Von 2005 bis 2021 stieg das inländische Erwerbsarbeitsvolumen von ca. 56.310 Mio. auf ca. 60.490 Mio. Stunden (2019, vor Beginn der Covid-19-Pandemie sogar: 62.539). Etwas ungenau gerechnet war dies ein Anstieg der Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn von 692 Stunden im Jahr auf 727 Stunden/Jahr (2019 sogar: 753).
Wo kommen diese Zahlen her? Die Zahlen zum Arbeitsvolumen und zur Bevölkerung aus den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Statistischen Bundesamtes. Die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn ist selbst berechnet (Arbeitsvolumen dividiert durch EinwohnerInnen-Zahl). Das Statistische Bundesamt nennt als Quelle für das Arbeitsvolumen wiederum das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit.
Warum ist Rechnung leicht ungenau? Weil es sich um das inländische Erwerbsarbeitsvolumen handelt – also um die im Inland geleisteten Erwerbsarbeitsstunden; nicht um die von InländerInnen (= EinwohnerInnen) geleisteten Arbeitsstunden. Beides bedeutet einen leichten Unterschied, da manche Menschen, die in der Bundesrepublik wohnen, im Ausland arbeiten – und manche, die in anderen Ländern wohnen, für die Erwerbsarbeit in die Bundesrepublik (ein)pendeln. Bessere Zahlen (also Zahlen zu der von den InländerInnen geleisteten Erwerbsarbeit, die dann genau zur EinwohnerInnen-Zahl passen würden, habe ich bisher leider nicht auftreiben können.)
Kommen wir nun zu den Details.
Überblick:
- Terminologie und Veröffentlichungsform
- Arbeitszeiten und Arbeitsvolumen
- Wie entwickelt sich die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn (statt pro erwerbstätige Person)?
- Ein statistisches Problem: Inlands- versus Inländerkonzept
- Entwicklung der Erwerbstätigenquote
- Die Entwicklung der Erwerbsarbeitszeit von 2001/02 bis 2012/13
- Vergleich des Ergebnisses meiner Berechnungen mit den Zahlen der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes
- Zwischenresümee
- Paradoxien der Erwerbsarbeitszeit-Entwicklung?
- Trotz Sinkens des Bevölkerungs-Anteils der 15- bis unter 65-Jährigen stieg das gesamt-gesellschaftliche Erwerbsarbeitsvolumen
- Trotzdem sanken aber die individuellen Jahres-Erwerbsarbeitszeiten der Erwerbtstätigen
- Wie konnte dies gelingen?
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit veröffentlicht vierteljährlich eine sog. „Arbeitszeitrechnung“, die – mit den jährlichen Zahlen – auch in die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) des Statistischen Bundesamtes eingeht (S. 47 [.pdf] / Tabelle 1.13 [xlsx]; die Bevölkerungszahl steht dort auf S. 44 bzw. in Tabelle 1.12). Außerdem veröffentlicht das genannte Institut in etwas größeren Abständen eine „Arbeitszeitrechnung nach Geschlecht“. Um letztere soll es im folgenden – dritten – Teil der vorliegenden Artikelserie gehen. (Teil I beschäftigte sich mit den verschiedenen Bevölkerungszahlen des Statistischen Bundesamtes.)
Terminologie und Veröffentlichungsform
Das, was in der Tabelle des IAB „Arbeitsvolumen“ der Erwerbstätigen heißt, wird in den VGR „Geleistete Arbeitsstunden der Erwerbstätigen“ genannt; das, was beim IAB „Arbeitszeit“ heißt, wird vom Statistischen Bundesamt „Geleistete Arbeitsstunden je Erwerbstätigen“ genannt. (Ich orientiere mich meinerseits meistens an der Terminologie des IAB, aber setze in der Regel – um der Klarheit willen – das Adjektiv „gesamt-gesellschaftlichen“ vor „Arbeitsvolumen“ [oder spreche von „Gesamt-Arbeitsvolumen"] und setze „durchschnittlich“ vor „Arbeitszeit“; oft betone ich auch, daß es sich um die Jahres-Erwerbsarbeitszeiten handelt.)
Generell weichen die Zahlen zum Arbeitsvolumen dadurch von einander ab, daß das Statistische Bundesamt nur vier Stellen hinter dem Komma nennt. Etwas stärker weichen die Zahlen für 2021 von einander ab (eventuell wegen unterschiedlicher Datenstände). [Siehe Korrekturhinweis am Ende des Artikels.]
Interessant sind die Arbeitszeitrechnungen deshalb, weil sie die durchschnittlichen Jahres-Arbeitszeiten der abhängig Beschäftigten (dort „beschäftigte Arbeitnehmer“ genannt), der Selbständigen und Mithelfenden Familienangehörigen sowie das sog. „Arbeitsvolumen“ nennen. (In einem weiteren Schritt läßt sich also errechnen, wieviel Erwerbsarbeitszeit die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen für ihr jeweiliges Erwerbseinkommen aufwenden mußten. Dies wird vielleicht in einem vierten Teil der Artikel-Serie gemacht.)
Die durchschnittliche Jahres-Arbeitszeit ergibt sich durch Division des jeweiligen Gesamt-Arbeitsvolumens durch die Zahl der abhängigen Beschäftigen usw. (Beziehungsweise umgekehrt: Das Arbeitsvolumen entspricht dem Ergebnis der Multiplikation der jeweiligen durchschnittlichen Jahres-Arbeitszeiten mit der Zahl der abhängigen Beschäftigen usw. )
Die Erwerbstätigen sind die Summe von abhängig Beschäftigten, Selbständigen und Mithelfenden Familienangehörigen. Die Zahlen für die Selbständigen und Mithelfenden Familienangehörigen werden meist als Summe (das heißt: nicht getrennt) ausgewiesen. „Mithelfende Familienangehörige“ (in der Tabelle des IAB wird schlicht von „Mithelfenden“ gesprochen) sind Angehörige von Selbständigen, die in einem Betrieb, der von der selbständigen Person geleitet wird, „mithelfen (d.h. am Erwerbsleben beteiligt sind), […], ohne hierfür Lohn oder Gehalt zu erhalten und ohne dass für sie Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden“ (https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/mithelfende-familienangehoerige-38293/version-179273).
Wird die Zahl der Erwerbslosen zur Zahl der Erwerbstätigen addiert, so ergibt sich die Zahl der Erwerbspersonen.
Arbeitszeiten und Arbeitsvolumen
Die Zahlen, um die es hier vor allem geht (die Arbeitsvolumina und Arbeitszeiten) gibt es beim IAB als Zeitreihen von 1991 bis 2021 (in der zusätzlichen Aufgliederung nach Geschlecht erst bis 2019; das Statistische Bundesamt nennt sogar Zahlen zurück bis 1970, aber mit einem Zeitreihenbruch von 1990 zu 1991 und ohne Geschlechterdifferenzierung). Diese Zahlen zeigen ein Sinken der durchschnittlichen Jahres-Arbeitszeiten, einen – stärkeren – Anstieg der Zahl der abhängig Beschäftigten und auch der Erwerbstätigen insgesamt.
Das Resultat ist folglich ein Anstieg des (gesamt-gesellschaftlichen) Arbeitsvolumens seit 2005.
Die einschlägigen Daten finden wir in der Datei:
https://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/AZ_Komponenten.xlsx.
Die für unseren Zweck nötigen Daten befinden sich in den Zeilen
6 „Beschäftigte Arbeitnehmer“,
64 „Arbeitszeit [der Beschäftigten Arbeitnehmer] einschl. Nebenjobs“,
66 „Arbeitsvolumen [der Beschäftigten Arbeitnehmer]“,
71 „Personen [der Gruppe ‚Selbstständige und Mithelfende‘]“,
72 „Arbeitszeit [der Gruppe ‚Selbstständige und Mithelfende‘]“,
74 „Arbeitsvolumen [der Gruppe ‚Selbstständige und Mithelfende‘]“,
77 „Personen [= erwerbstätige Personen]“,
78 „Arbeitszeit [der Erwerbstätigen]“
und
80 „Arbeitsvolumen [der Erwerbstätigen]“.
Die Tabelle ist so formatiert, daß standardmäßig die Jahre zu sehen sind; für die Jahre 2020 und [Siehe Korrekturhinweis am Ende.] 2021 aber außerdem die Quartalszahlen; auch für das erste Quartal 2022 werden die Zahlen bereits angezeigt. Auch für die früheren Jahre befinden sich – versteckt – die Quartalszahlen zwischen den Spalten mit den Jahreszahlen.
Wenn wir die für uns relevanten Zeilen und die Jahresspalten exzerpieren und die Zeilennamen (distinktiv) vereindeutigen (sodaß sie als Graphikbeschriftungen taugen), ergibt sich folgende Tabelle:
https://datawrapper.dwcdn.net/VGpYv bzw. https://www.datawrapper.de/_/VgpYv.
Wie entwickelt sich die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn (statt pro erwerbstätige Person)?
Eine Frage bleibt in diesen Statistiken allerdings offen: Wie sieht die Entwicklung aus, wenn das Arbeitsvolumen nicht bloß auf die Erwerbstätigen, sondern auf alle EinwohnerInnen der Bundesrepublik umgelegt wird. Müssen die Menschen mehr oder weniger Erwerbsarbeit leisten (um ihren Lebensbedarf zu decken)? (Klar ist, daß auch der Lebensstandard derjenigen, die aktuell nicht erwerbstätig sind, letztlich vom Umfang der Erwerbsarbeit und deren Produktivität anhängt – sei es z.B., daß sie heute Rente beziehen und früher – von ihrem Erwerbsarbeitseinkommen – Rentenversicherungsbeitrag zahlten, oder sei es z.B., daß sie Unterhalt von einem erwerbstätigen Elternteil [oder beiden] oder von einem/r erwerbstätigen PartnerIn erhalten.)
Für die Gesamtbevölkerung können wir einfach selbst ausrechnen, wieviel Erwerbsarbeit pro EinwohnerIn aufgewandt wird. Denn die Arbeitszeitrechnung ist auf die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) abgestimmt – und diese enthalten auch eine Bevölkerungszahl (S. 44 [.pdf] / Tabelle 1.12 [xlsx]; siehe zu den verschiedenen Bevölkerungs-Begriffen: Teil I). In Kurzform war das Ergebnis bereits im ersten Absatz des hiesigen Artikels genannt: Die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn stieg von 692 Stunden/Jahr in 2005 auf 753 Std./Jahr in 2019. Damit war die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn 2019 fast wieder genauso hoch wie 1991 (755 Stunden/Jahr). (Krisen-bedingte Einbrüchen gab es 2009 [Immobilien- und Finanzmarktkrise] und 2020 [Covid-19-Pandemie; der Wiederanstieg in 2021 glich den Rückgang 2020 nur teilweise aus]).
Ein statistisches Problem: Inlands- versus Inländerkonzept
Ein Problem gibt es aber trotzdem (auch dieses war am Anfang des Artikels bereits kurz angesprochen): Die Arbeitszeitrechnung folgt dem sog. Inlandskonzept:
„Die Erwerbstätigen in der AZR entsprechen dem Inlandskonzept bzw. Arbeitsortkonzept, um die Konsistenz mit anderen Aggregaten der VGR zu gewährleisten. Das bedeutet, dass die im Inland geleistete Arbeitszeit der Einpendler mit einbezogen wird. Die außerhalb Deutschlands geleistete Arbeitszeit der Auspendler bleibt hingegen unberücksichtigt. Diese Definition der Erwerbstätigkeit steht im vollen Einklang mit den Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Diese sehen das sogenannte Labour-Force-Konzept als Standard für die Klassifizierung der Bevölkerung nach ihrer Beteiligung am Erwerbsleben in international vergleichbaren Erwerbs- und Arbeitsmarktstatistiken vor.“ (https://doku.iab.de/forschungsbericht/2019/fb0719.pdf, S. 13)
Was ist das Problem daran? Die Bevölkerungszahl in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen – und auch die in derselben Tabelle 1.12 genannten Zahlen der Erwerbstätigen usw. – folgen dagegen dem Inländerkonzept; siehe:
- Tabelle „1.12 Bevölkerung und Erwerbsbeteiligung“, Spalte 4 „Erwerbstätige. Insgesamt“, Abschnitt „Deutschland – Ergebnisse der VGR-Revision 2019“, Zeile 2021: 44.801 (S. 44 [.pdf]).
- Dagegen Tabelle „1.13 Erwerbstätige, Arbeitnehmer und geleistete Arbeitsstunden im Inland“, Spalte 1 „Erwerbstätige“, Abschnitt „Deutschland – Ergebnisse der VGR-Revision 2019“, Zeile 2021: 44.918 (S. 47 [.pdf]).
- Hinzukommt: Überschrift von Spalte 1 von Tabelle 1.12 lautet: „Bevölkerung (Einwohner)“. Das „Inlandskonzept“ berücksichtigt dagegen aber gerade Leute, die nicht in der Bundesrepublik wohnen, sondern zum Arbeiten einpendeln – und es schließt Leute aus, die zwar in der Bundesrepublik einen Wohnsitz haben, aber im Ausland arbeiten...
Unser Alltagswissen genügt aber, um davon auszugehen, daß die sehr große Mehrheit der Menschen, die in der BRD leben, sofern sie überhaupt erwerbstätig sind, dies in der BRD selbst sind und, daß auch die Zahl der ‚EinpendlerInnen‘ überschaubar ist. Ebenso gibt es sicherlich auch Unterschiede zwischen den Arbeitszeiten von EinpendlerInnen im Inland und AuspendlerInnen im Ausland. Aber auch diese Unterschiede dürften überschaubar sein. Es dürfte also – mangels Kenntnis von Erwerbsarbeitszahlen nach „Inländerkonzept“ – vertretbar sein, die Division des Arbeitsvolumens (nach Inlandskonzept) durch die EinwohnerInnen-Zahl (nach Inländerkonzept) vorzunehmen: Die Verzerrung durch den Unterschied zwischen Inlands- und Inländerkonzept dürfte nicht sehr groß sein.
Allerdings gibt es nicht nur die Unterschiede zwischen Ein- und AuspendlerInnen überhaupt. Vielmehr ist auch deren Anzahl unterschiedlich groß. Um zumindest diesen Effekt auszuschalten, können wir die Jahres-Erwerbsarbeitszeit der Inlands-Erwerbstätigen mit der Anzahl der Erwerbstätigen nach Inländerkonzept multiplizieren. Wir erhalten dann ein hypothetisches (Erwerbs)Arbeitsvolumen der inländischen Erwerbstätigen. Dieses Arbeitsvolumen können wir sodann durch die Bevölkerungszahl dividieren (siehe dazu https://datawrapper.dwcdn.net/1fKOI/1/dataset.csv, Zeile 31, 32 und 37). Dies ergibt dann den gepunkten, roten Kurven-Verlauf (VGR) (und den grauen, gepunkteten Kurven-Verlauf [Bevölkerungsfortschreibung]) in der folgenden Graphik (Achtung: In den Säulen-Diagramm sind die Original-IAB-Daten dargestellt; hier die stärker gerundeten und für 2021 abweichenden VGR-Daten!).
Wir sehen hier an den nebeneinanderliegenden Kurven besser als an dem vorhergehenden Säulen-Diagramm, was bereits in der Beschriftung des letzteren stand: Die Rechenergebnisse für die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn unterscheiden sich nicht groß – egal, ob die Bevölkerungszahlen aus den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen oder aus der Bevölkerungsfortschreibung zum Rechnen verwendet werden: Der Unterschied beträgt weniger als 15 von ca. 725 Stunden pro Jahr (also weniger als 2 %); die maximale absolute Abweichung beträgt 13 von 729 Stunden im Jahr – also 1,78 Prozent – im Jahr 2010. Und vor allem: Die Auf- und Ab-Bewegung ist bei allen vier Kurven die gleiche. Das heißt: Das Charakteristische des Kurvenverlaufs wird von der Entwicklung des Arbeitsvolumens bestimmt – und nicht von den Unterschieden zwischen den verschiedenen Bevölkerungs-Zahlen, die zum Rechnen verwendet wurden.
Meine Vermutung ist, daß die rot-gepunktete Kurve die tatsächliche Entwicklung am besten trifft – aber sicher können wir es mangels (veröffentlichter) Zahlen zum Arbeitsvolumen bzw. zur durchschnittlichen Jahresarbeit nach Inländerkonzept nicht wissen.
Entwicklung der Erwerbstätigenquote
Werfen wir nun – im Hinblick auf die Kommentare in vorstehendem Diagramm – noch einen Blick
- auf folgende Graphik:
und
- auf einen Ausschnitt aus der sehr großen Tabelle: https://datawrapper.dwcdn.net/1fKOI bzw. https://www.datawrapper.de/_/1fKOI:
In dem vorstehenden Tabellen-Ausschnitt ist in Zeile 7 und 12 der für den jeweiligen Vergleichsraum zuerst genannte Wert die Veränderung in Prozentpunkten; der zweite Wert die relative (prozentuale) Veränderung, z.B.: Die Erwerbstätigenquote laut VGR sank – auf ganze Zahlen gerundet – von 49 % im Jahre 1991 auf 47 % im Jahre 1996 – also um zwei Prozentpunkte (Spalte S, Zeile 7). Zwei von 49 Prozentpunkten sind – wiederum gerundet – 4 % (Spalte T, Zeile 7). (Ein Anstieg um zwei Prozentpunkte von 20 auf 22 % wäre dagegen ein Anstieg um 10 %; ein Anstieg um zwei Prozentpunkte von 60 auf 62 % dagegen nur ein Anstieg um 3,3 %.)
Im übrigen können wir erkennen:
- Von 1991 bis 1996 (Spalte S und T) sank die Zahl der Erwerbstätigen (Zeile 4, 5 und 11) trotz steigender Bevölkerungszahl (Zeile 1 und 10). Folge war ein Sinken der Erwerbstätigenquote (Zeile 7 und 12) – also des Anteils der Erwerbstätigen an der Gesamt-Bevölkerung.
- Von 1996 bis 2001 (Spalte V und W) stieg dann die Bevölkerungszahl (Zeile 1 und 10) leicht und die Zahl der Erwerbstätigen (Zeile 4, 5 und 11) stärker. Folge war ein Wieder-Anstieg der Erwerbstätigenquote (Zeile 7 und 12).
- Von 2001 bis 2006 (Spalte Y und Z) stagnierte die Erwerbstätigenquote in etwa (die Details hinsichtlich der Bevölkerungszahl und der Zahl der Erwerbstätigen stellt sich nach VGR und Mikrozensus unterschiedlich dar).
- Von 2006 bis 2021 (Spalte AB und AC) kam es dann zu einem deutlichen Anstieg der Bevölkerungszahl und zu einem noch stärkeren Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen. Damit sind nun sowohl die Zahl der Erwerbstätigen als auch deren Anteil der Gesamt-Bevölkerung wieder höher als 1991 – und zwar nach insoweit übereinstimmenden Angaben der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) und des Mikrozensus.
Auch die Erwerbstätigenquote gibt es also mehrfach:
- Einmal als Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung im Sinne der VGR und einmal als Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung im Sinne des Mikrozensus.
- Aber nicht nur hinsichtlich der Bezugsgröße, sondern auch hinsichtlich der zugrunde liegenden Erwerbstätigkeits-Definitionen und Erhebungsmethoden unterscheiden sich beide Quoten: Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen prekäre Beschäftigung vollständiger erfassen als der Mikrozensus (zu den Einzelheiten siehe: https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Methoden/Erlaeuterungen/erlaeuterungen-etr-zum-mz.html).
Die Entwicklung der Erwerbsarbeitszeit von 2001/02 bis 2012/13
Ein Detail aus vorstehendem Schaubild 2 sei noch angesprochen: Nicht nur seit 2005 kam es zu einem Anstieg der Jahres-Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn, sondern auch im – zunächst als etwas merkwürdig erscheinenden – Vergleich von 2001/02 zu 2012/13 kam es zu einem Anstieg – also über die Talsohle hinweg:
Dieser – zunächst als etwas merkwürdig erscheinende – Vergleich ermöglicht uns, zur Kontrolle eine zweite – von der IAB-Arbeitszeitrechnung und meinen Improvisationen zur Bevölkerungszahl völlig unabhängige – Quelle heranzuziehen. Diese Quelle sind die Zeitverwendungserhebungen, die das Statistische Bundesamt ca. alle 10 Jahre durchführt: Die vierte wird gerade durchgeführt; die zweite fand 2001/02 statt; die dritte 2012/13 (siehe dazu meinen Artikel: Nachträge zur Zeitverwendung: Zur geschlechtlichen Verteilung von Arbeit und Einkommen in der BRD 1991 – 2021).
Auch nach dieser Erhebung kam es von 2001/02 zu 2012/13 zu einem Anstieg des Erwerbsarbeits-Zeitaufwandes – dort allerdings pro EinwohnerIn ab 10 Jahren:
Die vorstehenden Zahlen beziehen sich allerdings – wie gerade schon gesagt – auf Befragte ab 10 Jahren. Berechnen wir daher noch, was sich ergibt, wenn das Erwerbsarbeitsvolumen lt. IAB nicht durch die gesamte EinwohnerInnen-Zahl, sondern bloß durch die Zahl der EinwohnerInnen ab 10 Jahren dividiert wird – dies setzt allerdings voraus, zunächst einmal die Bevölkerungszahl ab 10 Jahren zu ermitteln (an dieser Stelle müssen wir nun doch wieder improvisieren):
- Denn die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen enthalten – genauso wie Angaben nach Geschlecht – auch keine Angaben nach Alter.
- Die Bevölkerungsfortschreibung enthält dagegen Angaben nach Alter. Die Zahlen ab 2011 können wir direkt auf die VGR übertragen.
- Für die Zeit vor 2010 ist das dagegen problematisch, denn von 1991 bis 2010 sind die Bevölkerungszahlen aus der Bevölkerungsfortschreibung – und damit auch die Zahlen für die Bevölkerung ab zehn Jahren – für einen Vergleich mit Daten aus den VGR ‚zu hoch‘ (die VGR-Zahlen wurden anhand des Zensus 2011 rückwirkend nach unten korrigiert; die Zahlen der Bevölkerungsfortschreibung dagegen nicht.).
- Das heißt: Es ergibt sich eine ‚zu niedrigere‘ Erwerbsarbeitszeit pro Person (weil der Divisor ‚zu groß‘ ist). Deshalb wird hier eine weitere Hypothese eingeführt: Nämlich die Annahme, daß der (prozentuale) Anteil der Bevölkerung ab 10 Jahre an der Gesamt-Bevölkerung gem. VGR und Bevölkerungsfortschreibung gleich sei. Dann können wir mit dem Prozentsatz die (hypothetische) absolute Zahl der Bevölkerung ab 10 Jahren gemäß VGR berechnen.
Nach dieser Berechnung der (hypothetischen) absoluten Zahl der Bevölkerung ab 10 Jahren gemäß VGR können wir dann das Erwerbsarbeitsvolumen durch die Zahl der so ermittelten (hyopothetische) Zahl der EinwohnerInnen ab 10 Jahren dividieren und erhalten dadurch die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn ab 10 Jahren.
Auch in dieser Graphik sehen wir wieder den Anstieg – über die Talsohle hinweg – von 2001/02 zu 2012/13 – also die Übereinstimmung mit den Daten der (auf ganz anderer Methode beruhenden) Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes:
Vergleich des Ergebnisses meiner Berechnungen mit den Zahlen der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes
Sehen wir uns nun noch – zusätzlich zur Entwicklungsrichtung (Anstieg oder Fallen?) – die konkreten Zahlen an.
In den Zeitverwendungserhebungen waren folgende konkreten Zahlen genannt, die sich – durch Multiplikation mit 365 Tagen – in Stunden pro Jahr umrechnen lassen:
Zeitverwendungserhebung (ZEV) 1991/92, 2001/02 und 2012/13
1991/92 | 2001/02 | 2012/13 | |
Erwerbsarbeitszeit i.w.S. (incl. Wegestrecken und anderen Aktivitäten i. Zsh. mit Erwerbsarbeit [z.B. Jobsuche]) | 22 Std. / Woche [ist evtl. gerundet; entspricht ca. 3:09 Std.:Min. / Tag] |
2:27 Std.:Min / Tag |
2:43 Std.:Min. / Tag |
Reine Erwerbsarbeitszeit (im Haupt- und Nebenjob) | [geschätzt: 2:39 Std./Tag (1)] | 2:03 Std.:Min. / Tag | 2:20 Std.:Min. / Tag |
[geschätzt: 965,79 Std./Jahr] | 748,25 Std./Jahr (2) | 851,67 Std.:Min. (3) |
https://www.statistischebibliothek.de/mir/servlets/MCRFileNodeServlet/DEHeft_derivate_00065124/Zahlenkompass_1997.pdf, S. 38.
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Zeitverwendung/Publikationen/Downloads-Zeitverwendung/zeitverwendung-5639102139004.pdf?__blob=publicationFile, S. 127; siehe oben Schaubbild 7.
(1) 3:09 Std.:Min. / Tag (= 189 Min./Tag) - 16 Prozent = 159 Min./Tag = 2:39 Std./Min. / Tag. (Die 16 Prozent entsprechen in etwa dem Unterschied 2001/02 und 2012/13 zwischen Erwerbsarbeit i.w.S. und reiner Erwerbsarbeit.)
(3) 2 Std./Tag x 365 Tage = 730 Std./Jahr. 3 Min. x 365 Tage = 1.095 Min./Jahr = 18,25 Std./Jahr. 730 + 18,25 = 748,25.
(3) 2 Std./Tag x 365 Tage = 730 Std./Jahr. 20 Min. x 365 Tage = 7.300Min./Jahr = 121,67 Std./Jahr. 730 + 121,67 = 851,67.
Befragt wurden 2001/02 und 2012/13 Personen ab 10 Jahre; 1991/92 ab 12 Jahren. (Da Personen zwischen 10 und 12 Jahren in der BRD in aller Regel keine Erwerbsarbeit im statistisch relevanten Ausmaß leisten, bedeutet dies, daß sich ungefähr die gleiche Menge an Erwerbsarbeit auf eine kleinere Zahl an Leuten verteilte, als wenn auch 1991/92 schon Personen ab 10 Jahren befragt worden wären. Folglich fällt die Zahl [das Ergebnis] etwas größer aus, wenn das Erwerbsarbeitsvolumen auf die Personen ab 12 Jahren, als wenn es auf die größere Menge der Personen ab 10 Jahren verteilt wird.) Vergleichen wir dies nun mit den Zahlen, die wir anhand der Arbeitszeitrechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung für die Bevölkerung ab 10 Jahren errechnet haben:
(Reine) Erwerbsarbeitszeit (in Std. pro Jahr) laut Arbeitszeitrechnung (AZR) des IAB, umgerechnet auf die Bevölkerung ab 10 Jahren
1991/92 | 2001/02 | 2012/13 | ||||||
1991 | 1992 | MW | 2001 | 2002 | MW | 2012 | 2012 | MW |
850,15 | 838,23 | 844,19 | 786,54 | 776,12 | 781,33 | 803,33 | 806,65 | 804,99 |
https://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/AZ_Komponenten.xlsx und https://datawrapper.dwcdn.net/1fKOI/1/dataset.csv.
MW = Mittelwert.
Fügen wir die beiden letzten Tabellen mit den wichtigen Feldern zusammen, so ergibt sich folgendes:
Arbeitszeitrechnung und Zeitverwendungserhebungen im Vergleich
1991/92 | 2001/02 | 2012/13 | ||||
ZEV | AZR (MW) | ZEV | AZR (MW) | ZEV | AZR (MW) | |
965,79 | 844,19 | 748,25 | 781,33 | 851,67 | 804,99 | |
Differenz |
nicht berechnet, da unterschiedliche Altersgruppen (ab 12 Jahren versus ab 10 Jahren) | + 33,08 Std./Jahr = + 0,09 Std./Tag = + 5 Min./Tag |
- 46,68 Std./Jahr = - 0,13 Std./Tag = - 8 Min./Tag |
|||
Differenz in % | + 4,4 % |
- 5,5 % |
Zwischenresümee
Die Zahlen der Zeitverwendungserhebung des Statistischen Bundesamtes und das Ergebnis meiner Berechnungen anhand der Zahlen der Arbeitszeitrechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) weichen für den Erwerbsarbeitszeitaufwand nur um ein paar Minuten pro Tag bzw. ca. 5 % von einander ab.
Der von mir notgedrungen (mangels besser geeigneter Zahlen) weitgehend ignorierte Unterschied zwischen Inlands- und Inländerkonzept scheint also nicht groß ins Gewicht zu fallen.
Beide Zahlenreihen zeigen einen Anstieg der Erwerbsarbeitzeit pro EinwohnerIn ab 10 Jahren von 2001/02 zu 2012/13.
1991/92 waren die Erwerbsarbeitszeiten aber noch höher; bei den Zahlen der ZEV für 1991/92 ist dieser Unterschied etwas überzeichnet, da sie – anders als die anderen Zahlen – nur die Bevölkerung ab 12 Jahren betreffen.
Nach meinen Berechnungen ist die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn ab 10 Jahren von 2012/13 bis 2019 weiter gestiegen (und war 2020 und 2021 – trotz der Covid-19-Pandemie – weiterhin deutlich höher als 2012/13). (Dieser Anstieg der Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn ab 10 Jahren entspricht dem vom IAB selbst festgestellten Anstieg des Gesamt-Arbeitsvolumens; ich habe meinerseits dieses Volumen bloß auf die Bevölkerung ab zehn Jahren verteilt, damit die Zahlen mit der ZEV vergleichbar werden.)
Wir können also davon ausgehen, daß die vierte Zeitverwendungserhebung, die das Statistische Bundesamt gerade durchführt, ebenfalls einen weiteren Anstieg des Erwerbsarbeits-Zeitaufwandes ergeben wird. Weitergehend können wir vermuten, daß ein weiterer Rückgang des Zeitaufwandes für Hausarbeit festgestellt werden wird, denn diejenigen, die mehr Erwerbsarbeit leisten haben weniger Zeit für Hausarbeit, aber mehr Geld um Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können. –
Paradoxien der Erwerbsarbeitszeit-Entwicklung?
Nun bedeutet es aber – für die politische Bewertung – durchaus Unterschiedliches, ob die Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn (oder pro EinwohnerIn ab 10 Jahren) deshalb steigt,
- weil der Anteil der Leute im Erwerbsalter (das üblicherweise mit 15 bis unter 65 Jahren angesetzt wird) an der Gesamt-Bevölkerung steigt; oder
- weil innerhalb dieser Altersgruppe der Anteil der tatsächlich Erwerbstätigen steigt oder
- weil der Anteil der Erwerbstätigen unter denjenigen, die jünger oder älter sind (von denen also üblicherweise noch nicht oder nicht mehr erwartet wird, daß sie Erwerbsarbeit leisten), steigt.
Wenn der Anteil der Erwerbstätigen unter denjenigen, die jünger als 15 Jahre oder älter als 65 Jahre sind, steigt, so wäre dies sicherlich die politisch bedenklichste Entwicklung. Denn es würde darauf hindeuten, daß die Rente nicht reicht und/oder das Einkommen der Eltern für die Kinder nicht reicht.
Variante 1 wäre dagegen eine mehr oder minder ‚natürliche‘ Entwicklung. Variante 2 kann dagegen ggf. als Zeichen einer Angleichung der Erwerbstätigsquoten von Frauen und Männern begrüßenswert sein; es kann aber als vorzugsweise angesehen werden, daß ein Anstieg der Erwerbsarbeitszeiten von Frauen mit einem Sinken der Erwerbsarbeitszeiten von Männern einhergeht. Generell stellt sich jedenfalls die Frage, ob vorgezogen wird, mehr zu arbeiten, damit potentiell mehr konsumiert werden kann, oder ob vorgezogen wird, mehr Freizeit zu genießen.
Wie verhielt es sich nun in der Bundesrepublik tatsächlich?
Variante 1 ist eindeutig nicht der Fall (siehe die blau-gestrichelte Kurve):
Sowohl die Anzahl der EinwohnerInnen von 15 bis unter 65 Jahren als auch deren Anteil an allen EinwohnerInnen war 2021 sowohl niedriger als 1991 als auch niedriger als 2005. Dies gilt für die Anzahl auch dann, wenn wir die Anteile aus der vorstehend dargestellten Bevölkerungsfortschreibung auf die – von 1991 bis 2010 kleineren – Bevölkerungszahl der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen übertragen:
Trotz Sinkens des Bevölkerungs-Anteils der 15- bis unter 65-Jährigen stieg das gesamt-gesellschaftliche Erwerbsarbeitsvolumen
Laut VGR hat die BRD 1991, 2005 und 2021 79,973, 81,337 und 83,197 Mio. EinwohnerInnen. Der Bevölkerungsanteil der 15- bis unter 65-Jährigen betrug in diesen Jahren laut Bevölkerungsfortschreibung 68,8, 66,8 und 64,1 %.
- Von 79,973 Mio. sind 68,8 % 55,021 Mio.;
- Von 81,337 Mio. sind 66,8 % 54,333 Mio.;
- und von 83,197 Mio. sind 64,1 % 53,329 Mio.
Trotzdem stieg gleichzeitig das gesamt-gesellschaftliche Arbeitsvolumen – besonders deutlich gegenüber 2005 (von 56,310 Mrd. [2005] auf 60,611 Mrd. [2021] Erwerbsarbeitsstunden pro Jahr), aber auch gegenüber 1991 (60,408 Mrd. Stunden, was der höchste Wert in der Zeit von 1991 bis 2014 war):
Trotzdem sanken aber die individuellen Jahres-Erwerbsarbeitszeiten der Erwerbstätigen
Diese Ausweitung des gesamt-gesellschaftlichen Erwerbsarbeitsvolumen gelang – trotz sinkenden Bevölkerungs-Anteils der 15- bis unter 65-Jährigen (also derjenigen, die üblicherweise Erwerbsarbeit leisten), ohne die individuellen Jahres-Erwerbsarbeitszeiten ausweiten – diese sind vielmehr deutlich gesunken – sowohl gegenüber 2005 als auch – erst recht – gegenüber 1991:
Wie konnte dies gelingen?
Mir liegen keine alters-spezifischen Erwerbsarbeitszeits-Zahlen und auch keine amtlichen alters-spezifischen Erwerbstätigenquoten vor. Aber das IAB berechnet auch – alters-spezifisch – sog. „Vollzeitäquivalente“. [1] Vollzeitäquivalente sind die Zahl von Erwerbstätigen, die es gäbe, wenn das gesamt-gesellschaftliche Erwerbsarbeitsvolumen genauso hoch wäre, wie festgestellt, aber – anders als tatsächlich der Fall – ausschließlich auf Vollzeit-Erwerbstätige verteilt würde.
Warum wird eine solche hypothetische Zahl ausgerechnet? Um den verzerrenden Effekt einer schwankenden Teilzeitquote auf die Gesamtzahl der Erwerbstätigen auszuschalten.
Mir wurden vom IAB dankenswerterweise zwei Zeitreihen (bis 2019) von Vollzeit-Äquivalenten zur Verfügung gestellt: einmal ohne diejenigen, die 65 Jahre oder älter sind, und einmal einschließlich dieser Altersgruppen. Wenn wir die Differenz zwischen beiden Zeitreihen ausrechnen, haben wir folglich spezifische Zahlen für diejenigen, die 65 Jahre oder älter sind.
Wir sehen in folgender Graphik:
- Die Zahl der Vollzeitäquivalente für diejenigen, die 65 Jahre älter sind, nahm seit 1991 kontinuierlich – wenn auch im niedrigen Bereich – zu; der Anteil dieser Vollzeitäquivalente an allen Vollzeitäquivalenten war 2019 mehr als doppelt so hoch wie 1991 (Anstieg von unter einem Prozent auf mehr als zwei Prozent). Diejenigen, die 65 Jahre und älter sind, leisten also seit 1991 zunehmend Erwerbsarbeit.
- Für diejenigen, die jünger als 65 Jahre sind, nahm die Zahl der Vollzeitäquivalente zunächst ab; seitdem stieg sie wieder – sogar über das Niveau von 1991 hinaus.
Die Entwicklung der Zahl der Vollzeitäquivalente seit 2005 ermöglichte, gleichzeitig das gesamt-gesellschaftliche Erwerbsarbeitsvolumen zu steigern, aber die individuelle Arbeitszeit der Erwerbstätigen zu senken. Der kombinierte Effekt beider Entwicklungen ist freilich der – analysierte – Anstieg der Erwerbsarbeitszeiten pro EinwohnerIn bzw. pro EinwohnerIn ab 10 Jahren.
Wir hatten bereits für Schaubild 10 Anzahl und Anteil der 15- bis unter 65-Jährigen EinwohnerInnen und die Anzahl der EinwohnerInnen unter 15 und ab 65 Jahren ausgerechnet. Nebenbei hatten wir auch bereits den (prozentualen) Bevölkerungsanteil der EinwohnerInnen unter 15 und ab 65 Jahren ausgerechnet. Diese Zahlen stammen aus der Bevölkerungsfortschreibung, deren Zahlen sich für die Zeit ab 2011 – wie bereits weiter oben gesagt – auf die Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen übertragen lassen.
Für die Zeit von 1991 bis 2010 empfiehlt es sich dagegen – wie ebenfalls bereits oben gesagt –, nur die Prozentzahlen auf die VGR zu übertragen und mit diesen die absoluten Zahlen für die VGR berechnen.
Außerdem empfielt es sich – für unseren Zweck – zu den Bevölkerungszahlen der VGR noch das PendlerInnen-Saldo zu addieren, um den verzerrenden Einfluß des Unterschiedes zwischen EinwohnerInnen-Zahl (Inländerkonzept) und Arbeitszeitrechnung (Inlandskonzept) zu begrenzen.
Die Ergebnisse dieser Berechnungen sind in folgender Tabelle dargestellt:
https://datawrapper.dwcdn.net/QuNUT bzw. https://www.datawrapper.de/_/QuNUT.
Mit diesen Zahlen können wir nun Erwerbstätigenquoten, die nicht von dem Einfluß einer schwankenden Teilzeit-Quote (siehe dazu: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Grafiken/Arbeitsmarkt/2022/_Interaktiv/20220307-teilzeitquoten-eltern.html [für 2010 und 2020] sowie https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/2022/02/wista-022022.pdf?__blob=publicationFile, S. 81 [Grafik 2 sowie der in der rechten Spalte danebenstehende Text]) verzerrt sind, berechnen – sog. Vollzeitäquivalent-Erwerbsquoten:
Nehmen wir zum Schluß noch einen Vergleich zwischen der nicht teilzeit-bereinigten Erwerbstätigenquote aus Schaubild 4 und der bereinigten Quote aus vorstehender Graphik vor –
- wir sehen: Die Kurve der nicht bereinigten Quote stieg steiler als die Kurve für die bereinigte Quote.
- Schlußfolgerung: Der Anstieg der Erwerbstätigenquote war zwar nicht (oder jedenfalls: nicht notwendigerweise) ausschließlich, aber zu einem erheblichen Teil ein Effekt der Zunahme von bloßer Teilzeiterwerbstätigkeit.
Soviel zur (Entwicklung der) Jahres-Erwerbsarbeitszeit pro EinwohnerIn und dem Einfluß, den die Entwicklung der Erwerbstätigenquote auf die erstgenannte Entwicklung hatte. Im nächsten Teil dieser Artikel-Serie wird es dann darum gehen, die Jahres-Erwerbsarbeitszeit getrennt für die männlichen und weiblichen EinwohnerInnen auszurechnen.
Korrekturhinweis:
1. Im Abschnitt „Terminologie und Veröffentlichungsform“ hieß es: „Generell weichen die Zahlen zum Arbeitsvolumen dadurch von einander ab, daß das Statistische Bundesamt nur vier Stellen hinter dem Komma nennt. Etwas stärker weichen die Zahlen für 2021 von einander ab (eventuell wegen unterschiedlicher Datenstände).“
2. Im Abschnitt „Arbeitszeiten und Arbeitsvolumen“ hieß es: „Die Tabelle ist so formatiert, daß standardmäßig die Jahre zu sehen sind; für die Jahre 2020 und 2021 aber außerdem die Quartalszahlen; auch für das erste Quartal 2022 werden die Zahlen bereits angezeigt.“
3. Der zweite Satz der erstgenannten Stelle und der Hinweis auf das Jahr 2020 an der zweitgenannten Stelle sind nicht mehr zutreffend.
a) Ich hatte die Datei des IAB https://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/AZ_Komponenten.xlsx erstmals im Juni 2022 heruntergeladen. Damals waren die Quartale des Jahres 2020 noch nicht versteckt und die Angaben für das erste Quartal 2022 noch nicht enthalten.
b) Inzwischen wurde die Datei, ohne daß ich es bisher bemerkt hatte, aktualisiert: Die Zahlen für das erste Quartal 2022 sind hinzugekommen; die Zahlen für das Jahr 2021 wurden korrigiert und die Quartalszahlen für 2020 wurden versteckt. Auf der Homepage des IAB heißt es aber weiterhin: „(Stand: 07.06.2022)“ (https://iab.de/3741/section.aspx). Wegen dieser gleichgebliebenen Stand-Angabe waren mir die Änderungen in der Datei selbst entgangen.
c) Mit dem aktuellen Stand gibt es auch keinen auffälligen Unterschiede mehr für 2021 zwischen der IAB-Datei und den VGR-Daten des Statistischen Bundesamtes, sondern nur die übliche stärkere Rundung des Statistischen Bundesamtes.
4. Soweit ich in meinen Graphiken IAB-Daten verwendet habe, sind diese (aller Wahrscheinlichkeit nach) alle noch auf dem Datenstand, den ich im Juni heruntergeladen hatte. Ich werde versuchen, die Graphiken mit IAB-Daten in den nächsten Tagen auf den aktuellen Datenstand zu bringen.
[1] Aus den (alters-spezifischen) Vollzeitäquivalenten und dem Gesamt-Arbeitsvolumen können wir allerdings durch Rückwärts-Rechnung auch die alters-spezifischen Arbeitsvolumina – zumindest überschlägig – errechnen:
- Wir kennen das Gesamt-Arbeitsvolumen (ohne Altersdifferenzierung), z.B. 2019: 62.596 Mio. Std. (https://doku.iab.de/arbeitsmarktdaten/AZR_AG_Zeitreihen_2009.xlsx, Tabelle „Erwerbstätige“).
- Wir kennen die Zahl der Vollzeitäquivalente in Bezug auf die Gesamt-Bevölkerung, z.B. 2019: 36.921,45 Tsd. (http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2022/07/VZAe_200622.png).
- Dividieren wir nun das Volumen durch die Zahl der Äquivalente, so erhalten wir die Jahres-Vollzeitarbeitszeit, mit der das IAB augenscheinlich gerechnet hat:
62.596.000.000 / 36.921.450 = 1.695,38
bzw.: 62.596 / 36.921,45 x 1.000 = 1.695,38 („x 1.000“, um den Unterschied zwischen der Angabe in Mio. in Bezug auf das Volumen und die Angabe in Tsd. in Bezug auf die Äquivalente auszugleichen).Multiplizieren wir nun noch die alters-spezifisischen Äquivalentzahlen mit der Jahres-Vollzeitarbeitszeit, so erhalten wir alters-spezifische Arbeitsvolumina; siehe dazu die Tabelle:
https://datawrapper.dwcdn.net/DJBDs bzw. https://www.datawrapper.de/_/DJBDs.
Dort sehen wir: Das Arbeitsvolumen derjenigen, die 65 Jahre oder älter sind, ist von ca. 560 Mio. Std. in 1991 über ca. 760 Mio. Std. in 2005 auf 1.420 Mio. Std. in 2019 gestiegen – also über den ganzen Zeitraum hinweg mehr als eine Ver-2½-fachung.
Die 1.695,38 Jahres-Vollzeitarbeitszeit (dividiert durch 365 Tage im Jahr multipliziert mit 7 Tagen in der Woche) sind 32,5 Stunden pro Woche – also ungefähr eine 35 Stunden-Woche [*], wohl minus Urlaubs- und Feiertage [**].
[*]
„Aufgrund der unterschiedlichen Vollzeitstandards je nach Region und Wirtschaftszweig gibt es zwar keine einheitlich definierte Stundengrenze, ab der eine Tätigkeit als Teilzeitbeschäftigung zu zählen ist. Da jedoch für die Auswertung in den Befragungsdaten Annahmen hierzu getroffen werden müssen, wird in der AZR die Stundengrenze bei 35 Stunden gezogen. Dieser Schwellenwert wird durch Tarifabschlüsse begründet, da Vollzeitstandards meist deutlich über diesem Wert liegen (Schulten et al. 2019). Jede Tätigkeit, deren normalerweise geleistete Wochenarbeitszeit weniger als 35 Stunden pro Woche beträgt, wird in der AZR AG als Teilzeitbeschäftigung definiert. Unabhängig davon werden geringfügige, unregelmäßige bzw. kurzfristige Beschäftigungen ohne eine Stundengrenze der Teilzeit zugeordnet, da hier Ausnahmen bzgl. der Wochenarbeitszeit möglich sind.“ (https://doku.iab.de/forschungsbericht/2020/fb1620.pdf, S. 24)[**]
Vgl. ebd., S. 12: „Das Arbeitsvolumen umfasst definitorisch die tatsächlich geleistete Arbeitszeit aller Erwerbstätigen, die innerhalb Deutschlands eine auf wirtschaftlichen Erwerb gerichtete Tätigkeit ausüben. Hierzu zählen auch die geleisteten Arbeitsstunden von Personen mit mehreren gleichzeitigen Beschäftigungsverhältnissen. Hingegen gehören die bezahlten, aber nicht geleisteten Arbeitsstunden, beispielsweise wegen Jahresurlaub, Elternzeit, Feiertagen, Kurzarbeit oder krankheitsbedingter Abwesenheit nicht zum Arbeitsvolumen. Ebenfalls unberücksichtigt bleiben die nicht bezahlten Pausen für das Einnehmen von Mahlzeiten sowie die Zeit für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsplatz (Europäische Kommission 2014).“
PS.:
Anhand der folgenden (letzten) Graphik (interaktive Version: https://www.datawrapper.de/_/V088W) können wir, wenn wir die Werte für die fraglichen Datenpunkte ablesen, ausrechnen: Die Zahl der Erwerbstätigen stieg von 2005 bis 2019 nach allen drei Kurven (blau sowie cyan mit Rauten) um mehr als 15 Prozent (absolut: jeweils um mehr als 5.800 Tsd. [= 5,8 Mio.]); die Zahl der Vollzeitäquivalente (cyan mit Quadraten) dagegen nur um 14,8 % (absolut: um weniger als 4.800 Tsd. [= 4,8 Mio.]).