Ich kenne da eine junge Familie, die täglich an mir vorbeikommen, wenn ich in meinem Café sitze und schreibe. Stets gut gelaunt grüßen sie mich freundlich und ich zahle es ihnen in gleicher Münze zurück. Und da mich heute Morgen eine Ideenlosigkeit für eine neue Geschichte fest im Griff hat, entscheide ich spontan, dieser Familie ein buchstäbliches Denkmal zu setzen. Denn im ganzen Viertel kenne ich keine Familie, die so liebevoll mit sich und den beiden Kindern umgeht. Und das, obwohl sie Zwillinge haben, die ungefähr im selben Alter sein dürften. Sie unterscheiden sich nur im Geschlecht. Ein Junge und ein Mädchen, die sich prächtig zu entwickeln scheinen, was sicher auch damit zu tun, hat, dass sie täglich ausgeführt werden und an mir vorbeikommen.
Auch musste ich noch nie erzieherisch eingreifen. Sollte dies jedoch irgendwann einmal vonnöten sein, würde ich mich nicht lumpen lassen und meine Erfahrungen aus eigener Jugend anwenden. Ich befinde mich ja selbst in einem Alter, wo ich Teil eines Elternpaares sein könnte, sogar schon in einem Großelternalter. Doch zeitlebens habe ich mich diesbezüglich zurückgehalten, denn ich wollte nie ein Opa sein. Opas sind alt, schwerhörig und laufen mit einem Stock. Und sie sind verschrumpelt. Diese Aussicht umging ich, indem ich mich enthielt. Nicht dass ich nicht könnte, wenn ich wollte, aber ich wollte nicht. Mir reicht schon die Verantwortung für mich und das bringt mich schon an meine Grenzen. Aber ich erfreue mich an dem Anblick einer kleinen funktionierenden Familie, die, wie die, die täglich an mir vorüberzieht. Das sind die kleinen Freuden des Lebens. Es sind ganz liebe Kinder, die, wenn sie es denn schon könnten, sich mich grüßen würden. Noch gehen sie wortlos vorüber, was man leider von so manchem Erwachsenen nicht behaupten kann, die mir unbedingt ein Ohr ab quatschen wollen, ohne vorher sich zu erkundigen, ob ich in entsprechender Stimmung bin. Da lobe ich mir die Kinder, die lachend, aber wortlos an mir vorübergehen. Mit der Mutter wechsle ich gerne mal ein Wort und auch mit dem sportlichen Vater, der auch den Kinderwagenführerschein zu haben scheint, tausche ich Freundlichkeiten aus. Ihre stets gute Laune ist bewundernswert. Andere Mütter oder Väter, die mit ihrem Smartphone an mir vorbeikommen, lassen meinen Kopf zum Schütteln einsetzen. Die telefonieren lieber, als sich um das Kind im Wagen zu kümmern.
Direkt mir gegenüber, wenn man eine kleine mit Kopfstein gepflasterte Straße überquert, liegt ein Spielplatz für Kinder, wo sich nachts betrunkene Alkoholiker treffen. Wobei bei denen das Schaukeln weniger im Mittelpunkt dreht. Am morgen sind sie verschwunden, nur die restlos geleerten Flaschen liegen noch herum, als Zeichen, dass sie da waren.
Deshalb liebe ich meinen Tisch im Außenbereich, wo so allerlei Gesindel vorbeikommt. Ich studiere, ich kritisiere und bilde mir meine Meinung über all das, was mir vor die Pupille kommt. Und ich sitze auch gerne da, weil es direkt in der Einflugschneise zu dem Spielplatz ist. So kann ich das Treiben dort genau beobachten. Nah dran und doch weit genug entfernt, dass mich niemand bitten kann, einem der Bälger die Windeln zu wechseln, wenn wiedermal ein überforderter Vater ratlos dasteht und die Geruchsentwicklung seines Kindes bemerkt. Nur selten, wenn der Wind ungünstig steht, weht ein Hauch von Höscheninhalt zu mir herüber.
Dann rufe ich freundlich hinüber: „Na da ist aber einer voll gekackt!“
Man erkennt dann den betroffenen und ertappten Vater an seinem hochroten Kopf. Er packt dann sein Kind und führt es der zuständigen Mutter zu, die meist zu Hause schon auf das malheurhafte Kind wartet. Hätte der Vater damals, als er selbst noch ein kleiner Hosenscheißer war, seiner Mutter besser zugesehen, könnte er nun mit erhobenem Kopf die Windel wechseln. Aber viele Männer sind eben unbelehrbar. Besonders Väter, die zwar Kinder machen, aber nicht, entsprechend deren Bedürfnisse, sie auch warten können. Mit ihrem liebsten Kind, dem Auto, gelingt es ihnen allerdings fabelhaft. Der Ölwechsel ist ihnen da in Fleisch und Blut übergegangen. Vielleicht ist das ja auch ein Grund, weshalb viele Männer, nach dem Ansetzen eines Kindes, sich Dünne machen.
Und da Lob ich mir doch meine kleine Familie, wo jeder der Eltern ganz liebevoll sind. Der sportliche Vater joggt sogar mit Kinderwagen. Ich bin mir sogar sicher, würde er nicht joggen, sondern zum Beispiel Skispringen, würde er an den Kinderwagen kleine Kufen anbringen und mit seinen Kleinen die Schanze herunterspringen. So stelle ich mir liebevolle Väter vor und dieser, den ich zu meinem Lieblingsvater erkoren habe, erfüllt all dies. Insgeheim wünsche ich mir, er wäre mein Vater. Leider bin ich ein Kind der frühen Geburt. Als ich Kind war, waren seine Eltern vermutlich noch nicht geboren oder selbst noch Kind. Deshalb blieb mein Wunsch auch unerfüllt. Gleiches gilt auch für seine Frau, die nicht nur größenmäßig zueinander sehr gut passen. Eine Frau, die nie gestresst erscheint und stets ein Lächeln auf den Lippen hat.
Ich meine, die Frau hat zwei Kinder! Ich habe keins und bin trotzdem oft gestresst.
Besonders inzwischen, wo die beiden Racker laufen können und sich nicht auf eine Richtung einigen können.
Da fängt die Mutter ganz entspannt trotzdem beide wieder ein und führt sie auf den rechten Weg. Innerlich spende ich ihr dann lautstarken Applaus. Gestern kamen sie zum ersten Mal mit Laufrädern. Da konnte der Vater aber seine Sprintfähigkeiten unter Beweis stellen. Der Mann ist durchtrainiert und, wie ich im Sommer sehen konnte, mit einem muskulösen Körper gesegnet. Wie würde er wohl ohne die beiden Zwillinge aussehen?
Vermutlich mit Bierwampe, frustriert und träge. Vor diesem erschreckenden Bild haben mich die Zwillinge bewahrt, wofür ich ihnen ausgesprochen dankbar bin.
Ihr tägliches Vorbeikommen erfreut mein Herz und ich konnte, nein ich wollte ihnen unbedingt dieses literarische Denkmal setzen.
Sie sind leider so selten wie ein vierblättriges Kleeblatt.
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