In Thüringen wurde gestern der FDP-Kandidat Thomas Kemmerich mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Das war insofern überraschend, da die FDP bei der Landtagswahl im Oktober mal gerade so eben die 5-Prozent-Hürde geschafft hat und deswegen niemand Kemmerich ernsthaft für das Amt in Erwägung gezogen hat. Und viele waren dann zudem überrascht, dass FDP und CDU nun so offen mit der rechtsextremen AfD, deren thüringischer Landesverband unter Führung von Björn Höcke ja nun alles andere als gemäßigt ist, paktiert hat. Mich überrascht Letzteres zumindest weniger …

Es hat sich schon länger angedeutet …

Immerhin habe ich ja schon in etlichen Artikeln seit einiger Zeit genau dieses Szenario prognostiziert, zum Beispiel bei der Analyse des Rechtsrucks in Deutschland als eine neoliberale Inszenierung, bei der Schilderung der rechtsextremen Tendenzen in der FDP, bei den Überlegungen zu einer möglichen CDU-AfD-Koaltion (hier dann noch mal für Sachsen fortgeführt), bei der inhaltlichen Annäherung der CDU an die AfD (insbesondere durch Annegret Kramp-Karrenbauer noch mal forciert) oder bei etlichen Artikeln zum Hofieren der AfD und ihres Personals in sich selbst als bürgerlich definierenden Medien (hier, hier, hier und hier).

Wenn man sich diese im Laufe der letzten Jahre getätigten Beobachtungen vor Augen führt, dann stellt sich das, was gerade in Thüringen geschehen ist, eigentlich als logische Fortsetzung des Agierens von CDU und FDP dar. Was nun allerdings erwähnenswert ist: Nun ist endlich klar, was von diesen Parteien und ihrer doch immer wieder nach außen getragenen Ablehnung der AfD zu halten ist: nämlich gar nichts!

Lokale Zusammenarbeit mit der AfD (bis hin zu gemeinsamen Abstimmungen in Landesparlamenten – auch vonseiten der CDU gegen ihre eigenen Koalitionspartner) gab es ja schon öfter, und wenn man sich anhört, was die sogenannte Werteunion als rechter Außenflügel der CDU so alles an Parolen raushaut, dann ist da die Nähe zur AfD ohnehin mehr als offensichtlich – genauso wie bei den ständigen rechten Ausfällen von Bundesinnenminister Horst Seehofer. Und auch FDP-Chef Christian Lindner hat sich ja schon gern mal rechtspopulistischer Stimmungsmache bedient, ich denke da nur an seinen unsäglichen Bäckerschlangen-Kommentar

Dass nun diese beiden neoliberalen Hardliner-Parteien die Gelegenheit nutzen, um die weitere Amtszeit eines linken Ministerpräsidenten (auch wenn man Bodo Ramelow eher dem sehr gemäßigten Lager der Linkspartei zurechnen muss) zu verhindern, war eigentlich vorhersehbar – auch wenn sie sich dabei von Rechtsextremisten unterstützen lassen müssen.

Schließlich ist die AfD ja auch ein Kind von CDU und FDP, wenn man sich anschaut, wer diese Partei damals gegründet hat: vor allem ehemalige CDUler und FDPler, denen ihre eigenen Parteien nicht mehr marktradikal und sozialdarwinistisch genug waren – und die auch von Anfang an sehr stark am rechten Rand gefischt haben (s. hier). Und nun werden die so mit Rassismus geköderten vorherigen unzufriedenen Nichtwähler schön heimgeholt … Mission accomplished, könnte man also sagen.

Es folgt: Beschwichtigung und Schönrederei

Wie nun nicht anders zu erwarten war, gibt es nun vonseiten der CDU- und FDP-Parteiprominenz reichlich relativierendes Gerede, wenn man von Journalisten oder anderen Politikern mit diesem Tabubruch konfrontiert wird. Ganz besonders peinlich gab sich dabei Wolfgang Kubicki, wie hier in einem Video auf der Facebook-Seite des ZDF zu sehen ist, nachdem er von der Grünen-Abgeordneten Franziska Brantner scharf angegangen wurde. Na ja, dass Kubicki nicht viel von demokratischem Anstand hält, ist bei dem Anwalt von Hanno Berger (dem „Erfinder“ der Cum-Ex-Deals) und strikten Verweigerer von Angaben über Nebeneinkünfte von Politikern ja auch nichts Neues. Und so einer ist tatsächlich Bundestagsvizepräsident …

Auch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer versuchte sich und ihre Partei herauszureden, indem sie feststellte, dass die CDU extra keinen Kandidaten aufgestellt hätte, um nicht auf die Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Das wirkt nur eben wenig glaubwürdig, wenn dann die CDU-Fraktion trotzdem geschlossen zusammen mit der AfD für den FDP-Kandidaten stimmt. Wenig glaubwürdig ist übrigens auch das Gebaren von Christian Lindner, der sich in der Öffentlichkeit nicht so richtig begeistert zeigte. Allerdings, so geht es zumindest aus einem Artikel auf Business Insider hervor, deutet doch einiges darauf hin, dass der FDP-Chef selbst grünes Licht für diesen Coup und die Unterstützung durch die AfD gegeben hat. Das wäre dann wohl der Gipfel der Verlogenheit.

Und nun hat dann Kemmerich auch die Konsequenzen gezogen aus der massiven Kritik und tritt gleich am Tag nach seiner Wahl wieder zurück. Was für ein Kasperletheater – und was für eine Scheinheiligkeit. Oder hat man einfach nur nicht mit der negativen Vehemenz gerechnet, mit der dieses Paktieren mit der AfD kommentiert wurde? Dachte man vielleicht, die Akzeptanz von rechtsradikalem Gedankengut sei schon weiter fortgeschritten, sodass die AfD doch bei mehr Menschen als akzeptabel gilt, als es nun der Fall war? Oder was das Ganze nur eine Art Versuchsballon?

Schaden für die Demokratie

Als Kollateralschaden dieses Vorfalls hat dann, mal wieder, die Demokratie bzw. das Vertrauen darin ordentlich einen mitbekommen. Mal von den Parteien abgesehen: Wenn der Ministerpräsident eines Bundeslandes bei einer Wahl sogar noch Stimmen hinzugewinnt, sich sein Koalitionspartner allerdings auf einem vor allem bundespolitisch bedingten Sturzflug befindet, dann bedeutet das noch lange nicht, wie es ja vonseiten der CDU und FDP heißt, dass die Bürger ihren Landeschef abgewählt hätten. Zumal diese Aussage dann ja auch ad absurdum geführt wird, wenn dann jemand zum Ministerpräsidenten gekürt wird, dessen Partei mit Ach und Krach die fünf Prozent geschafft hat und für den wohl eigentlich niemand in Thüringen bei einer Direktwahl votiert hätte. Das ist ja fast so was wie bei Ursula von der Leyen, die auch nicht zur Wahl stand als EU-Kommissionschefin und es dann dennoch wurde. Also irgendwie schon Usus bei der CDU, solch antidemokratisches Verhalten.

Was noch hinzukommt: Auch wenn da Überraschung geheuchelt und bekräftigt wurde, dass ja im Grunde niemand mit so einem Wahlausgang gerechnet hätte, so hat es sich doch wohl in Wahrheit etwas anders abgespielt. Ein Artikel vom MDR berichtet zumindest über einen Brief vom AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke an Thomas Kemmerich und den CDU-Chef Mike Mohring. Darin schlug Höcke bereits am 1. November vor, dass die drei Parteien doch zusammenarbeiten könnten, um eine weitere Amtszeit von Ramelow zu verhindern, wobei er auch die inhaltlichen Gemeinsamkeiten von AfD, CDU und FDP, die er als „Koalition der bürgerlichen Parteien“ bezeichnet, hervorhebt. Hoppla!

Und ein Artikel von Der Volksverpetzer liefert neben diesem Höcke-Brief noch weitere Belege dafür, dass dieser Coup sehr wohl geplant und kein spontanes und damit überraschendes Ereignis gewesen ist, so zum Beispiel einen Tweet vom thüringischen SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee, der vor der Abstimmung fragte, ob es tatsächlich wahr sei, dass sich Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lassen wolle.

„Politiker lügen ja sowieso alle“ – das ist eine typische Aussage, die Demokratieverdruss zum Ausdruck bringt. In diesem Fall hat nun die FDP so oft und dreist gelogen, dass genau dieses Denken massiv unterfüttert wird: Erst hieß es nach der Thüringen-Wahl von Lindner und Kemmerich, man würde in keinem Fall mit der AfD zusammenarbeiten, dann wurde genau dies doch gemacht, wobei abgestritten wurde, dass dies geplant gewesen sei, und dann stellt sich das Ganze doch als eine sorgfältig inszenierte Angelegenheit heraus.

Wie viel Geringschätzung will man den Wählern denn noch entgegenschleudern?

Reaktionen der anderen Parteien

Jetzt stellt sich noch die Frage, wie denn nun die anderen Partien hierauf reagieren würden. Da herrscht schon mal ein bisschen Aufregung, und es wird sich darüber echauffiert, dass die CDU und FDP so offen mit den Rechtsextremisten von der AfD paktieren. Aber ich schätze mal, dass es dabei dann auch bleiben dürfte, zumal ja nun Kemmerich bereits ob des großen Gegenwindes den Schwanz eingezogen hat und sein Bubenstück nicht weiter durchzuexerzieren gedenkt.

Dabei böte sich doch gerade jetzt eine hervorragende Chance, eine wirklich Politikwende im Land bewerkstelligen zu können, von der ja Teile der SPD und der Grünen zumindest in Sonntagsreden gern mal fabulieren, um so ihre eigene Progressivität unter Beweis zu stellen.

Denn wie ich schon in der Überschrift meinte: Die Maske ist jetzt endgültig gefallen! Und genau hierauf könnte man CDU und FDP in jedem Wahlkampf festnageln: Klar kann man die wählen, aber dann muss man eben auch damit rechnen, dass die mit Rechtsextremen koalieren. Wer also sicher keine AfD an der Regierung möchte, der sollte tunlichst was anderes als CDU und FDP wählen. Da eine Mehrheit der Deutschen nach wie vor Rassismus, Nationalismus und anderen rechtsextremen Programmpunkten negativ gegenüber eingestellt ist, könnte sich das ja glatt als Erfolgsrezept herausstellen.

Und auch die AfD könnte man so im Wahlkampf gut bloßstellen: Ihr wollt also eine Partei sein, die gegen das Establishment ist und den Protest der kleinen Leute ernst nimmt – und dann biedert Ihr Euch bei der erstbesten Gelegenheit genau diesem Establishment und Parteien, die Politik ausschließlich gegen die kleinen Leute machen, an? Da dürfte sich ein ziemliches Glaubwürdigkeitsproblem ergeben, denke ich.

Und die drei rechten Parteien (denn so muss man CDU und FDP nun wohl endgültig bezeichnen) könnten nur mit einer Rote-Socken-Kampagne dagegenhalten, die nicht gerade besonders originell ist, zudem haben sie ja nun durch ihre nachweisbaren Lügen und ihre Hinterzimmertaktiererei in Thüringen auch deutlich an Glaubwürdigkeit eingebüßt.

Wären SPD und Grüne couragiert und hätten sie wirklich soziale und ökologische Ziele, dann würden sie nun sofort alle Koalitionen auf Bundes- und Landesebene mit CDU und FDP aufkündigen mit der Begründung, dass man mit Faschistenfreunden als anständiger Demokrat keine Politik macht. Das würde nicht nur Schneid und Konsequenz beweisen, sondern auch Geschichtsbewusstsein offenbaren.

Nur leider fürchte ich, dass diese Courage und Entschlossenheit weder bei den Grünen noch bei der SPD anzutreffen sein dürften, sodass diese Chance ungenutzt verstreichen wird.

Und was dann bleibt, ist eine weitere Normalisierung im Umgang mit den Rechtsextremisten von der AfD. Denn wo nun dieses Tabu einmal gebrochen ist, wird beim nächsten Mal, wenn sich CDU und FDP mit der AfD zusammentun (und dann vielleicht noch viel offensichtlicher als jetzt), die Aufregung schon deutlich kleiner sein – man kennt das ja schon irgendwie …

Und was dann kommt, davor kann es einem dann so richtig grausen …

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