Vor einigen Wochen schrieb ich ja schon mal einen kurzen Artikel über die Modern Money Theory (MMT), die zurzeit immer mehr Eingang in den politischen Diskurs findet und auch im US-Wahlkampf thematisiert wird. Da diese Idee nun allem, wofür die Neoliberalen sich stark machen, entgegensteht, machen diese gerade reichlich mobil dagegen, was sich beispielsweise in einem Interview mit Otmar Issing in der WirtschaftsWoche zeigt.
Dass dabei nicht erwähnt wird, dass Issing nicht einfach nur ein Ökonom ist, sondern ein knallharter Ideologe mit Hayek-Hintergrund (was hier in einem Artikel auf den NachDenkSeiten von 2008 dargestellt wird), ist das eine – dass dann aber das sogar unter dem Issing-Interview verlinkte (und damit Meinungspluralität suggerierende) Interview mit US-Ökonomin Stephanie Kelton, die MMT befürwortet, nur hinter der Bezahlschranke zu lesen ist, finde ich dann schon reichlich manipulativ von der WirtschaftsWoche.
Und das ist dann auch gleich ein gutes Beispiel dafür, wie man die öffentliche Meinung beeinflussen kann: Das vonseiten der Redaktion Erwünschte ist gratis zu lesen, fürs Unerwünschte muss man bezahlen (was wohl einen Großteil der WiWo-Leser davon abhalten dürfte, sich damit zu befassen). Das ist sehr effektiv und bei Weitem nicht so auffällig, als würden unliebsame Ansichten einfach nur komplett ignoriert.
Dazu kommt noch, dass Issing natürlich (wie man es von einem neoliberal-marktradikalen Banker auch nicht anders erwarten kann) ausgesprochen populistisch „argumentiert“ und nicht viel mehr zu bieten hat, als die üblichen Schlagworte rauszuhauen, ohne diese auch nur ansatzweise zu begründen: Inflation und Steuererhöhung. Und nicht nur er, sondern auch die Journalisten der WiWo wissen ganz genau, dass sie damit bei den Deutschen schnell und einfach Gehör finden, denn selbst in Zeiten einer drohenden Deflation ist die Inflationsangst hier im Lande immer noch präsent und schnell anzufachen.
Und so kann Issing unwidersprochen seine Parolen raushauen, ohne dass vonseiten des interviewenden Wirtschaftsjournalisten mal kritisch nachgefragt wird. Denn dazu hätte es vielerlei Anlass gegeben, beispielsweise wenn Issing einen zwingenden Zusammenhang zwischen hohen öffentlichen Ausgaben und Inflation herstellt. Da hätte ich mir gewünscht, dass er mal nach einem konkreten Beispiel gefragt worden wäre, wo sich diese Kausalität schon mal gezeigt hat. Oder auch wenn er einen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit behauptet, wäre ein Nachhaken angebracht gewesen. Aber nichts dergleichen – der Interviewer gefällt sich anscheinend in seiner Rolle als Stichwortgeber für Plattitüden aus der neoliberalen Rhetorikhexenküche.
Spätestens auf Issings Aussage, dass die Idee von MMT schon mal in den Vierzigerjahren aufgebracht worden sei, wäre der Hinweis ausgesprochen sinnvoll gewesen, dass zur damaligen Zeit allerdings noch ein komplett anderes Weltwährungssystem als heute geherrscht hat, sodass MMT mit Sicherheit auf anderen Prämissen fußt als die Theorie von Abba P. Lerner – oder sich zumindest die Voraussetzungen für eine Umsetzbarkeit seitdem drastisch geändert haben.
Geradezu albern wird es dann, wenn Issing (auch wieder unwidersprochen) schwadroniert, dass ja mit dem dann vorhandenen Geld auch böse Sachen gemacht werden könnten. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Laut Issing sollte der Staat keine Mittel für sinnvolle Ausgaben zur Verfügung haben, da diese Gelder ja auch für wenig Sinnvolles oder gar Destruktives ausgegeben werden können. So meint er doch tatsächlich:
Ob die Anhänger von MMT aber auch noch dafür sind, wenn Trump die Wahl gewinnt und als Erstes die Mauer zu Mexiko mit dem freien Geld finanziert?
Mal abgesehen davon, dass so etwas zurzeit ja ohnehin schon der Fall ist (als Extrembeispiel seien hier mal die libyschen Warlords genannt, die mit EU-Geldern Konzentrationslager für Geflüchtete bauen und betreiben, zudem gehören für mich Rüstungsausgaben auch dazu), steht dahinter doch ein ausgesprochen fragwürdiges Verständnis vom Staat. Natürlich bestehen da immer Missbrauchsmöglichkeiten (und gerade die Neoliberalen zeigen ja täglich, wie man öffentliche Gelder verschleudern und veruntreuen kann), aber deswegen nun die Finanzierung von wirklich relevanten öffentlichen Ausgaben einzustellen kann ja auch kaum sinnvoll sein.
Das Schlusswort offenbart dann noch einmal die ganze Armseligkeit von Issings populistischem Gerede:
In Zeiten des politischen Chaos werden alle Regeln außer Kraft gesetzt. Es herrscht der Notstand. Dazu passt dann auch der Vorschlag der MMT.
Klar, Chaos, Notstand – es ist ja nun nicht so, dass Issings geliebter Neoliberalismus die Welt zu einem besseren und sichereren Ort gemacht hätte. Das ist so primitiv, dass ich mich für die Redaktion der WiWo fremdschäme, die sich nicht entblödet, so einen Mumpitz tatsächlich zu veröffentlichen.
Dass der Neoliberalismus eine groteske Ideologie ist, die ihr Scheitern schon mehr als deutliche in der Realität unter Beweis gestellt hat, ist nichts ganz Neues mehr und sollte spätestens seit 2008 jedem klar geworden sein. Dass dessen Apologeten dennoch in halsstarrig-psychopathischer Manier an ihren dummen Glaubenssätzen festhalten, ist man auch schon gewöhnt. Dass allerdings Issings Niveau-Limbo nun in einer Wirtschaftspublikation unhinterfragt einfach so als ökonomische Fachansicht präsentiert wird, zeigt, wie sehr die Medien Teil der Problemsuppe sind, die uns diese verkorkste Ideologie eingebrockt hat.
Dabei wäre ein Diskurs über neue ökonomische Wege ausgesprochen wichtig. Leider sieht man, dass das in unserer aktuellen Medienlandschaft ausgesprochen schwierig, wenn nicht gar nahezu unmöglich sein dürfte.
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