Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Reine Ablenkung?: Berliner Grüne und Linke lehnen SPD-Vorstoß zum Volksentscheid von oben ab

Der Vorstoß der SPD-Fraktion, das Berliner Abgeordnetenhaus zu ermächtigen, selbst Volksentscheide initiieren zu können, stößt auf deutliche Kritik. Die Grünen und die Linke, aber auch verschiedene Vereine, sehen darin eine problematische Entwicklung. Sie argumentieren, dass Volksentscheide ein Mittel der Bürgerbeteiligung sein sollten, nicht der Regierung. Die Befürchtung ist, dass solche "Volksentscheide von oben" missbraucht werden könnten, um von den Bürgern getroffene Entscheidungen zu untergraben, wie es beim Brexit der Fall war. Die SPD-Fraktion sieht in ihrem Vorschlag ein Mittel gegen Politikverdrossenheit und glaubt, dass eine Verfassungsänderung nicht notwendig ist, um diese Form des Volksentscheids einzuführen. Die Linke hingegen fordert die Umsetzung bereits beschlossener Volksentscheide und betont, dass man nicht für eine Verfassungsänderung zur Einführung des SPD-Vorschlags zur Verfügung stehe. Zivilgesellschaftliche Gruppen, wie der Verein Mehr Demokratie und die Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld, lehnen den Vorschlag der SPD ebenfalls ab. Sie befürchten eine Instrumentalisierung und einen Missbrauch der direkten Demokratie, wenn sie in die Hände der Regierung gelegt wird. Stattdessen befürworten sie das Modell eines „fakultativen Referendums“ wie in Hamburg, bei dem Bürger nachträglich über Änderungen von Volksgesetzen durch das Parlament abstimmen können. Nur die CDU zeigte sich bisher offen für den Vorschlag der SPD und möchte die Details intern besprechen. Die Debatte spiegelt die grundsätzliche Auseinandersetzung darüber wider, wie direkte Demokratie gestaltet und wer dazu ermächtigt sein sollte. (Anna Thewalt, Tagesspiegel)

Würden Grüne und LINKE vermutlich anders argumentieren, wenn sie selbst das Ding initiieren wöllten? Oh, ziemlich sicher. Haben sie trotzdem Recht? Absolut. Die LINKE hat etwa völlig Recht, dass die bisherigen Volksentscheide nicht eben dem Optimismus Anlass geben, dass sich hier der Volkswille ungehindert Bahn brechen würde, und noch frustrierender als nicht gefragt zu werden ist glaube ich nur, gefragt und dann ignoriert zu werden. Ich bin aber auch eher gegen das "fakultative Referendum". Referenden sind einfach generell eine rattige Idee. Es ist eine Abgabe von Verantwortung und reduziert unzulässig Komplexität auf eine Zuspitzung von "Ja" und "Nein". Mal von den hier angesprochenen Kollateralschäden mal ganz abgesehen.

2) Weniger als die Hälfte der Eltern rechnet mit motivierender Wirkung der Halbjahreszeugnisse

Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Studienkreises glauben nur 47% der Eltern, dass Halbjahreszeugnisse ihre Kinder für das zweite Schulhalbjahr motivieren. Besonders Eltern, die gute Zeugnisse erwarten, sehen darin eine motivierende Wirkung. 14% befürchten jedoch, dass das Zeugnis ihre Kinder belastet. Schüler*innen mit schlechteren Noten könnten durch individuelle Rückmeldungen statt Noten mehr ermutigt werden. An weiterführenden Schulen gibt es weniger Motivation durch Zeugnisse. 17% der Eltern von Kindern in Klasse 5 und höher sehen eine belastende Wirkung der Zeugnisse, obwohl nur 13% schlechte Noten erwarten. Max Kade, Pädagogischer Leiter des Studienkreises, betont die Wichtigkeit elterlicher Unterstützung in dieser Drucksituation. Trotz gemischter Meinungen zu Notenzeugnissen befürwortet eine Mehrheit der Eltern (59%) Zeugnisse mit Noten. Rund zwei von fünf Eltern würden allerdings individuelle Rückmeldungen bevorzugen. Besonders für schwächere Schüler könnten individuelle Rückmeldungen motivierender sein. 50% der Eltern von Grundschulkindern und 32% der Eltern mit älteren Kindern präferieren individuelle Rückmeldungen. Mütter (46%) sind dabei häufiger dafür als Väter (30%). Die Altersgruppe der Eltern spielt ebenfalls eine Rolle: Während 70% der 50- bis 69-Jährigen Noten bevorzugen, sind es bei den 25- bis 39-Jährigen nur 50%. Insgesamt rechnen 48% der Eltern mit guten Noten für ihre Kinder, 9% erwarten überwiegend schlechte Noten und 31% gehen von gemischten Noten aus. (News4Teachers)

Ich versteh die 47% nicht. Wie kann man von Halbjahresinformationen (es sind keine Zeugnisse, verdammt!!!) einen "Motivationsschub" erwarten? Schlechte Noten haben in den seltensten Fällen eine motivierende Funktion und können auch fast keine haben, weil üblicherweise kaum klar ist, was genau man tun müsste, um bessere zu bekommen (wenn wir Fälle von "Vokabeln lernen" und ähnlichen Kram mal weglassen, aber seriously, da haben offensichtlich die 6en im Vokabeltest vorher auch nicht motiviert). Das ganze Notensystem ist und bleibt eine Krücke, und eine miese noch dazu. Dass Noten bevorzugt werden verstehe ich allerdings völlig; die Illusion der Objektivität ist einfach nicht abzuschütteln. Es ist was, an dem man sich orientieren kann, und Orientierung ist uns einfach wichtig.

3) Erst in der Bundeswehr dienen, dann gibt es den deutschen Pass

Der Vorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius, Nichtdeutsche in der Bundeswehr dienen zu lassen, stößt auf unterschiedliche Reaktionen. Die Bundeswehr hat derzeit Nachwuchsprobleme und sucht nach Wegen, die fehlenden Soldaten zu rekrutieren. Pistorius denkt an Personen, die in Deutschland leben, aber noch keinen deutschen Pass haben, sowie an Bürger anderer EU- oder Nato-Länder. Der Dienst in der Bundeswehr könnte für diese Personen nicht nur ein Beweis der Loyalität und Integration sein, sondern auch eine Art "Schule der Nation" darstellen, wo sie die deutsche Sprache und Werte erlernen. Kritiker befürchten, dass Personen mit tief sitzenden Vorbehalten gegen Deutschland nicht für den Dienst geeignet sind. Zudem haben die meisten EU- und Nato-Länder selbst keinen Überschuss an jungen Leuten, wodurch der Dienst in der Bundeswehr weniger attraktiv erscheint. Historische Beispiele, wie die britische Armee im Zweiten Weltkrieg oder die nepalesischen Ghurkas, zeigen jedoch, dass das Konzept funktionieren kann. Für die Bundeswehr könnte ein freiwilliger Dienst von Nichtdeutschen eine Win-Win-Win-Situation sein: Es würde die Armee stärken, der Gesellschaft nutzen und Zuwanderern Aufstiegsmöglichkeiten bieten. Der Dienst könnte mit intensiven Sicherheitschecks verbunden sein, um Radikale auszuschließen. Langfristig könnte dies sogar dazu führen, dass der Dienst in der Armee den Weg zur deutschen Staatsbürgerschaft eröffnet. (Alan Posener, WELT)

Das scheint mir auch so eine Idee zu sein, die wie die "Europäische Armee" immer wieder ausgepackt wird. Anders als bei dieser bin ich hier nicht sicher, wie ich dazu stehe, ehrlich gesagt. Auf der einen Seite ist die Idee, die deutsche Staatsbürgerschaft durch konkrete Dinge zu verdienen, bei mir bekanntlich eine sehr wohlgelittene. Auf der anderen Seite ist die Gefahr, dass die Armee so zu einer Unterschichtenveranstaltung wird, auch nicht auszuschließen. Vor allem kann ich mir nicht vorstellen, dass der institutionellen Versuchung nicht nachgegeben würde, diese, nennen wir sie mal Legionäre, bevorzugt an den unattraktivsten und gefährlichsten Stellen einzusetzen. Aber ich wäre echt gespannt, wie Leute mit mehr Expertise das sehen, da haben wir hier ja ein paar.

4) Prisoners in the US are part of a hidden workforce linked to hundreds of popular food brands

Eine umfassende Untersuchung der Associated Press (AP) hat aufgedeckt, dass die Arbeit von Gefangenen in den USA in die Lieferketten einiger der weltweit größten Lebensmittelunternehmen und beliebtesten Marken einfließt. Insbesondere das Louisiana State Penitentiary, bekannt als Angola, ein ehemaliges Sklavenplantagengebiet und heute das größte Hochsicherheitsgefängnis der USA, steht im Mittelpunkt dieser Enthüllung. Die Untersuchung zeigt, dass Gefangene, die oft zu niedrigen Löhnen oder gar nicht entlohnt werden und denen bei Arbeitsverweigerung Strafen drohen, in Branchen mit schweren Arbeitsmangel arbeiten. Ihre Arbeit ist in Produkten zu finden, die in fast jedem amerikanischen Haushalt vorhanden sind, wie Frosted Flakes, Ball Park Hot Dogs, Gold Medal Mehl, Coca-Cola und Riceland Reis. Diese Produkte werden in nahezu allen Supermärkten des Landes verkauft. Viele der Unternehmen, die direkt von Gefängnissen kaufen, verstoßen dabei gegen ihre eigenen Richtlinien zur Verwendung solcher Arbeitskräfte. Die Praxis ist jedoch legal und geht auf die Zeit nach dem Bürgerkrieg zurück, als Arbeitskräfte zur Wiederherstellung der zerstörten Wirtschaft des Südens benötigt wurden. Dies ist im 13. Zusatzartikel zur US-Verfassung verankert, der Sklaverei und Zwangsarbeit verbietet, es sei denn, sie sind als Strafe für ein Verbrechen verhängt. Die Arbeit von Gefangenen erstreckt sich über verschiedene Sektoren und ist Teil eines milliardenschweren Imperiums. Diese Praxis wird kritisiert, da die Gefangenen oft grundlegende Arbeitsschutzrechte verwehrt bleiben und ihre Arbeit in vielen Fällen als moderne Sklaverei angesehen wird. Die Debatte über die Abschaffung oder Reform dieser Praxis wird auf Bundesebene geführt, und in etwa einem Dutzend Staaten stehen Bemühungen zur Entfernung ähnlicher Sprachregelungen aus den Landesverfassungen zur Abstimmung an. Gefangene in Angola arbeiten auf dem gleichen Boden, auf dem vor über 150 Jahren Sklaven Baumwolle, Tabak und Zuckerrohr ernteten, und die heutigen Bilder ähneln erschreckend der Vergangenheit. Es wird berichtet, dass Gefangene unter strengen Bedingungen und mit geringer oder keiner Entlohnung schwere Landarbeit verrichten. (CNBC)

Diese lange Recherche lohnt die komplette Lektüre. Ich finde es immer wieder erschreckend, in welchem Ausmaß das amerikanische Justizsystem kaputt ist. Die Polizei ist eine völlig verrottete Institution, die Gerichte und die Prozessordnungen sind eine mittlere Katastrophe und das Gefängnissystem spottet jeder Beschreibung. Auffällig ist auch die völlige Resistenz gegen Enthüllungen. Die Polizei übersteht jeden Skandal, jeden Mord, jede Vertuschung ohne Probleme. Städte wie New York zahlen jährlich dreistellige Millionenbeträge an Schadensersatz, anstatt das NYPD zu reformieren. Der Zustand des amerikanischen Gefängnissystems ist seit mindestens 25 Jahren ein Dauerthema in der Popkultur, von "Oz" über "Prison Break" zu "The Thirteenth" und "Orange is the New Black", nur um mal diesen höchst sichtbaren Sektor zu nennen. Es passiert - nichts. Stattdessen werden manche Bereiche dieser institutionalisierten Sklavenarbeit sogar ausgebaut. Kompletter Wahnsinn, dass so was in der ältesten Demokratie der Welt abläuft.

5) Union begrüßt Regierungspläne für Schutz des Verfassungsgerichts

Die Überlegungen der Ampelkoalition zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor parteipolitischer Einflussnahme finden Zustimmung bei der Union. Andrea Lindholz, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Unionsfraktion, unterstützt die Idee einer breiten Diskussion über das Thema. Der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Johannes Fechner schlägt vor, eine Gesetzesänderung über das Bundesverfassungsgericht zukünftig nur mit einer Zweidrittelmehrheit zu ermöglichen, um das Gericht vor Vorkommnissen wie in Polen zu schützen, wo das Verfassungsgericht effektiv lahmgelegt wurde. Stephan Thomae von der FDP-Fraktion fordert, den Parlamentarismus und die Verfassungsgerichtsbarkeit widerstandsfähiger gegen Demokratiefeinde zu machen, indem wesentliche Strukturen des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz verankert werden. Konstantin von Notz von den Grünen spricht sich für eine frühzeitige Einbeziehung der Union in die Diskussionen aus und betont die wichtige Rolle der Union als größte Oppositionsfraktion und als verantwortliche Kraft in vielen Bundesländern. Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnt vor autoritären Kräften, die die Demokratie und den Rechtsstaat von innen zerstören wollen, indem sie die unabhängige Justiz und demokratische Institutionen angreifen. Die aktuelle Debatte im Bundestag, in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit zeigt, dass viele die Gefahren für die Demokratie erkannt haben. (Spiegel)

Ich sehe zum einen positiv, dass Regierung und Opposition bei der Notwendigkeit des Schutzes der Demokratie zusammenkommen. Auf der anderen Seite hat die Maßnahme, eine Zwei-Drittel-Mehrheit einzuziehen, aber eine sehr klare andere Seite: sie gibt einer Ein-Drittel-Minderheit eine Sperrminorität. Die Folgen einer solchen Politik lassen sich bereits in Thüringen beobachten, wie dieser Beitrag hier sehr gut ausführt (weitere Artikel zum Thema hier und hier). Ähnliches gilt, wie Arnd Diringer in Welt ausführt, auch für Maßnahmen wie die Aberkennung von Bürgerrechten gegen Bernd Höcke (als pars pro toto). Ob das genug Grund ist, davon abzusehen? Keine Ahnung.

Resterampe

a) Gottes Willen ist Guérot lost.

b) Zur Diskussion im letzten Vermischten über die politischen Effekte der Haushaltskonsolidierung siehe hier.

c) Zum letzten Jahr hier besprochenen 1848-Buch von Christopher Clarke hier eine Sammlung Rezensionen.

d) Mein Kommentar zur BBC-Einstellungspolitik.

e) Darüber hab ich auch mit Jürgen Zimmerer im Podcast gesprochen; das ist aus deren Sicht völlig konsistent.

f) Umfrage: Lehrkräfte wünschen sich kostenfreie Zugänge zu KI-Anwendungen. Ich hab darüber schon geschrieben; die Arbeitsbedingungen sind einfach unterirdisch. Ich zahl derzeit auch 20 Euro monatlich dafür, dass ich für die Schule Konzepte an ChatGPT entwickeln kann (wofür ich auch nicht bezahlt werde). Super, oder?

g) Der blinde Fleck der deutschen Sicherheitspolitik. Mutig, da einen spezifischen auszumachen, aber stimme völlig zu.

h) AfD schmäht Massenproteste als »das letzte Aufgebot«. Hehehe, da ist aber jemand ganz schön erschüttert.

i) Das Streikfieber der deutschen Gewerkschaften. Und was der Staat jetzt tun muss. Da kommen die "Marktwirtschaftler" der Springerpresse und schreien nach dem Staat. Ich sag's ja immer wieder: niemand hält sich an die eigenen Prinzipien, die fliegen immer über Bord, sobald es unbequem wird.

j) Berlins Turteltauben-Problem. Ich kann diese Aufregung nicht nachvollziehen und halte das für völlig überzogen.

k) There’s No Such Thing as a Meaningful Death. Kann gar nicht oft genug gesagt werden. "Men's lives have meaning, not their deaths." - George R. R. Martin

l) Absurd.

m) The Tremendous Yet Troubled State of Gaming in 2024. Super ausführliche ökonomische Analyse des Gamingsektors.

n) 7. Oktober: Beteiligung von UNRWA-Mitarbeitern größer als gedacht. Zitat: "Schon die Attentäter des Münchner Olympia-Massakers von 1972 waren Absolventen von UNRWA-Schulen", erklärte Prosor. Naive Frage: Ist es nicht auch ein Zeichen für massives israelisches Versagen, dass seit den 1970er Jahren UN-Schulen die Grundversorgung machen?

o) Niedergang des Abendlandes, KaDeWe-Edition. Diese Artikel sind so, so albern.

p) AfD inhaltlich stellen, Kapitel 2352236.

q) Sahra Wagenknecht und ihre »netten Mails«: Sahras seltsame Kontakte.

r) Reste der "Beine breit"-Gesetzgebung.


Geschrieben am 30.1.2024

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