In den Wahlen 2016 trat Hillary Clinton gegen einen Kandidaten an, der eine so unvorstellbare Masse an Skandalen an seinem Namen kleben hatte, dass es keinerlei Präzedenzfälle dafür gab. Korruption, Einflussnahme durch ausländische Mächte, Bankrotte, Missbrauchsvorwürfe, offen sexistische und rassistische Äußerungen, Missachtung demokratischer Normen, offen autoritäre Tendenzen - die Liste war endlos. Um den Eindruck der Unvoreingenommenheit zu erwecken, warfen sich die Medien ebenso wie viele Liberale mit Gusto in die Kritik des einzigen halbwegs relevanten Clinton-Skandals: ihre Mails. Anders als Trump hatte sich Clinton zigmal dafür entschuldigt, den Fehler eingestanden - und doch drehte sich der Diskurs permanent darum und trug am Ende maßgeblich zu ihrer knappen Niederlage gegen Trump bei. 2020 versuchten die Republicans, das Schauspiel zu wiederholen und einen Skandal um Hunter Bidens Laptop und Geschäftsverbindungen zu konstruieren - was Joe Biden aber nicht nennenswert schaden konnte; zu transparent war die Fingierung, zu frisch die Erinnerung an 2016 und zu aktiv das schlechte Gewissen vor allem bei der New York Times. Nun, da Biden Präsident war, scheint genug Buße getan worden zu sein. Obwohl der neuerliche Versuch, einen Skandal zu konstruieren, ebenso transparent ist, ist das schlechte Gewissen weg. Und so können wir einen neuen Versuch der Skandalkonstruktion beobachten.

Dieses Mal ist das Spielbuch die permanente Thematisierung von Bidens Alter, verbunden mit Andeutungen, er sei nicht in der Lage, das Amt auszuführen. Bereits 2020 war dieses Thema aufgekommen, aber nicht großartig eingeschlagen. Es war offensichtlich, dass Biden zwar alt, aber trotzdem fit war und den Journalist*innen bekannt, dass seine Sprachfehler auf ein in der Kindheit mühsames abtrainiertes Stottern zurückzuführen waren. Dazu kam, dass Trump selbst kaum weniger als als Biden und in körperlich wie geistig schlechterer Verfassung war. Daran hat sich nichts geändert. Allerdings wird gerade eine Erlaubnisstruktur geschaffen, in der es nur ein Problem ist, dass der amtierende (demokratische) Präsident nahe 80 ist, während das hart darauf zugehende Alter des (republikanischen) Herausforders aus irgendeinem Grund keine Rolle spielt.

Doch das Alter alleine reicht, wie 2020 bewiesen hat, für die Konstruktion eines ordentlichen Skandals nicht aus. Es bräuchte irgendeinen konkreten Anlass, anhand man das Thema immer wieder neu aufhängen kann, so wie bei Clinton die Untersuchung durch FBI-Chef Comey immer wieder neue Anlässe der Diskussion schuf. Diesen Anlass hat ausgerechnet Merrick Garland gegeben. Der Generalstaatsanwalt war 2016 Obamas Kandidat für die Nachfolge Antonin Scalias im Supreme Court gewesen, aber Mitch McConnells Diebstahl des Sitzes verhinderte die Amtszeit des moderaten Garland, den der nicht eben für progressive Umtriebe berüchtigte republikanische Vorsitzende des Justizausschusses Chuck Grassley noch kurz zuvor als leuchtendes Beispiel genannt hatte. Er wurde 2020 für seinen vorhersehbaren Opfergang 2016 entschädigt. Leider zeigte sich, dass Obama tatsächlich jener ehrliche Moderate war, dessen Existenz seine Gegner*innen beharrlich verleugneten, und dass die Republicans von Anfang an Heuchler*innen gewesen waren.

Denn im Versuch, doch noch etwas aus dem Hunter-Biden-"Skandal" herauszubekommen, erreichte die GOP die Einsetzung eines "special councel", eines Sonderermittlers. Das hatte bereits in den 1990er Jahren große Früchte getragen, als Ken Starr eine mehrjährige Hexenjagd gegen die Clintons betrieb, die am Ende im Lewinsky-Skandal mündete. Garland setzte für die Untersuchung von Hunter Bidens "Skandalen" einen Sonderermittler ein - einen Republican, um Unparteilichkeit zu beweisen. Genauso wie beim FBI ist das etwas, das stets nur in eine Richtung läuft: noch nie gab es einen demokratischen Sonderermittler oder FBI-Chef, denn Republicans ernennen selbstverständlich Parteisoldaten für dieses Amt, sie sind ja nicht doof. Nur Democrats sind dumm genug, jedes Mal in dieselbe Falle zu tappen und aus falsch verstandenem Idealismus Kandidaten der Gegenpartei (bisher immer nur Männer) zu ernennen. In diesem Fall war es ein Mann namens Hur.

Dessen Report ist eine parteiische Katastrophe. Wer dachte, dass es nicht parteiischer und hetzerischer gehen würde als unter Ken Starr seinerzeit, wurde eines besseren belehrt. Hur schaffte es spielend, diese extrem niedrig hängende Hürde zu unterschreiten. Doch der Hur-Report erreichte seine Reichweite nicht wegen irgendetwas über Hunter Biden, das ostentative Ziel der Untersuchungen, genauso wie Starr nie etwas Substanzielles über Whitewater fand, sein Untersuchungsziel, sondern weitersuchte, bis er etwas fand - in dem Fall Lewinsky. Biden hat nicht einmal das, aber Hur schrieb in seinen Report eine bewusst zugespitzte Anekdote über Bidens mentale Kapazitäten während eines Interviews. Dafür hat er keinerlei Kompetenzen (er ist kein Psychologe), und es hat auch nichts mit seinem offiziellen Auftrag zu tun. Aber es hat sehr viel mit seinem eigentlichen Auftrag zu tun, einen Skandal zu konstruieren.

Obwohl keinerlei Substanz vorhanden war, schrieb die NYT in nur drei Tagen nach der Veröffentlichung 30 Beiträge zu Bidens Alter und laut Hur abnehmenden geistigen Fähigkeiten, die Washington Post sogar 33. Das folgt einem Muster: Es gibt stets nur dieses Geraune von Eindrücken von Leuten, die Biden maximal aus der Ferne oder kurz treffen, aber keine Zeugen für eine Demenz oder etwas Ähnliches. Dabei gäbe es genug Republicans, die regelmäßig mit Biden interagieren. Diese aber sind auffällig ruhig.

Dieser Wechsel zu den neuen Ufern der "Demenz" fungiert auch als Eingeständnis, dass die Skandalkonstruktion bei Hunter Biden nichts ergeben hat. Man sieht dies auch gut am Scheitern anderer Versuche, einen Skandal zu schaffen, wie etwa bei dem angeblichen FBI-Informanten, der dann als Lügner enttarnt wurde - was die Republicans wiederum nicht zum Anlass nehmen, ein mea culpa zu betreiben, sondern einfach weiterzulügen. Diese Lügen sind, wie die NYT recherchiert, richtig übel, inklusive direkter Verbindungen zum russischen Geheimdienst, was einmal mehr die Vorwürfe des Clinton-Teams von 2016 bestätigt.

Das ändert allerdings alles nichts. Ein Skandal soll konstruiert werden, und ein Skandal wird konstruiert, denn nur dann können die liberalen Medien guten Gewissens auch über Trump berichten. Diese perverse Struktur wird noch der Untergang der Republik sein. Die Republicans profitieren davon, dass ihre Wählenden sich für Skandale schlicht nicht interessieren - oder für Fakten. So ist etwa auffällig, dass sie den Stand der Wirtschaft systematisch deutlich stärker nach Parteizugehörigkeit des Präsidenten bewerten als Democrats. Dabei ist Wachstum der US-Wirtschaft unter Biden objetkiv wesentlich besser als unter Trump, wie übrigens immer unter progressiven Präsidenten. An der Vorstellung, die GOP hätte eine höhere Wirtschaftskompetenz, ändert das beharrlich nichts (wie übrigens auch nicht die Russlandhörigkeit weiter republikanischer Kreise an ihrem Umfragenvorsprung bei außenpolitischer Kompetenz).

Die gute Nachricht ist, dass zwar weniger die New York Times, aber wenigstens die Democrats aus 2016 gelernt haben. Von Beginn an schloss die Partei die Reihen. Anstatt wie bei Clinton auf Abstand zu gehen und die eigene Kandidatin zu kritisieren, blocken sie die Skandalkonstruktion und pushen zurück. Zudem scheinen sie die Prioritäten im Wahlkampf richtig zu setzen, was vor allem bedeutet, ihre aktivistische Basis zu ignorieren und die Botschaft, dass Trump ein Sexist und Rassist und in der Tasche Putins ist, weitgehend zweite Geige spielen zu lassen.

Der Kampf gegen Trump hat eine größere Dringlichkeit als noch 2016. Dort schien er unwirklich, die Aussicht einer Trump-Präsidentschaft eher SNL-Gag als reale Möglichkeit. Das hat sich geändert. Der große Vorteil der Democrats ist, dass Trump eine bekannte Größe ist. Seine Selbstdarstellung als moderate Alternative zur radikalen Hillary Clinton lässt sich mit Biden nicht wiederholen, weil seine eigene Radikalität bekannt und die Bidens schlicht nicht zu konstruieren ist, egal wie sehr die Rechten es versuchen. Vier Jahre lang dominierte Trump Nachrichten und soziale Medien, und 2020 hatte die Mehrheit der Wählenden die Schnauze voll davon und wollte ihre Ruhe - Ruhe, die Biden versprach (und lieferte).

Die Strategie der Democrats ruht daher auf drei Säulen.

Die erste Säule ist es, die Wählenden konstant daran zu erinnern, wie sehr sie das Drama der Trump-Präsidentschaft gehasst haben. Man sollte nicht unterschätzen, wie wirkmächtig das Wahlversprechen ist, mit einem Kreuz für Joe Biden vier Jahre lang die Ruhe vor Politik zu haben (Olaf Scholz gelang ja etwas Ähnliches; nicht, dass er das Versprechen eingelöst hätte, wobei es weniger an ihm hing). Trumps Beliebtheitswerte waren zeit seiner Politikerkarriere niemals positiv und meist überwältigend negativ. Die Democrats müssen die Leute nur daran erinnern, und dabei haben sie einen mächtigen Verbündeten: Donald Trump, der ohne jede Selbstkontrolle nicht in der Lage ist, die Klappe zu halten oder diese offene Flanke zu schließen, sondern sie beständig weiter aufreißt.

Die zweite Säule ist zugleich die schwächste: das Erinnern die eigene Erfolgsbilanz. Es ist zwar korrekt, dass das Wirtschaftswachstum unter Biden höher war als unter Trump, dass er Rekordergebnisse bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vorweisen kann und eine Agenda durchgesetzt hat, die das Land transformiert hat wie seit Roosevelt nicht mehr. Alleine, so fühlt es sich für die Leute nicht an, und gegen Gefühle kommt man nicht an. Die Partei wird ihr möglichstes an dieser Front versuchen, aber allzuviel Erfolgsaussichten hat sie nicht.

Die dritte Säule ist die Ausnutzung der Unbeliebtheit der GOP und ihrer Positionen. Nicht, dass die Democrats sonderlich beliebt wären - die Amerikaner*innen hassen ihre Parteien und den Kongress mit Inbrunst - aber die GOP unterbietet ihre eselige Konkurrentin jederzeit, und vor allem: ihre politischen Forderungen sind ungeheuer unpopulär. Abtreibungsverbote, die Abschaffung von Medicare, die Entführung von Kindern undokumentierter Einwander*innen - zahllose Themen sind geradezu absurd unbeliebt bei den Wählenden. Solange diese wissen, welche Kandidat*innen für diese Themen stehen, verlieren die entsprechenden Kandidat*innen in engen Rennen (und jedes Präsidentschaftsrennen ist eng) recht zuverlässig. Gelingt es Biden, es Trump unmöglich zu machen, sich als getrennte Entität von den Republicans zu sehen (wie es ihm 2016 gelang) und stattdessen mit ihr zu vereinen (wie es den Democrats 2018, 2020 und 2022 gelang) stehen die Chancen nicht schlecht, die Wahl zu gewinnen.

Das, und wenn man nicht auf konstruierte Skandale hereinfällt.

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