Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Bekenntnisse eines Israelverstehers

Der Autor beschreibt, wie schwierig es für ihn geworden sei, als Linker öffentlich Solidarität mit Israel zu zeigen. Seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 habe sich sein Umfeld spürbar verändert – Freundschaften seien zerbrochen, Diskussionen werde er aus dem Weg gegangen. Er habe gehofft, dass der Terroranschlag an diesem Tag ein Wendepunkt sei, nach dem Antisemitismus nicht mehr relativiert werde. Diese Hoffnung sei schnell enttäuscht worden: Schon kurz nach dem Angriff seien Rechtfertigungen und einseitige Schuldzuweisungen an Israel laut geworden. Der Autor beklagt die moralische Ambivalenz vieler Linker, die sich zwar für sprachliche Sensibilität stark machten, aber Verständnis für Terrorakte zeigten. Empathie werde rationiert, antisemitische Narrative würden teils unbewusst reproduziert. Israelkritik überschreite dabei oft eine Grenze zur Dämonisierung. Aus Frustration habe er bei der letzten Wahl Friedrich Merz gewählt – ein symbolischer Bruch mit dem linken Milieu. Gleichzeitig warnt der Text vor einem unkritischen Pro-Israel-Lager, das jede militärische Aktion als moralisch einwandfrei bewerte. Die Lage sei komplex, Ambivalenz notwendig. Die Existenz Israels sei nicht verhandelbar, seine Verteidigung legitim – dennoch müsse Raum für differenzierte Kritik bleiben. Die Hamas hingegen sei klar als verantwortliche Akteurin für das Leid in Gaza zu benennen. (Felix Dachsel, Spiegel)

Ganz ehrlich: ich habe noch keine "Israelkritik" gesehen, die akzeptiert worden wäre. Das ist ein fundamentales Problem dieser ganzen Debatte. Ich habe das letzthin im Podcast schon gesagt, aber ich fürchte, dass in dem Thema eine gewaltige Sprengkraft ist, weil hier ein Konsens erzwungen wird, der sich in der Gesamtbevölkerung nicht wiederspiegelt. Die Kritik, und da bin ich völlig bei Dachsel, ist viel zu oft völlig überzogen, dämonisiert, ist gerne relativierend gegenüber Terroristen und ihren Unterstützern und so weiter. Aber gerade weil diese "Kritik" so ist, wird gerne in einer Art Überkorrektur alles abgewehrt, was überhaupt kritisiert. Und das treibt Leute dann in die Reihen derjenigen, die antisemitisch eingestellt sind - ähnlich, wie die Dämonisierung von Migrations- und Integrationskritik dafür sorgte, dass der Unterschied mit den Nazipositionen verwischte.

2) How Trump’s ‘Big, Beautiful Bill’ Will Make China Great Again

In seinem Kommentar warnt Thomas L. Friedman eindringlich vor den Konsequenzen von Donald Trumps neuem Energiegesetz, das laut ihm „einen strategischen Akt der Selbstsabotage“ darstelle. Die USA hätten sich durch dieses Gesetz entschieden, ihre führende Rolle bei erneuerbaren Energien wie Solar, Wind und Batterietechnologie aufzugeben – Technologien, die im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz (KI) essenziell für günstige und saubere Stromversorgung seien. Das Gesetz streicht gezielt Steuervergünstigungen für erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge, während China in genau diesen Bereichen massiv investiere. Auch Länder wie Saudi-Arabien setzten mittlerweile auf Solarenergie, um KI-Rechenzentren zu versorgen. Trump hingegen fördere Industrien der Vergangenheit, blockiere moderne Energieformen und schwäche so nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der USA, sondern auch deren Zukunftsfähigkeit. Friedman zitiert Elon Musk, der das Gesetz als „völlig verrückt und zerstörerisch“ bezeichnet. Der Verlust von Subventionen könne laut Studien den Strompreis bis 2035 um rund 50 Prozent steigen lassen und etwa 830.000 Jobs im Bereich erneuerbare Energien gefährden. China werde davon profitieren, da es bereits enorme Fortschritte bei sauberer Stromproduktion mache – während Amerika durch bürokratische Hürden, ideologische Blockaden und veraltete Infrastruktur ins Hintertreffen gerate. (Tom Friedman, NYT)

Ich stimme einem Artikel von Tom Friedman zu; es geschehen noch Zeichen und Wunder. Aber ernsthaft, ich würde zwar generell davor warnen, die Prognosen zu sehr zu überdrehen - der Haushalt wird negative Effekte haben, aber vermutlich bei weitem nicht so deutlich sichtbar wie es von den Kritiker*innen gerade prognostiziert wird -, aber die Stoßrichtung ist schon ziemlich klar. Friedman geht es jetzt vor allem um den Aspekt des Wettkampfs mit China, in dem die Erneuerbaren nur ein Teil sind. Aber ich würde mich gerne darauf konzentrieren, weil dieselbe Kritik auch für Deutschland gilt. Wir geben derzeit die Führung in einem der wichtigsten Zukunfts-Sektoren überhaupt vollständig an China ab, rein aus ideologischen Gründen. Ich wette, dass in zehn Jahren, wenn diese Auswirkung klar sichtbar sein wird, dann irgendwie die Linken schuld sein werden. Aber es sind konservative oder rechte Regierungen, die gerade die Axt an unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit legen. Don't forget.

Auch innenpolitisch ist das Gesetz für die GOP eventuell doof, siehe dazu der Spiegel.

3) »Kopflos, strategielos«

Die AfD trifft sich zur Fraktionsklausur im Bundestag, doch statt strategischer Geschlossenheit herrscht interner Unmut. Trotz starker Umfragewerte zeigen sich Risse und Orientierungslosigkeit. Nur ein Bruchteil der Abgeordneten meldete sich zur Klausur an, viele betrachten das Treffen als überflüssig. Das dort präsentierte Positionspapier enthält bekannte Forderungen – wie die Reaktivierung von Atomkraft oder ein „Wieder-in-Betrieb-Nehmen“ von Nord Stream –, bleibt aber vage und ohne strategische Tiefe. Besonders deutlich zeigt sich die Spaltung in der Außenpolitik. Uneinigkeit herrscht über das Verhältnis zu Russland und den USA, was die geplante Selbstinszenierung als Friedenspartei erschwert. Auch die Position zum umstrittenen Begriff „Remigration“ sorgt parteiintern für Spannungen. Während einige eine rechtlich tragfähige Definition fordern, halten andere an radikaleren Deutungen fest. Zudem offenbart die Partei ein strategisches Vakuum hinsichtlich möglicher Koalitionen, besonders mit der Union. Eine Annäherung an das Bündnis Sahra Wagenknecht wird angedeutet, bleibt aber unkonkret. Die Fraktion gilt intern als „kopflos“. Statt politischer Geschlossenheit dominieren Personaldebatten, Verhaltenskodizes und Eigenzulagen – zu Lasten einer ernstzunehmenden Machtperspektive. (Fabian Hillebrand/Severin Weiland, Spiegel)

Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass die AfD entweder keine politischen Konzepte hat - wie hier für die Außenpolitik schön beschrieben - oder völlig unbrauchbare, wie etwa in der Migrationsfrage. Mein Dauerargument dieser Tage ist, dass diese programmatische Schwäche viel mehr zum Angriff genutzt werden sollte, schon allein, weil sie eine pragmatische Brandmauer bietet: anstatt die CDU zu zwingen, sich nach rechts zu verschließen, kann man es den demokratischen Parteien überlassen, die AfD individuell auf der sachpolitischen Ebene zu attackieren, denn das ist ein Feld, auf dem die demokratischen Parteien eine große Gemeinsamkeit haben: sie wollten tatsächlich seriös regieren. Sie sind sich nicht einig, wie, aber dass. Und diese Einigkeit kann man gegen die AfD in Stellung bringen. Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen, quasi.

4) Collections: The American Civil-Military Relationship

In dem Essay „Collections: The American Civil-Military Relationship“ analysiert der Historiker Bret Devereaux die Entwicklung und gegenwärtige Lage des zivil-militärischen Verhältnisses in den USA. Ausgangspunkt ist die sogenannte Newburgh-Verschwörung von 1783, bei der sich Teile des Kontinentalheers gegen den Kongress zu stellen drohten. George Washington verhinderte dies mit einem eindrucksvollen Appell an die Ehre seiner Offiziere – ein Gründungsmoment für die zivile Kontrolle über das Militär. Devereaux schildert, dass die zivil-militärische Beziehung der USA auf einem „stillen Gesellschaftsvertrag“ beruhe: Die Armee halte sich aus der Innenpolitik heraus, im Gegenzug werde sie von zivilen Autoritäten nicht politisch instrumentalisiert und genieße hohes gesellschaftliches Vertrauen. Dieser Pakt sei jedoch gefährdet, insbesondere durch die wachsende Machtfülle der Exekutive. Präsidenten neigten zunehmend dazu, das Militär für innenpolitische Zwecke zu nutzen, was langfristig die parteipolitische Neutralität der Streitkräfte untergrabe. Ein zentrales Argument des Essays ist, dass militärische Professionalität – wie von Samuel Huntington beschrieben – nicht automatisch zivile Kontrolle garantiere. Professionalisierung könne ebenso zur Herausbildung eines politischen Machtblocks führen, wie das historische Beispiel des römischen Heeres zeige. Die Einführung der All-Volunteer Force 1973, also einer rein freiwilligen Berufsarmee, habe zudem die gesellschaftliche Distanz zwischen Militär und Bevölkerung vergrößert und so die zivilen Kontrollmechanismen geschwächt. Devereaux warnt vor einer schleichenden Erosion der bisherigen Normen. Zwar habe die militärische Führung bislang meist professionell auf politische Vereinnahmungsversuche reagiert, doch sei der politische Druck in den letzten Jahren gewachsen. Besonders im Blick steht dabei die erste Amtszeit von Donald Trump, die von mehreren Versuchen geprägt gewesen sei, das Militär symbolisch und praktisch für politische Zwecke zu vereinnahmen. Auch eine mögliche zweite Amtszeit berge laut Devereaux erhebliche Risiken für die Integrität des zivil-militärischen Verhältnisses. Letztlich plädiert der Autor für ein stärkeres Bewusstsein der Öffentlichkeit für diese demokratische Errungenschaft. Das zivil-militärische Gleichgewicht sei kein Automatismus, sondern „etwas Fragiles, das aktiv gepflegt werden müsse“. Ohne Wachsamkeit und Rückbindung an die Prinzipien von 1783 drohe ein gefährlicher Wandel. (Bret Deveraux, A Collection of Unmitigated Pedantry)

Ich empfehle den ganzen Artikel zur intensiven Lektüre, er ist sie unbedingt wert und sehr erhellend. Ich will an der Stelle vor allem anmerken, dass Deveraux absolut richtig damit liegt, den Trend der "imperial presidency" mindestens 20 Jahre zurückzuverfolgen und das Phänomen nicht als ein Trump-Problem zu beschreiben. Die Gefahren, die von einer "All-Volunteer Force" ausgehen, sind tatsächlich auch nicht zu unterschätzen. Und wie bei so vielem wirkt Trump vor allem als massiver Brandbeschleuniger, aber weniger als Initiator des Zusammenbrechens von Normen. Auf der anderen Seite besteht die grundsätzliche Problematik auch in Deutschland, wenngleich bei uns das Standbein des hervorgehobenen Respekts für die Bundeswehr in der Gesellschaft (noch) fehlt. Zumindest die AfD versucht sich ja (bislang erfolglos) an einer Politisierung des Militärs für ihre Zwecke. Ich glaube nicht, dass wir da in nächster Zeit einen großartigen Wandel erleben werden, schon allein, weil die Bundeswehr so klar eine Parlamentsarmee ist und unsere demokratischen Parteien noch als Brandmauer agieren. Aber im Blick behalten schadet ja nie.

5) AfD-Fraktion gibt sich Benimmregeln

Die AfD-Fraktion hat auf ihrer Klausurtagung in Berlin einen Verhaltenskodex beschlossen, mit dem sie sich ein „geschlossenes und gemäßigtes Auftreten“ im Bundestag verordnen will. Damit solle die politische Glaubwürdigkeit erhöht und ein seriöseres Bild vermittelt werden – auch mit Blick auf eine mögliche Regierungsbeteiligung. Das Positionspapier der Fraktion wurde kurzfristig überarbeitet: Polarisierende Begriffe wie „Remigration“ oder „Leitkultur“ wurden gestrichen. Stattdessen sei nun von der Begrenzung der Zuwanderung und der Entspannung des Wohnungsmarkts die Rede. Diese Änderungen erfolgen vor dem Hintergrund wachsender Kritik am Begriff „Remigration“, der zuletzt mit rechtsradikalen Deportationsfantasien in Verbindung gebracht worden war. Beobachter sehen in den Streichungen ein strategisches Signal zur Mäßigung – wobei Parteichefin Weidel gleichzeitig scharfe Rhetorik beibehält: Sie verglich etwa Bestrebungen für ein AfD-Verbotsverfahren mit Maßnahmen der NS-Diktatur. Trotz solcher Aussagen scheint innerhalb der Fraktion ein Konflikt zwischen Radikalität und strategischer Anpassung zu bestehen. (Spiegel)

Angesichts dessen, wie eng normalerweise jeder AfD-zugehörige Pups breitgetreten wird, haben die Nachrichten von der Klausurtagung bislang sehr wenig Wellen geschlagen. Der Partei ist das natürlich Recht, die haben sich alle Mühe gegeben, dass das unter dem Radar bleibt und möglichst für keine Aufregung sorgt (genauso wie die Verdopplung der Funktionärsgehälter, nicht wahr?). Ich halte es für höchst relevant, dass die Parteispitze - scheinbar in Einigkeit, wenngleich Björn Höckes Schweigen auffällig ist - erkannt hat, dass sie in einer strategischen Sackgasse sitzt und dass die Isolierung der Partei durch ihren "gesichert rechtsextremen" Drall ihr keinen Gefallen tut, weder in der EU noch in Deutschland. Die wollen an die Macht (das unterscheidet sie von ihren üblich idiotischen Randgegenstücken bei der LINKEn) und haben klar erkannt, was das Problem ist: die Konservativen müssen in der Lage sein, sie zu akzeptieren. Und dazu müssen sie sich moderieren. In den Worten des Sturmgeschützes für Koalitionen der Bürgerlichen mit den Rechtsextremen, der Welt: die Partei muss sich melonisieren. Das einzige Hindernis dafür ist die AfD selbst. Aber ich habe es bereits letztes Jahr prophezeit und stehe dazu: 2024/25 wird der letzte Wahlkampf gewesen sein, in dem die CDU ein Bündnis mit den Rechtsextremisten kategorisch ausschließt.

Resterampe

a) AfD: Tino Chrupalla berichtet von Gesprächen mit Wagenknecht-Partei BSW (Spiegel). Das Hufeisen. Was für Deppen. Siehe auch: AfD und BSW: Wagenknechts gefährlicher Flirt mit den Rechtsextremen (Spiegel)

b) Der Aufstieg von Zohran Mamdani ist ein Warnsignal (Welt). Ich fühle mich bestätigt.

c) Gute Kolumne zum Zirkusvergleich. (Spiegel)

d) Ich kann mich schon erinnern, auf die Probleme hingewiesen zu haben. (Bluesky)

e) The U.S. Is Switching Sides (The Atlantic)

f) Sehr lesenswerter Artikel zu den Klimaschutzzielen. (beimwort) Ich verweise auf meinen Evergreen dazu. Zum Thema auch die ZEIT. Und Spiegel.

g) Bilanz Julia Klöckners. (Stern)

h) Zwei Analysen von Keir Starmers erstem Jahr, Tagesschau und New Statesman.

i) It’s Official: The GOP Is Not A Working-Class Party (Huffington Post). No fucking shit. Obvious since 2016.

j) Ok, Nils Markwardt hat gewonnen: der definitive Wels-Artikel. (ZEIT)

k) Grenzkontrollen, Akt 2. (Twitter)


Fertiggestellt am 06.07.2025

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