Mit dem Regierungswechsel 1969 brach eine neue Periode der deutschen Außenpolitik an. Unter dem Motto "Wandel durch Annäherung" wurde die Hallstein-Doktrin auch formal ad acta gelegt. Man wollte auf die Staaten des Ostblocks zugehen, in der Hoffnung, dass in Zusammenarbeit und Entspannung die Chance läge, mittelfristig positiv auf diese einwirken und "menschliche Erleichterungen" erreichen zu können; als Fernziel wurde weiterhin (wenngleich ohne viel Überzeugung) die Wiedervereinigung ausgegeben. Als diese dann 1989/90 kam, waren die Vertreter der Ostpolitik schnell dabei, ihr eine maßgebliche Rolle zuzusprechen. Ich möchte im Folgenden beurteilen, inwieweit dies eine gerechtfertigte Behauptung darstellt.

Der Untergang der DDR 1989/90 wurde durch eine Reihe von Faktoren verursacht. Ein einzelner lässt sich hier nicht isolieren, wohl aber eine Gewichtung durchführen. Zentrale Gründe sind die Öffnungspolitik der Sowjetunion unter Gorbatschow (Glasnost/Perestroika), die katastrophale wirtschaftliche Lage der DDR, der Legitimationsverlust der DDR-Regierung und ihre internen Machtkämpfe. Inwiefern sich die Ostpolitik maßgeblich auf diese Faktoren ausgewirkt hat, wird nun zu untersuchen sein.

Ausgeschlossen werden kann ein positiver Einfluss auf die Ernennung Gorbatschows und dessen Reformkurs ab 1985. Gleichwohl ist dieser entscheidend. Ohne die "Sinatra-Doktrin", die offiziell das Interventionsgebot der Breschnew-Doktrin aufhob und effektiv die sowjetische Kontrolle über den Ostblock aufhob, wäre die friedliche Revolution in Osteuropa undenkbar gewesen. Das Vorbild dieser Reformen hat zudem eine entscheidende Rolle für die Proteste in der DDR im Sommer 1989 gespielt, in denen Gorbatschow zunehmend zu einer Idealfigur wurde, die mit dem realen Politiker kaum noch etwas gemein hatte, aber die Sehnsüchte des reformorientierten Teils der DDR-Bevölkerung auf sich vereinen konnte. Die scharfe Abgrenzungsreaktion der DDR-Führung unter Honecker spricht hier eine deutliche Sprache.

Es ist allerdings nicht ersichtlich, inwieweit die Ostpolitik hierzu beigetragen haben könnte. Die Vorgänger Gorbatschows hatten eher einen verschärfenden Kurs gefahren, und der Erste Sekretär selbst war vor allem durch die marode Lage der sowjetischen Wirtschaft und die zunehmende Aussichtslosigkeit des Wettstreits mit den USA getrieben als durch irgendwelche deutschen Annäherungssignale. Für diesen Faktor kann also ein maßgeblicher Einfluss der Ostpolitik ausgeschlossen werden. Gleichwohl sei noch einmal betont, dass es sich um den entscheidendsten Faktor handelt. Wie wir gleich noch sehen werden, konnte die DDR ohne den sowjetischen Rückhalt nicht bestehen. Dieser wurde durch Gorbatschow einseitig aufgekündigt.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist die wirtschaftliche Situation der DDR. Ähnlich wie im restlichen Ostblock befand sich diese in den 1980er Jahren in einer ständigen Abwärtsspirale: die Ausgaben überstiegen deutlich die Einnahmen, die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft nahm ab und Reformen waren im bestehenden System unmöglich. Gleichzeitig bedeuteten solche Reformen einen grundlegenden Systemwandel, der den Machterhalt des SED-Regimes in seinen Grundfesten gefährdete, von seinen ideologischen Implikationen einmal ganz abgesehen. Diese Wirtschaftskrise beruhte neben den inhärenten Schwächen des planwirtschaftlichen Systems mit seiner Innovationsaversion, den weitgehend reale Bedarfe ignorierenden Planungen, der unflexiblen Betriebsstruktur, den negativen Wechseleffekten des RGW und der mangelnden Informationslage durch die ständigen Anreize zu gefälschten Kennzahlen und propagandistisch motivierten Anforderungen vor allem auf zwei Faktoren: den Ölkrisen 1973 und 1979 sowie der wirtschaftspolitischen Wende der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik".

Die Ölkrisen hatten die Energie stark verteuert, aber anders als in der BRD gelang weder eine Transformation noch eine deutliche Reduktion des Bedarfs, was die Konkurrenzfähigkeit der DDR-Wirtschaft stetig verschlechterte. Der Wandel der Wirtschaft unter Honecker weg vom Stalinistischen Primat der Schwerindustrie hin zu einer konsumentenorientierten Wirtschaft basierte auf realen und nicht mehr zu ignorierenden Wünschen der Bevölkerung, fachte dieser aber gleichzeitig weiter an und konnte sie niemals erfüllen, vor allem im Vergleich zur BRD nicht. Stattdessen wurde der Sozialstaat massiv ausgebaut, vor allem durch die Subventionen von Wohnraum, Energie und Gütern des täglichen Bedarfs. Der Staat geriet durch die in den 1980er Jahren sprunghaft ansteigenden, unproduktiven Subventionen in eine Abwärtsspiral.

Hier hat die Ostpolitik einen gewissen Anteil. Der zweite "Korb" der KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 hatte dem Ostblock einen größeren Zugang zu weltweiten Wirtschaftskreisläufen, vor allem dem Import westlicher Güter, gegeben. Hoffnungen auf einen ausgleichenden Export östlicher Produkte erfüllten sich dank dessen mangelhafter Qualität nie. Stattdessen entstanden Abhängigkeiten von den westlichen Volkswirtschaften, die auch nach dem Ende der Ostpolitik mit dem Regierungswechsel zu Helmut Kohl 1982 fortgeführt wurden. Besonders prominent sind die durch den CSU-Vorsitzenden und bayrischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß vermittelten Milliardenkredite an die DDR zu nennen, die diese an den Tropf des Westens hängten und einen Reformkurs noch weiter erschwerten. Inwieweit man dies allerdings als Früchte von Epplers und Brandts Ostpolitik betrachten möchte, sei einmal dahingestellt; die Beziehung ist eher flüchtig.

Der Legitimationsverlust der DDR-Regierung bei ihrer eigenen Bevölkerung war eine beständige Begleiterscheinung des Regimes. Bereits 1953 war die Legitimation praktisch vollständig zusammengebrochen und konnte nur durch die Macht der sowjetischen Bajonette aufrechterhalten werden; erst 1961 stabilisierte sich das Regime mit dem Mauerbau, der zu einer Resignation weiter Bevölkerungsteile führte. In den 1970er Jahren erfolgte dann unter Honecker und der neuen Sozialpolitik ein vergleichsweise stabiler Status Quo, in dem die Regierung ihren totalitären Status insoweit verlor, als dass sie die realen Versuche, die Bevölkerung für den Sozialismus zu gewinnen, weitgehend aufgab und sich auf außenwirksame Propaganda-Symbole und Herrschaftssicherung beschränkte, während die Bevölkerung in den unpolitischen "Nischen" weitgehend alleine gelassen wurde. Mangels Alternativen hielt dieser "Waffenstillstand" lange an, schuf aber keine breite Verankerung des Regimes in der Bevölkerung. Entsprechend verwundbar war es für das sowjetische Vorbild und die Massenproteste 1989.

Hier lässt sich der größte Anteil der Ostpolitik ausmachen, findet sich hier doch auch der Kern des damals formulierten "Wandels durch Annäherung". Die gestiegenen Kontakte mit dem Westen führten der DDR-Bevölkerung immer ein deutsches Positivbeispiel vor Augen (wenngleich meist durch eine rosarote Brille betrachtet und gänzlich unrealistisch), während der KSZE-Prozess mit dem dritten "Korb" die Regierungen des Ostblocks auf die Einhaltung der Menschenrechte verpflichtete. Offene Unterdrückungsmaßnahmen im Stil von 1953 (oder 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei) sorgten durch diesen globalen Wertewandel für einen wesentlich größeren Prestige- und Legitimitätsverlust als ehedem, was in den kommunistischen Parteizentralen schmerzhaft gewahr wurde. Der "Fallout" der Ausbürgerung Wolf Biermanns, in sich selbst bereits eine im Vergleich zu den 1950er und 1960er Jahren deutlich gedämpfte Reaktion auf Dissidententum, ist hierfür ein gutes Beispiel.

Der DDR fehlte bereits ab den 1970er Jahren der Wille, prominente Regimegegner wie die UdSSR in die Verbannung zu schicken oder gleich anderweitig aus dem Verkehr zu ziehen. Hierzu trug auch die oben diskutiuerte Abhängigkeit vom Westen bei: die Gefahr eines Boykotts (wie sie sich etwa nach dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1980 manifestierte) hing wie ein Damoklesschwert über der DDR-Wirtschaft, die zwar nach heutigen Maßstäben nicht sonderlich tief in die westlichen Wirtschaftskreisläufe integriert war, aber in Schlüsselgebieten in eine fatale Abhängigkeit geraten war, die sie deutlich verwundbarer gegenüber der öffentlichen Meinung des Westens machte und zu einer Art Wohlverhalten zwang. Eine ganze Generation von Politiker*innen war zudem mit dem Entspannungsprozess und der KSZE-Schlussakte im System großgeworden und hatte sich an seine spezifischen Dynamiken gewöhnt, deren Vereinbarkeit mit sowjetischen Herrschaftssicherungsmethoden gelinde gesagt tendenziös war.

Der letzte große Faktor beim Untergang der DDR war der interne Machtkampf der SED. Konfrontiert mit der miserablen wirtschaftlichen Lage kurz vor dem Staatsbankrott, dem außenpolitischen Kurswechsel der UdSSR und der Weigerung des Honecker-Flügels der SED, irgendwelche Reformschritte in Betracht zu ziehen, blockierte sich das Politbüro zunehmend selbst. Am Ende wurde der Machtkampf für einen Reformerflügel entschieden, der aber viel zu zaghaft vorging und zu spät an die Macht kam (auch, weil man den prestigeträchtigen 40. Jahrestag der DDR abwarten wollte, der dann von Gorbatschows Zurückweisung und den Protesten überschattet wurde). Der Reformflügel setzte natürlich Hoffnungen auf eine Zusammenarbeit mit dem Westen, die auch durch die Ostpolitik genährt worden waren.

Entscheidender in diesem Kontext aber war der Mangel an Ruchlosigkeit, der diesen Flügel auszeichnete. Die große Bedrohungsfolie jener Monate war der Geist der "Chinesischen Lösung", der stets über allem schwebte: die brutale Niederschlagung der Tian'anmen-Proteste ik Frühjahr 1989. Die Hardliner aller kommunistischen Parteien forderten solche Maßnahmen, und wäre die Sowjetunion bereit gewesen, wie 1953 diese Forderungen zu unterstützen, kann wenig Zweifel daran bestehen, dass die Protestbewegung niedergeschlagen worden wäre. Gorbatschows Weigerung, diesen Kurs einzuschlagen, war einmal mehr entscheidend, aber auch innenpolitisch weigerte sich die DDR-Führung selbst unter Honecker, solche Maßnahmen zu ergreifen.

Inwiefern dafür die Furcht vor einem Imageschaden, der Unkontrollierbarkeit der Reaktion auf eine solche Niederschlagung oder ein genuiner Wertewandel in der Führungsriege verantwortlich war, ist schwer auszumachen. Wenn man der Ostpolitik aber einen Effekt zuschreiben möchte, dann ließe sich dieser am ehesten hier finden, in einer Furcht, gegen das (westliche) Menschenrechtskonzept zu verstoßen, das im Ostblock erst durch den Entspannungs- und KSZE-Prozess verankert worden war. Allerdings bleibt dieser Zusammenhang unbewiesen und eher tendenziös.

Demgegenüber steht auf der anderen Seite die unvorteilhafte Wirkung der Ostpolitik, die bereits ab 1969 von der Opposition scharf kritisiert worden war. Sie besaß eine unzweifelhaft systemstabilisierende Wirkung für die DDR und ließ die Rolle des Westens als klaren Gegenpol und Antagonisten deutlich verschwimmen. Auch unter der CDU/FDP-Regierung Kohls blieb diese Grundcharakteristik erhalten. Die deutsche Politik richtete sich an den kommunistischen Regimen aus; das Ziel der Entspannung, verstanden als Friedenssicherung, trat vor dem der "menschlichen Erleichterungen" und dem "Wandel" deutlich in den Vordergrund, gerne auch - besonders von Helmut Schmidt - als Zeichen realpolitischen Realismus' verbrämt. Die Ostpolitik hatte daher auch eine stabilisierende Wirkung auf das kommunistische Regime.

Insgesamt ist die Bilanz der Ostpolitik im Hinblick auf die Wiedervereinigung daher mehr als zwiespältig. Die These, sie habe maßgeblich dazu beigetragen, muss vor diesem Hintergrund eher abschlägig beschieden werden. Gorbatschows Außenpolitik, die Wirtschafts- und Legitimitätskrise der DDR und die Weigerung der DDR-Führung, Gewalt anzuwenden, waren die entscheidenden Faktoren, die von der Ostpolitik bestenfalls marginal positiv beeinflusst wurden.

Anmerkung: Dieser Artikel entstand als Musterlösung für eine Klausuraufgabe meines Leistungsfachs. Die Aufgabenstellung war: ""Die deutsche Ostpolitik trug maßgeblich dazu bei, das Ende der DDR herbeizuführen." Beurteile diese These." Der Operator verlangt dabei eine Definition der relevanten Begriffe und das Aufstellen von Kategorien.

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