Genauso wie die Parteien in drei Doppelkonstellationen eingeordnet werden können, was ihre Einstellung zur aktuellen Lage und ihre Vorstellungen für die Zukunft betrifft, so können wir ihre Wahlkämpfe ebenfalls in drei Doppelkonstellationen sehen - die Guten, die Schlechten und die Irrelevanten. Den Teilnehmenden hat das politische Geschick eine Kartenhand zugeteilt, die gut (Grüne), akzeptabel (CDU, FDP, AfD, LINKE) und miserabel (SPD) war. Wie die Parteien diese Karten spielten sehen wir im ersten Teil einer Serie über die Wahlkämpfe der Parteien zur Bundestagswahl 2021 an. In Teil 1 befassen wir uns mit SPD und FDP, in diesem Teil mit Grünen und CDU und in Teil 3 mit LINKEn und AfD.

Aus heutiger Sicht ist es geradezu absurd, dass noch vor einem halben Jahr die Frage war, ob der nächste Kanzler eine Kanzlerin und Grüne sein würde - oder ob die CDU doch die Oberhand in einer schwarz-grünen Koalition behalten würde. Müsste man die dann "Große Koalition" nennen, nachdem die SPD auf einen Tiefpunkt von 12% in den Umfragen gestürzt war? Ah, lang, lang ist's her. Seit der offiziellen Ausrufung Anna-Lena Baerbocks als Kanzlerkandidatin Mitte April 2021 läuft es für die Grünen so schlecht, dass ich zwischendurch die Frage stellte, ob sie eigentlich überhaupt gewinnen wollen. Mittlerweile könnte man der CDU dieselbe Frage auch stellen. Beide Parteien legen einen unterirdischen Wahlkampf hin, der vor allem als abschreckendes Beispiel in die Annalen eingehen dürfte.

Im Falle der Grünen ist vor allem auffällig, wie sie ihre starke Anfangshand verspielten. Die Partei war 2019 im Rahmen der Fridays-For-Future-Proteste endgültig sicher im zweistelligen Prozentbereich der Umfragen angekommen. Ohne sich großartig selbst zu äußern, half ihnen ihr Markenkern, plötzlich als ernsthafte Alternative wahrgenommen zu werden. Die Covid-Pandemie verdrängte das Thema und die Grünen aus den Schlagzeilen, aber das dürfte für die Partei nicht schlecht gewesen sein - Aufmerksamkeit hatte den Grünen bislang noch jedes Mal geschadet.

Allein, es konnte nicht ewig funktionieren, dass alle Aufmerksamkeit sich auf die Konkurrenz konzentrierte. Die beginnenden Impfungen im März 2021 nahmen den Druck vom Covid-Thema. Die CDU legte ihren Führungsstreit für's Erste bei. Und die Grünen konnten der Frage nicht mehr ausweichen, ob sie Anspruch aufs Kanzleramt erheben würden und wenn ja, welche*r der beiden Co-Vorsitzenden das tun würde. Die Partei hatte den Luxus, zwei Alternativen zu haben: den in der Öffentlichkeit etwas bekannteren Habeck, der aber 1) ein Mann und 2) anfällig für ungescriptete Kommentare war oder Anna-Lena Baerbock, die weitgehend unbekannt, aber eine junge Mutter war. Beide Ansätze bargen Risiken, und es war zu erwarten - und wurde von mir auch vorhergesagt - dass die Grünen nach der Ausrufung eines Kandidaten oder einer Kandidatin scharfen Angriffen ausgesetzt sein würden, gleichgültig, wen der beiden sie wählten.

Erste Gewitterwolken am Horizont waren bereits erkennbar, als Habeck in einem Interview erklärte, auf die Kandidatur zu verzichten, wenn Baerbock "als Frau" Anspruch darauf erhebe. Damit beschädigte er von Anfang an ihre Kandidatur, und auch wenn er sich seither zusammengerissen und große Disziplin an den Tag gelegt hat, war das kein besonders guter Start. Es war aber nichts gegen den Sturm, der in den folgenden Wochen über die Grünen hereinbrach. Anstatt, wie die SPD und FDP, eine Wahlkampagne, zugeschnitten auf die Persönlichkeit der Kandidatin, aufzufahren und damit ihr Potenzial zu nutzen, folgte der Erklärung der ersten grünen Kanzlerkandidatur - nichts.

Es gehört zu den Grundregeln der Macht, dass sie nichts so hasst wie ein Vakuum. Genau ein solches aber hinterließen die Grünen nach der Ankündigung, und die Medien stießen mit Wonne hinein - während sich die politischen Gegner aufällig zurückhielten und abwarteten, welche Strategie gegen die ja auch ihnen unbekannte Baerbock am besten verfangen würde; nichts wäre so schädlich, wie sich mit verfrühten, aggressiven Attacken als frauenfeindliche Machos zu brandmarken, wenn ein kompetenter Grünen-Wahlkampf sie als sympathische, junge Mutter aufgebaut hätte. Aber das passierte nicht.

Wie sich herausstellte, waren Angriffe auch Baerbock auch weiterhin nicht nötig. Das besorgten einerseits die Medien und andererseits das an Inkompetenz kaum zu überbietende Wahlkampfteam der Partei. Eine Welle von Skandälchen schwappte über die völlig unvorbereitete Kandidatin hinweg, von der Frage, ob sie sich nun zurecht als Völkerrechtlerin bezeichnete zu den genauen Angaben in einem Lebenslauf, der praktisch niemanden interessierte, schon allein, weil der Grünen-Wahlkampf ja mit ihrer Vita offensichtlich überhaupt nicht arbeitete. Wie im Judo wurde diese Schwäche - den Wahlkampf nicht auf die Kandidatin zuzuschneiden - gegen sie verwandt, denn die Lücken im Lebenslauf, die aus der Ignoranz gegenüber ihrer Person zugelassen worden waren, wurden nun gegen sie verwendet. Zuzuschreiben haben die Grünen das alleine sich selbst.

Als wäre das nicht schlimm genug, wählten sie zwischen den beiden möglichen Polen einer politischen Reaktion - in Sack und Asche gehen und aggressiv gegenhalten - den Mittelweg. Zuerst entschudligte sich Baerbock ständig und schob häppchenweise Korrekturen nach, dann hatte sie irgendwann die Faxen dicke und drohte mit einem Anwalt. Diese Kakophonie vereinte sich zu einem einzigen chaotischen Eindruck der Inkomopetenz. Die Grünen standen hilflos wie ein Reh im Scheinwerferlicht im Angesicht völlig erwartbarer Attacken und hatten - nichts.

Als nach Wochen des Bombardements mit negativer Presse - zu der, erneut, die politischen Gegner nicht einmal etwas zutun mussten sondern sich fein heraushalten und so die moralische Überlegenheit waren konnten - Baerbock endlich aus den Schlagzeilen verschwand, war die Partei bereits deutlich unter die 20%-Marke gerutscht. Zur Ruhe kam sie deswegen noch lange nicht. Stattdessen setzten nun die noch viel erwartbareren Attacken gegen das Programm ein, oder das, was man dafür hielt. Das ebenso beliebte und griffige wie wenig zutreffende Narrativ von der "Verbotspartei" schallte auf allen Kanälen entgegen. Die Antwort der Grünen war - nichts.

Das Wahlkampfteam hatte es offensichtlich nicht nur versäumt, eine Strategie für die eigene Spitzenkandidatin zu entwickeln, Angriffe vorherzusehen und entsprechende Verteidigungsstrategien zu entwickeln. Das erklärt sich ja noch aus dem schwerwiegenden strategischen Fehler, die Kandidatur erst im Frühjahr zu klären und wäre damit auch bei Robert Habeck ein Problem gewesen. Aber dass man nicht einmal ein Strategie dagegen hatte, als "Verbotspartei" gebrandmarkt zu werden, acht Jahre nach dem "Veggie-Day"-Desaster vom Wahlkampf 2013, das ist schon fast Sabotage des eigenen Wahlkampfs.

Auch die jüngste Runde des rechten Kulturkampfs, der Streit um die geschlechtergerechte Sprache, war absolut vorhersehbar. Es ist eher ein Wunder, dass er nicht früher als August ausbrach und erst das Sommerloch brauchte, um zur vollen Entfaltung zu kommen, bedenkt man sich, wie viel Mühe sich die bürgerliche Presse und die anderen Parteien machten, das Thema zu etablieren. Den Grünen war wohl klar, wie unbeliebt ihre Position hier ist und hielten es daher aus ihrem eigenen Wahlkampf heraus. Das ist Teil 1. Teil 2 folgte nie: eine Abwehrstrategie gegen die offensichtlich zu erwartenden Attacken. Erst im ersten Triell im September 2021 schaffte Baerbock es (nun wenigstens kompetent), das Thema abzuwehren. Die Grünen liegen mittlerweile deutlich näher bei 15% als 20%; dass sie von Platz 3 auf Platz 4 hinter die FDP rutschen, ist nicht mehr völlig ausgeschlossen.

Warum aber ist der Wahlkampf so ungeheuer inkompetent? Aus irgendeinem Grund war die versammelte Führungsspitze der Grünen der Überzeugung, dass sie keinen professionellen Wahlkampf führen muss. Weder 2019, noch 2020, noch in der ersten Jahreshälfte 2021 fühlten sie sich bemüßigt, auswärtige Berater*innen einzustellen, ein eigenes Umfrageinstitut zu beauftragen oder irgendetwas in diese Richtung zu tun. Erst im August 2021 (!) fragten sie an - aber wie Frank Stauss ihnen problemlos erklären kann, ist das wesentlich zu spät. Man schien der Meinung zu sein, dass sowohl Medien als auch Wählende bei Attacken schon in das ausführliche, 272 Seiten dicke Grünen-Wahlprogramm schauen und die Wahrheit herausfinden würden. Wie irgendjemand so etwas glauben kann ist mir unbegreiflich, nach 2013 sowieso. Aber die SPD hat Wahl um Wahl denselben Fehler mit erstaunlicher Beharrlichkeit und Lernresistenz gemacht.

Dazu ist es nicht hilfreich, wie wenig diszipliniert die eigene Partei ist. Nur zwei Beispiele allein aus dieser Woche: der baden-württembergische Finanzminister, Danyal Bayaz, der eigentlich die Scholz'sche Strategie als Verfechter konservativer Haushaltspolitik im grünen (bzw. roten) Gewand fährt, konnte nicht bis zum 26. September warten, um seine Initiative eines digitalisierten Meldeportals für Steuerhinterziehung zu verkünden. Dass solche Meldungen analog längst bestehen ist irrelevant, die Steilvorlage ließen sich Springer-Presse und bürgerliche Politiker*innen nicht entgehen, die vor Nazi- und Stasivergleichen nicht zurückschreckten (dazu unten mehr). Und eine zwar unbedeutende, aber nichts desto trotz beknackte Grünenpolitikerin wurde beim Überkleben von FDP-Plakaten erwischt, was einerseits zeigt, wie schlecht die Infrastruktur der Grünen ist, dass ihre Abgeordneten das selbst machen, und andererseits einfach nur bescheuert ist.

Der einzige Trost der Grünen dürfte sein, dass sie in diesem monströsen Versagen nicht alleine dastehen, und noch nicht einmal am schlimmsten. Denn die Grünen können wenigstens darauf verweisen, dass sie es das erste Mal machen. Welche Ausrede aber hat die CDU? Sie gab sich derselben Illusion hin wie die SPD es schon so häufig tat und dachte, dass eine späte Kandidatenkür ihr einen Vorteil verschaffen würde. Der ständige, harsche Richtungsstreit um die Merkel-Nachfolge, der durch nicht nur eine, sondern zwei Basis-Wahlen der euen Vorsitzenden (erst Krampp-Karrenbauer, die durch das Thüringen-Desaster versenkt wurde, dann Laschet) nicht auch nur im Ansatz befrieidgt, sondern stattdessen einfach nur Glimmen gehalten wurde, zerreißt die Partei bis heute.

Grund ist eine Frage, wie sie Sozialdemokrat*innen nur zu bekannt vorkommen dürfte: Warum hat die Partei ihre Seele verloren, und wie kann sie sie wiederfinden? Besteht die Antwort in einem Ruck nach rechts (links bei der SPD), um "das Profil zu schärfen"? Besteht die Antwort in einer weiteren "Modernisierung" (bei der SPD als Vorantreiben der Agenda-Reformen verstanden)? Braucht es jemand, der einen großen Kompromiss aus beidem schließt? War die Politik, die zum wahrgenommenen Seelenverlust führte - Euro- und Flüchtlingskrise hier, Agenda2010 dort - richtig und alternativlos, oder vielmehr der Sündenfall und Wurzel allen Übels?

Die Partei zuckte hin und her. Im Wahlkampf 2018 präsentierte sich Markus Söder als Hardliner nach rechts und fuhr ein katastrophales Ergebnis ein; seither erfand er sich als schwarz-grüner, geläuterter Landesvater neu. Krampp-Karrenbauer stand in der Tradition Angela Merkels, kritisierte sie sanft, versuchte aber die Partei in der Mitte zu halten und wurde von den Fliehkräften zerrissen, ein Schicksal, das sie mit sicherlich vier bis fünf Kolleg*innen aus der SPD-Parteiführung teilt. Friedrich Merz, der Kandidat von vorgestern, konnte zwar mit polarisiernd- spaltender Rhetorik jedesmal in Griffweite der Macht kommen - blieb aber eine Minderheitenposition in der Partei und ungeliebt in der Bevölkerung (die CDU kann mehr als froh sein, dass dieser Kelch an ihr vorüberging). Es siegte schließlich ein weiterer Kompromisskandidat, der anders als Krampp-Karrenbauer aber ohne den Merkel'schen Stallgeruch, dafür aber mit großer Hausmacht antrat: Armin Laschet, dem die Macht in Nordrhein-Westfalen vor allem wegen der miesen Performance der rot-grünen Vorgängerregierung und weniger wegen überragender Fähigkeiten in den Schoß gefallen war. Spielend setzte er sich im Januar 2021 gegen Merz durch.

Seine Strategie war von Anfang an klar erkennbar und eine Wiederholung dessen, was der CDU dreimal in Folge das Kanzleramt gesichert hatte: Konflikte weglächeln, über den Dingen stehen, alles an sich abprallen lassen. Ihm fehlten dafür allerdings drei Dinge, die Merkel hatte: Ruhe, Disziplin und schlechte Gegner.

Für die mangelnde Ruhe konnte er nichts, zumindest nicht direkt. Auch Angela Merkel hätte eine Flutkatastrophe den Wahlkampf verhagelt. Aber Laschet reagierte auch noch maximal schlecht. Seine Reaktion sollte eine Spiegelung der Schröder'schen Hemdsärmeligkeit von 2002 sein, als er in Gummistiefeln losmarschierte, aber seine inkompetente PR-Maschinerei sorgte dafür, dass nichts davon auch nur ansatzweise authentisch wirkte. Als er dann im Hintergrund des sprechenden Steinmeier beim Lachen gefilmt wurde, als ob YouTube nicht existieren würde, war der Ruf vollends ruiniert. Laschet erholte sich davon nicht mehr. Egal, was er sagt, egal, wo er auftaucht, den Eindruck von Egoismus und mangelnder Ernsthaftigkeit wird er nicht los. Es ist ein Teufelskreis, aus dem es kein Entrinnen gibt und zu dessen Verarbeitung er sich mit den Grünen in einer Selbsthilfegruppe treffen könnte.

Die mangelnde Disziplin dagegen ist beachtlich. Interne Grabenkämpfe waren bisher eigentlich die Provenienz der linken Parteien. Es war ein Merkmal der Bürgerlichen, dass sie sich mit so etwas nicht abgaben und die Augen klar auf den Preis gerichtet hatten: das Kanzleramt. Nicht so 2021. Das Ausmaß, in dem die einzelnen Fraktionen der CDU sich in aller Öffentlichkeit zerreißen und ihre schmutzige Wäsche waschen, ist bemerkenswert. An vorderster Front stehen hier vor allem die Rechtausleger der Partei, einmal Hans-Georg Maaßen als Vision dessen, was "AfD light" bedeutet und einmal Friedrich Merz als Gesicht der hässlichen CDU. Beides erfordert etwas mehr Erklärung.

Maaßen hält nicht damit hinter dem Berg, dass er die CDU deutlich nach rechts rücken will. Für ihn ist das Feindbild Nummer 1 Angela Merkel, eine Position, die sich auf dem gesamten Rechtsspektrum der Republik findet. Die Rechtsverschiebung, die ihm vorschwebt, ist aber eine ahistorische. Auch wenn sie in die Rethorik eines "zurück zu den Wurzeln" gekleidet ist, geht es eher um eine Umformung der CDU nach dem Vorbild von Fidesz, PiS und der Republicans. Diese Vorstellung ist reichlich unbeliebt und erlaubt eine leichte Mobilisierung, weswegen Maaßen auch wie ein Mühlstein um den Hals der Partei hängt, aber wegen seiner Verankerung vor allem in den radikaleren Ostverbänden auch nicht direkt angegangen werden kann. Es ist der Inkompetenz des grünen, der Abgehobenheit des sozialdemokratischen und der Irrelevanz des linken Wahlkampfs zu verdanken, dass das Verdrängen der Maaßen-Problematik so gut gelingt, wie es das tut.

Viel problematischer ist Friedrich Merz. Der Mann ist mehr als Maaßen ein Hoffnungsträger auch für demokratisch gesinnte Zeitgenoss*innen. Er ist der Mann von vorgestern, der verspricht, die Uhr zurück auf 2003 zu drehen. Innerhalb der Unions-Wählendenschaft gibt es viele Fans - wenig überraschend, sonst hätte er kaum verlässlich 40% der Stimmen bei den Vorsitzendenwahlen bekommen. Aber eine Mehrheit hat er nicht. Sowohl Krampp-Karrenbauer als auch nun Laschet sehen sich daher der Herausforderung ausgesetzt, ihn und den Flügel, den er repräsentiert, zu integrieren.

Doch wo es der SPD gelungen ist, das zu tun und wo ein Kevin Kühnert sich und seine Rhetorik in den Dienst der gemeinsamen Sache stellt, kennt Friedrich Merz nur ein Thema: Warum Friedrich Merz besser wäre. Konstant schießt er gegen die eigene Partei, den eigenen Vorsitzenden, die eigene Kanzlerin, die eigene Führung. So etwas gouttieren Wähler*innen grundsätzlich nicht, aber schon gar nicht bei einer bürgerlichen Partei. Emblematisch für die Schwäche Laschets einerseits und die korrosive Schädlichkeit Merz' ist die Episode vergangener Woche, als Laschet zur Rettung seiner nach dem Triell auf nie gekannte Tiefpunkte gerutschten Beliebtheitswerte ankündigte, dass Merz in seiner Regierung "eine hervorgehobene Rolle" haben werde. Merz erste Reaktion auf diese Ankündigung war zu erklären, dass er das CDU-Wahlprogramm und die Politik von Ursula von der Leyen für gefährlich hält.

Diese Uneinigkeit ist ein Geschenk für alle anderen Parteien, vor allem für die SPD, deren Einigkeit und Mangel an solchen innerparteilichen Konflikten den aktuellen Höhenflug Scholz' ermöglicht. Laschet muss sich jedoch nicht nur mit den Wadenbeißern Maaßen und Merz herumschlagen, sondern auch mit Söder, der sich aus dem Wahlkampf weitgehend heraushält und nur das absolute Minimum absolviert, ohne eine Gelegenheit vergehen zu lassen zu verkünden, wie schlecht der Wahlkampf läuft und wie viel besser die Lage mit ihm an der Spitze wäre. Das mag seiner innerparteilichen Position möglicherweise nützen, aber für die Aussichten der Union ist es furchtbar. Das natürlich kann Söder egal sein, er bleibt ja in Bayern, und die Schwäche der CDU ist die Stärke der CSU in diesem Bündnis.

Zu all diesen innerparteilichen Schwächen kommt die unglaubliche Fantasielosigkeit des Wahlkampfs selbst. Die CDU ist völlig ausgebrannt. Nach 16 Jahren Regierung wirken die Ankündigungen Laschets, nun aber wirklich den Aufbruch zu unternehmen und Deutschland umzukrempeln, völlig hohl - und das noch vor solchen rhetorischen Höchstleistungen wie im Triell, wo er verkündete, dass "uns der Wind des Wandels ins Gesicht bläst" und "wir standhaft bleiben" müssen. Der CDU fehlt ein Grund, warum man sie wählen sollte. Das ist neu, und damit kann sie nicht umgehen. Bisher war das das Problem der SPD. Nun hat es die Union.

Als Reaktion versucht sie sich an einem Aufwärmen der "Greatest Hits" vergangener Wahlkämpfe. Verzweifelt wird mit den Verbündeten in der bürgerlichen Presse von Springer bis FAZ versucht, das Narrativ eines bevorstehenden Linksrutsches an die Wand zu malen. Doch damit scheitert die CDU genauso wie die Republicans gegen Biden 2020. Die Vorstellung, dass ausgerechnet Olaf Scholz in einer Ampelkoalition den großen Linksrutsch einleitet, ist so absurd, dass praktisch niemand sie ernstnimmt, und das Schreckgespenst einer rot-rot-grünen Koalition ist nicht nur unrealistisch - zu überzeugend haben Scholz und Baerbock es ausgeschlossen - es ist auch zunehmend weniger schrecklich für die Bevölkerung.

Neben dieser abgeschmackten Neuauflage der Rote-Socken-Kampagne versucht die CDU auch beharrlich, ihren Coup vom Veggie-Day von 2013 zu wiederholen. Doch selbst mit voller medialer Schützenhilfe gelang es nicht, die Lastenfahrräder als neuen Veggie-Day zu etablieren. Der "Skandal" blieb auf die rechte Blase beschränkt und stieß nie ins allgemeine Bewusstsein vor. Auch die anderen Versuche, die Grünen anzugreifen, blieben merkwürdig zahnlos - wohl auch, weil es kaum nötig war, die Grünen anzugreifen, sind diese doch selbst ihre größten Feinde.

Die Verzweiflung der CDU zeigt sich nicht nur in diesen wiederaufgewärmten Attacken, sondern auch im ständigen, instinktiven Zündeln am rechten Rand. Ob in der Causa Danyal, wo man sowohl Stasi- als auch Nazivergleiche aufzufahren versuchte - nur um sich aus der bürgerlichen akademischen Welt harsche Schelte einzufahren - oder in Afghanistan, wo man zuallerst sicherstellte, dass keine Ortskräfte Deutschland erreichen konnte und dann eine humanitäre Katastrophe erntete, diese instinktiven Ausschläge nach rechts schaden der CDU mehr, als sie nutzen. Das ist eine merkwürdige Parallele zur LINKEn, deren Vorliebe für Ausflüge in den Linkspopulismus sie auch zuverlässig entgleisen lassen, wann immer ihr Zug in Richtung Respektabilität und Koalitionsfähigkeit fährt.

Zusammengefasst kann man sagen, dass der Wahlkampf der Grünen eine Serie von Unterlassungen ist, die sich zu einer katastrophalen Melange zusammengemischt haben. Im Wahlkampf der CDU dagegen mangelt es nicht an Aktionen, Angriffen und Maßnahmen, aber nichts davon passt zusammen. Alles zerrt in verschiedene Richtungen, und ein inkompenter Kandidat steht einem nicht funktionierenden Wahlkampfteam vor. Immerhin strampeln beide Parteien im Scheinwerferlicht. Es muss ziemlich deprimierend sein, einfach nicht wahrgenommen zu werden, wir im abschließenden Teil unserer Serie sehen werden.

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