Ein Medienskandal erschüttert die Bundesrepublik. Mächtige Medienschaffende haben Journalist*innen befohlen, politisch ungenehme Recherchen zu begraben. Hinter den Kulissen werden Absprachen getroffen, um die Berichterstattung in die gewünschten Bahnen zu lenken. Aktivist*innen schreiben moralinsaure Artikel, anstatt objektiv über Fakten zu berichten. Die Chefs der großen Medienanstalten nehmen Einfluss auf die Politik. Es geht nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, um die große Verschwörung der linksgrünen öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Vielmehr geht es um den ungleich größeren und mächtigeren Komplex der rechtsblauen Medien, deren Geschäftsgebahren dieser Tage unverhofft unter ein grelles Scheinwerferlicht kam. Es geht, wie sollte es anders sein, um den Axel-Springer-Verlag.

Der steht aktuell nicht im Fokus nur einer Krise, nicht einmal einer Doppelkrise. Vielmehr geht es um eine Dreifachkrise. Und eine ist schlimmer als die nächste. Da wäre der (nun ehemalige) BILD-Chef Julian Reichelt, der in einer Welle von Anschuldigungen sexuelle Missbrauchs von seinem Busenfreund und Chef Matthias Döpfner, seines Zeichens Springer-Chef, entlassen wurde. Da wäre der Umgang mit den Vorwürfen gegen eben jenen Julian Reichelt, den Döpfner und die mit ihm befreundeten anderen superreichen Verleger mit aller Macht unter den Teppich zu kehren versuchten. Und da wäre die Person Döpfners selbst, dessen politische Ansichten von skurril bis besorgniserregend reichen.

Aber der Reihe nach. Beginnen wir bei Julian Reichelt. BILD-Chef war noch nie eine Position, die besonders dazu angetan wäre, Sympathien zu sammeln. Es ist schwierig, als netter Mensch aufzutreten, wenn man das größte Schmierblatt der Republik leitet. Eine gewisses moralisches Vakuum ist dafür zwingend vonnöten.

Die Vorwürfe sind mittlerweile bereits einige Monate alt. Diverse weibliche Nachwuchskräfte im Springerkonzern warfen Reichelt vor, von ihm das "Angebot" erhalten zu haben, gegen Sex im Konzern aufzusteigen. Man darf sich an dieser Stelle Marlon Brandos Tonfall vom "Angebot, das man nicht ablehnen kann" vorstelle, denn Reichelt nutzte seine Macht nicht nur durch das ethisch bereits ohnehin nicht zu verteidigende Angebot aus, sondern drohte den betroffenen Frauen mit dem Jobverlust, wenn sie seinen Avancen nicht nachkamen. Das Muster rapider Beförderungen für seine Affären und deren genauso rapide Beseitigung nach deren Ende allein spricht für sich.

Ein sprinterinternes Team, das dieser krassen Compliance-Verletzung auf die Spur ging, war ein Versuch der Schadensbegrenzung. Reichelt wurde von seiner Tätigkeit freigestellt, das Team "recherchierte", und nach sage und schreibe 12 Tagen wurde die Affäre von Konzernchef Döpfner für beendet erklärt und Reichelt als voll rehabilitiert wieder eingesetzt. Die betroffenen Frauen stellte man mit der aus de Milieu reicher Männer gewohnten Kombination aus Zahlungen und Schweigeabkommen ruhig.

Und dabei hätte es aus Sicht des Axel-Springer-Verlags dann auch ein Ende finden können. Tat es aber nicht. Es brauchte einen persönlichen Anruf Reichelts beim Handelsblatt, um eine dortige Recherche abzuschießen. Ein Journalist*innenteam, das zur Verlagsgruppe Ippen gehörte, war der Story ebenfalls auf der Spur, und nicht nur für 12 Tage. Aber als sie praktisch veröffentlichtungsreif war, griff der Verleger Dirk Ippen höchstpersönlich ein und beerdigte die Geschichte. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.

Und da hätte es erneut seine Bewandtnis haben können. Doch Döpfner setzte zum nächsten und bislang größten Coup des erfolgreichen und ambitionierten Verlagshauses an: für einen zehnstelligen Betrag erwarb er das amerikanische Online-Politmagazin "Politico". Doch anders als in Deutschland, wo die Verlegerkrähen friedlich nebeneinander sitzen, schreckte das die amerikanische Medienlandschaft gehörig auf.

Dieser Schreck dürfte Döpfners Selbstbewusstsein als globalem Medienplayer gut getan haben, bis die New York Times diese Woche einen eigenen Artikel zu Reichelts Sex-Affäre veröffentlichte - mit dem pikanten, aber zutreffenden Spin, dass es sich dabei um ein Symptom der generellen Arbeitsatmosphäre im Springerkonzern handle. Wer glaubt, dass es sich hier nur um die Attacke eines gekränkten Wettbewerbers geht, dürfte sich durch die explizite Ansage des Springerkonzerns widerlegt fühlen, dass man die Arbeitskultur des deutschen Verlags nicht auf Politico zu übertragen gedenke. Den deutschen Journalistinnen dürfte das ein geringer Trost sein, und es ist ein Armtszeugnis für Deutschland, dass Döpfner kein Problem hat, sexuellen Missbrauch als Teil der Arbeitskultur zu qualifizieren.

Hierzulande schließen die Springer-Journalist*innen stattdessen die Reihen. Sie werfen sich für Reichelt in die Bresche und betonen seine Leistungen als Journalist, die keinesfalls deswegen entwertet werden dürfen, weil er seine Macht missbraucht hatte, um von Berufsanfängerinnen Sex zu erzwingen. Im Hause Springer wurde wirklich gar nichts verstanden, was in den letzten Jahren unter dem Stichwort #MeToo verhandelt wurde. Das ist leider ein verbreitetes Phänomen im Journalismus; man erkennt es auch an dem kramphaften Versuch, das Kind nicht beim Namen zu nennen,

Die Entlassung Reichelts war nach diesen Vorgängen jedenfalls unumgänglich. Wenn man die dürre Pressemitteilung des Axel-Springer-Verlags ansieht, ist offenkundig, wie wenig man hinter der eigenen Handlung steht. Reichelt wurde nicht wegen, sondern trotz seiner Eskapaden entlassen. Er war ein Bauernopfer für die wirtschaftlichen Interessen des Konzerns in den USA, die jede Männerfreundschaft zwischen Döpfner und Reichelt übertrumpfen. Döpfner hatte kein Problem, sich blind zu stellen, solange ihn niemand zum Sehen zwang.

Diese angebliche Blindheit führte zu der beißend-ironischen Spiegel-Titelzeile, man wisse "ja gar nicht, was Döpfner beruflich so macht". Wenn das irgendjemand erstnehmen würde, wäres ein Grund, ihn zu feuern. Aber das nimmt natürlich niemand ernst, weil Döpfner natürlich vorher Bescheid wusste. Sein eigenes Rechercheteam hat es ja ergeben. Döpfner deckte Reichelt bewusst, weil er sein Verhalten nicht als Problem betrachtete, und weil er sich mit Reichelt verbunden fühlte. Man gehe, in Döpfners Worten, einen "Weg der kulturellen Erneuerung".

Diese Verbundenheit entspringt einer gemeinsamen Mentalität. Ben Smith nennt es in seinem Artikel in der New York Times treffend eine "Bunker-Mentalität": It seems the old battles have left Axel Springer forever on its guard against potential enemies. That quality can seem slightly out of place in 21st century Germany, where the company publishes not just Bild but also the broadsheet Die Welt, and is the owner of a lucrative classifieds business. When I visited Berlin this summer, Mr. Reichelt took me to a restaurant in his armored car. “They have a bunker mentality,” said Moritz Tschermak, the author of a recent, critical book on Bild, “and at the moment the bunker mentality is quite strong.”

Doch wer sind die Feinde, die diesen Bunker bedrängen, in dem sich Reichelt und Döpfner zusammen wähnen? Wer stürmt den Schützengraben, in dem sie gemeinsam sitzen, um die Metapher vollends auszureizen?

Mit diesen Fragen sind wir bei der eigentlichen Crux der Thematik. Denn Döpfner ist ein Ideologe, ein - haltet euch fest - Aktivist. Aus seiner Sicht ist die Bundesrepublik nämlich keine Demokratie, sondern ein "DDR-Obrigkeitsstaat". Aus der Sicht Döpfners ist Julian Reichelt "einer der letzten", die sich gegen diese DDR 2.0 "auflehnen". In anderen Worten: ein Aktivist, ein Kämpfer für die gerechte Sache, gegen die bösartige Verschwörung von Politik und feindlichen Medien um ihn herum. Oder, in den Worten Döpfners: "Assistenten der Propaganda". Döpfner vertritt außerdem die Theorie einer Verschwörung zum Verschweigen von Ausländerkriminalität, prominent in einem Leitartikel der Welt platziert. Zudem verbreitet er auch nach der Richtigstellung islamophobe Fake-News. Seine trumpistische Ausrede, alles sei "nur ein Witz" passt da wie die Faust aufs Auge.

Mit solchen Ansichten steht Döpfner bestenfalls am äußersten rechten Rand des demokratischen Konsens. Er bewegt sich in jedem Fall deutlich im rechtsblauen Spektrum, was angesichts der ungeheuren Marktmacht, die er besitzt, und seiner Skrupellosigkeit, diese für seine Interessen einzusetzen, besonders bedeutsam ist. Er ist nicht nur der Chef des Springer-Verlags; Döpfner ist auch einstimmig gewählter BDZV-Präsident. Auch hier hacken sich die Krähen gegenseitig nicht die Augen aus.

Das ist nicht das erste Mal, dass der BDZV derartige Äußerungen seines Präsidenten mit fadenscheinigen Begründungen deckt. Schriebe man für diese Blätter, könnte direkt eine Verschwörung annehmen, die dem Ziel dient, seine Fehltritte unter den Teppich zu kehren. Um auf Dirk Ippen zurückzukehren: er jedenfalls erklärt seine Intervention gegen die Recherchen des eigenen Hauses, die bereits abgeschlossen und praktisch veröffentlichungsreif waren, mit dem bemerkenswerten Argument, es gehe ja gegen einen Wettbewerber, und das lasse sich mit journalistischen Standards nicht vereinen.

Mit der Vermengung seiner eigenen wirtschaftlichen Interessen und der Publizistik hatte der BDVZ sonst kein Problen - die Kampagne für das Leistungsschutzrecht, die wohl nackteste Vermengung von Brechstangenlobbyismus und Journalismus überhaupt, wurde maßgeblich von Döpfner mit betrieben. Es geht kaum um irgendwelche ethischen Standards, die werden von diesen Leuten im Dutzend billiger gebrochen, wenn es der eigenen, rechtsblauen Agenda dient.

Das Ziel des Springer-Verlags ist jedenfalls, mit der BILD eine Blase für ein Segment der deutschen Bevölkerung zu schaffen, das für den normalen demokratischen Konsens immer weniger erreichbar wird. Von Impfverweigernden bis zu neonationalen Rassist*innen ist alles dabei. Das Vorbild sind FOX News und OAN, die in den USA 30-40% der Bevölkerung eine eigene Realität geschaffen haben. Noch sind die Springerleute auf diesem "Weg der kulturellen Erneuerung" noch weit von diesem Ziel entfernt, und die Entlassung Reichelts und das grelle Scheinwerferlicht, das diese auf die Zustände im Hause Springer warf, stellt zweifellos einen Rückschlag für diese Ambitionen dar.

Aber die Werteunion strickt bereits mit anderen Elementen des rechten Randes an einer Dolchstoßlegende, nach der "mächtige Interessen der Avantgarde" (doch wohl nicht in den linksgrün versifften Medien?) Reichelts Sturz betrieben, der im journalistischen Felde unbesiegt stand. Die Blase existiert bereits, sie ist nur nicht satisfaktionsfähig und alleine überlebensfähig. Das liegt sicher daran, dass die AfD zu klein und abstoßend ist, als dass sich Springer ihr komplett andienen wollen würde, wie das die österreichischen, britischen oder amerikanischen Medien vergleichbarer Provenienz getan haben, während die Brandmauern in der CDU und FDP gegen den Absturz in den Rechtspopulismus noch immer halten.

Aber wir sollten uns nicht vormachen: Die Meinungsmacht der Döpfners, Ippkens und Konsorten ist gewaltig, wesentlich größer jedenfalls, als es die der öffentlich-rechtlichen Medien jemals sein könnte. Zudem folgen sie wesentlich entschlossener ihrer rechtsblauen Ideologie, sind bereit, ihre Medien zur Durchsetzung derselben zu benutzen, wesentlich effizienter, als es die Öffentlicht-Rechtlichen je könnten, wenn sie tatsächlich jener grüne Sumpf wären, den die fieberträumenden Rechtsblauen im Axel-Springer-Haus sich vorstellen. Gerade die, die sonst so beredt gegen eine vermeintliche "Cancel Culture" anreden und sich um die Meinungsfreiheit sorgen, sind ihre größte Bedrohung.

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