatz zu mir sind die Querdenker, die auch viele Anwälte in ihren Reihen haben, juristisch deutlich aktiver. Immer wieder schicken sie mir Unterlassungserklärungen mit Millionenstrafen und anderes Quatschjura. Bei ihnen handelt es sich vorwiegend um sogenannte “Slapp”-Klagen, welche in Deutschland auch “Einschüchterungsklagen” genannt werden. Gegen diese kann man sich als normaler Bürger ohne juristischen Hintergrund kaum oder gar nicht wehren. Selbst mit Jurist*innen an der Seite entstehen Kosten, Druck und Stress. Slapp-Klagen sind mit das grausamste und wirkungsvollste Mittel im Petto der Querdenker. Weil der Staat die Opfer solcher Angriffe nicht schützt. Für Kläger entstehen so keinerlei Konsequenzen und nahezu keine Kosten, während die Opfer förmlich zermahlen werden.
Ich spreche immer wieder über diese Klagen. Manchmal öffentlich, öfters auch mit anderen Opfern. Darunter Journalist*innen des ZDF und des ARD. Sie alle sind tolle, überzeugte Menschen und ich bin stolz sie zu kennen. Doch am Ende des Tages haben sie das bessere Leben. Weil hinter ihnen große Rechtsabteilungen stehen, die solche Klagen abfrühstücken können. Mir selbst bleibt nur der Gang zum Anwalt, verbunden mit hohen Kosten und Unsicherheit. Als Einzelkämpfer ist man vor allem juristisch Wind und Wetter ausgesetzt. Und das macht keinen Spaß.
Inzwischen wächst aber auch der Kanal und eine Community entsteht. Viele kommen, einige gehen, die meisten bleiben. Am meiste Kritik bekomme ich von ihnen für ein Video, indem ich auch mal die Corona-Politk kritisiere. (Aber gehört das nicht auch dazu?!) Und auch das ist eine Erfahrung der Pandemie: Nicht nur Querdenken wird extremer, sondern auch die, die sich ihnen entgegenstellen. Nun, zumindest einige von ihnen. Und auch wenn auch ich selbst meine Witze mache, wundere ich mich immer wieder über Begriffe wie "Wichswichtel" oder Covidioten. Warum? Weil es eine Diskussion vergiftet. Klar, viele sind sicher spektakulär blöd, aber alle?
Russland als großer Bruder
Auf der anderen Seite ist es wichtig Dinge klar zu benennen. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass Querdenken, eine Gruppe die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, immer mehr wie eine Sekte funktioniert. Mit den Gurus an der Spitze und mit dem schlagenden Fußvolk am Ende der Nahrungskette. Unterstützt vor allem aus Russland, die nicht nur Technologie und Reichweite zur Verfügung stellen, sondern auch Geld und Kontakte. Querdenken ist heute für die russische Strategie der Zersetzung der westlichen Demokratien genauso wichtig wie die AfD, der französische Rassemblement National oder die ÖVP in Österreich.
Vor allem durch strategische Partnerschaften und gefälligen “Journalismus”, betrieben von kremltreuen Staatsmedien wie Russia Today, haben diese Gruppen eine Türe in die Gesellschaft erhalten. Und diese nutzen sie nicht nur um vor Impfungen Ängste zu schüren, sondern auch dafür, den Krieg in der Ukraine zu verharmlosen und Opfer zu Tätern zu machen. Auch ich rede über diesen Krieg, auch wenn ich merke, wie sehr es mich belastet. Wenn ich Bilder sehe von trauernden Eltern, dann zerbricht etwas in mir. Und ich merke, wie ich selbst mit mir kämpfen muss. Immer wieder spülen Gedanken in mir hoch, die sich um Drohnenangriffe auf die Führung Russlands drehen. Gedanken, die vor allem aus Trauer und dem Wunsch nach “Rache” für die Menschen entstehen, die alles verloren haben - für die Großmannssucht eines verrückten Autokraten. Eine gefährliche Mischung.
Aber auch die Menschen in meiner Heimat machen mich wütend. So helfe ich an einem Abend bei einer Mahnwache mit, als ein Zug Spaziergänger an uns vorbeizieht. Sie Pfeifen, sie Grölen und rufen Dinge, die ich nicht wiederholen möchte. Sie erreichen an diesem Abend, dass viele Hundert Menschen, Teilnehmer*innen der Mahnwache, einen kritischen Blick entwickeln auf die selbsternannten “Herzmenschen”. In mir selbst zerbricht an diesem Abend aber etwas. Vielleicht ist es der Glauben daran, jemals wieder die Risse kitten zu können, die so deutlich durch unsere Gesellschaft gehen. Vielleicht ist es auch einfach nur die Erkenntnis, dass diese Spirale nur immer weiter nach unten führen wird.
Leute im Shirt des Dritten Weges
Und es belastet mich. Das nun auch in meiner Nachbarschaft Menschen laufen, die den grünen Pullover mit den drei Streifen des dritten Weges tragen. Dass sich Menschen vom Staat lossagen und sich selbst immer wieder als Opfer inszenieren. In mir selbst entsteht das Gefühl einen siebten Sinn für Dummheit und Bösartigkeit zu entwickeln. Und mit der Zeit teilt sich die Welt in Hell und Dunkel, Links und Rechts, Gut und Böse. Man läuft durch den Supermarkt und denkt sich “bist du auch einer von denen?”. Es macht depressiv, es macht müde und wütend. Und das spüre ich nicht nur in mir selbst, sondern auch meine Umwelt. Meine Stimmung wird immer schlechter und zeitweise fällt es schwer positiv zu sein. Und das, obwohl ich eigentlich ein Mensch bin, der sehr viel lacht.
Zeitgleich entsteht aber auch durch meinen Youtube Kanal selbst Druck. Videos, die sich mit den Schwurblern befassen erhalten Tausende von Views, andere Inhalte werden nahezu ignoriert. Eigentlich müsste ich jetzt aufhören. Doch ich habe mich auch ein bisschen in dieses Hobby verliebt. Bin gerne Creator und lache auch beim Schneiden der Videos über kleine dumme Witze, die sonst niemand wahrnimmt. Ich beschäftige mich gerne mit der Technik dahinter und freue mich tierisch, wenn neue Abonnent*innen dazukommen. Gleichzeitig entsteht der Druck, dass man von mir etwas erwartet, was ich so dauerhaft nicht liefern kann. Ich möchte mich nicht verstellen, sondern biete nur das an, was ich habe: Mich.
Ich mache weniger Videos und zu anderen Themen. wirkliches Interesse erzeugen sie nicht. Währenddessen sammeln sich immer mehr Hass- und Hetzkommentare auf anderen Videos. Mitglieder der Community kontern sie und es gibt Rede und Gegenrede. Und es ist interessant zu beobachten, wie lange Querdenker diskutieren können, ohne ein Argument zu haben. Emotional ist es dahindümpeln in trübem Wasser.
Naidoo sagt sehr laut "servus"
Einige Wochen später erklärt Xavier Naidoo seinen Abschied aus der Schwurbelszene. Noch ein wenig später wird der Querdenken-Gründer Michael Ballweg verhaftet. Und die Szene tobt. Für mich selbst ist es wie ein überstrecktes Gummiband, das zurück schnellt und mich aus der Lethargie reißt. Nicht unbedingt wegen den Konsequenzen für diese Einzelpersonen. Vielmehr als Weckruf für mich selbst. Immerhin sind das kleine Siege, die einige Menschen aus der Szene reißen. Ich bekomme E-Mails von ehemaligen Angehörigen von Querdenken, die sich bedanken. Dafür, dass man ihnen im übertragenen Sinne geholfen habe aus der Grube zu klettern. Und das macht stolz, keine Frage.
Es ist schwer alles auf einen Moment zu reduzieren. Einfach, weil es ein Prozess ist. Doch irgendwann spüre ich in mir selbst, dass die Wut, der Zorn und die Frustration eben ein Teil des Lebens sind, welches ich mich zu führen entschieden habe. Und, dass dieser Hass im Netz, die Klagen und die Termine beim Anwalt nur ein kleiner Ausschnitt sind. Darüber hinaus gibt es aber so viel mehr - und nur zusammen definieren sie mich. Es mag komisch klingen, aber ich bin glücklich. Glücklich darüber einen Beitrag zu leisten, so klein er auch sein mag, dass meine Kinder im besten Falle so gut aufwachsen können, wie ich es konnte. Und ich habe gelernt, dass ich vor allem mir und meiner Familie schuldig bin, das Beste aus den Karten zu machen, die ich erhalten habe.
Es gibt eine Wahrheit, die man nicht leugnen kann: Wer sich engagiert und öffentlich äußert, geht immer das Risiko ein, dass er oder sie Gegenwind bekommt. Das gehört zu einer Demokratie und freien Meinungsäußerung dazu. Egal ob es Querdenker sind oder aber ich. Und auch wenn es manchmal wehtut, dieses Recht muss man respektieren. Zumindest, wenn alle sich an grundlegende Grundregeln halten: Respekt, Umgangston, Faktenbasierte Argumente und Augenhöhe. Ansonsten ist es wie Eric Cantona mit seinem berühmten Zitat festhielt: Mit Leuten die die Regeln brechen wollen brauchst du nicht über Regeln sprechen.
Fuck You Internet!
Das Internet hat uns alle kälter werden lassen. Und sobald manche Menschen im Netz landen, scheinen sie jeden Anstand und jede Zurückhaltung zu verlieren. Angestachelt von anderen in ihren Echokammern der Chat-Tools gibt es keine Mitte mehr. Und so hassen und drohen sie, spucken Gift und Galle oder machen sich über andere lächerlich. Und gegen manche Menschen greifen sie zu Mitteln, die gefühlt in den Bereich des Terrorismus fallen.
Wie im Falle von Lisa-Maria Kellermayr, deren Tod viele Menschen erschüttert hat. Monatelang wurde sie terrorisiert und im Internet versprachen ihr Menschen bewaffnet in ihre Praxis zu kommen und sie und ihre Mitarbeiter zu töten. Die Polizei und die öffentlichen Stellen konnten oder wollten ihr nicht helfen und so entschied sich die Ärztin schlussendlich für den einzigen Ausweg, den sie selbst noch sah. Und allein der Gedanke an diese Sackgasse in der Sie sich emotional befunden haben muss, lässt mich schaudern. Ich kannte Frau Kellermayr nur durch Twitter, doch ihr Tod hat auch mich getroffen. Und die Relativierung oder sogar Entstellung ihres Ablebens durch Querdenker lässt mich würgen und die Fäuste ballen. Und emotional fühle ich mich wieder wie an diesem Abend der Mahnwache. Wieder konfrontiert mit Unmenschlichkeit und der Schadenfreude darüber, dass ein Mensch sterben musste, der nicht die eigene Meinung teilt.
Helfen, erst, wenn etwas passiert
Es sind diese Momente, in denen man von Hass sprechen muss. Weil jedes andere Wort zu schwach wäre. Und es sind diese Momente, die gefährlich sind. Weil sie auf einen Weg führen, der nur noch mehr dieser negativen Gefühle mit sich bringt. Aber es fällt schwer nicht zu hassen - oder zumindest wütend zu sein. Denn Frau Kellermayr wurde allein gelassen. Wie auch viele andere Menschen alleingelassen werden. Und anstatt die zu schützen, die sich für ein Gemeinwohl einsetzen, verleiht man ihnen höchstens wertlose Preise und schickt sie danach zurück. Und niemand hat das Rüstzeug, konstant den Kopf hinzuhalten.
Was wir daraus lernen können? Es ist schwer zu sagen. Wie auch diese Geschichte hat diese Frage kein Ende. Weil wir mitten drin sind. Aber es bleibt zumindest die Hoffnung, dass wir irgendetwas daraus lernen. Und sei es nur, dass man sich manchmal vor sich selbst und anderen schützen muss. Denn, offensichtlich tut es sonst niemand.