Interkulturelle Kompetenz - die Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts! So oder so ähnlich kann man es immer wieder lesen. In der Tat klingt es zunächst einleuchtend, dass in einer globalisierten Welt mit ihren eng verflochtenen Wirtschaftsbeziehungen die Fähigkeit zu interkultureller Kommunikation ebenso eine wichtige Kompetenz darstellt, wie in einer Gesellschaft, die zunehmend als Migrationsgesellschaft gesehen wird. In zahlreichen interkulturellen Trainings wird deswegen mit verschiedenen Ansätzen versucht, diese sagenhafte interkulturelle Kompetenz zu lehren.


Im Allgemeinen verbleiben allerdings Definitionsversuche, was interkulturelle Trainings ausmacht. So fasst Kinast (2003, S.183) darunter alle Maßnahmen, „die eine Möglichkeit zum interkulturellen Lernen bieten und zum Erwerb interkultureller Handlungskompetenzen beitragen“. Straub (2018, S. 164) kritisiert interkulturelle Kompetenzmodelle,  da diese für ihn „ausnahmslos eher mit einem etwas vagen Begriff zu tun haben, mit einer bunten Menge schöner und guter Attribute, die sich in einer Person ein willkommenes, rundum erfreuliches Stelldichein geben“.

Von der Interkulturalität zur Transkulturalität einer postmigrantischen Gesellschaft

Man kann zum einen die Sehnsucht feststellen, die gerade bei Wirtschaftsunternehmen verbreitet ist, im Ausland tätige Mitarbeitende interkulturell zu schulen, vielleicht sogar mit der heimlichen Idee die „Kenntnis der Fremdheit und Andersartigkeit des anderen dafür auszunutzen, ihn gezielt mit seinen kulturellen Schwächen zu besiegen“ (Schließmann, 2014,  S. 56–57). Dies führt dann meist zu einem kniggeähnlichen Vorgehen, Hauptziel wird dabei, den Tritt in Fettnäpfchen zu vermeiden. Es geht dann beispielsweise darum, Begrüßungsrituale zu lernen oder sich die Grundzüge einer "Kulturgrammatik" anzueignen. Dies ist zum einen zwar punktuell sinnvoll, jedoch zutiefst unterkomplex, denn man wird über ein holzschnittartiges Verständnis der jeweiligen Kultur nicht hinauskommen. Die tatsächlichen Kommunikationsprobleme interkultureller Begegnung werden dabei nur angekratzt und Lösungen vorgegaukelt. Das verhält sich in etwa so, wie der Versuch eine "deutsche Leitkultur" zu beschreiben. Was zunächst klar und deutlich erscheint, wird bei näherer Untersuchung ungreifbar, unscharf und von der jeweiligen Meinung des Betrachters abhängig. Nicht nur in einer sehr pluralen Gesellschaft wie der deutschen ist es kaum möglich mit Kulturstandards zu arbeiten. Zu plural, zu heterogen, zu vielfältig ist das Zusammenleben von Menschen.  Und so hangeln sich viele interkulturelle Trainings an vermeintlichen Differenzlinien  entlang und versuchen das Eigene vom Fremden zu unterscheiden. Sie eint, dass durch die Zuschreibung einer Kultur des Anderen gesellschaftliche Ausschlüsse kulturalisiert werden (Knappik &  Mecheril, 2018, S. 167). Letzlich konstruieren Sie Andersartigkeit und bestätigen  so eine institutionelle Diskriminierung von Migrant*innen aufgrund ihrer kulturellen Zugehörigkeit (Nohl, 2006, S.87) und lassen sich auf die Schlagworte Defizit, Differenz und Diskriminierung (ebd., S. 10) reduzieren.

Gerade im Blick auf die deutsche Binnengesellschaft ist dieses Verständnis von Interkulturalität gefährlich. Eine deutlich andere Perspektive wählt man, wenn man sich an dem von Welsch (1997) geprägten Begriff der Transkulturalität orientiert, der Kultur als veränderbares und durchdringendes Konstrukt beschreibt. Ausgangspunkt seines Konzepts sind drei Kritikpunkte am von ihm klassisch genannten Kulturbegriff: die behauptete Homogenität und Einheitlichkeit der Kultur (diese gelte empirisch gerade heute unter Bedingungen von allseitiger und vielfältiger Grenzüberschreitung nicht), die „völkische“ Fundierung von Kultur und schließlich die begriffsarchitektonisch für den Erhalt der Einheit der (eigenen) Kultur erforderliche Imagination des Außen und des Fremden (das in der Logik des klassischen Kulturverständnisses ebenfalls homogen und „völkisch“ fundiert gedacht werde und werden müsse). „Zusammengefasst: Das klassische Kulturmodell ist nicht nur deskriptiv falsch, sondern auch normativ gefährlich und unhaltbar. Der Abschied von diesem Konzept ist in jeder Hinsicht angezeigt. Heute gilt es, die Kulturen jenseits des Gegensatzes von Eigenkultur und Fremdkultur zu denken“ (ebd., S. 136) und somit nicht mehr vom Aufeinandertreffen in sich abgeschlossener kulturell geprägter Gruppen auszugehen. Wenn Multikulturalität ein Konzept ist, dass das Bild einer additiven Pluralität befördert, Interkulturalität hingegen das Bild interagierender Pluralität, dann verweist Transkulturalität etwa im Ansatz der transkulturellen Pädagogik auf sich überlagernde Pluralität. (Mecheril, 2020,  S. 310). Diese wird mit der in jüngster Zeit diskutierten postmigrantischen Perspektive (Foroutan, 2018) deutlich, in der eine Gesellschaft beschrieben wird, die durchdrungen ist von Erfahrungen nach Migration.

Konsequenzen für den betrieblichen Weiterbildungsbedarf

Für den Weiterbildungsbedarf in Unternehmen ergeben sich nun zwei Konsequenzen. Zum einen darf es nicht mehr in erster Linie um den interkulturellen Umgang, also die Begegnung zwischen zwei feststehenden Kulturen gehen. Im internationalen Kontext gilt dies, weil man sich im Businesskontext meist in einer internationalen hybriden Wirtschaftskultur bewegt. Noch stärker wird diese Hybridität in der deutschen Binnengesellschaft deutlich. Im Mittelpunkt der Diskussion kann nicht mehr das Aushandeln zwischen den Kulturen, sondern der Umgang mit Ambiguität und Hybridität (Foroutan, 2015, S. 120) stehen. Im Zuge des postmodern turn stehen Ambiguität und Hybridität für eine Abkehr vom binären Code der Moderne. Wurde bisher Identität aus einer eindeutigen Zuordnung zu einer Gruppe abgeleitet, werden Identitäten in der Postmoderne mehrfach und multipel gedacht (ebd., S.120). Eine interkulturelle Pädagogik steht dann vor der Herausforderung, wie sie statische Ansichten auf identitäre Kernnarrationen wie Kultur oder Nation mit den damit einhergehenden Exklusionsmechanismen überwindet statt bestärkt, durch die Menschen mit Migrationshintergrund die fraglose Zugehörigkeit und Authentizität verwehrt wird, wenn sie durch äußere Zuschreibung als nicht-deutsch gesehen werden, was immer „Deutschsein“ heutzutage auch sein mag (Fourotan, 2010, S. 12).

Die zweite Konsequenz ist, dass eine Reduktion der Ziele einer interkulturellen Fortbildung angebracht zu sein scheint, denn diese skizzierte gesellschaftliche Perspektive erscheint für die betriebliche Weiterbildung zu groß zu sein. Dabei ist die Lösung relativ einfach: statt eine Schulung interkultureller Kompetenz zu versuchen, geht es darum allgemeine Handlungskompetenz in den Mittelpunkt zu stellen. Interkulturelle „Kompetenz“ (von lat. competere: „zusammenbringen“) ist keine fünfte Kompetenz neben Personalkompetenz, Sozialkompetenz, Fachkompetenz und Methodenkompetenz, sondern das Zusammenspiel affektiver, kognitiver und konativer Komponenten (Bolten, 2018,  S. 189–190). Immer wieder als signifikant beschriebene Merkmale interkultureller Kompetenz wie Empathie, Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz oder (Meta-) Kommunikationsfähigkeit bestimmen ausnahmslos auch den Handlungserfolg in Kontexten, die nicht durch kulturelle Überschneidungssituationen gekennzeichnet sind und sollten dementsprechend auch nicht als interkulturell bezeichnet werden (Bolten, 2011, S. 63). Es geht demnach nicht darum interkulturelle Kompetenz als eigenständigen, fünften Teilbereich von Handlungskompetenz zu etablieren, sondern um die Realisierung eines kontextangemessenen Zusammenspiels in Form einer „Transferkompetenz“ (ebd., S. 64–65) aus persönlichen, sozialen, methodischen sowie sachlichen und fachlichen Handlungskompetenzen.

Erweiterte interkulturelle Kompetenz in Zeiten digitaler Transformation, Mediatisierung und New Work

Zusammenfassend geht es also darum, allgemeine Handlungskompetenzen zu schulen und zu trainieren und diese in ein Interdepenzverhältnis zu Kultur zu stellen. Individuelle, soziale, fachliche und strategische Fähigkeiten finden eben auch, aber nicht nur, in einem interkulturellen Kontext Anwendung. Die ethnisch-kulturelle Prägung ist dabei ein (nicht unbedeutendender) Teil der Sozialisation, ebenso wie z.B. Geschlecht, Religion, Generation, die regionale Herkunft aus einem urbanem oder ländlichen Raum und viele weitere prägende Einflüsse.  Mit diesem Verständnis kann das Bewusstsein für interkulturelle Kommunikation aus der ethnischen Falle befreit werden und eine hilfreiche Kompetenz für moderne Fragestellungen entwickelt werden, die gerade im Zuge kultureller Veränderungen - Stichworte digitale Transformation, Mediatisierung, New Work - dringend notwendig sind. Das erfordert eine Abkehr vom Wunsch nach einfachen, rezeptartigen Lösungen in der Fort- und Weiterbildung und eine Hinwendung zur Einsicht, dass komplexe Fragestellungen auch eine komplexe Problemlösung erfordern.  

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Literaturverzeichnis:

Bolten, J. (2011). Unschärfe und Mehrwertigkeit. "Interkulturelle Kompetenz" vor dem Hintergrund eines offenen Kulturbegriffs. In W. Dreyer & U. Hößler (Hrsg.), Perspektiven interkultureller Kompetenz: mit 11 Tabellen. (S. 55–70). Göttingen [u.a.]: Vandenhoeck &

Bolten, J. (2018). Einführung in die interkulturelle Wirtschaftskommunikation (utb Wirtschaftswissenschaften, Interkulturelle Kommunikation, 2922. Wirtschaftswissenschaften, Interkulturelle Kommunikation). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Foroutan, N. (2010). Neue Deutsche, Postmigranten und Bindungs-Identitäten. APUZ - Aus Politik und Zeitgeschichte, 2010(46/47), 9–15.

Foroutan, N. (2015). Die postmigrantische Gesellschaft, Bundeszentrale für politische Bildung. Die Einheit der Verschiedenen: Integration in der postmigrantischen Gesellschaft.

Foroutan, N. (2018). Die postmigrantische Perspektive. Aushandlungsprozesse in pluralen Gesellschaften. In M. Hill & E. Yıldız (Hrsg.), Postmigrantische Visionen. Erfahrungen - Ideen - Reflexionen (Postmigrantische Studien, Band 1, S. 15–28). Bielefeld: transcript.

Kinast, E.-U. (2003). Interkulturelles Training. In A. Thomas, E.-U. Kinast & S. Scholl-Mach (Hrsg.), Grundlagen und Praxisfelder (Handbuch interkulturelle Kommunikation und Kooperation, / Alexander Thomas … (Hg.); Band 1, 2., überarb. Aufl., S. 181–203). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Knappik, M. & Mecheril, P. (2018). Migrationshintergrund oder die Kulturalisierung von Ausschlüssen. In İ. Dirim & P. Mecheril (Hrsg.), Heterogenität, Sprache(n), Bildung. Eine differenz- und diskriminierungstheoretische Einführung; unter Mitarbeit von Alisha Heinemann, Natascha Khakpour, Magdalena Knappik, Saphira Shure, Nadja Thoma, Oscar Thomas-Olalde und Andrea Johanna Vorrink (Studientexte Bildungswissenschaft, Bd. 4443, S. 159–177). Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

Mecheril, P. (2020). Kulturelle Differenz. In G. Weiß & J. Zirfas (Hrsg.), Handbuch Bildungs- und Erziehungsphilosophie (S. 305–316). Wiesbaden: Springer VS.

Nohl, A.-M. (2006). Konzepte interkultureller Pädagogik. Eine systematische Einführung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Schließmann, C. P. (2014). Leistungspotenziale im Fadenkreuz. Die acht Dimensionen persönlicher und unternehmerischer Hochleistung. Berlin: Springer Gabler.

Straub, J. (2018). Das Selbst als interkulturelles Kompetenzzentrum. Ein zeitdiagnostischer Blick auf die wuchernde Diskursivierung einer ›Schlüsselqualifikation‹. In D. Weidemann & P. Chakkarath (Hrsg.), Kulturpsychologische Gegenwartsdiagnosen (S. 149–202). Bielefeld: transcript Verlag.

Welsch, W. (1997). Transkulturalität. Thesis, Wissenschaftliche Zeitschrift der Bauhaus-Universität Weimar