Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Justice Alito complains, but the evidence is clear: This Supreme Court was built by dark money

How strong a pattern? During Chief Justice John Roberts' tenure, the Court has issued more than 80 partisan decisions, by either a 5-4 or 6-3 vote, involving big interests important to Republican Party major donors. Republican-appointed justices have handed wins to the donor interests in every single case. [...] This pattern did not just happen. It is the fruit of a half-century-long operation by right-wing donors to win through the Supreme Court what they can't win through elected branches of government. [...] The Federalist Society emerged as gatekeeper, monitoring Republican-appointed judges for allegiance to right-wing donor interests, while accepting gobs of anonymous donations. The Judicial Crisis Network and its offshoots sprang up as political attack dogs in the confirmation fights for Federalist Society-approved judges, funded by anonymous donations as big as $17 million. Other front groups groomed convenient plaintiffs to manufacture controversies to give the selected justices cases that would generate precedent favorable to donor interests. Secretly-funded groups also began to lobby the court in orchestrated flotillas — through so-called "friend of the court" briefs — signaling which cases are important to donor interests and advising judges which way the donors want them to rule. They have a perfect winning record. All of this required boatloads of anonymous money; what people who study this clandestine activity call "dark money." The Washington Post has exposed how the right-wing donor network spent upwards of $250 million in dark money on its judicial influence operation; testimony before my Senate Judiciary Courts Subcommittee has since upped that dark money figure to $400 million. Because the funding is covert, we do not know exactly who contributed that money or what interests they have before the court. But rarely do people spend $400 million for no reward. (Sheldon Whitehouse, Salon)

Der Autor ist ein State Senator! Klar, das ist nur eine Einzelmeinung und bei weitem nicht Mainstream bei den Democrats, aber da verschiebt sich seit Monaten schleichend das Overton-Fenster. Gut möglich, dass schon bei der Wahl 2024 der Supreme Court offen als politischer Gegner und nicht mehr als Institution gehandhabt wird.

Dazu kommt, dass Whitehouse ja nicht falsch liegt. Es flossen massive Summen in die Auswahl der republikanischen Richter*innen, und die Rolle der Federal Society in ihrer Auswahl ist bestens dokumentiert. Bisher wurde der rechtsradikale Einschlag des SCOTUS nur unter politischen Gesichtspunkten diskutiert, aber es ist vermutlich ein unterschätztes Element, dass er für wirtschaftliche Interessen käuflich ist. Für seine Legitimität ist das nicht sonderlich viel versprechend.

2) Gute Impfstoffe, schlechte Kommunikation

Dass es dennoch immer noch so leicht gelingt, diesen Erfolg kleinzureden, das hat das öffentliche Corona-Management auch sich selbst zuzuschreiben. Gerade das Robert-Koch-Institut hat allzu oft keine gute Figur gemacht (siehe Kasten). Einen Teil der Verantwortung für den Vertrauensverlust, den die Impfungen erlitten haben, trägt sicher auch die Ständige Impfkommission, die ihre Impf-Empfehlungen immer wieder kurzfristig geändert hatte – noch dazu nicht immer nachvollziehbar kommuniziert. [...] Weshalb es noch ärgerlicher ist, dass Bund und Länder sich parallel auf langwierige Debatten über vermeintlich bevorstehende Massen-Durchseuchungen bei ungeimpften Kindern und Jugendlichen eingelassen haben, obwohl die wahre Risikogruppe die Alten waren und bleiben werden. Denen damit jedoch suggeriert wurde, für sie sei mit der Impfung das Problem gelöst. Was ja in Ordnung gewesen wäre. Solange sie von Anfang an des Restrisikos bewusst gemacht worden wären. So aber gerät dieses Restrisiko erst jetzt immer stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit und stellt die Wirksamkeit der Impfungen insgesamt in Frage, obwohl diese, siehe oben, so unglaublich gut ist. Wer sich also wundert, wenn die Impfquoten dann nicht weiter steigen: Hier hat er eine weitere Erklärung. (Jan-Martin Wiarda)

Ich meckere über die miese Kommunikation seit Beginn der Pandemie. Ein Grundproblem scheint mir dabei zu sein, dass hier ein Zielkonflikt besteht. Ich kann nicht einerseits die Pandemiemaßnahmen darauf auslegen, dass sie möglichst feingesteuert sind, um so wenig in die Rechte der Menschen und die Prä-Pandemie-Abläufe eingreifen, aber andererseits in nationalen Medien eindeutig kommunizieren. Wenn Maßnahmen sich über 294 Landkreise und 107 kreisfreie Städte in Deutschland unterscheiden, kann da überhaupt keine gute Kommunikation mehr stattfinden. Alle, die mal über NINA ein Update der herrschenden Regelungen bekommen haben, können da dann noch zusätzlich leidvolle Erfahrungen mit Jurist*innendeutsch hinzufügen. Das ist auch typisch Deutsch: um nur ja alles rechtssicher zu machen, wird Nützlichkeit und Funktionalität ganz hinten angestellt. Furchtbar.

Nur eine willkürliche Anekdote für diesen Blödsinn: wir hatten kürzlich eine Pflichtfortbildung zur korrekten Anwendung der Schnelltests (die Dinger benutzen wir seit 9 Monaten an der Schule, aber klar, lasst uns alle nochmal in einen Raum stopfen und das gezeigt bekommen...). Die Ergebnisse können in einer App gespeichert werden, mit der die getesteten Schüler*innen den Test nachweisen können. Diese App wurde vom Landkreis (!) über die letzten neun (!!) Monate entwickelt, ist nur in diesem Landkreis benutzt und wird auch nur dort als Testnachweis akzeptiert. Es wurde aber ganz stolz verkündet, dass alles datenschutzkonform passiert. Das sind doch nur noch Schildbürgerstreiche, die da veranstaltet werden.

3) Die gesellschaftlichen Umbrüche in einer Ampel-Republik

Es gebe „gerade bei gesellschaftspolitischen Themen mit den Grünen und der FDP eine weitgehende Schnittmenge“, heißt es im Willy-Brandt-Haus. Ob sich daraus eine ambitionierte Reformagenda zimmern lässt wie 1969, ist offen. Doch wenn man das Puzzle zusammensetzt, ergibt sich ein erstes Bild: weniger Restriktionen und Diskriminierung, mehr Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen. [...] „Wenn es um gesellschaftliche Modernisierung und um persönliche Freiheit geht, sind die Sozialdemokraten interessante Ansprechpartner für uns Liberale“, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle vor Jahren. Er bezog das auf einen Konflikt, der schon in den 70er-Jahren gärte: das Abtreibungsrecht. [...] Auch in der Familienpolitik zeichnen sich eine ganze Reihe von Änderungen ab. So könnten künftig auch unverheiratete Paare ein Adoptionsrecht erhalten. Diskussionen dürfte es beim Thema „Wechselmodell“ geben. Laut FDP sollten nach einer Trennung von Eltern beide gleichermaßen berechtigt und verpflichtet sein, für den Unterhalt und die Betreuung der Kinder zu sorgen. (Claus Christian Malzahn/Nikolaus Doll/Thorsten Jungholt, Welt)

Ich habe bereits lange vor der Wahl genau dieses Szenario für eine erfolgreiche Ampel entworfen. Es gibt zwischen SPD und Grünen einerseits und der FDP andererseits nur wenig Übereinstimmungen bei der Sozial- und Wirtschaftspolitik, aber gerade auf den Bereichen der Innen- und Gesellschaftspolitik gibt es nicht nur eine große Übereinstimmung, sondern auch einen in 16 Jahren konservativer Regierung einen ungeheuren Reformbedarf und genug zu tun. Das bisherige Programm der Ampel, wie es sich aus den Sondierungspapieren herauslesen lässt, stimmt da hoffnungsvoll.

4) Als wären Mütter zu bequem

Statt gerechter zu verteilen wird aber überall versucht, aus Frauen noch mehr Lohnarbeit zu pressen: Man müsse für Frauen „Teilzeit weniger attraktiv“ machen. Raus aus der Teilzeitfalle! Nicht die Väter, sondern die fehlende Kinderbetreuung sei schuld, und Teilzeit sei nun mal eine Armutsfalle. Und während das nicht komplett falsch ist, ist es aber so nachhaltig, wie sich in einem Schneesturm in die Hose zu pinkeln, weil das kurz wärmt. Eine Armutsfalle sind Teilzeitjobs vor allem, wenn sie schlecht bezahlt sind. Doch es ist kein Naturgesetz, Frauen schlecht zu bezahlen, genauso wie die 40-Stunden-Woche kein Naturgesetz ist. Es geht dabei mehr um Macht als um Produktivität. Sonst hätte der Arbeitstag längst fünf Stunden und die Arbeitswoche vier Tage. Und zwar nicht nur für Eltern. Die Kinderbetreuung auszubauen, ist dringend nötig, um die Last von Eltern, vor allem von Alleinerziehenden, zuverlässig zu mindern. Dennoch kann es keine Konsequenz sein, Kinder von 8 bis 18 Uhr betreuen zu lassen, weil man sonst die Miete nicht bezahlen kann und kaum Rente bekommt. Bemerkenswert ist der misogyne Unterton. Als wären Mütter zu bequem. Als hätten sie es sich kuschelig gemacht in ihrer kleinen Armutsfalle voller Freizeit und Prosecco, ohne in ihrem kleinen Hirn zu verstehen, was das bedeutet. Doch mit der Realität hat das nichts zu tun. Die Verantwortung, die Männer, Arbeitgeber und Politik an der Altersarmut von Frauen haben, wird komplett ausgeblendet. (Saskia Hödl, taz)

Es gibt keine Gruppe, die auch nur annähernd so armutsgefährdet ist wie alleinstehende Mütter. Das liegt sicher nicht daran, dass sie alle zu faul zum Arbeiten wären, sondern dass sie gleich mehrfach diskriminiert werden. Es gibt auch kein echtes Interesse seitens der Sozial- oder Arbeitspolitik, diese strukturellen Probleme aufzubrechen. Diese Kritik müssen sich alle Parteien gleichermaßen gefallen lassen. Deutschland bleibt generell eine familien- und kinderfeindliche Nation, und das zieht sich durch alle Bereiche.

5) The European right is in retreat

But today, conservative parties are struggling and the broad left is showing signs of strength across Europe. It's a tentative sign that the far-right extremism fueled by the 2008 economic crisis is running into its limits. [...] All these countries have their own national peculiarities, and of course I am no expert. But one can still point to two developments that have undoubtedly had a powerful effect in every European country: the 2008 financial crisis and the coronavirus pandemic. As I have previously written, after the financial crisis, Europe suffered under hegemonic austerity politics that created an economic lost decade. [...] After 2008, a crisis afflicting all of Europe was catastrophically mishandled, and problems were unfairly pinned on helpless scapegoats like Greece. The result was economic disaster, political chaos, and a rise in right-wing extremism. But in 2020, a similarly-broad crisis was approached with a reasonable amount of continent-wide solidarity. Every country in the E.U. got at least modest help, helping to discredit the nationalist xenophobia of right-wing parties. As compared to 2016, when the appalling economic performance of the eurozone helped fuel the Brexit vote, today E.U. membership is looking like a much more appealing proposition (as Britain suffers from terrible supply problems no less). [...] Let us hope that the mistakes of 2008-12 can be undone, European democracy can be revitalized, and the continent can get the economic recovery it should have gotten 12 years ago. (Ryan Cooper, The Week)

Hoffen wir mal, dass der Optimismus des Artikels gerechtfertigt ist. Grundsätzlich lässt sich der Trend dieser Tage jedenfalls tatsächlich beobachten. Gerade in Ungarn und Polen darf man sich ja erstmals zarte Hoffnung auf eine Abwahl der Rechtspopulisten machen, in Österreich ist mit Kurz der Darling der deutschen rechtskonservativen Szene gefallen, die Umfragewerte für Macron sehen recht stabil aus, und so weiter. Aber sicher ist da noch gar nichts.

Ich finde es wichtig noch darauf hinzuweisen, dass Cooper völlig Recht mit seiner Ursachenanalyse hat. Nichts hat den Aufschwung der Rechtspopulisten so sehr gestützt wie die Finanzkrise 2008ff., und nichts hat ihnen so sehr geschadet wie die Corona-Pandemie, in der es gerade die moderaten Demokratien waren, die (im Westen) am besten durch die Krise kamen. Das scheint mir noch ziemlich unterbewertet.

6) Squid Game. Nicht jeder Erfolg ist auch eine Empfehlung.

Es ist der niederländische Historiker und Aktivist Rutger Bregman, der in seinem neusten Buch unter dem programmatischen Titel «Im Grunde gut» mit dieser sogenannten «Fassadentheorie» abrechnet. An vielen Beispielen zeigt er, dass die zugrundeliegende Idee einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhält. Was man im Reality-TV zu sehen bekommt, ist nicht die «Wirklichkeit», sondern das Ergebnis gezielter Manipulation und geskripteter Streitgespräche. Sie sichern die Quote, verzerren aber strategisch unser Bild vom Menschen. Sogar in Kriegssituationen zeichnet sich der Mensch durch hartnäckige Skrupel aus, anderen Menschen Schaden zuzufügen. Historische Berichte und forensische Analysen bezeugen die Tendenz von Soldaten, absichtlich über den Feind hinwegzuschießen, Flinten mehrfach zu laden (um nicht abdrücken zu müssen), und ihre Bajonette notorisch unbenutzt zu lassen. [...] Der Antihumanismus von «Squid Game» wird noch zugespitzt durch die digitale Konstruktion der Entscheidungssituation, vor welche die Teilnehmenden in jeder Spielrunde erneut gestellt werden: Es gibt immer nur Leben oder Tod, du oder ich. Kein Verhandlungsspielraum, keine kreativen gemeinsamen Lösungen, keine vermittelnden Positionen. Das ist die typische Versuchsanordnung, mit der auch in der Philosophie gerne ethische Konflikte veranschaulicht werden (wie etwa das berühmte «Trolley-Dilemma»). Aber unsere Welt ist nicht digital. (Manuel Schmid)

Ich kann den Hype um Squid Game nicht wirklich nachvollziehen, ich finde die Prämisse nicht nur wenig ansprechend, sondern auch intellektuell reichlich unterfordernd (zu diesem Zeitpunkt ist es glaube ich nicht mehr wirklich ein Spoiler, dass es Superreiche sind, die das Gemetzel zu ihrem persönlichen Amüsement veranstalten; eine so ausgelutscht-dumme Prämisse, dass man ihr nicht mal das Label "kapitalismuskritisch" umhängen mag).

Aber es ist gut, dass Manuel Schmid hier auf die miese psychologische Faktenlage dieses und ähnlich gelagerter Szenarien eingeht (ich sag nur: The Walking Dead). Denn tatsächlich ist es so, dass Menschen in Katastrophensituationen gerade nicht wie Hobbes'sche Wölfe agieren, sondern vielmehr wie Rousseau'sche Gemeinwesen.

Wen es interessiert: Auch Philipp Wampfler denkt über die Serie nach und sieht sie als eine Allegorie auf die Schule. Bob Blume widerspricht dem heftig.

7) Gefangen im kafkaesken Staat

Für das, was die Bürokratie anrichtet, haben sich Bürokraten ein wunderbares Wort ausgedacht: Erfüllungsaufwand. So nennen sie „den Zeit­aufwand und die Kosten, die den Bürgerinnen und Bürgern, der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung durch die Befolgung einer gesetzlichen Vorgabe entstehen“. Auf der Internetseite des Statistischen Bundesamtes ist nachzulesen, dass die Bundesministerien in Berlin verpflichtet sind, den Erfüllungsaufwand genau zu messen. Das sei wichtig für die „Gesetzes­folgen­abschätzung“ und für die „Auswahl der am wenigsten aufwändigen Regelungs­alternative“. Und schon stecken wir mittendrin in der Bürokratie. [...] Doch der Vorwurf an die Beamten und Angestellten trifft die Falschen. [...] Die Ökonomen haben andere Verantwortliche ausgemacht – Politiker mit geringer Weitsicht und riesiger Geltungssucht. Die Theorie dahinter geht so: Regierungspolitiker kommen an die Macht und haben nicht viel Zeit, um etwas zu bewegen. Weil sie gerne wiedergewählt werden wollen, müssen sie ihren Wählern schnell vorweisen, dass sie etwas bewegen können. Nichts eignet sich dafür besser als neue Gesetze. Wenn es eine gut funktionierende Bürokratie gibt – also schnell und effizient arbeitende Ministerien und Behörden –, sind die Folgen einer Reform für die Wähler rasch zu sehen. Wechseln die Regierungen häufig, gibt es sehr viele Reformen, was diejenigen, die Gesetze auszuformulieren und umzusetzen haben, ans Limit bringt. Es beginnt ein Teufelskreis: Überlastete Beamte schaffen es nicht mehr, neue Gesetze umzusetzen, Reformen versanden oder greifen erst mit großem zeitlichen Abstand. Unter solch schlechten Voraussetzungen haben vor allem eher inkompetente Politiker den Forschern zufolge einen Anreiz, in noch schnellerer Frequenz schlecht gemachte Gesetze zu erlassen, die beim Wähler Tatkraft signalisieren, das gesamte System aber nur noch weiter überlasten. Es entstehe eine Abwärtsspirale aus schlechten Gesetzen und überflüssiger Bürokratie, die zu einem „kafkaesken Staat“ führe. (Johannes Pennekampp, FAZ)

Ich finde es gut, wie Pennekampp hier die Ursachen des Bürokratiewustes hervorhebt. Denn die lassen sich nicht durch fromme Wünsche nach "weniger Bürokratie" beseitigen. Selbst im Mutterland des schlanken Staats, den USA, ist dieses Problem ja seit längerem bekannt und wurde auch schon vor geraumer Zeit in einem Paper mit dem passenden Namen "Kludgeocracy" belegt. Eine weitere Quelle des Problems benennt Pennekampp dagegen nicht: der starke Einfluss von organisierten Einzelinteressen. Denn die durch Lobbyist*innen errungenen Regulierungen sind immer partikularistisch, und je genauer sie auf die Interessen der Geldgebenden eingehen können, desto besser für diese - und desto schlechter ist logischerweise am Ende das Gesetz.

8) Labour, National announce sweeping housing density law, three-storey homes without consent

The Government and National have unveiled a new bill to force councils to allow more dense housing by de-fanging planning laws. New intensification rules will allow buildings of up to three storeys on most sites in cities without any need for resource consent from August 2022. That will now take effect from August 2023, instead of August 2024. Analysis from PWC suggests these changes will add between 48,200 and 105,500 new dwellings over the next five to eight years. The medium density changes will allow landowners in Auckland, Hamilton, Wellington, and Christchurch to build up to three storeys and on up to 50 per cent of their land without resource consent. Homes will still need to comply with the building code so will still need to meet standards for durability, weatherproofing, and safety. [...] "The medium density residential standards (MDRS) will enable landowners to build up to three homes of up to three storeys on most sites up to 50 per cent maximum coverage of the site without the need for a resource consent,” Parker said. “Before this change, district plans would typically only allow for one home of up to two storeys.” [...] Willis wrote to the Government earlier this year to offer bipartisan support for more drastic measures. (Henry Cook, stuff.com)

Neuseeland macht hier etwas, das ich schon seit Längerem fordere. Wenn man mehr Wohnraum haben will, muss man mehr Wohnraum bauen, und zwar dort, wo Menschen tatsächlich wohnen wollen. Klingt komisch, ist aber so. Um das zu erreichen, muss man allerdings die Macht der Nimbys brechen. Und das ist politisch eine Herausforderung, die ihresgleichen sucht. Man denke nur an die aggressive Reaktion auf die vergleichsweise bescheidene grüne Forderung aus dem Wahlkampf, künftig im zentralen Hamburger Stadtgebiet keine Einfamilienhäuser mehr zu bauen. Eigentlich ist es common sense, dass es eine Verdichtung braucht, aber wenn es um die Verteidigung der Interessen der Wählendenschaft geht besteht da wenig überraschend wenig Interesse daran.

9) Da schlummert erhebliches Konfliktpotenzial

Zum Beispiel soll es "weniger umweltschädliche Subventionen" geben, entgegnete Habeck. Und umriss in noch längeren Bögen Finanzierungsideen sowie seine Ansichten zur Pendlerpauschale (die bestehen bleiben soll), zur Schuldenbremse und zur Vermögenssteuer, die nicht beschlossen wurde, aber ohnehin nicht im Bundeshaushalt landen würde. Jedenfalls würden die Grünen bei der Strategie bleiben, das, "was volkswirtschaftliches Vermögen schafft, durch Kredite zu finanzieren". Das könnte 50 Milliarden Euro im Jahr oder mehr Geld betreffen. [...] Dazu hatte Lanz einen passenden Einspieler parat: einen Wahlkampfauftritt des FDP-Chefs Christian Lindner, in dem er Habecks Rezept, Schulden lieber als "Kredit" zu bezeichnen, lächerlich machte. Worauf Habeck im Studio mit einer überraschenden Volte reagierte: Eben der in Deutschland gewohnte, in den USA und in China dagegen unübliche Verzicht auf Schulden, ergo auf Investitionen, sei Schuld daran, dass Europa technologisch in Rückstand geraten sei und immer weiter verliere. Und sicher, "Schulden machen und Kredite aufnehmen ist das gleiche", sagte Habeck sehr deutlich. Da dürfte also erhebliches Konfliktpotenzial mit der FDP schlummern. Oder deutete der geopolitische Exkurs eher an, was für wirklich große Ziele sich die nächste Bundesregierung steckt? [...] So große Fragen beantwortet Lanz' Talkshow nicht. Zumindest parierte Habeck souverän und in solch langen Bögen, wie sie Talkshow-Gäste selten ununterbrochen durchhalten können, ziemlich unterschiedliche Kritik. Und machte dabei durchaus den Eindruck, auch das von FDP-Chef Lindner ebenfalls begehrte Finanzministerium leiten zu können. (Christian Bartels, T-Online)

Ich habe da bereits gestern darüber geschrieben. Die Schuldenbremse ist effektiv tot, und der Versuch, sie gegen alle Vernunft aufrechtzuerhalten, schadet dem Land und der EU wie kaum etwas anderes. Natürlich wäre Habeck der bessere Finanzminister, aber es gibt kein Szenario auf dieser Welt, in dem die FDP dieses Ministerium nicht bekommt, wenn sie eine Koalition eingeht, ob Jamaika-, Ampel- oder Deutschlandkoalition. Dass hier "erhebliches Konfliktpotenzial" schlummert ist keine Frage, die Vorstellungen sind fast entgegengesetzt. Die Frage ist, wie kompromissfähig die Parteien hier sind. Ich würde davon ausgehen, dass die schon eine Formel finden werden.

10) Die geförderte Katastrophe

Seit Jahren warnen Expert*innen in diesem Zusammenhang vor der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Sie schickt sich an, einer der ganz großen Player im Feld zu werden. Sie vernetzt unterschiedliche rechte Milieus, bietet ein breites Ressourcen- und Personalnetzwerk, tritt dazu nach außen betont honett und bürgerlich auf – und könnte aufgrund schwammiger Selbstverpflichtungen des Bundestags bald Zugriff auf Steuergelder in Millionenhöhe haben. Eine Katastrophe mit Ansage. Dennoch gelingt es Politiker*innen nicht, eine klare gesellschaftspolitische Position zu formulieren und eine handlungsfähige Rolle einzunehmen. Ohne einen solchen gesellschaftlichen Katastrophenschutz setzen sie die Fundamente unserer Demokratie und ja, auch Menschenleben aufs Spiel. [...] Mit großen Beträgen fördert der Staat derzeit die Demokratiebildung, die Extremismus- und Radikalisierungsprävention. Wenn aus dem gleichen Haushalt, der diese Programme fördert, die AfD-Stiftung mitfinanziert wird, ähnelt das einer Brücke, die auf der einen Seite aufgebaut wird, während man sie an der anderen Seite niederreißt. Dass bis jetzt im politischen Berlin kaum auf die Warnungen der Zivilgesellschaft reagiert wird, zeigt die Planlosigkeit der Politik auch beim gesellschaftlichen Katastrophenschutz. (Maron Mendel, SpiegelOnline)

Klar, die AfD-Stiftung ist natürlich ein Geschwür für die Demokratie, aber ich sehe kein demokratisch-rechtsstaatliches Verfahren, in dem man ihr den gleichberechtigten Status wie den anderen Parteistiftungen vorenthalten will. Wie groß der Einfluss der Stiftung tatsächlich sein wird, bleibt abzuwarten. Sicherlich wird sie zur inneren Festigung des rechtsradikalen Lagers beitragen, aber ob sie dazu angetan sein wird, der AfD zusätzliche Anhängerschaft zuzuschanzen, bleibt abzuwarten. Es ist ja jetzt nicht so, als ob etwa die Naumann-Stiftung eine große kausale Verbindung zum elektoralen Erfolg der FDP hätte.

11) Die Verrückung der Normalität

Radikalisierter Konservatismus ist kein eigenständiges ideologisches Spektrum, sondern eine Dynamik innerhalb des Konservatismus, eine Verrückung der Normalität. Die verschiedenen, kumulierenden Krisen führen dazu, dass die Akzeptanz für das etablierte politische System schwindet. Das große Versprechen der Nachkriegszeit – es wird von Generation zu Generation besser, und es gibt mehr Wohlstand für alle – ist längst nicht mehr einlösbar. Und wir leben in einer Zeit der vielen Krisen: Die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ist nicht überwunden, die Klimakrise wird gerade erst fassbar. Dazu kommen gesellschaftliche Krisen zu Repräsentation und Identität. [...] Dieser radikalisierte Konservatismus hat dabei einen absoluten Machtanspruch, den er nicht mehr bereit ist, im Ausgleich, im Konsens zu teilen. In den Nachkriegsdemokratien haben sich zwei systemstabilisierende Parteien herausentwickelt, eine konservative und eine (sozial-)demokratische. Die konservative Partei verlässt nun diesen Konsens und überlässt damit der (sozial-)demokratischen Partei die alleinige Rolle einer systemerhaltenden (konservativen) Partei. [...] Radikalisierter Konservatismus ist also Symptom, nicht Ursache, der Krisenzeiten. Dabei ist er längst ein weltweites Phänomen. (Natascha Strobl, SpiegelOnline)

Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, dass Populisten der Ränder nur dann erfolgreich sein können, wenn die Mitte sie lässt. Rechtspopulisten in Europa wie den USA gewannen dann, wenn demokratische Konservative sie als Verbündete betrachteten. Die Worte "radikalisierter Konservatismus", die Strobl hier benutzt, mögen wie ein Paradoxon klingen, aber sie beschreiben ziemlich genau, was etwa in den USA oder Österreich passiert ist. In anderen Ländern wie Frankreich oder Ungarn hat sich der Konservatismus dagegen praktisch als politische Kraft aufgelöst (wie im Übrigen auch die Sozialdemokratie).

In Deutschland ist bislang weder das eine noch das andere der Fall, aber das muss nicht ewig so bleiben. Das aktuell größte Potenzial für einen radikalisierten Konservatismus bietet wohl Friedrich Merz, der zumindest alles daran setzt, die CDU in diese Richtung zu bewegen, in der irrigen Annahme, damit den Vormarsch der Rechtsradikalen der AfD und Konsorten einhegen zu können. Es bleibt zu hoffen, dass die Brandmauern innerhalb des Konservatismus dem Einhalt gebieten können.

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