Stillen oder nicht stillen - einzig und alleine die Entscheidung der Mutter. Und manchmal noch nicht mal deren, sondern die der Natur, den Umständen, des Lebens.
Als ich schwanger wurde und eine Freundin Probleme mit dem Stillen hatte, war ich absolut überzeugt von den Worten, die ich ihr damals sagte: „Eine Mutter definiert sich nicht über ihre Brüste, Bindung entsteht auch ohne Stillen und diese Mär, dass man keine gute Mutter ist, weil man sein Kind nicht ohne Unterstützung ernähren kann, ist großer Mist und kann schlicht und ergreifend weg!“
Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass ich genau über diese Sätze selbst stolpern würde und das Thema Stillen am Anfang meiner Zeit mit meiner Tochter einen so großen Raum einnehmen würde.
Ich wollte unbedingt stillen. Wenn es nicht klappen sollte, dann sollte es eben so sein. Das war meine Vorstellung.
Dann kam die Realität.
Meine Tochter wurde geboren und meine Stillbeziehung zu ihr begann wunderbar. Noch im Kreissaal dockte sie an, ich hatte plötzlich ein Baby an meinem Busen und konnte es mit ein paar Tropfen Kolostrum ernähren. Bilderbuch, ganz wunderbar.
Doch schon am nächsten Tag bekam dieses Bilderbuch die ersten Risse. Das Anlegen gestaltete sich schwieriger, mein Kind mochte nicht trinken, ich fand keine Stillposition und mein Kind wurde unruhig. Die Hebammen in der Klinik machten mir Mut, das wäre alles ganz normal am Anfang, es sieht alles ganz toll aus, das wird schon!
Noch in der gleichen Nacht und mehrere Heulanfälle später bekam mein Kind Primergen. Ich erahnte zum ersten Mal, was es psychisch mit einem macht, wenn man – nicht stillen kann. Noch aber war alles am Anfang, ich war zuversichtlich, dass meine Tochter und ich bald ein eingespieltes Team wurden und sehr bald eine innige Stillbeziehung haben werden. Jeden Tropfen Kolostrum feierte ich, noch waren die magischen 3 Tage zum Milcheinschuss nicht vorbei, noch hatte ich die Hoffnung, stillen zu können.
Mein Kind nahm wie jedes Kind in der Klinik ab, mit 300 g weniger als ihr Geburtsgewicht nahm ich meine Tochter nach Hause. Klein und zierlich wie sie war, musste ich das unbedingt im Blick behalten und war heilfroh, als am nächsten Tag meine Hebamme, die mich wunderbar durch die Schwangerschaft begleitete und der ich sehr vertraute, zu ihrem ersten Nachsorgetermin kam. Mein Kind hatte ich regelmäßig angelegt, so wie es mir in der Klinik gezeigt wurde und die paar Tropfen, die da aus meinem Busen kamen, beäugte ich sorgsam, um zu prüfen, ob sich die Konsistenz und die Beschaffenheit der Milch verändert hätte. Von einem Milcheinschuss aber war ich meilenweit entfernt. Leider bestätigte dies auch meine Hebamme.
Lange Rede, kurzer Sinn – ich versuchte in den nächsten zwei Wochen alles, um meine Milchproduktion anzukurbeln. Psychisch noch voll im Wochenbett und emotional angeschlagen war ich oft am Heulen, fühlte mich als versagende Mutter und konnte es nicht fassen, dass ich mein Kind nicht locker stillen konnte wie so viele andere Frauen doch auch.
Ich legte sie regelmäßig an, ich legte sie an und spritze ihr gleichzeitig Muttermilch über einen Feeder in ihr Mündchen, ich pumpte ab, ich versuchte sogar ein Brustfütterungsset, dass vom Grundsatz her super ist, ich allerdings nach 2 Tagen abbrach, da es mir vorkam, als würde ich meine Tochter mit einer Magensonde ernähren. Ich trank Malzbier, ich schonte mich, ich massierte meine Brust wie Knetmasse und presste jeden noch so winzigen Tropen aus meinem Busen für mein Kind. Leider reichte es nicht aus, mein Kind ausreichend zu ernähren und ich musste sehr früh mit dem Zufüttern beginnen.
Und irgendwann war Schluss. Selten habe ich mich so erniedrigt gefühlt wie beim Abpumpen. Die Sache mit diesen Schläuchen bei dem Brustfütterungsset empfand ich als unglaublich belastend. Natürlich war ich gestresst. Natürlich war das nicht gut, soviel Psychologie hatte ich in meinem Studium und das schafft man sogar mit Küchentischpsychologie zu verstehen. Vor jedem Anlegen, das ich grundsätzlich sehr genoss, betete ich um mehr als nur ein paar Tropfen Milch. Ich musste mich beherrschen, meine Tränen zurückzuhalten, wenn ich merkte, wie verzweifelt meine Tochter versuchte sich über mich zu ernähren und es uns als Team nicht gelang.
Das musste aufhören. Ich wollte nicht, dass die ersten Erfahrungen meiner Tochter mit dem Thema „Essen“ so negativ belegt waren. Ich wollte nicht, dass Essen bereits in ihren ersten Lebenswochen ein Kampf war. Ich wollte nicht, dass meine Tochter in ihren ersten Lebenswochen eine Mutter hatte, die gestresst, traurig, genervt und frustriert war.
Natürlich kam an dieser Stelle auch meine eigene Geschichte hoch.
17 Jahre Essstörung, meine Angst irgendetwas an meine Tochter weiterzugeben spielte natürlich eine große Rolle. Natürlich fühlte ich mich „schuldig“. Aber auch das brachte uns nicht weiter, es musste eine Entscheidung her.
Ich wurde wunderbar von meiner Hebamme begleitet. Meine Hebamme, eine absolute Verfechterin des Stillen und sehr erfahren, ging mit mir meinen Weg. Sie unterstützte mich bei meinen Stillversuchen und war mir eine wunderbare Ansprechpartnerin. Mein wunderbarer Mann sah wie ich mich quälte und sprach sehr viel schneller als ich zuerst emotional bereit war vom Fläschchen, von Pre-Milch und davon, mit unserem persönlichen Wahnsinn aufzuhören.
Es war an einem Nachmittag, meine Tochter nuckelte vergeblich an meiner Brust, eine Schlauch des Brustfütterungssets mit Pre-Milch in ihrem Mund, eine angespannte Mama am anderen Ende und ich empfand diesen Moment als so abstrus, dass ich fast schon über die Situation lachen musste. Ich lachte aber nicht, sondern hatte die Assoziation von einer Magensonde im Kopf und in diesem Moment entschied ich, dass es nicht sein sollte und der Versuch „Stillen als Hauptnahrungsquelle“ nach 2,5 Wochen als beendet angesehen werden musste.
Meine Tochter bekam ab diesem Tag mehrfach am Tag ein Fläschchen, ich pumpte insgesamt noch 2,5 Monate weiter ab (um über den Tag verteilt sage und schreibe einen Absacker an Muttermilch für meine Tochter aus mir herauszuquetschen) und legte sie bis sie 3 Monate alt war immer wieder an, wenn ich das Gefühl hatte, sie braucht das gerade und genießt diesen Moment.
Ich las während dieses Prozesses viel von Müttern, die diesen Weg deutlich länger als ich gegangen sind. Wochenlang, monatelang. Ich las von zusätzlichen Stillberaterinnen, die lange begleiteten. Kam für mich nicht in Frage. Ich hatte meine Hebamme, der ich sehr vertraute und die recht bald sehr ehrlich einschätzte, dass ich wohl nie die Menge an Milch geben können würde, die meine Tochter brauchen würde. Ich weiß, dass es viele Frauen gibt, die länger als ich „durchgehalten“ hätten, die „alles dafür getan hätten, um stillen zu können“ und die „um nichts in der Welt so früh mit Fläschchennahrung angefangen hätten“.
Und somit bin ich am eigentlichen Punkt dieses Beitrages. Um all diese Frauen ging es in diesem Moment nicht. Sondern nur und ausschließlich um mich und mein Kind und mein Bauchgefühl, was für uns das Beste ist.
Wer definiert, was diesbezüglich richtig oder falsch ist? Selbstredend ist Stillen und Muttermilch gut für ein Baby. Selbstredend ist Stillen ein wunderbar inniger Moment zwischen Mutter und Kind. Selbstredend hat Muttermilch viele wunderbare Inhaltstoffe aus dem System der Mutter, die gut fürs Kind sind.
Aber! Was am Ende gut oder schlecht ist, was zumutbar ist und was nicht, was machbar ist und was nicht, ist von Frau zu Frau individuell und unterschiedlich. Die Gründe, weshalb eine Frau nicht stillen kann oder stillen will, sind so vielfältig wie wir Mütter. Die eigenen Geschichten und Hintergründe sind so individuell, dass niemanden außerhalb der Mutter – Kind – Beziehung auch nur im Ansatz beurteilen kann, was gut für Mutter und Kind ist. Muttermilch um jeden Preis? Ich sage nein. Manch andere sagt ja und dann ist das genauso zu akzeptieren und anzunehmen wie umgekehrt. Ohne Wertung.
Die Bindung zwischen meinem Kind und mir ist „trotz“ kurzer und wenig zielführenden Stillbeziehung innig, liebevoll, stark. Die Bindung zu meinem Kind ist nicht von einem milchgefüllten Busen abhängig.
Mein Kind lebte die ersten Wochen auf mir und auch heute mit 7 Monaten schläft dieses Kind ausschließlich untertags auf mir. Ich verbringe 24/7 mit ihr und wache selbst wenn wir schlafen unterbewusst über sie. Das alles hat und hatte nichts mit meinem Busen zu tun.
Es war nie meine Angst, dass ich eine weniger intensive Beziehung zu meinem Kind aufbauen könnte, wenn ich nicht stille. Meine Emotionen spielten eine Weile verrückt und ordneten sich dem klassischen Bild der brustgebenden Mutter unter, aber im Grunde wusste ich immer, dass mein Busen nicht Hauptbestandteil der Bindung zu meiner Tochter sein wird.
Ab dem Moment, in dem ich beschlossen und akzeptiert habe, dass Stillen nicht so möglich ist, wie ich es mir anfangs vorgestellt habe, wurde ich entspannter, ruhiger, konnte mich viel mehr auf mein Kind einlassen. Es fiel ein Druck von mir ab, der mir sehr zu schaffen machte und dazu führte, dass die ersten Lebenstage mit meiner Tochter von einer unglaublichen Belastung geprägt waren, die ich so auf keinen Fall mehr wollte.
Ich für mich habe somit die richtige Entscheidung getroffen. Meine Entscheidung heißt nicht, dass sie für andere Mütter ebenfalls die Richtige sein muss. Entscheiden sich Mütter, die wie ich Schwierigkeiten mit dem Stillen haben für einen längeren Weg, so ist das genauso okay wie mein Weg.
Orientiert man sich im Internet, so trifft man leicht auf eine Art Stillmafia.
Frauen, die ihr Kind nicht stillen, sind deren Meinung nach keine richtigen Mütter.
Frauen, die nicht alles, wirklich alles dafür geben, gefühllose Monster. Die armen Kinder. Süffisant verpackt in mitleidigen Worten.
Haltet euch fern von solchen Hyänen! Das ist toxischer Mist und mehr als übergriffig.
Ich freue mich für jede Frau, die gerne und ausreichend ihr Kind stillen kann und möchte.
Ich respektiere jede Frau, die dies nicht möchte oder kann oder sonstige Gründe hat, es nicht zu tun.
Ich freue mich für jede Frau, die ihren individuellen Weg gefunden hat.
Wer sind wir, über andere Mütter zu urteilen? Jede wird ihre ganz persönliche Entscheidung getroffen haben und am Ende zählt doch nur eines: ein glückliches Kind, das ausreichend ernährt wird – egal auf welchem Wege - das geliebt, umsorgt und beschützt wird.
Mum – Bashing ist eines der schlimmsten Dinge, die ich kennenlernen durfte, seit ich in diesem Schwangeren – Mama – Spiel mitmische. Das Thema „Stillen oder nicht“ spielt da in einer ganz besonderen Liga.
Liebt eure Kinder, umarmt sie, kuschelt sie, spielt mit ihnen, bleibt euch selber treu und versorgt sie. Ob mit Muttermilch oder einem Fläschchen.
Die beste Nahrung für euer Kind kommt weder aus eurem Busen noch aus einem Fläschchen – sie kommt aus eurem Herzen und nennt sich Liebe.
Alles Gute für euch.
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