Als Mutter begegne ich täglich neuen Herausforderungen. Kleinen und manchmal auch großen. Die Tatsache, dass ich als Pädagogin eine Haltung und Vorstellung habe, wie ich mein Kind begleiten möchte, hilft mir da sehr. Aber auch nicht immer.
Aktuell beschäftigt mich die Thematik des „Nein – Sagens“.
Unsere Tochter ist mittlerweile 11 Monate alt. Sie ist aktiv, neugierig, ein kleiner Wirbelwind und möchte die Welt entdecken. Sie dabei begleiten zu dürfen, ist eine wunderbare Aufgabe.
Die Welt entdecken ist jedoch nicht immer ganz ungefährlich. Da wartet die berühmte heiße Herdplatte, die Kieselsteine, die nicht vollständig gegessen werden sollten oder das Handy von Mama, das nicht von kleinen Kinderhänden auf den Boden geworden werden möchte.
Ich ertappe mich also immer öfter dabei, wie ich bereits jetzt das Wort „Nein“ zu meiner noch so kleinen Tochter sage. Dabei wollte ich sie doch in einer möglichst Nein – freien Umgebung sprich Ja – Umgebung aufwachsen lassen. Ich möchte ihr nicht meine Meinung überstülpen, ich möchte ihr meine Beweggründe und meine Sicht auf die Dinge erklären und ihre Bedürfnisse, ihre Sicht der Dinge und ihre Meinung hören und ernst nehmen. Natürlich ist das bei einem 11 Monate altem Kind noch nicht wirklich möglich, aber sie wird älter und ich möchte gleich von Anfang an damit anfangen. Sie verstehen, wahrnehmen und ihren Entdeckerdrang unterstützen.
Eine Ja-Umgebung schaffen. Wie geht das und wie viel Nein ist okay?
Erstmal vorab: ich denke nicht, dass es Kindern schadet, wenn sie hin und wieder ein Nein von ihren Eltern hören. Im Gegenteil, es gibt Situationen, da ist ein Nein unabdingbar und nicht diskutabel, beispielsweise um Gefahr abzuwenden. Kinder brauchen hier einen klaren und transparenten Kompass der Eltern.
Aber. Es gibt auch viele Situationen, da wünsche ich mir von mir selbst, mein Nein mehr zu hinterfragen und Alternativen zu finden. In der Theorie sehr einfach, in der Praxis oft schwer. Ein Nein geht sehr schnell von den Lippen. Es ärgert mich aber auch oft, weil ich unzufrieden damit bin. Und daran möchte ich arbeiten, da meine Tochter immer mehr versteht und ich immer mehr merke, wie aufmerksam sie meinen Worten, Gesten und Handlungen gegenüber ist.
Statt zu ERziehen möchte ich mit ihr in BEziehung gehen. Sie ernst nehmen in ihren Bedürfnissen und so transparent wie möglich begleiten. Sie in ihrem Entdeckerdrang zu bestärken und ihr die Möglichkeiten dazu zu bieten und sie nicht ausbremsen mit zu vielen NEINS.
Ein Nein hat etwas Absolutes, Diskussionsloses, Endgültiges. Negatives. Möchte ich ständig von meinem Partner ein „NEIN“ hören? Von meinem Partner wünsche ich mir, dass wir in den Dialog und Austausch gehen. Gleiches darf mein Kind von mir erwarten.
Vor dem nächsten Nein überlege ich mir in Zukunft also folgende Punkte:
Ist das NEIN tatsächlich notwendig?
Sind wir in einer Situation, in der mein Kind oder andere in echter Gefahr sind und / oder verletzt werden können? Dinge irreparabel verletzt werden können? Besitzansprüche betreffen?
Ist mein NEIN sachlich begründet oder nutze ich gerade meine (sozialisierte) Macht?
Sage ich gerade NEIN, weil es meinen Bedürfnissen widerspricht und wie kann ich das in Einklang mit meinem Kind bringen? Denn: alle Bedürfnisse eines Systems sind wichtig, und somit auch die der Eltern. Ein Nein kann also durchaus begründet sein, wenn ICH eine bestimmte Situation nicht möchte. Wichtig ist jedoch, dass ich mir dessen bewusst bin und ich es – je nach Alter des Kindes – auch mit meinem Kind so thematisieren kann.
Sage ich gerade NEIN, weil es gesellschaftlich / tradiert gerade so erwartet wird, weil „man das nicht macht“ und kann ich das NEIN zu einem JA umwandeln, weil es für mich persönlich okay ist?
Ist mir mein NEIN so wichtig, dass ich auch in die Auseinandersetzung mit meinem Kind gehe oder wäre es nicht für alle entspannter und stressfreier, an der Stelle einfach ja zu sagen?
Was passiert, wenn ich einfach JA sage?
Es ist für ein Baby – und Kleinkind – sehr schwer zu verstehen, warum es die Bausteine zuhause in den Mund nehmen darf, die Kieselsteine auf dem Spielplatz jedoch nicht. Für meine Tochter ist alles, was sie in die Hände bekommt, erstmal Spielzeug. Etwas, das sie entdecken, erforschen, erfahren kann. Geht etwas dabei kaputt, so geschieht das nicht aus Unachtsamkeit, Absicht oder Willkür. Sie ist noch nicht in der Lage, Gefahren zu erkennen und abzuwenden. Geht also etwas während ihres Entdeckerdrangs kaputt, so ist es meine Verantwortung gewesen, dieses Teil in ihrer Reichweite gelassen zu haben. Ich muss also anstatt mir ihr mit mir selbst meckern. Und dafür sorgen, dass mein Kind zuhause die Welt sicher erkunden kann.
Wenn die Umgebung also kindgerecht ist, müssen wir auch weniger oft nein sagen. Somit schaffen wir eine viel positivere und stressfreiere Umgebung für unsere Kinder und auch für uns.
Alternativen schaffen kann hier auch sehr hilfreich sein. Möchte mein Kind auf den Tisch klettern und ich möchte das nicht, so kann ich eine Alternative finden – zwei Stühle zum Beispiel oder eine hohe Matratze zum Klettern. Das Bedürfnis nach „klettern“ ist befriedigt, ich habe ein glückliches Kind und muss es nicht mühsam mit vielen Neins davon abhalten, auf den Tisch zu klettern. Ich möchte nicht, dass mein Kind Kieselsteine isst? Ich kann ihm eine Alternative bieten und gemeinsam im Spiel erkunden, was man sonst noch mit den Steinen alles machen kann.
Außerdem möchte ich, dass mein Kind versteht, warum manche Dinge nicht gut / machbar sind. Ich möchte nicht, dass es „gehorcht“ um das Gehorchen willen. Mary Ainsworth, die Hauptvertreterin der Bindungstheorie, spricht hier bei der kooperativen Beachtung von Ge – und Verboten von Einwilligung statt Gehorchen. Ich möchte also kein dressiertes Äffchen, sondern ein Kind, das versteht und „einwilligt“.
NEIN also in ganz konkreten Situationen, die vor allem dann gegeben sind, wenn Gefahr in Verzug ist oder das Wohl von anderen Personen oder Gegenständen betroffen ist.
NEIN wohl dosiert und reduziert.
Ich arbeite daran.
Liebe Grüße, eure Mary.
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