Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.
Fundstücke
1) So könnte Nordrhein-Westfalen Söder austricksen
In ihrer Kolumne thematisiert Anna Clauß den Streit um die Verteilung der Sommerferien zwischen Bayern und Nordrhein-Westfalen. Anlass ist die Weigerung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, über eine spätere Ferienregelung zu verhandeln. Während Nordrhein-Westfalens Bildungsministerin Dorothee Feller mehr „ferialen Föderalismus“ fordert, beharrt Bayern auf dem späten Ferienbeginn – offiziell aus traditionellen Gründen. Clauß sieht darin jedoch weniger Sachgründe als eine politische Inszenierung: Die CSU betone systematisch ihre Sonderrolle und pflege das „Extrawurst-Prinzip“, um sich von anderen Bundesländern abzugrenzen. Die Autorin beschreibt das Verhalten Bayerns als Teil einer kultivierten Eigenlogik, in der das Bundesland als besonders und überlegen inszeniert werde. Dabei würde man andernorts durchaus gerne Gleichberechtigung auf dem Urlaubsmarkt – etwa am Gardasee – erleben. Die Lösung? NRW solle ein symbolisch gegensätzliches Verhandlungssignal setzen – zum Beispiel durch einen Kultusministergipfel im Ruhrgebiet. Dann, so Clauß ironisch, könnte Bayern plötzlich selbst als erstes Bundesland in die Ferien starten – aus Prinzip. (Anna Clauß, Spiegel)
Das Sommerferienthema ist echt super nervig. Die Sonderrolle von Baden-Württemberg und Bayern ist eine Posse. Ich kann auch dieses Argument nicht nachvollziehen, dass der August im Ländle besonders heiß wäre; der Juli ist wesentlich schlimmer. Deswegen ist diese Linie von "stellen Sie sich mal vor, die Schüler*innen müssten bei 35 Grad in unklimatisierten Räumen sitzen" etwas hohl - denn genau das passiert im Juli. Warum Clauß in ihrem Artikel nur von Bayern spricht weiß sie nur selbst, wahrscheinlich, weil sonst die Extrawurstwitze nicht funktionieren würden. Aber ich würde mir definitiv einen früheren Ferienbeginn wünschen statt diesen Quatsch mit August und September. Und korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber die Hauptsaison hat ja schon auch mit den Ferienterminen zu tun, oder? - Die GEW indes fordert gleich die Einführung von Trimestern. Überzeugt mich ehrlich gesagt auch nicht sonderlich und passt auch null zu den Prüfungsordnungen, die auf Halbjahre abheben. So eine Megareform wird sicher nicht kommen, und ich sehe den Wert auch nicht. - Aber wo wir bei Ferien sind: wenn es nach mir ginge, wären die Sommerferien zwei Wochen kürzer und dafür die Herbst- und Faschingsferien eine Woche länger. Just saying.
2) Die Demokratie macht schlapp
In seinem Gastbeitrag beschreibt Andreas Reckwitz eine tiefgreifende Krise der liberalen Demokratie, die nicht nur politische, sondern vor allem steuerungstechnische Ursachen habe. Zwar garantiere die Demokratie Freiheit und Teilhabe, doch verliere sie zunehmend ihre Fähigkeit, gesellschaftliche Herausforderungen effektiv zu bewältigen – etwa in Bildung, Infrastruktur, Wohnungsbau oder Klimapolitik. Diese „Steuerungsschwäche“ bedrohe die Legitimität des Systems, da die Demokratie sich historisch nicht nur über Verfahren, sondern auch über ihren gesellschaftlichen „Output“ legitimiert habe. Als Gründe für die aktuelle Krise nennt Reckwitz u. a. eine Überverrechtlichung, die staatliches Handeln lähme, eine zunehmend fragmentierte Parteienlandschaft, die stabile Regierungen erschwere, sowie eine digitalisierte Medienöffentlichkeit, die kurzfristige Empörungslogiken begünstige. Es drohe daher ein Rückfall in autoritäre Versuchungen, zumal autoritäre Staaten wie Singapur oder China Effizienz demonstrierten. Reckwitz warnt: Sollte die Demokratie ihr Fortschrittsversprechen nicht erneuern können, sei ein weiterer Vertrauensverlust wahrscheinlich. Gefordert seien strukturelle Reformen, insbesondere in der staatlichen Handlungsfähigkeit, in der politischen Kooperation und im Umgang mit der Öffentlichkeit. (Andreas Reckwitz, ZEIT)
Ich bin bei Reckwitz, was die These angeht, dass eine Steuerungsschwäche besteht, deren Gründe unter anderem in der Überverrechtlichung zu suchen sind. Ich habe ja bereits darüber geschrieben, das ist der Preis, quasi die andere Seite der Medaille, unserer Individualisierung und dem Fokus auf Individualrechten. Ich habe letzthin mit dem stellvertretenden Bürgermeister unserer Gemeinde geredet, der erzählte, dass sie seit 2019 ein neues Feuerwehrhaus bauen wollen, aber ums Verrecken ein dafür nötiges Grundstück nicht bekommen. Nach sechs Jahren haben sie jetzt aufgegeben und suchen woanders, und der ganze Mist fängt von vorne an. Und solche Geschichten reproduzieren sich ja überall. Das kann man nicht nur (aber auch!) unter dem Schlagwort "Bürokratie" subsumieren, weil die andere Seite dieser Bürokratie ja die zahlreichen Rechte sind. Das fassen Leute üblicherweise nicht unter "Regulierung", die man "abbauen" will. Denn die Nachbarschaft gibt natürlich nicht ihre Rechte auf, alles zu verhindern, was in ihrer Sicht- und Hörweite gebaut werden könnte. Jede Deregulierung, jeder Bürokratieabbau, der seinen Namen verdient, würde zwangsläufig in diese Individualrechte eingreifen. In diesem Dilemma liegt der Hase im Pfeffer, weil da will natürlich niemand ran (außer es betrifft andere Leute, selbstverständlich).
3) Wie die AfD an die Macht kommen will
In seinem Gastbeitrag beschreibt Andreas Reckwitz eine tiefgreifende Krise der liberalen Demokratie, die nicht nur politische, sondern vor allem steuerungstechnische Ursachen habe. Zwar garantiere die Demokratie Freiheit und Teilhabe, doch verliere sie zunehmend ihre Fähigkeit, gesellschaftliche Herausforderungen effektiv zu bewältigen – etwa in Bildung, Infrastruktur, Wohnungsbau oder Klimapolitik. Diese „Steuerungsschwäche“ bedrohe die Legitimität des Systems, da die Demokratie sich historisch nicht nur über Verfahren, sondern auch über ihren gesellschaftlichen „Output“ legitimiert habe. Als Gründe für die aktuelle Krise nennt Reckwitz u. a. eine Überverrechtlichung, die staatliches Handeln lähme, eine zunehmend fragmentierte Parteienlandschaft, die stabile Regierungen erschwere, sowie eine digitalisierte Medienöffentlichkeit, die kurzfristige Empörungslogiken begünstige. Es drohe daher ein Rückfall in autoritäre Versuchungen, zumal autoritäre Staaten wie Singapur oder China Effizienz demonstrierten. Reckwitz warnt: Sollte die Demokratie ihr Fortschrittsversprechen nicht erneuern können, sei ein weiterer Vertrauensverlust wahrscheinlich. Gefordert seien strukturelle Reformen, insbesondere in der staatlichen Handlungsfähigkeit, in der politischen Kooperation und im Umgang mit der Öffentlichkeit. (Christian Parth, ZEIT)
Man muss es der AfD lassen: anders als andere Parteien (looking at you, Grüne) hat sie eine klare Strategie und einen klaren Plan, der realistisch ist und von realen Gegebenheiten ausgeht. Ich bin ziemlich beeindruckt, ehrlich gesagt. Nichts, was in dem Papier steht, ist in irgendeiner Weise sonderlich innovativ oder unerwartet; wenn man die politische Landschaft analysiert, drängen sich diese Schlüsse geradezu auf. Es ist die Kohärenz einerseits und der Realismus andererseits, der mich daran mitnimmt. Es steht nur zu hoffen, dass der radikale Flügel der Partei das macht, was radikale Parteiflügel immer machen, und das ganze Projekt sabotiert. Denn wenn Weidel da ihren Willen durchsetzt, kriegen wir easy eine CDU-AfD-Regierung. Oder gar eine Drei-Parteien-Konstellation mit der FDP, je nach Wahlergebnis. Die Strategie ist deutlich von den USA und Großbritannien inspiriert, und inwieweit die Logiken sich tatsächlich auf das Mehrparteiensystem hier übertragen lassen, sei mal dahingestellt, aber bisher funktioniert es gut - und sowohl die bürgerlichen Parteien als auch die progressiven tun der AfD den Gefallen, ihr in die Hände zu spielen. Für die LINKE ist das einigermaßen verständlich, die profitieren von dieser Frontstellung. Aber die demokratischen Parteien werden dazwischen zerrieben, auch wenn sie punktuell glauben, von diesem Kulturkampf profitieren zu können.
In seiner Kolumne „Schiri, pfeif ab!“ argumentiert Ulf Poschardt, dass sich linke Eliten nun vom Kulturkampf abwenden, weil sie diesen zu verlieren drohen. Er zieht einen Vergleich zum Fußball, wo eine führende Mannschaft frühzeitig das Spielende herbeisehnt. Poschardt sieht in der aktuellen Entwicklung ein Ende jener ideologisch geprägten Diskurshoheit, die – aus seiner Sicht – jahrzehntelang von linken Intellektuellen, NGOs, Medien und Parteien ausgeübt worden sei. Diese hätten kulturelle Themen wie Sprache, Ernährung oder Mobilität zur moralischen Richtlinie erklärt. Er behauptet, dass insbesondere Debatten rund um Klima, Migration oder Identitätspolitik zunehmend auf Ablehnung stoßen. Dabei spricht er von einem „Backlash“, also einer Gegenbewegung, die sich gegen die als bevormundend empfundene politische Korrektheit richtet. Poschardt sieht nun eine Verschiebung zugunsten konservativer, wirtschaftsliberaler und „wertkonservativer“ Positionen. Auch Unternehmen würden sich von „woker“ Markenpolitik abwenden – er nennt den Absatzrückgang bei Jaguar als Beispiel. Zugleich kritisiert er linke Denker wie Armin Nassehi, denen er eine arrogante Haltung gegenüber dem öffentlichen Diskurs vorwirft. Laut Poschardt sei der Kulturkampf kein akademisches Seminar, sondern werde künftig stärker vom „Stammtisch“ geprägt sein. Die Forderung nach Beendigung des Kulturkampfes deute er als taktischen Rückzug jener Kräfte, die ihren Einfluss schwinden sehen. (Ulf Poschardt, Welt)
Ich finde die Sprache Poschardts wahnsinnig bedenklich und abstoßend. Man sehe sich etwa eine Sentenz wie "voller Verachtung für die normalen Leute" an. Diese Rhetorik der Verteufelung seiner Gegner allein ist schon super problematisch, aber dieses aufgeladene "normale Leute" schafft eine solche Frontstellung, ist so aggressiv, das hat in einem echten Diskurs nichts zu suchen. Auch der Satz von "rotgrünem Filz und Vetternwirtschaft, machiavellistischen Netzwerken und Unterwanderung vieler Milieus bis in die Union hinein" zeigt deutlich die Denkweise auf. Eine riesige Komspiration, mit Netzwerken - "machiavellistischen", weil es braucht noch ein sinistres Attribut - und die Idee einer "Unterwanderung" sind lupenreines Verschwörungsdenken, genauso diese Idee, dass die Union "unterwandert" wäre, als ob es da nicht einfach auch verschiedene Strömungen geben würde, die halt nicht alle wie Ulf Poschardt ticken. Nur seine Haltung ist ok, alle anderen sind illegitim, nicht "normal" und nur Produkt von "Unterwanderung". Undemokratische Diskursvergiftung im fortgeschrittenen Stadium.
In seiner Kolumne beschreibt Nikolaus Blome, wie die AfD durch sinkende Asylzahlen eines ihrer wichtigsten politischen Mobilisierungsmittel zu verlieren drohe. Die Zahl der Asylanträge habe sich im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum Vorjahr nahezu halbiert – ein Umstand, der sowohl linke als auch rechte Erzählungen widerlege. Es zeige sich, dass migrationspolitische Steuerung auf nationaler und europäischer Ebene durchaus wirksam sein könne, was der AfD den Wind aus den Segeln nehme. Blome stellt die Frage, ob die AfD auch dann noch erfolgreich sein könne, wenn Migration nicht mehr als dominierendes Reizthema fungiert. Er bezweifelt, dass die Partei dafür ein überzeugendes Alternativthema gefunden habe. Ihr Verhalten – etwa in Form absurder Benimmregeln oder innerparteilicher Widersprüche – erscheine eher planlos. Auch der Versuch, sich bürgerlicher zu geben, wirke wenig glaubhaft. Er vermutet, dass die Partei trotz allem weiterhin versuchen werde, einzelne Gewalttaten für ihre Agenda zu instrumentalisieren. Gleichzeitig sieht er aber eine mögliche Entspannung im Verhältnis der Wähler zur Migrationsfrage – was die AfD vor eine strategische Krise stelle. Die entscheidende Frage sei daher: Legt sich der Protest, wenn sich das Problem, das ihn hervorgebracht hat, zu lösen beginnt? (Nikolaus Blome, Spiegel)
Das ist sicherlich eine Interpretation. Ich kann aber auch meine eigene These bestätigt sehen. Denn was wir in den letzten Monaten auch gesehen haben ist eine deutliche Abnahme des Prävalenz des Themas. Die Politik redet nicht mehr ständig drüber, die Medien berichten nicht mehr dauernd. Im Vergleich zur Wahlkampfzeit etwa hat das Thema wesentlich an Bedeutung verloren, und siehe da, der "Sprit geht aus". Das war schon immer meine Prognose. Ich bin schlicht unsicher, inwieweit die sinkenden Zahlen da tatsächlich damit zu tun haben. Sie spielen bestimmt eine Rolle, weil sie das zentral wichtige Gefühl staatlicher Handlungsfähigkeit vermitteln, aber mit der Realität hat das nur eingeschränkt zu tun. Das tägliche Erleben ändert sich durch diese Zahlen ja nicht, es ist das reine Gefühl. Aber das spricht ja nicht gegen die Argumentation oder die Notwendigkeit der Kontrolle, sondern ist nur eine Beobachtung. Ansonsten bin ich völlig bei Blome.
Resterampe
a) Ahmad Mansour springt weiter um den Elefant im Raum herum. (Welt)
b) Conni-Memes und Kultur. (Johannes Franzen)
c) Noch ein Artikel gegen den "Boomersoli" (Welt).
d) Deutsch-britisches Freundschaftsabkommen: Merz erntet, was die Ampel gesät hat (Spiegel). Ja, das tut jede Regierung, im Guten wie im Schlechten.
Fertiggestellt am 18.07.2025
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