Wer heute als PatientIn einen großen Aufklärungsbedarf hat, sei es, weil eine niederschmetternde Diagnose vorliegt oder weil die dunklen Wolken einer Depression den Blick auf die Lebensfreude verhindern, läuft im gegenwärtigen System schnell Gefahr, von dubiosen Heilern und Scharlatenen gefangen genommen zu werden. Die traurige Tatsache: Das gegenwärtige Paralleluniversum bietet traumhafte Arbeitsbedingungen für HeilsversprecherInnen, die im Falle eines auftretenden Schadens in der Regel noch nicht einmal juristische Konsequenzen zu befürchten haben, weil im Bereich der Scharlatanerie keinerlei gerichtsverwertbaren Standards definiert sind.

Laut Prof. Jutta Hübner, Expertin für Integrative Onkologie am Uniklinikum Jena, lautet die Hauptmotivation für PatientInnen bei der Kontaktaufnahme mit HeilpraktikerInnen: die ihnen während der Konsultation gewidmete Zeit und der Raum für Gespräche. (Quelle)

Dass PatientInnen, die sich in Not befinden, für ihren Gesprächsbedarf am ehesten in Bereichen der dubiosen Parallelwelten auf Resonanz stoßen ist nicht nur traurig, sondern für die betroffenen PatientInnen mitunter lebensgefährlich. So berichten Onkologen in Regelmäßigkeit von zur Inoperabilität herangewachsenen Tumoren, von Chemotherapien, die unterbrochen oder gar nicht erst begonnen worden sind. Zurück bleiben in ihrer Trauer ohnmächtige, um Fassung ringende Angehörige, die zusehen mussten, wie sich ihre tumorkranken Angehörigen in dem weitgehend rechtsfreien Raum einer zynisch anmutenden Parallelwelt verloren haben.

Nicht nur der Aberglaube und das zutiefst menschliche Bedürfnis, Wunderheilungen zu erleben ist dafür verantwortlich. Auch das Kausalitätsbedürfnis ist als anthropogene Konstante stets auf der Seite der magischen Zuckerkugeln, wenn ein Schnupfen nach 7 Tagen unter einer „homöopathischen Therapie“ plötzlich ausheilt. Aber es ist die Nachfrage, die das Angebot diktiert. Analog zum Pauwelschem Diktum, dass der Knochen dem Diktat seiner Funktion folgt, folgt das Angebot der Nachfrage.

Der Wertlosigkeit der Sprechenden Kassen-Medizin ist es zu verdanken, dass die "Homöopathie" ihren Siegeszug ungezügelt durchführen konnte. Es ist ein Skandal, dass niedergelassene MedizinerInnen für die ärztliche Beratung mit 4,36 € "honoriert" werden, wo doch allein die Betriebskosten für eine Praxis mit rund 200.-€/Stunde zu Buche schlagen. Es wäre sehr wohl vielen PatientInnen geholfen, wenn sie bei ihrem Hausarzt/Hausärztin eine ausführliche Beratung erhalten, bei der auch der Praxisinhaber nicht Gefahr liefe, seine eigene Existenzgrundlage unnötig zu gefährden.

Ich mache in meiner Zahnarztpraxis ausführliche Beratungen - wenn sie gewünscht sind. Das ist nicht nur für den jeweiligen Patienten gut, sondern auch für mich sehr entspannend. Es ist wirtschaftlich, weil z.B. die Anfertigung von Prothetik sehr gut bezahlt wird - ich kann die aufgewendete Sprechzeit gut damit kompensieren. Hausärzte können das nicht, daher wäre es sinnvoll, die Gebührenposition einer "Intensivberatung" (z.B. 100.-€ / 45min) für Kassen-PatientInnen einzuführen bei:

  • Tumorerkrankung
  • V.a. Depressionen
  • Polymorbidität

Dadurch ließe sich der Nachfragedruck im Bereich der Scharlatanerie spürbar senken, weil sich PatientInnen, die sich in einer existenziellen Gefährdung fühlen, endlich ausreichend Gehör fänden.

Prof. Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, kritisiert die an Diagnosen gekoppelte Einzelleistungsvergütung und propagiert eine Honorierung für „kalkuliertes Nichtstun“ - im Hinblick auf die im Ländervergleich rekordverdächtige jährliche Frequenz (20) von Arzt-PatientInnen-Kontakte ein sehr guter Ansatz, der auf beiden Seiten – sowohl für ÄrztInnen, als auch für PatientInnen - für eine dringend notwendige Entzerrung und Entspannung sorgen könnte.

Sprechende Medizin darf nicht nur im Kombination mit €soterik verkauft werden – die katastrophalen Nebenwirkungen gefährden nachweislich den sozialen Frieden.

Nachdem die Bremer Ärztekammer, die Kassenärztliche Vereinigung Bremen und das Votum auf dem Ärztetag in Bremen den Weg gezeigt haben, ist der Gesundheitsminister jetzt gefordert, gefährliche €soterik sofort aus dem Portfolio der abrechenbaren Leistungen zu verbannen.

€soterik tötet - daher zählt jeder einzelne Tag!