Genauso wie die Parteien in drei Doppelkonstellationen eingeordnet werden können, was ihre Einstellung zur aktuellen Lage und ihre Vorstellungen für die Zukunft betrifft, so können wir ihre Wahlkämpfe ebenfalls in drei Doppelkonstellationen sehen - die Guten, die Schlechten und die Irrelevanten. Den Teilnehmenden hat das politische Geschick eine Kartenhand zugeteilt, die gut (Grüne), akzeptabel (CDU, FDP, AfD, LINKE) und miserabel (SPD) war. Wie die Parteien diese Karten spielten sehen wir im ersten Teil einer Serie über die Wahlkämpfe der Parteien zur Bundestagswahl 2021 an.

Die Guten

Sieht man sich die Wahlkämpfe an, die die sechs Parteien anlässlich der Bundestagswahl betreiben, so dürfte ins Auge fallen, dass nur zwei davon überhaupt einen Anspruch darauf erheben können, gute Wahlkämpfe zu sein, die die Chancen ihrer jeweiligen Partei auf große Stimmenanteile erhöhen. Das sind die der SPD und FDP. Letzteres ist keine allzu große Überraschung. Bereits 2017 überzeugte die Wahlkampfleitung der Lindner-Partei mit ihrem klaren Fokus, ihrem deutlich erkennbaren Stil und ihrer prägnanten Botschaft. Auch vier Jahre später haben die Liberalen diese Qualitäten nicht verloren. Wesentlich überraschender ist die gute Performance der SPD, die seit 2005 wahrlich nicht an einem Überschuss guter Wahlkämpfe litt.

Ich möchte die Betrachtung mit der FDP anfangen. Ich habe sie oben nicht ohne Grund als "Lindner-Partei" bezeichnet. Wie bereits 2017 sind die Liberalen komplett auf ihren Vorsitzenden zugeschnitten. Sein Gesicht ziert eine Mehrheit der Plakate, er ist medial ungemein präsent, er ist die unbestrittene Führungsfigur der Partei. Die FDP ist 2017 in einem Ausmaß personalisiert gewesen, das nur durch die CDU-Kampagne 2013 in den Schatten gestellt wurde (man erinnere sich an das legendäre Mega-Poster am Berliner Bahnhof mit Merkels Raute) und das 2021 keine Konkurrenz kennt.

Das ist clever, denn Lindner ist nicht nur gutaussehend und charismatisch, sondern auch ein guter Redner und scharfer Debattierer. Er verkörpert das Image, das die FDP sich zu geben versucht - jung, modern, aufstrebend, mit mehr als einem Hauch von Start-Up - auf eine Weise, wie Rainer Brüderle es nie hoffen konnte. Lindner hat für einen FDP-Politiker sehr gute persönliche Beliebtheitswerte. Es sollte unstrittig sein, dass er seine Partei zieht - eine Eigenschaft, die Olaf Scholz nicht zufällig mit ihm teilt, wie wir noch sehen werden.

Doch die FDP tut mehr, als nur ihren Vorsitzenden zu plakatieren. Ich habe bereits eingangs auf die klare Botschaft und das jung-moderne Image verwiesen. 2017 hatten die Liberalen die Digitalisierung und die Bildung als ihre Kernthemen ausgemacht, ein Fokus, den sie auch 2021 beibehalten. Sie verbinden beides mit einem Narrativ von Aufbruch, einer gewissen Start-Up-Romantik, die vage auf eine Zukunft technologischer Innovationen, entfesselter Wettbewerbskräfte und besseren Startchancen durch gute Bildung verknüpft. Kurz: Die FDP identifiziert einen Modernisierungsrückstand in Deutschland, der durch Investionen in die Zukunftstechnologie Digitalisierung und eine Bildungsoffensive beseitigt werden soll. Bewältigt wird dies nicht durch den Staat, sondern durch Unternehmen, die ebenso jung, modern und flexibel sind wie die FDP.

Diese Botschaft schallt von den Plakaten, den Werbespots und den Auftritten Lindners wider. Sie ist allerdings nicht die einzige Botschaft, die verkündet wird. Die FDP hat ihren traditionellen Fokus auf Steuersenkungen besonders für Unternehmen und Reiche nicht aufgegeben (O-Ton Lindner: "Erst die Wirtschaft und dann auch die Bürger entlasten"), der eher in die Vergangenheit als in die Zukunft weist. Nicht so sehr, weil Steuersenkungen per so ein überholtes Instrument sind, sondern weil es Erinnerungen an die alte FDP wachruft, die 2013 aus dem Bundestag geflogen ist. Dazu kommt, dass Steuersenkungen für Unternehme und Reiche, egal was man wirtschaftspolitisch von ihnen halten mag, in der Wählendenschaft unbeliebt sind. Es ist daher kein Zufall, dass sie im Wahlkampf keine hervorgehobene Rolle spielen. Hier ist ein kompetentes Wahlkampfteam am Werk.

Eine weitere Säule der FDP-Wahlkampfkommunikation ist die des liberalen Bollwerks gegen die Kräfte des Illiberalismus. Es ist eine Klaviatur, auf der die FDP mal mehr, mal weniger erfolgreich spielt. Denn hierbei handelt es sich um einen äußerst schweren Tanz, auf dem man leicht danebentreten kann. Während es für die Liberalen ziemlich einfach ist, eine Abgrenzung zur LINKEn herzustellen - keine andere Partei ist von Programm und Habitus der FDP weiter entfernt - ist es beim Rest schwieriger.

Lindner versuchte seit 2017 immer wieder, CDU, SPD und Grüne auf der einen Seite zusammenzurühren und die FDP als Verteidigerin der Freiheit gegen die "Sozialdemokratisierung" der CDU und die "Linksfront" aus SPD und Grünen zu inszenieren, die Partei auf der anderen Seite aber auch als demokratische Alternative für AfD-Wählende zu etablieren, die mit eben dieser "Konsenssoße" zwar unzufrieden, aber nicht genuin rechtsradikal sind, also eine Art Protestvariante light anzubieten. Dies klappte in manchen Fällen besser als in anderen. Während die FDP etwa bei der Sozialpolitik diesen Tanz sehr erfolgreich tanzen kann, erlaubte sie sich bei der Covid-Politik etwa Ausrutscher. Auch bei der Kritik der Migrationspolitik machte sie nicht immer eine gute Figur.

Das heißt nicht, dass die FDP sich in eine "AfD light" verwandeln würde; das wäre Polemik. Vielmehr ist es schlicht schwierig, die entsprechenden Abgrenzungen verbal hinzubekommen. Ein ähnliches Problem haben SPD und Grüne mit demselben Tanz in Richtung der LINKEn ja auch, wie man besonders gerne sieht, wo es um Mietendeckel und 2%-Ziel der NATO geht.

Insgesamt aber, das ei abschließend bemerkt, fährt die FDP einen professionellen Wahlkampf mit einem klaren Zuschnitt auf ihren Vorsitzenden, dessen charismatische Persona ein Zugpferd darstellt und deren Rhetorik aufeinander abgestimmt und zueinander passend sind. Diese Harmonie der FDP-Slogans, -Auftritte und -Plakate ist ein großer Treiber hinter dem zu erwartenden deutlich zweistelligen Wahlergebnis (neben den strukturellen Ursachen natürlich).

Weniger eindeutig ist der gute Wahlkampf der SPD. 2009, 2013 und 2017 trat die Sozialdemokratie jeweils mit einem Kandidaten an, der, höflich ausgedrückt, nicht eben die Massen begeisterte. Zudem verkörperten Steinmeier, Steinbrück und Schulz keine Alternativen zu Angela Merkel; ihre Ansprüche auf das Kanzleramt wirkten nicht nur angesichts der SPD-Umfragewerte, sondern auch angesichts ihrer Personas hohl.

Es ist nicht eben so, als ob Olaf Scholz davor gefeit sei. Der Mann ist ein Produkt der Agenda2010-SPD, er gehörte immer den Schröderianern an, genauso wie Steinmeier und Steinbrück. Seine eigene Partei war so unbegeistert von ihm, dass sie in der Vorsitzenden-Wahl die praktisch unbekannten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wählte, nur um ihn als Vorsitzenden zu verhindern. Die nicht eben herausragenden Beliebtheitswerte und geringe Machtbasis in der Partei waren es dann, die zu dem Kompromiss führten, den eben noch als Vorsitzenden abgelehnten Scholz als Kanzlerkandidaten zu nominieren - eine Konstruktion, die ziemlich peinlich war und von Beginn an eine schwere Hypothek für den Kandidaten darzustellen schien.

Dass es nun anders kam liegt daran, dass die Wählendenschaft zwei Fragen für sich beantwortet hat. Die erste Frage lautet, grob verkürzt: "Wollt ihr Kontinuität oder wollt ihr Wandel?" Die Antwort der Deutschen ist ziemlich überwältigend: "Kontinuität". Dadurch erklärt sich ein guter Teil der Wählenden-Wanderung von den im Frühjahr noch hochfliegenden Grünen (dazu mehr im zweiten Teil) zur SPD. Die zweite Frage lautet: "Was haltet ihr von Armin Laschet?" Die Antwort ist mittlerweile sattsam bekannt; der CDU-Vorsitzende hat es geschaft, dass Anna-Lena Baerbock in den Beliebtheitsrankings vor ihm liegt, wenngleich das angesichts ihrer unterirdisch niedrig liegenden Latte eher eine Kuriosität der Zahlen darstellt.

Ohne diese beiden Entwicklungen wäre Olaf Scholz' Aufstieg in den Umfragen, und mit ihm der der SPD, nicht vorstellbar. Aber noch ein weiterer Faktor kommt hinzu: Angela Merkel steht nicht mehr zur Wahl. Man verliert es angesichts der beeindruckenden Zugewinne aus den Augen, aber Scholz erreicht gerade mit Mühe und Not das Ergebnis der Stones von 2009 und 2013 und überholte erst jüngst das schlechteste SPD-Ergebnis aller Zeiten von Martin Schulz aus dem Jahr 2017. Scholz und die SPD sehen nur in Relation zur CDU gut aus, die die schlechteste Umfrageergebnisse aller Zeiten einfährt, deren Kandidat einstellige Beliebtheitswerte hat und die ohne ein Wunder das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Geschichte einfahren wird. Träte Angela Merkel noch einmal an, kämpfte die CDU nicht um Platz 1, sondern um die Frage, ob sie 30%+X schafft.

Aber die Kanzlerin tritt nicht noch einmal an, und so haben wir 2021 zum ersten Mal seit 1949 (!) eine Bundestagswahl, bei der Amtsinhabende nicht zur Wahl stehen. Dieser Faktor ist die einzige Chance der SPD, und sie nutzt sie. Ich schrieb eingangs, dass die SPD eine miserable Kartenhand besaß. Katastrophale Umfragewerte, einen wenig charismatischen, von der Partei wenig geliebten Spitzenkandidaten, Erschöpfung durch lange Regierungsbeteiligung, Ideenlosigkeit und Überalterung sind alles wenig umstrittene Zustandsbeschreibungen der "alten Tante" SPD. 2009, 2013 und 2017 versenkten diese Faktoren alle Chancen, Merkel zu ersetzen. Doch 2021 gibt es niemanden zu ersetzen, sondern jemanden zu beerben.

Und genau das erkannte die SPD früher und klarer als die Partei, die eigentlich der natürliche Anwärter für diese Erkenntnis gewesen wäre. Während die CDU sich in schmerzhaften Streitereien erging, wohin die konservative Seele gegangen sei und wie man verlorenen Boden wiedergutmachen könnte, mit all den damit einhergehenden Richtungs- und Didadochenkämpfen, die die SPD aus ihren letzten 15 Jahren nur zu gut kennt, inszenierte sich Olaf Scholz als Erbe von Angela Merkel.

Es war seine einzige Chance. Scholz konnte kaum als revolutionärer Neuerer der SPD auftreten, zu sehr war er mit der Agenda-Politik verknüpft. Er konnte nicht versuchen, mit den Grünen um die besten Konzepte zur Erneuerung Deutschlands zu streiten, dafür ist die SPD zu altmodisch, und davon abgesehen ist es Dualismus zwischen Grünen und FDP, der dieses Feld bestellt. Nein, die einzige Chance, die Scholz hatte, war, als standhaft-verlässlicher Krisenmanager à la Merkel aufzutreten, als jemand, der das Schiff des Staates mit ruhiger Hand durch unruhige Zeiten steuert. Nichts wies Ende 2020 darauf hin, dass diese Strategie Erfolg haben könnte. Zu klar schien der Wechselwille nach 16 Jahren Merkel zu sein.

Erst die massiven Fehler der beiden größten Konkurrenten, der CDU und der Grünen, erlaubten es der SPD, als Alternative attraktiv zu werden. In dem Ausmaß, wie die Wählenden sich gegen den von den Grünen propagierten Wandel entschlossen und sich von Laschet als natürlichem Erben Merkels abwandten, erschien plötzlich Scholz' Kanzlerkandidatur als nicht nur möglich, sondern realistisch. Es war der Erfolg, der den SPD-Wahlkampf effektiv machte, nicht umgekehrt. Scholz trat in eine mediale Spirale ein, die das genaue Gegenteil von Baerbocks und Laschets war. Wo es mittlerweile völlig irrelevant ist, was Laschet sagt, weil es doch als lächerlicher Fehltritt betrachtet wird, so ist irrelevant, was Scholz sagt: er wirkt staatstragend und kompetent. Seine nüchterne Kanzlerhaftigkeit auf den Plakaten ist ein Produkt des Erfolgs; die Plakate würden albern wirken, wenn er in einem ähnlichen Strudel der Negativ-Presse wie Laschet gefangen wäre.

Aber er ist es nicht. Und dass er es nicht ist, hat nicht nur - wenngleich einiges - mit den äußeren Umständen zu tun. Während die Qualität des FDP-Wahlkampfs vor allem eine Qualität der richtigen Entscheidungen ist - Ästhetik, Botschaft, Fokus - ist die Qualität des SPD-Wahlkampfs vor allem eine dessen, was man NICHT tut. Das Rennen um den SPD-Vorsitz zu verlieren war das Beste, das Scholz passieren konnte, ist rückblickend die Basis für seinen Erfolg.

Denn Steinmeier und Steinbrück scheiterten zu nicht unerheblichen Teilen an dem völligen Widerspruch zwischen ihren Worten und ihrer Person einerseits und dem SPD-Programm und der Stimmung der Partei andererseits. Beides passte hinten und vorne nicht zusammen. Die Basis sagte das eine, der Kandidat das andere, und das Willy-Brandt-Haus machte irgendwie Wahlkampf auf Autopilot. Steinmeier verschwand darüber praktisch komplett, Steinbrück lehnte sich auf und versenkte mit dem Mittelfinger-Bild in der Süddeutschen Zeitung seine Kandidatur endgültig. Schulz war ohne jede Machtbasis und ohne Vision und führte einen chaotischen Wahlkampf gegen das Willy-Brandt-Haus, in dem die rechte Hand nicht wusste, was die linke tat, und der Fokus sich von Tag zu Tag änderte (ich empfehle hier die Lektüre von Markus Feldenkirchens "Die Schulz-Story", die geradezu erschreckende Inkompetenz offenbart).

Nichts davon trifft auf den Wahlkampf 2021 zu. Die rituelle Demütigung Scholz' bei der Vorsitzendenwahl und die Aufstellung von Esken und Walter-Borjans hat die Partei-Linke befriedet. Die beiden Vorsitzenden und Jungstar Kevin Kühnert haben sich vollkommen der Parteidisziplin unterstellt und betreiben Wahlkampf für Olaf Scholz, nicht für die eigene Machtstellung in der Partei. Scholz seinerseits lässt dem linken Flügel die Illusion, dass die Übernahme weiter Teile ihrer Formulierungen im Wahlprogram irgendwelche konkreten Gewinne darstellen würde, und spielt die Klaviatur des Funktionärsapparats.

Der SPD-Wahlkampf ist kein Parteiwahlkampf, sondern einer für eine Person: Olaf Scholz. Seine Brillanz liegt in der Erkenntnis des Spitzenkandidaten, dass er keine Partei hat, auf die er Rücksicht nehmen müsste. Er kopiert damit die Wahlkampfstrategie Joe Bidens von 2020: Auch der demokratische Präsidentschaftsbewerber gab dem linken Parteiflügel bei der Gestaltung der Programmatik großen Freiraum und inszenierte sich als selbst als staatstragende Alternative zum unbeliebten Konservativen, wohl wissend, dass die Regierungspraxis und Mehrheitverhältnisse relevanter waren als erhabene Programmrhetorik.

Genauso wie Biden lässt sich Scholz nicht davon aus der Ruhe bringen, dass das Programm unterambitioniert ist, was zum Beispiel den Klimawandel angeht (hier echauffiert sich das taz-Blog darüber). Stattdessen gelingt ihm, was Laschet wesentlich tollpatschiger versucht: Ruhe ausstrahlen, Zuversicht, Beruhigung. Die SPD wird keine Verbrenner wegnehmen, keine Inlandsflüge verbieten, keine Kohlearbeitsplätze streichen, sprich: nichts von dem tun, was notwendig wäre, aber schmerzhaft ist. Stattdessen, das ist meine Prognose für den Fall eines Scholz-Siegs, wird es laufen wie in den USA: Scholz, der Kandidat der moderaten Mitte, wird plötzlich das ambitionierteste Programm auflegen, das die Republik mindestens seit der Agenda2010 gesehen hat, weil "die Umstände" ihm, leider, leider, keine Wahl lassen. Das politische Kapital dafür erwirbt er im Moment.

Es sei aber noch einmal betont: Die SPD erreicht in den Umfragen aktuell einen Höchststand von 25%. In allen Wahlen wäre das kein Grund zum Jubeln, und schon gar kein Grund anzunehmen, dass der Spitzenkandidat sonderlich zugkräftig wäre. Scholz profitiert massiv von der Schwäche der CDU und den Grünen, die seine Wahlkampfstrategie überhaupt erst ermöglichen. Aber der Wahlkampf und die große Disziplin der SPD, die Scholz' Strategie, sie effektiv zu ignorieren, unterstützt, sind essenzielle Zutaten dieses Mixes. Scholz spielt seine schlechte Hand so gut wie irgend möglich.

Bisher haben er und sein Wahlkampfteam nur eine Taktik nicht angewandt: das direkte Beanspruchen des Kanzleramts. Diese Taktik - quasi ein Ausschließen jeder Koalition, in der Scholz nicht Kanzler ist - auf Basis dessen, was man in den USA ein "popular mandate" nennen würde, könnte theoretisch die aktuellen Beliebtheitswerte Scholz', die jenseits der 50% liegen, kapitalisieren. Ungeachtet der Tatsache, dass die Union das entschieden ablehnt, würde so für manche Wählende eine SPD-geführte Deutschland-Koalition denkbar sein. Gleichzeitig aber ist es extrem risikoreich. Es ist daher verständlich, dass die SPD das nicht tut, und ich würde das an ihrer Stelle denke ich auch nicht. Es ist aber etwas, das zumindest unter Politstrateg*innen diskutiert wird.

Zusammenfassend haben wir zwei gute Wahlkämpfe: einen mit kompetentem messaging durch die FDP, den anderen durch große Disziplin in der SPD, beide vereint durch einen kompetenten Spitzenkandidaten. Im nächsten Teil werden wir zwei Wahlkämpfe untersuchen, auf die das emphatisch nicht zutrifft.

Die Schlechten

Aus heutiger Sicht ist es geradezu absurd, dass noch vor einem halben Jahr die Frage war, ob der nächste Kanzler eine Kanzlerin und Grüne sein würde - oder ob die CDU doch die Oberhand in einer schwarz-grünen Koalition behalten würde. Müsste man die dann "Große Koalition" nennen, nachdem die SPD auf einen Tiefpunkt von 12% in den Umfragen gestürzt war? Ah, lang, lang ist's her. Seit der offiziellen Ausrufung Anna-Lena Baerbocks als Kanzlerkandidatin Mitte April 2021 läuft es für die Grünen so schlecht, dass ich zwischendurch die Frage stellte, ob sie eigentlich überhaupt gewinnen wollen. Mittlerweile könnte man der CDU dieselbe Frage auch stellen. Beide Parteien legen einen unterirdischen Wahlkampf hin, der vor allem als abschreckendes Beispiel in die Annalen eingehen dürfte.

Im Falle der Grünen ist vor allem auffällig, wie sie ihre starke Anfangshand verspielten. Die Partei war 2019 im Rahmen der Fridays-For-Future-Proteste endgültig sicher im zweistelligen Prozentbereich der Umfragen angekommen. Ohne sich großartig selbst zu äußern, half ihnen ihr Markenkern, plötzlich als ernsthafte Alternative wahrgenommen zu werden. Die Covid-Pandemie verdrängte das Thema und die Grünen aus den Schlagzeilen, aber das dürfte für die Partei nicht schlecht gewesen sein - Aufmerksamkeit hatte den Grünen bislang noch jedes Mal geschadet.

Allein, es konnte nicht ewig funktionieren, dass alle Aufmerksamkeit sich auf die Konkurrenz konzentrierte. Die beginnenden Impfungen im März 2021 nahmen den Druck vom Covid-Thema. Die CDU legte ihren Führungsstreit für's Erste bei. Und die Grünen konnten der Frage nicht mehr ausweichen, ob sie Anspruch aufs Kanzleramt erheben würden und wenn ja, welche*r der beiden Co-Vorsitzenden das tun würde. Die Partei hatte den Luxus, zwei Alternativen zu haben: den in der Öffentlichkeit etwas bekannteren Habeck, der aber 1) ein Mann und 2) anfällig für ungescriptete Kommentare war oder Anna-Lena Baerbock, die weitgehend unbekannt, aber eine junge Mutter war. Beide Ansätze bargen Risiken, und es war zu erwarten - und wurde von mir auch vorhergesagt - dass die Grünen nach der Ausrufung eines Kandidaten oder einer Kandidatin scharfen Angriffen ausgesetzt sein würden, gleichgültig, wen der beiden sie wählten.

Erste Gewitterwolken am Horizont waren bereits erkennbar, als Habeck in einem Interview erklärte, auf die Kandidatur zu verzichten, wenn Baerbock "als Frau" Anspruch darauf erhebe. Damit beschädigte er von Anfang an ihre Kandidatur, und auch wenn er sich seither zusammengerissen und große Disziplin an den Tag gelegt hat, war das kein besonders guter Start. Es war aber nichts gegen den Sturm, der in den folgenden Wochen über die Grünen hereinbrach. Anstatt, wie die SPD und FDP, eine Wahlkampagne, zugeschnitten auf die Persönlichkeit der Kandidatin, aufzufahren und damit ihr Potenzial zu nutzen, folgte der Erklärung der ersten grünen Kanzlerkandidatur - nichts.

Es gehört zu den Grundregeln der Macht, dass sie nichts so hasst wie ein Vakuum. Genau ein solches aber hinterließen die Grünen nach der Ankündigung, und die Medien stießen mit Wonne hinein - während sich die politischen Gegner aufällig zurückhielten und abwarteten, welche Strategie gegen die ja auch ihnen unbekannte Baerbock am besten verfangen würde; nichts wäre so schädlich, wie sich mit verfrühten, aggressiven Attacken als frauenfeindliche Machos zu brandmarken, wenn ein kompetenter Grünen-Wahlkampf sie als sympathische, junge Mutter aufgebaut hätte. Aber das passierte nicht.

Wie sich herausstellte, waren Angriffe auch Baerbock auch weiterhin nicht nötig. Das besorgten einerseits die Medien und andererseits das an Inkompetenz kaum zu überbietende Wahlkampfteam der Partei. Eine Welle von Skandälchen schwappte über die völlig unvorbereitete Kandidatin hinweg, von der Frage, ob sie sich nun zurecht als Völkerrechtlerin bezeichnete zu den genauen Angaben in einem Lebenslauf, der praktisch niemanden interessierte, schon allein, weil der Grünen-Wahlkampf ja mit ihrer Vita offensichtlich überhaupt nicht arbeitete. Wie im Judo wurde diese Schwäche - den Wahlkampf nicht auf die Kandidatin zuzuschneiden - gegen sie verwandt, denn die Lücken im Lebenslauf, die aus der Ignoranz gegenüber ihrer Person zugelassen worden waren, wurden nun gegen sie verwendet. Zuzuschreiben haben die Grünen das alleine sich selbst.

Als wäre das nicht schlimm genug, wählten sie zwischen den beiden möglichen Polen einer politischen Reaktion - in Sack und Asche gehen und aggressiv gegenhalten - den Mittelweg. Zuerst entschuldigte sich Baerbock ständig und schob häppchenweise Korrekturen nach, dann hatte sie irgendwann die Faxen dicke und drohte mit einem Anwalt. Diese Kakophonie vereinte sich zu einem einzigen chaotischen Eindruck der Inkompetenz. Die Grünen standen hilflos wie ein Reh im Scheinwerferlicht im Angesicht völlig erwartbarer Attacken und hatten - nichts.

Als nach Wochen des Bombardements mit negativer Presse - zu der, erneut, die politischen Gegner nicht einmal etwas zutun mussten sondern sich fein heraushalten und so die moralische Überlegenheit wahren konnten - Baerbock endlich aus den Schlagzeilen verschwand, war die Partei bereits deutlich unter die 20%-Marke gerutscht. Zur Ruhe kam sie deswegen noch lange nicht. Stattdessen setzten nun die noch viel erwartbareren Attacken gegen das Programm ein, oder das, was man dafür hielt. Das ebenso beliebte und griffige wie wenig zutreffende Narrativ von der "Verbotspartei" schallte auf allen Kanälen entgegen. Die Antwort der Grünen war - nichts.

Das Wahlkampfteam hatte es offensichtlich nicht nur versäumt, eine Strategie für die eigene Spitzenkandidatin zu entwickeln, Angriffe vorherzusehen und entsprechende Verteidigungsstrategien zu entwickeln. Das erklärt sich ja noch aus dem schwerwiegenden strategischen Fehler, die Kandidatur erst im Frühjahr zu klären und wäre damit auch bei Robert Habeck ein Problem gewesen. Aber dass man nicht einmal eine Strategie dagegen hatte, als "Verbotspartei" gebrandmarkt zu werden, acht Jahre nach dem "Veggie-Day"-Desaster vom Wahlkampf 2013, das ist schon fast Sabotage des eigenen Wahlkampfs.

Auch die jüngste Runde des rechten Kulturkampfs, der Streit um die geschlechtergerechte Sprache, war absolut vorhersehbar. Es ist eher ein Wunder, dass er nicht früher als August ausbrach und erst das Sommerloch brauchte, um zur vollen Entfaltung zu kommen, bedenkt man, wie viel Mühe sich die bürgerliche Presse und die anderen Parteien machten, das Thema zu etablieren. Den Grünen war wohl klar, wie unbeliebt ihre Position hier ist und hielten es daher aus ihrem eigenen Wahlkampf heraus. Das ist Teil 1. Teil 2 folgte nie: eine Abwehrstrategie gegen die offensichtlich zu erwartenden Attacken. Erst im ersten Triell im September 2021 schaffte Baerbock es (nun wenigstens kompetent), das Thema abzuwehren. Die Grünen liegen mittlerweile deutlich näher bei 15% als 20%; dass sie von Platz 3 auf Platz 4 hinter die FDP rutschen, ist nicht mehr völlig ausgeschlossen.

Warum aber ist der Wahlkampf so ungeheuer inkompetent? Aus irgendeinem Grund war die versammelte Führungsspitze der Grünen der Überzeugung, dass sie keinen professionellen Wahlkampf führen muss. Weder 2019, noch 2020, noch in der ersten Jahreshälfte 2021 fühlten sie sich bemüßigt, auswärtige Berater*innen einzustellen, ein eigenes Umfrageinstitut zu beauftragen oder irgendetwas in diese Richtung zu tun. Erst im August 2021 (!) fragten sie an - aber wie Frank Stauss ihnen problemlos erklären kann, ist das wesentlich zu spät. Man schien der Meinung zu sein, dass sowohl Medien als auch Wählende bei Attacken schon in das ausführliche, 272 Seiten dicke Grünen-Wahlprogramm schauen und die Wahrheit herausfinden würden. Wie irgendjemand so etwas glauben kann ist mir unbegreiflich, nach 2013 sowieso. Aber die SPD hat Wahl um Wahl denselben Fehler mit erstaunlicher Beharrlichkeit und Lernresistenz gemacht.

Dazu ist es nicht hilfreich, wie wenig diszipliniert die eigene Partei ist. Nur zwei Beispiele allein aus dieser Woche: der baden-württembergische Finanzminister, Danyal Bayaz, der eigentlich die Scholz'sche Strategie als Verfechter konservativer Haushaltspolitik im grünen (bzw. roten) Gewand fährt, konnte nicht bis zum 26. September warten, um seine Initiative eines digitalisierten Meldeportals für Steuerhinterziehung zu verkünden. Dass solche Meldungen analog längst bestehen ist irrelevant, die Steilvorlage ließen sich Springer-Presse und bürgerliche Politiker*innen nicht entgehen, die vor Nazi- und Stasivergleichen nicht zurückschreckten (dazu unten mehr). Und eine zwar unbedeutende, aber nichts desto trotz beknackte Grünenpolitikerin wurde beim Überkleben von FDP-Plakaten erwischt, was einerseits zeigt, wie schlecht die Infrastruktur der Grünen ist, dass ihre Abgeordneten das selbst machen, und andererseits einfach nur bescheuert ist. Von der Grünen Jugend wollen wir erst gar nicht reden.

Der einzige Trost der Grünen dürfte sein, dass sie in diesem monströsen Versagen nicht alleine dastehen, und noch nicht einmal am schlimmsten. Denn die Grünen können wenigstens darauf verweisen, dass sie es das erste Mal machen. Welche Ausrede aber hat die CDU? Sie gab sich derselben Illusion hin wie die SPD es schon so häufig tat und dachte, dass eine späte Kandidatenkür ihr einen Vorteil verschaffen würde. Der ständige, harsche Richtungsstreit um die Merkel-Nachfolge, der durch nicht nur eine, sondern zwei Basis-Wahlen der neuen Vorsitzenden (erst Kramp-Karrenbauer, die durch das Thüringen-Desaster versenkt wurde, dann Laschet) nicht auch nur im Ansatz befriedet, sondern stattdessen einfach nur Glimmen gehalten wurde, zerreißt die Partei bis heute.

Grund ist eine Frage, wie sie Sozialdemokrat*innen nur zu bekannt vorkommen dürfte: Warum hat die Partei ihre Seele verloren, und wie kann sie sie wiederfinden? Besteht die Antwort in einem Ruck nach rechts (links bei der SPD), um "das Profil zu schärfen"? Besteht die Antwort in einer weiteren "Modernisierung" (bei der SPD als Vorantreiben der Agenda-Reformen verstanden)? Braucht es jemand, der einen großen Kompromiss aus beidem schließt? War die Politik, die zum wahrgenommenen Seelenverlust führte - Euro- und Flüchtlingskrise hier, Agenda2010 dort - richtig und alternativlos, oder vielmehr der Sündenfall und Wurzel allen Übels?

Die Partei zuckte hin und her. Im Wahlkampf 2018 präsentierte sich Markus Söder als Hardliner nach rechts und fuhr ein katastrophales Ergebnis ein; seither erfand er sich als schwarz-grüner, geläuterter Landesvater neu. Kramp-Karrenbauer stand in der Tradition Angela Merkels, kritisierte sie sanft, versuchte aber die Partei in der Mitte zu halten und wurde von den Fliehkräften zerrissen, ein Schicksal, das sie mit sicherlich vier bis fünf Kolleg*innen aus der SPD-Parteiführung teilt. Friedrich Merz, der Kandidat von vorgestern, konnte zwar mit polarisierend-spaltender Rhetorik jedesmal in Griffweite der Macht kommen - blieb aber eine Minderheitenposition in der Partei und ungeliebt in der Bevölkerung (die CDU kann mehr als froh sein, dass dieser Kelch an ihr vorüberging). Es siegte schließlich ein weiterer Kompromisskandidat, der anders als Kramp-Karrenbauer aber ohne den Merkel'schen Stallgeruch, dafür aber mit großer Hausmacht antrat: Armin Laschet, dem die Macht in Nordrhein-Westfalen vor allem wegen der miesen Performance der rot-grünen Vorgängerregierung und weniger wegen überragender Fähigkeiten in den Schoß gefallen war. Spielend setzte er sich im Januar 2021 gegen Merz durch.

Seine Strategie war von Anfang an klar erkennbar und eine Wiederholung dessen, was der CDU dreimal in Folge das Kanzleramt gesichert hatte: Konflikte weglächeln, über den Dingen stehen, alles an sich abprallen lassen. Ihm fehlten dafür allerdings drei Dinge, die Merkel hatte: Ruhe, Disziplin und schlechte Gegner.

Für die mangelnde Ruhe konnte er nichts, zumindest nicht direkt. Auch Angela Merkel hätte eine Flutkatastrophe den Wahlkampf verhagelt. Aber Laschet reagierte auch noch maximal schlecht. Seine Reaktion sollte eine Spiegelung der Schröder'schen Hemdsärmeligkeit von 2002 sein, als er in Gummistiefeln losmarschierte, aber seine inkompetente PR-Maschinerie sorgte dafür, dass nichts davon auch nur ansatzweise authentisch wirkte. Als er dann im Hintergrund des sprechenden Steinmeier beim Lachen gefilmt wurde, als ob YouTube nicht existieren würde, war der Ruf vollends ruiniert. Laschet erholte sich davon nicht mehr. Egal, was er sagt, egal, wo er auftaucht, den Eindruck von Egoismus und mangelnder Ernsthaftigkeit wird er nicht los. Es ist ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt und zu dessen Verarbeitung er sich mit den Grünen in einer Selbsthilfegruppe treffen könnte.

Die mangelnde Disziplin dagegen ist beachtlich. Interne Grabenkämpfe waren bisher eigentlich die Provenienz der linken Parteien. Es war ein Merkmal der Bürgerlichen, dass sie sich mit so etwas nicht abgaben und die Augen klar auf den Preis gerichtet hatten: das Kanzleramt. Nicht so 2021. Das Ausmaß, in dem die einzelnen Fraktionen der CDU sich in aller Öffentlichkeit zerreißen und ihre schmutzige Wäsche waschen, ist bemerkenswert. An vorderster Front stehen hier vor allem die Rechtausleger der Partei, einmal Hans-Georg Maaßen als Vision dessen, was "AfD light" bedeutet, und einmal Friedrich Merz als Gesicht der hässlichen CDU. Beides erfordert etwas mehr Erklärung.

Maaßen hält nicht damit hinter dem Berg, dass er die CDU deutlich nach rechts rücken will. Für ihn ist das Feindbild Nummer 1 Angela Merkel, eine Position, die sich auf dem gesamten Rechtsspektrum der Republik findet. Die Rechtsverschiebung, die ihm vorschwebt, ist aber eine ahistorische. Auch wenn sie in die Rethorik eines "zurück zu den Wurzeln" gekleidet ist, geht es eher um eine Umformung der CDU nach dem Vorbild von Fidesz, PiS und der Republicans. Diese Vorstellung ist reichlich unbeliebt und erlaubt eine leichte Mobilisierung, weswegen Maaßen auch wie ein Mühlstein um den Hals der Partei hängt, aber wegen seiner Verankerung vor allem in den radikaleren Ostverbänden auch nicht direkt angegangen werden kann. Es ist der Inkompetenz des grünen, der Abgehobenheit des sozialdemokratischen und der Irrelevanz des linken Wahlkampfs zu verdanken, dass das Verdrängen der Maaßen-Problematik so gut gelingt, wie es das tut.

Viel problematischer ist Friedrich Merz. Der Mann ist mehr als Maaßen ein Hoffnungsträger auch für demokratisch gesinnte Zeitgenoss*innen. Er ist der Mann von vorgestern, der verspricht, die Uhr zurück auf 2003 zu drehen. Innerhalb der Unions-Wählendenschaft gibt es viele Fans - wenig überraschend, sonst hätte er kaum verlässlich 40% der Stimmen bei den Vorsitzendenwahlen bekommen. Aber eine Mehrheit hat er nicht. Sowohl Kramp-Karrenbauer als auch nun Laschet sehen sich daher der Herausforderung ausgesetzt, ihn und den Flügel, den er repräsentiert, zu integrieren.

Doch wo es der SPD gelungen ist, das zu tun und wo ein Kevin Kühnert sich und seine Rhetorik in den Dienst der gemeinsamen Sache stellt, kennt Friedrich Merz nur ein Thema: Warum Friedrich Merz besser wäre. Konstant schießt er gegen die eigene Partei, den eigenen Vorsitzenden, die eigene Kanzlerin, die eigene Führung. So etwas goutieren Wähler*innen grundsätzlich nicht, aber schon gar nicht bei einer bürgerlichen Partei. Emblematisch für die Schwäche Laschets einerseits und die korrosive Schädlichkeit Merz' ist die Episode vergangener Woche, als Laschet zur Rettung seiner nach dem Triell auf nie gekannte Tiefpunkte gerutschten Beliebtheitswerte ankündigte, dass Merz in seiner Regierung "eine hervorgehobene Rolle" haben werde. Merz' erste Reaktion auf diese Ankündigung war zu erklären, dass er das CDU-Wahlprogramm und die Politik von Ursula von der Leyen für gefährlich hält.

Diese Uneinigkeit ist ein Geschenk für alle anderen Parteien, vor allem für die SPD, deren Einigkeit und Mangel an solchen innerparteilichen Konflikten den aktuellen Höhenflug Scholz' ermöglicht. Laschet muss sich jedoch nicht nur mit den Wadenbeißern Maaßen und Merz herumschlagen, sondern auch mit Söder, der sich aus dem Wahlkampf weitgehend heraushält und nur das absolute Minimum absolviert, ohne eine Gelegenheit vergehen zu lassen zu verkünden, wie schlecht der Wahlkampf läuft und wie viel besser die Lage mit ihm an der Spitze wäre. Das mag seiner innerparteilichen Position möglicherweise nützen, aber für die Aussichten der Union ist es furchtbar. Das natürlich kann Söder egal sein, er bleibt ja in Bayern, und die Schwäche der CDU ist die Stärke der CSU in diesem Bündnis.

Der schlimmste strukturelle Faktor aber, der die CDU nach unten zieht, ist "Genosse Trend". Wie bereits in den 1960er Jahren arbeitet die Zeit gerade für die progressiven Parteien. Es ist für die Union offensichtlich ungewohnt - ebenso wie für ihre Verbündeten in den bürgerlichen Medien - aber sie sind bei vielen Fragen nicht mehr in der Mehrheit. Am auffälligsten ist dies, wo die Finanzpolitik betroffen ist, aber auch auf anderen Feldern wie der Sozialpolitik steht die "schweigende Mehrheit" nicht mehr hinter der Union.

Das führt zu dem Effekt, dass CDU-Politiker*innen in der Defensive sind - ein ungewohnter, fast schon unnatürlicher Anblick, gerade wenn es um Finanzpolitik geht. Und das ist kein Problem von Laschet. Robert Habeck gelang es in TV-Auseinandersetzungen sowohl mit Markus Söder als auch Friedrich Merz, bei diesen Themen in die Offensive zu gehen. Die üblichen hohlen Phrasen von der schwarzen Null und haushaltspolitischer Verantwortung wirken nicht mehr automatisch als Debatten-Schließer. Die Partei ist es aber überhaupt nicht gewohnt, sich inhaltlich zu verteidigen und steht plötzlich blank da, wenn der mediale Konsens von früher nicht mehr gegeben ist, bei dem sie sich 100% auf das Framing der Moderator*innen verlassen konnten.

Auch hier fällt übrigens die Abwesenheit von Angela Merkel deutlich auf, nicht nur wegen des fehlenden Amtsbonus'. Ihr gutes Gespür für die aktuelle Mehrheitsstimmung hätte es nicht zugelassen, dass die CDU bei so vielen Themen derart in die Defensive gerät. Sie hätte viel früher versucht, diese durch Kooptierung zu neutralisieren. Dieser Weg ist Laschet aber versperrt, der auf die innerparteilichen Hardliner wie Friedrich Merz Rücksicht nehmen muss, eine Zwickmühle, die man ansonsten eher von der LINKEn kennt.

Zu all diesen innerparteilichen Schwächen kommt die unglaubliche Fantasielosigkeit des Wahlkampfs selbst. Die CDU ist völlig ausgebrannt. Nach 16 Jahren Regierung wirken die Ankündigungen Laschets, nun aber wirklich den Aufbruch zu unternehmen und Deutschland umzukrempeln, völlig hohl - und das noch vor solchen rhetorischen Höchstleistungen wie im Triell, wo er verkündete, dass "uns der Wind des Wandels ins Gesicht bläst" und "wir standhaft bleiben" müssen. Der CDU fehlt ein Grund, warum man sie wählen sollte. Das ist neu, und damit kann sie nicht umgehen. Bisher war das das Problem der SPD. Nun hat es die Union.

Als Reaktion versucht sie sich an einem Aufwärmen der "Greatest Hits" vergangener Wahlkämpfe. Verzweifelt wird mit den Verbündeten in der bürgerlichen Presse von Springer bis FAZ versucht, das Narrativ eines bevorstehenden Linksrutsches an die Wand zu malen. Doch damit scheitert die CDU genauso wie die Republicans gegen Biden 2020. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Olaf Scholz in einer Ampelkoalition den großen Linksrutsch einleitet, ist so absurd, dass praktisch niemand sie ernstnimmt, und das Schreckgespenst einer rot-rot-grünen Koalition ist nicht nur unrealistisch - zu überzeugend haben Scholz und Baerbock es ausgeschlossen - es ist auch zunehmend weniger schrecklich für die Bevölkerung.

Neben dieser abgeschmackten Neuauflage der Rote-Socken-Kampagne versucht die CDU auch beharrlich, ihren Coup vom Veggie-Day von 2013 zu wiederholen. Doch selbst mit voller medialer Schützenhilfe gelang es nicht, die Lastenfahrräder als neuen Veggie-Day zu etablieren. Der "Skandal" blieb auf die rechte Blase beschränkt und stieß nie ins allgemeine Bewusstsein vor. Auch die anderen Versuche, die Grünen anzugreifen, blieben merkwürdig zahnlos - wohl auch, weil es kaum nötig war, die Grünen anzugreifen, sind diese doch selbst ihre größten Feinde.

Nicht hilfreich ist da auch, dass die CDU traditionell sehr schlecht im Netz und bei Parteiaktivist*innen aufgestellt ist. Selbst ein so CDU-nahes Blatt wie die Welt bescheinigt ihr einen geradezu grotesk schlechten Internetauftritt, trotz der hohen Summen, die die CDU hineinpumpt. Das erschwert diese Art des Agenda-Settings, des Wadenbeißens im Nahkampfwettstreit der Parteien, enorm. Die CDU arbeitet immer besser im Verbund mit staatstragenden Wahlkampfmedien, von Plakatwerbung zu Fernsehspots über die eingeübte Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Presse.

Die Verzweiflung der CDU zeigt sich nicht nur in diesen wiederaufgewärmten Attacken, sondern auch im ständigen, instinktiven Zündeln am rechten Rand. Ob in der Causa Danyal, wo man sowohl Stasi- als auch Nazivergleiche aufzufahren versuchte - nur um sich aus der bürgerlichen akademischen Welt harsche Schelte einzufahren - oder in Afghanistan, wo man zu allererst sicherstellte, dass keine Ortskräfte Deutschland erreichen konnte und dann eine humanitäre Katastrophe erntete: diese instinktiven Ausschläge nach rechts schaden der CDU mehr, als sie nutzen. Das ist eine merkwürdige Parallele zur LINKEn, deren Vorliebe für Ausflüge in den Linkspopulismus sie auch zuverlässig entgleisen lassen, wann immer ihr Zug in Richtung Respektabilität und Koalitionsfähigkeit fährt.

Zusammengefasst kann man sagen, dass der Wahlkampf der Grünen eine Serie von Unterlassungen ist, die sich zu einer katastrophalen Melange zusammengemischt haben. Im Wahlkampf der CDU dagegen mangelt es nicht an Aktionen, Angriffen und Maßnahmen, aber nichts davon passt zusammen. Alles zerrt in verschiedene Richtungen, und ein inkompetenter Kandidat steht einem nicht funktionierenden Wahlkampfteam vor. Immerhin strampeln beide Parteien im Scheinwerferlicht. Es muss ziemlich deprimierend sein, einfach nicht wahrgenommen zu werden, wir im abschließenden Teil unserer Serie sehen werden.

Die Irrelevanten

Der Wahlkampf 2017 wurde völlig von der AfD dominiert. Ihre Themen waren permanent in den Nachrichten, das komplette TV-Duell war auf ihre Narrative hin ausgerichtet, und wenig überraschend fuhr sie ein starkes Ergebnis und ein zog und in den Bundestag ein. Die LINKE dagegen hat es bereits seit 2013 eher schwer. Die Einführung des Mindestlohns nahm ihr eines ihrer wichtigsten Themen, Hartz-IV wurde deutlich entschärft, und Afghanistan interessierte praktisch niemanden. Zwar konnte sie stets auf ihre Stammwählendenschaft bauen, die sie verlässlich um die 8%-Marke schweben ließ, aber jedes zweistellige Ergebnis stellte einen großen Sieg dar - und die Regierungsbeteiligung blieb der weiße Elefant, der nicht zu erreichen war. In diesem Wahlkampf kommen die Parteien des linken und rechten Rands praktisch nicht vor - stattdessen konzentriert sich alles auf die Mitte, in der sich zur allgemeinen Überraschung Olaf Scholz breitgemacht hat.

Absehbar war Scholz' Erfolg zwar nicht, wohl aber die relative Schwäche der beiden Randparteien. Sie brauchen eine weitgehende Unzufriedenheit mit dem Status Quo, leben davon, dass die vier etablierten Parteien als austauschbar wahrgenommen werden, brauchen eine Hervorhebung ihrer Themen. Die relativ gute wirtschaftliche Lage einerseits und die Beendigung des Flüchtlingsthemas andererseits aber sorgen dafür, dass diese Faktoren nicht gegeben sind, und die spannende Offenheit des Wahlkampfs macht die Idee, dass es irrelevant sei, ob man für SPD oder Grüne, CDU oder FDP stimmt zu einer Albernheit.

Für die LINKE kommt als Problem hinzu, dass sie, im Gegensatz zur AfD, an die Regierung will. Sie muss den Spagat bewerkstelligen, sowohl für eine rot-rot-grüne Koalition zu werben als auch ihre traditionelle Protest- und Oppositionsrolle wahrzunehmen. Dieser Spagat gelingt ist, das ist glaube ich fair zu sagen, eher nicht so gut. Der Wechsel an der Parteispitze von den nicht eben als Publikumsmagneten bekannten Katja Kipping und Bernd Riexinger zu den praktisch unbekannten Janine Wissler und Susanne Hennig-Welsoff tat wenig, um die Partei in die Öffentlichkeit zu bringen, was zumindest in Hennig-Welsoffs Fall wohl auch kein Nachteil ist.

Die Vorsitzenden repräsentieren einen tiefen Graben in der Partei, der sie in den letzten Jahren permanent in die Negativ-Schlagzeilen gebracht hat. Die LINKE verliert ihre Stammwählendenschaft, teils aus demographischen Gründen (zusammen mit der CDU hat sie die ältesten Wählenden), teils aus strukturellen Gründen, die sie mit allen anderen Parteien teilt. Wo der eine Flügel versucht, die LINKE zu modernisieren (Katja Kipping und nun Susanne Hennig-Welsoff), versucht der andere, weiterhin Protest- und Klientelpartei für Wendeverlier*innen zu sein und die reine Lehre zu verteten.

Als wäre das nicht genug, besitzt die LINKE noch ein drittes Machtzentrum, das gegen die eigene Parteiführung arbeitet und für eine kommunikative Kakophonie sorgt: Politrentner Oskar Lafontaine und Sara Wagenknecht. Mit der parteiinternen Abspaltungsbewegung "Aufstehen" scheiterten die beiden krachend, aber Wagenknecht ist eine begnadete Rednerin, Debattiererin und Autorin, und auch Lafontaine bleibt selbst auf dem politischen Abstellgleis eine Kraft. Mit ihrem aktuellen Buch "Die Selbstgerechten" hat es Wagenknecht nicht nur wieder in die Bestsellerlisten geschafft, sondern sich auch ein (mittlerweile eingestelltes) Parteiausschlussverfahren an den Hals geschrieben. In der SPD dürften diverse Leute ob der Ironie des Schicksals, dass Lafontaine nun auch die LINKE spaltet, dunkel auflachen.

Ohne einen aktuellen Anlass, der ihre Themen in die Öffentlichkeit bringt, tut sich die LINKE ohnehin schwer, kommunikativ durchzudringen. Doch die unterschiedlichen, gegeneinander arbeitenden Machtzentren neutralisieren sich praktisch gegenseitig. Dies führt so weit, dass diese Neutralisierung jede auch negative Berichterstattung in der Presse unterdrückt. Die LINKE würde aktuell ja davon profitieren, wenn sie wegen harscher Flügelkämpfe und dem Gespenst einer rot-rot-grünen Koalition im Gespräch wäre. Aber nicht einmal das gelingt ihr. Sie wird praktisch nicht wahrgenommen, und die generische Botschaft hilft da wenig.

Die LINKE konnte früher die SPD am Nasenring durch die Manege führen, weil sie wie im Rennen des Hasen und des Igels immer schon da war, sie war die Partei des "immer eines mehr als du", um eine Kinder-Debattierstrategie auf den Punkt zu bringen. Da eine Regierungsbeteiligung ohnehin ausgeschlossen war, konnte sie auf die Forderungen von SPD und Grünen einfach immer eines draufsetzen (weswegen ihr Programm in Analysen auch immer führt, ob es nun um Maßnahmen für den Klimaschutz, "Friedenspolitik" oder Sozialpolitik geht). Ein Echo davon haben wir 2021 auch, wenn etwa die Forderung nach 13 Euro Mindestlohn plakatiert wird. Warum 13 Euro? Weil die SPD 12 Euro fordert. Mehr steckt nicht dahinter.

Und diese Strategie funktioniert nicht mehr, seit Teile der LINKEn offensiv versuchen, um eine Regierungsbeteiligung unter Rot-Rot-Grün zu werben. Man kann nicht die unrealistischen, plakativen Forderungen einer Oppositionspartei vertreten, wenn man gleichzeitig die Aussicht haben will, in Koalitionsverhandlungen zu gehen, wo diese zwangsläufig auf ein realistisches Maß gestutzt werden würden. Aber es wollen eben nur Teile der Partei eine Regierungsbeteiligung. Daraus ergibt sich die angesprochene Kakophonie, die gegenseitige Neutralisierung, und auch die Gefahr für potenzielle Koalitionspartner - weswegen R2G ja auch eine mögliche, aber unwahrscheinliche Konstellation für die nächste Legislaturperiode ist.

Zumindest eines dieser Probleme teilt die AfD nicht: sie versucht nicht einmal, den Eindruck zu erwecken, sie wolle an die Regierung. Die AfD ist eine reine Protest- und Oppositionspartei; sie versucht die Stimmen all derer einzusammeln, die, um die Bullyparade zu zitieren, einfach mit der Gesamtsituation unzufrieden sind. Niemand ist programmatisch so weit voneinander entfernt wie LINKE und AfD, und doch streiten sie um ein vor allem im Osten großes Wählendenklientel, das groß genug für den Einzug in den Bundestag und ideologisch eher ungebunden ist. Janine Wisslers stramm linke Ausrichtung kann diese Leute kaum fangen, die wenig an Antifa und Friedensdemos interessiert sind; sie sind es, um die Lafontaine und Wagenknecht sich, Hufeisen schmiedend, bemühen. Aber die AfD ist in diesem Spiel besser als die LINKE.

Der Grund dafür liegt absurderweise in eben diesem "immer eines mehr als du", das so lange der Garant für den Erfolg der LINKEn gegenüber der SPD war. Seit die LINKE versucht, sich einigermaßen seriös zu geben, kann sie dieses Oppositionsspiel nicht mehr mitspielen. Es gibt keine Möglichkeit, auch für Lafontaine und Wagenknecht nicht, die AfD zu flankieren. Die AfD kann immer die schärfere, weitgehendere Forderung stellen. Doch um welche Wählendenschicht konkurriert die LINKE denn dann eigentlich? Diese Frage wird durch ihren Wahlkampf nicht beantwortet, und es überrascht nicht, dass die gefürchtete 5%-Hürde immer näher rückt. Dass eine Ablösung der Union im Kanzleramt durch einen SPD-Kanzler nun in greifbare Nähe gerückt scheint, schadet der LINKEn noch einmal weiter, weil es Proteststimmen abzieht, die eine Chance auf Wandel sehen.

Doch die AfD spielt auch defensiv. 2017 schwamm sie auf einer Welle des Rechtsrucks in den Bundestag. Die Medien (und ja, auch die öffentlich-rechtlichen) waren voll von Sendungen und Artikeln zur Flüchtlingskrise. Die Anti-Merkel-Stimmung erreichte einen fiebrigen Höhepunkt. Doch dieses Thema ist seither aus den Schlagzeilen verschwunden. Auch Europa macht keinen Ärger mehr. Die zentralen Themen der AfD spielen schlicht keine Rolle, und dementsprechend ist sie in den Umfragen abgesackt. Ihr geht es darum, möglichst viele der Protestwählenden von 2017 an sich zu binden und zu einer Stammwählendenschaft heranzuziehen; neue Wählende wird sie dieses Jahr kaum erreichen können.

Im Gegensatz zur LINKEn aber führt die AfD einen stabilen Wahlkampf. Diese Stabilität erwächst aus einer zwingenden Notwendigkeit. Die größte Schwäche der AfD ist der Ekel, den sie in potenziellen Wählenden aus dem bürgerlich-konservativen Lager hervorruft. Wenn ein Rechtsaußen wie Hans-Georg Maaßen sich mit Leichtigkeit von der AfD abgrenzen kann, dann hat die Partei ein Problem. Seit dem Tühringen-Debakel versucht sie daher vermehrt, Kreide zu fressen. In diesem Wahlkampf sieht man keine Plakate, die Abschiebungen fordern oder Ähnliches. Stattdessen präsentiert sich die AfD als normalitäre Partei.

Diese Strategie verläuft unter der Oberfläche und macht die Partei nicht sonderlich sichtbar, aber das ist im Interesse dieser eher defensiv angelegten Strategie. Anders als 2017 wird Björn Höcke nicht in Talkshows eingeladen, werden keine Deutschlandfahnen über Sessellehnen drapiert. Die Partei bekommt keine kostenlose Aufmerksamkeit und versucht das beste daraus zu machen, indem sie die Grundlage für die angestrebte Etablierung als potenzieller Koalitionspartner der CDU und FDP in den Ländern legt. Das Motto des Wahlkampfs, man muss es sagen, ist sehr geschickt gewählt: "Deutschland, aber normal." Es ist im Endeffekt das, was die CDU zu sagen versucht, aber in ihrem grausigen Wahlkampf nicht schafft.

Die AfD lässt keinen Zweifel daran, was sie unter "normal" versteht: männlich dominierter Ein-Ernährer-Haushalt, ein weißes Deutschland, paternalistische Strukturen, keine Diversität. Sie kennt ein klares Feindbild, die Grünen, konzentriert im Slogan "AfD. Alle anderen sind grün." Das ist, wenngleich nicht in dieser Strenge, in CDU und zumindest teilweise in der FDP problemlos mehrheitsfähig, in einem Spiegelbild dessen, wie die LINKE aufgestellt ist: im Prinzip ist die Schnittmenge zu den etablierten Verwandten groß, in der Praxis aber nicht. Diese Lücke versuchen beide Parteien zu füllen.

Allein, im Bund ist völlig klar, dass eine Koalitionsoption nicht besteht. Die CDU fährt genauso wie die FDP eine klare Abgrenzungsstrategie; über den Mangel einer solchen in den thüring'schen Landesverbänden stürzte zuletzt Annegret Krampp-Karrenbauer. In einem Wahljahr, in dem nicht die Fortsetzung des gewohnten - das Kabinett Merkel IV - auf der Agenda steht und es leicht macht, den Zorn der Unzufriedenen zu mobilisieren, sondern stattdessen der von Armin Laschet bemühte "Wind des Wandels" weht, kann die AfD als Partei von gestern allerdings kaum punkten. Ihr Wahlkampf ist deswegen irrelevant, weil die Partei in diesem Zyklus irrelevant ist. Auch wenn der Wahlkampf, anders als bei der LINKEn, halbwegs kompetent geführt wird.

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die LINKE zwischen ihren verschiedenen Flügeln und Persönlichkeiten und die Gretchenfrage der Regierungsbeteiligung zerrissen wird, was sich direkt auf den inkohärenten und wenig proaktiven Wahlkampf niederschlägt, während die AfD einen defensiven, kompetent-unauffälligen Wahlkampf führt, um niemanden zu verschrecken und die eigene Stellung zu konsolidieren.

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