Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) “Ignore, imitate, coalise”? The difficulties of dealing with the AfD

In den letzten Jahren hatte Deutschland kaum bedeutende populistische, radikal rechte oder extrem rechte Parteien in seinen Parlamenten. Jetzt hat die Alternative für Deutschland (AfD) starke lokale und regionale Wurzeln und ist in 14 von 16 Landtagen und im Bundestag vertreten. Um der Gefahr für die liberale Demokratie zu begegnen, schlägt der Autor eine umfassende, aber anpassungsfähige Strategie für den Umgang mit der AfD vor. Die Strategie besteht aus drei Säulen: Verzicht auf Zusammenarbeit mit der AfD auf höchster Parteiebene, attraktive politische Angebote für Wähler und eine gründliche Prüfung und Vorbereitung eines möglichen Verbots der AfD. Der Verzicht auf Kooperation schließt politische oder gesetzgeberische Annäherungen aus. Eine klare programmatische Alternative für "gute Politik" soll Wähler ansprechen, während die dritte Säule die Möglichkeit eines AfD-Verbots prüft. Eine positive Ausrichtung auf liberale Demokratie und ein starker Rechtsstaat sind entscheidend, um die AfD selbstbewusst einzudämmen und gleichzeitig die Bürger für die demokratische Grundordnung zu gewinnen. (Maximilian Kreter, OxPol)

Ich will vor allem noch einmal die Geschichte der Zusammenarbeit ansprechen. Daniel Günther betont gerade bei jeder Gelegenheit, dass das Erfolgsmodell Schleswig-Holsteins darin bestehe, dass alle demokratischen Parteien die AfD bewusst kleinhielten, indem sie ihr keinen Profilierungsspielraum gäben. Dieselbe Vorgehensweise gegenüber der NPD fuhren die demokratischen Parteien in Mecklenburg-Vorpommern für über ein Jahrzehnt. Ich glaube, dass die Idee, dass diese Art der Ausgrenzung die AfD stärken würde, zu den größten Irrtümern der Jahre seit 2015/16 zählt. Auch die LINKE hatte ihre stärkste Zeit, als alle über sie sprachen und sich gegenseitig versicherten, wie schrecklich sie sei, und ist im Sinkflug, seit niemand mehr über sie spricht. Was die politische Auseinandersetzung betrifft, habe ich ja bereits im letzten Vermischten betont, dass das fehlt, während ich beim Verbot sehr unsicher bin, welche Aussichten das haben soll.

2) Müssen Jugendliche besser lesen lernen? – Eine kritische Bemerkung zu einer populären Forderung

In dem Text geht es um die Ergebnisse der PISA-Studie 2022 zum Leseverständnis von Jugendlichen in der Schweiz. Etwa ein Viertel der 15-Jährigen kann zentrale Aussagen in einfachen Texten nicht erkennen, während knapp 10% anspruchsvolle Texte verstehen können. Die Reaktionen darauf variieren, einige suchen die Ursache in digitalen Medien, andere fordern, Lesen wieder "cool" zu machen. Der Autor argumentiert, dass viele dieser Forderungen das eigentliche Problem verfehlen. Ein relevanter Teil der Jugend liest keine literarischen Texte mehr, sondern konsumiert digitale Medien wie TikTok und Games. Die Fähigkeiten zum Lesen digitaler Texte unterscheiden sich von denen, die bei PISA gemessen werden. Dies führt dazu, dass die Bedeutung des Lesens schriftlicher Texte eine andere ist. Der Autor schlägt vor, nicht zwangsläufig das Lesen zu verbessern, sondern Wege zu finden, mit der veränderten Medienlandschaft umzugehen und trotzdem eine gute Bildung zu gewährleisten. (Philippe Wampfler, Schule Social Media)

Ungeachtet der praktischen Folgen, die sich aus Wampflers Beobachtungen ergeben (könnten): die Analyse als solche ist sicherlich richtig. Der bürgerliche Bildungskanon wird exklusiver, weil immer weniger gelesen wird. Das Aussterben des Lesens als freiwilliger, der Freizeit zuzurechner Kulturtechnik wird in den Debatten viel zu wenig rezipiert, und Wampfler hat auch Recht damit, dass die üblichen Klagen um mangelnde Lesefähigkeiten von jenen kommen, die die Kulturtechnik noch schätzen und deswegen diejenigen, die keinen Kontakt mehr dazu haben, gar nicht erreichen. Ich bin allerdings skeptisch, wie viel Lesezeit in Schulen da helfen kann. Wer nicht lesen will, wird das auch in der Lesezeit nicht tun. Gleichwohl muss die Schule mehr als zuvor Räume öffnen, in denen Jugendliche überhaupt erst mit Literatur in Berührung kommen und so eine mögliche Liebe überhaupt erst entdecken können. Die aktuelle Schwerpunktsetzung des Deutschunterrichts mit seinen möglichst unattraktiven Lektüren aber wird dem sicherlich nicht gerecht.

3) Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas? Wie Deutschland den Klimaschutz tatsächlich voranbringen könnte

Die FDP-Abgeordneten Lukas Köhler und Christian Dürr betonen die Notwendigkeit von Carbon Capture and Storage (CCS), um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Sie kritisieren, dass oft symbolische Debatten über fossile Brennstoffe geführt werden, anstatt effektive Maßnahmen zu ergreifen. Die Autoren argumentieren, dass der Ausstieg aus CO2-Emissionen entscheidend ist und jedes Land selbst entscheiden sollte, wie es dies umsetzt. CCS, die Technologie zur Abscheidung und langfristigen Speicherung von CO2, wird als wesentlich für die Zielerreichung betrachtet. Die Autoren betonen, dass ohne CCS die Klimaziele in weiter Ferne liegen und verweisen auf den Weltklimarat IPCC, der dies klargestellt hat. Die Nutzung von CCS wird bereits praktiziert, insbesondere von Ländern wie Norwegen, den USA und Großbritannien. Die Autoren fordern eine breitere Anwendung von CCS und betonen, dass dies nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern auch die industrielle Wettbewerbsfähigkeit sichert. Deutschland sollte sich für ein internationales Emissionshandelssystem mit einheitlichem CO2-Preis einsetzen, um Anreize für den Einsatz von CCS zu schaffen. (Lukas Köhler/Christian Dürr, Welt)

Ich habe nichts Grundsätzliches gegen CCS einzuwenden, nur scheint es mit in dieselbe Spalte wie eFuels zu fallen: eine Technologie, die nicht auch nur im Ansatz Marktreife besitzt und vor allem durch grotesk optimistische Annahmen über ihre Verbreitung, Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität in der Diskussion gehalten wird und somit als aspirationeller Bezugspunkt irgendwo in der Zukunft konkrete Maßnahmen heute verhindert. Es wäre super, wenn wir CCS hätten, weil das theoretisch den Abschied von den Fossilen wirklich möglich machen würde. Nur führt es in der konkreten, existierenden Welt vermutlich zu Resignations- und Leugnungs-Effekten, weil man die Kosten beliebig in die Zukunft verschieben kann.

4) Penn faculty fear the donor who started the effort to oust Liz Magill is attempting to set the agenda for trustees

Der Spender, der die erfolgreiche Kampagne zur Absetzung der Präsidentin der University of Pennsylvania, Liz Magill, und des Vorsitzenden des Verwaltungsrats, Scott L. Bok, initiierte, versucht nun, die Agenda der Universität zu beeinflussen. Marc Rowan, CEO der Private-Equity-Firma Apollo Global Management, stellte den Verwaltungsratsmitgliedern eine Liste von 18 Fragen, darunter Überlegungen zur Streichung von akademischen Abteilungen und zur Qualifikation von Fakultätsmitgliedern. Die Fakultät äußerte Bedenken über diesen Versuch eines einflussreichen Spenders, die Ausrichtung der Universität zu bestimmen, und bezeichnete es als bedrohlich. Rowan argumentiert, dass diese Fragen im Rahmen der Satzung des Verwaltungsrats liegen. Die Fakultät lehnt jedoch entschieden ab und betont die Wichtigkeit der gemeinsamen Entscheidungsfindung und akademischen Freiheit. Rowan hatte bereits zuvor Druck auf Magill und Bok ausgeübt, die schließlich zurücktraten. Die Fakultät sieht dies als Versuch externer Einflussnahme und warnt vor schwerwiegenden Verletzungen der Grundsätze der akademischen Freiheit und Selbstverwaltung. (Susan Snyder, Philadelphia Inquirer)

Bei all dem Kaprizieren auf die Cancel-Vorfälle durch linksradikale Studierende wird ständig übersehen, welche reale Cancel-Macht andere Gruppierungen haben. Ob an der Penn State University oder in Harvard setzen gerade die reichen Spender*innen ihre Interessen durch und sorgen dafür, dass Leute entlassen und Inhalte gestrichen werden. Diejenigen, die sonst so lautstark die Freiheit der Lehre und der Akademiker*innen fordern und die Zustände beklagen, sind dabei auffallend still. Es geht eben doch immer nur darum, ob man selbst eine Position gut oder schlecht findet. - Siehe dazu auch dieser Artikel.

5) Verband warnt vor Abschaffung des Referendariats: „Darf nicht im Studium aufgehen“

Der Bundesvorsitzende des Bundesarbeitskreises Lehrerbildung, Helmut Klaßen, betont die Notwendigkeit eines mindestens achtzehnmonatigen Referendariats für eine qualitativ hochwertige Lehrkräfteausbildung. Diese Erkenntnis wird durch ein aktuelles Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) gestützt. Der Verband begrüßt das Gutachten, das Wege zur Attraktivitätssteigerung der Lehrkräfteausbildung aufzeigt, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Der Bak Lehrerbildung fordert die Beibehaltung der Zweiphasigkeit (Studium und Referendariat) und lehnt eine Verkürzung des Referendariats auf zwölf Monate ab, wie von der SWK vorgeschlagen. Klaßen betont die Bedeutung fachlich fundierten Studiums und ausreichend langer Praxisausbildung. Der Bak unterstützt die Position, dass nicht die kurzfristige Unterrichtsversorgung, sondern die Qualität der Ausbildung entscheidend ist. Ein kumulierender Kompetenzzuwachs könne nur durch die Erhaltung der drei Phasen (Studium, Referendariat, Fort-/Weiterbildung) gewährleistet werden. Der Bak sieht Ein-Fach-Lehrer als Übergangslösung zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels und plädiert für Nachqualifikation in einem zweiten Fach. Kritisch betrachtet er den Einsatz von Assistenzlehrkräften und fordert multiprofessionelle Teams in Schulen. (News4Teachers)

Mir ist ehrlich gesagt auch nur eingeschränkt klar, inwieweit eine Verkürzung des Referendariats den Lehrkräftemangel beheben soll. Ist "ich würde ja gerne Lehrkraft werden, aber nur wenn Studium und Ref sechs statt sechseinhalb Jahre dauern" eine verbreitete Motivation? Worüber wir gerne jederzeit reden können ist die Aufhebung der Zweiphasigkeit, also eine Integration der Praxisausbildung ins Studium. Aber: das ist dann allzuoft mit Forderungen verknüpft, die fachlichen Teile zurückzuschneiden. Und da bin ich emphatisch dagegen. Die Qualität eines Fachstudiums ist für die Qualität des Abiturs von entscheidender Bedeutung, da bin ich zur Abwechslung mal voll bei den Kultusministerien. Wir können nicht Unterricht auf dem geforderten Niveau erwarten, wenn wir effektiv mit Bachelor-Studium arbeiten. Ich habe meine Fächer erst im Hauptstudium wirklich durchdrungen, und das fiele dabei letztlich weg. Nein, die Ausbildung ist lang, aber sie ist auch gut. Die halte ich nicht für das Problem. - Siehe zum Thema auch dieses Interview.

Resterampe

a) Zwei Interviews mit PISA-Forschern.

b) "Blutleeres" CDU-Programm. Wann war das je anders? Die CDU ist keine Programm-Partei.

c) Sebastian Dullien hat gute Zahlen zum Sozialstaat.

d) Nur Verfassungsfeinde in der CDU. Stefan Pietsch ist empört.

e) Conservatives Have Lost the Culture War. Jepp, aber schon seit Langem.

f) Kritischer Thread zu Milei. By the way, ich verlinke hier immer wieder nur was zu dem Thema wenn es mir vor die Füße fällt, weil ich weiß, dass es Interesse daran gibt. Ich habe keine Meinung dazu, weil mir die Fachkenntnisse fehlen. Ich les nur gerne die informierten Kommentare hier dazu. Nur als Caveat. - Siehe auch dieser Artikel.

g) Comprehensive report suggests little danger to teens from social media. Keine Überraschung, IMHO.

h) Ich halte diese Klage gegen das Streikverbot von Beamt*innen für völligen Quatsch. Deswegen sind wir Beamt*innen. Es kann ja nicht sein, dass das keine Nachteile hat. Und das Streikverbot gehört eben dazu. Siehe auch Streikverbot für verbeamtete Lehrer ist rechtmäßig – Philologen triumphieren: „Krachende Niederlage für die GEW“.

i) Großartiger Verriss des CDU-Grundsatzprogramms in der ZEIT. Siehe dazu auch hier.

j) Republicans just can’t bring themselves to acknowledge good economic news.

k) Pisa-Fakten: Schüler aus privilegierten Familien bringen Spitzenleistungen. Und täglich grüßt der PISA-Artikel.

l) Hessen: Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist »Demütigung« für Sozialdemokraten. Die SPD muss man dieser Tage echt nicht verstehen.

m) Weitere Störungen der Renaissance der Atomkraft.

n) Immer wieder wichtig: Anerkennung für politische Arbeit.

o) How Different Peoples Around the World Fought and Built Empires.

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