Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Toward Annihilation: House of the Dragon and Anti-War Television

Der Essay beschäftigt sich mit den Themen Opfer, Krieg und Erzählung, wie sie in der zweiten Staffel von House of the Dragon dargestellt werden. Die Staffel beginnt mit einem Stark-Lord, der über das Opfer spricht, das erforderlich ist, um in der Nachtwache zu dienen, und hebt die düstere Realität hervor, dass Pflicht bedeutet, andere zu opfern, anstatt sich selbst. Dies setzt den Ton für eine Staffel, die die weitreichenden Auswirkungen des Krieges nicht durch große Schlachten, sondern durch das Leben und die Entscheidungen ihrer Charaktere untersucht. Die Serie vermeidet es, groß angelegte Schlachten zu zeigen, und konzentriert sich stattdessen auf die Folgen und die menschlichen Kosten des Krieges. So wird beispielsweise die Schlacht um die Brennende Mühle nicht gezeigt, sondern nur ihre grausamen Ergebnisse, was die Sinnlosigkeit und Zerstörung solcher Konflikte unterstreicht. Die Staffel stellt Krieg nicht als Spektakel oder Abenteuer dar, sondern als verheerende Kraft, die alles in ihrem Weg verschlingt und nur Körper, Blut und Asche hinterlässt. Im Verlauf der Staffel werden die Charaktere als Gefangene ihrer Rollen und gesellschaftlichen Erwartungen dargestellt, wobei ihre Körper und ihr Leben auf bloße Werkzeuge für die Ambitionen anderer reduziert werden. Die Serie zieht Parallelen zwischen den physischen und psychischen Opfern, die der Krieg fordert, und den starren Geschlechterrollen, die das Leben der Charaktere bestimmen. Frauen sollen im Kindbett sterben, Männer auf dem Schlachtfeld, beides Opfer für ein patriarchales System, das die Pflicht über die Menschlichkeit stellt. Der Essay geht auch auf die metatextuellen Elemente ein, die in der letzten Episode eingeführt werden, in der die Charaktere beginnen, ihr Leben als Geschichten zu sehen, gefesselt von den Narrativen, die ihnen von Geschichte und Gesellschaft auferlegt werden. Diese narrative Gefangenschaft ist eine zentrale Tragödie der Serie, da die wahre Komplexität der Charaktere in den vereinfachten, voreingenommenen Geschichtsschreibungen verloren geht, die sie nur als bloße Karikaturen in Erinnerung behalten. Letztlich argumentiert der Essay, dass House of the Dragon den Krieg als eine erzählerische Konstruktion darstellt, eine Geschichte, die erzählt wird, um Gewalt und Opfer zu rechtfertigen. Dennoch betont er auch die Beharrlichkeit des Lebens und der Menschlichkeit, selbst angesichts überwältigender Verzweiflung. Die Charaktere kämpfen weiterhin um Freiheit und Bedeutung, selbst wenn sie unter der Last ihres Schicksals zerbrechen. Auf diese Weise überwindet die Serie ihre düsteren Themen und bietet eine ergreifende Reflexion über den Wert des Lebens in einer Welt, die von Krieg und Pflicht verschlungen wird. ("Samantha Tarly", The Stain)

Für mich bleibt "House of the Dragon" eine der großen TV-Überraschungen. Ich bin bekanntlich bestenfalls lauwarm gegenüber der Buchvorlage eingestellt und hatte daher wenig Hoffnungen auf die TV-Adaption, aber die Leute bei HBO haben ihr Mojo wiedergefunden und eine der besten Serien, die aktuell im Fernsehen sind, produziert (sicherlich besser als das etwas overhypte "Shogun"). Ich will an der Stelle neben meiner Zustimmung zu Samanthas Beobachtungen vor allem hinzufügen, dass für mich mit am relevantesten ist, dass die Serie echte politische Dilematta bietet. Nicht diesen Gut-Böse-, Klug-Dumm-Blödsinn, der meistens kommt, sondern genuine Dilematta, in denen keine Option offensichtlich die richtige ist, sondern beide ihre Vor- und Nachteile haben, unerwünschte und nicht vorhergesehene Konsequenzen. Das ist großartiges polit-strategisches Storytelling.

2) Blau sein bitte erst ab 18!

Der Artikel diskutiert den Vorschlag des Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Burkhard Blienert, das Mindestalter für den legalen Alkoholkonsum von 16 auf 18 Jahre anzuheben. Der Hintergrund für diesen Vorschlag ist die nachgewiesene Schädlichkeit von Alkohol auf das Gehirn, insbesondere bei Heranwachsenden. Der Artikel führt an, dass Alkohol ein Zellgift ist, das unabhängig vom Alter Schäden verursacht, und dass Jugendliche aufgrund ihrer noch laufenden körperlichen und geistigen Entwicklung besonders gefährdet sind. Die derzeitige Regelung erlaubt es 16- und 17-Jährigen, Bier, Wein und Sekt legal zu konsumieren, während Spirituosen erst ab 18 Jahren zugänglich sind. Diese Regelung wird als unzureichend kritisiert, da sie nicht den grundsätzlichen gesundheitlichen Risiken des Alkoholkonsums gerecht wird. Der Artikel argumentiert, dass es falsch sei, den Konsum von Alkohol als eine normale oder gar romantisierte Erfahrung des Erwachsenwerdens darzustellen, da dies die ernsthaften Risiken ausblende. Obwohl die Anhebung des Mindestalters auf 18 Jahre keine Wunderlösung sei und nicht verhindern könne, dass Jugendliche weiterhin Wege finden, Alkohol zu konsumieren, wird sie dennoch als ein Schritt in die richtige Richtung betrachtet. Eine strengere Regulierung könnte dazu beitragen, das Bewusstsein für die Gefahren des Alkoholkonsums zu schärfen und langfristig die gesellschaftlichen Schäden durch Alkohol zu verringern. Zudem passt die Maßnahme in einen allgemeinen Trend, da der Alkoholkonsum unter Jugendlichen bereits rückläufig ist. Abschließend wird betont, dass die vorgeschlagene Maßnahme ein sinnvoller Anfang sein könnte, um die negativen Auswirkungen von Alkohol auf Jugendliche zu reduzieren, auch wenn sie nicht alle Probleme lösen wird. (Viktoria Karls, Spiegel)

Ich meine, von mir aus könnte es auch ein komplettes Alkoholverbot geben, aber ich halte die Debatte letztlich für weitgehend irrelevant. Ja, die Leute trinken zu viel, ja, Jugendliche sollten nicht trinken, nein, Bier ab 18 zu machen wird nichts großartig ändern. Von daher: ich habe kein ernsthaftes Problem mit der Änderung. Der Vorteil wäre vermutlich eine größere Konsistenz: es wären einfach alle Drogen ab 18, fertig. Alkohol, Zigaretten, Marijuana, alles auf einem Level und ohne das offizielle Schild, dass einige harmloser sind als andere. Werden deswegen trotzdem noch fast alle Deutschen ihre erste Alkoholerfahrung vor 18 machen? Mit Sicherheit. Es ist eine dieser vielen Maßnahmen, die grundsätzlich wahrscheinlich sinnvoll sind, aber gegebenenfalls den Streit nicht lohnen.

3) Die Hits der Dreißiger, Neunziger und das Hässlichste von heute

Der Text beschäftigt sich intensiv mit der wachsenden Gefahr des Rechtsextremismus in Deutschland, insbesondere in Ostdeutschland, und hinterfragt die Rolle der Gesellschaft und Politik im Umgang mit dieser Bedrohung. Die Autorin reflektiert über ihre eigenen Ängste und Erfahrungen, insbesondere in Bezug auf die Aufarbeitung der Vergangenheit und die aktuelle politische Lage. Sie beschreibt, wie Rechtsextremismus immer mehr an Boden gewinnt und wie dieser Prozess von vielen in der Gesellschaft verharmlost oder ignoriert wird. Ein zentraler Punkt ist die Notwendigkeit des täglichen Engagements gegen diese Entwicklungen. Die Autorin kritisiert, dass die Strategie der Ausgrenzung von rechtsextremen Parteien wie der AfD von Anfang an nicht konsequent verfolgt wurde, im Gegensatz zur NPD in den 2000er Jahren. Sie warnt davor, dass der Rechtsextremismus bereits tief in die Gesellschaft eingedrungen ist, und betont die Verantwortung jedes Einzelnen, aktiv gegen diese Entwicklung vorzugehen. Der Text endet mit einem Appell, nicht nur darüber nachzudenken, was man in der Vergangenheit getan hätte, sondern was man heute und jeden Tag tun kann, um der Ausbreitung des Rechtsextremismus entgegenzuwirken. (Anne Rabe, Zeit)

Ich glaube, der Blick auf die Wahlergebnisse verstellt tatsächlich den auf die Realitäten. Es ist ein bisschen wie mit der Antifa oder dem Schwarzen Block: deren Disruptionswirkung konnte man nicht an Wahlergebnissen sehen, sondern am 1. Mai oder bei irgendwelchen Demos. Genauso erzählen die Wahlergebnisse der AfD auch nicht die ganze Geschichte. Dass es in Ostdeutschland nicht erst seit ein paar Jahren, sondern quasi seit der Wiedervereinigung Zonen gibt, in die man mit einer bestimmten Hautfarbe oder Frisur nicht gehen kann, ist bittere Realität. Die Eroberung der Fläche durch Rechtsextremisten, ihre Dominanz in bestimmten Gebieten, drückt sich nicht in Wahlergebnissen aus (beziehungsweise kann in diesen nicht gesehen werden). Aber das berührt den Lebensbereich viel mehr.

4) Being realistic in the polycrisis? Or, does the West/global North know what time it is?

Der Text behandelt das Konzept des "Seins in medias res", also des tiefen Eintauchens in die Komplexitäten und Krisen der modernen Welt, als eine unvermeidliche Realität und Herausforderung, die Engagement erfordert, anstatt ihr auszuweichen. Es wird argumentiert, dass die Vorstellung, sich zurückzuziehen, um die Welt aus einer überlegenen Perspektive zu verstehen, illusorisch ist. Wahres Verständnis und Handeln können nur durch das direkte Auseinandersetzen mit den vernetzten Problemen der Welt, oft als "Polykrise" bezeichnet, erreicht werden. Der Autor kritisiert westliche Regierungen, insbesondere in ihrem Umgang mit globaler Entwicklung und Krisenmanagement, dafür, dass sie den Herausforderungen der modernen Welt nicht gerecht werden. Beispiele dafür sind die unzureichende globale Reaktion auf Gesundheitsbedürfnisse, unterfinanzierte Hilfen für Regionen wie die Sahelzone und Zentralamerika sowie die deutliche Diskrepanz in der finanziellen Unterstützung zwischen der Ukraine und afrikanischen Ländern wie dem Sudan, wo die humanitären Krisen ebenso schwerwiegend sind, aber weit weniger Aufmerksamkeit und Unterstützung erhalten. Der Text hebt hervor, wie diese Unterschiede tief verwurzelte rassistische und geografische Vorurteile in der globalen Politik offenbaren. Es wird darauf hingewiesen, dass das selektive Engagement des Westens bei Krisen tiefere Probleme von Ungleichheit und Gleichgültigkeit widerspiegelt. Der Autor fordert einen ehrlicheren und engagierteren Ansatz für die globale Entwicklung, der die dringenden Bedürfnisse aller Regionen wirklich anerkennt und angeht, nicht nur diejenigen, die den Interessen des Westens entsprechen. Letztendlich fordert der Text die Leser auf, ihre Herangehensweise an globale Probleme zu überdenken und für eine realistischere, engagiertere und gerechtere Reaktion auf die vernetzten Krisen der Welt einzutreten. (Adam Tooze, Chartbook)

Für mich passt das wunderbar in diese Diskussion von "Fluchtursachen bekämpfen", was ja bis zur Entdeckung von "alle Abschieben" so ein Evergreen der Migrationspolitik war. Es gehört wahrlich nicht viel Fantasie dazu sich vorzustellen, welche Konsequenzen eine Hungersnot im Sudan auf Flüchtlingsströme hat. Was mich dabei so wahnsinnig macht ist, dass die Geldbeträge - wie Tooze ja schön darstellt - so winzig sind. Man könnte da extrem viel erreichen. Ich fürchte, zu einem Teil ist das natürlich eine Milchmädchenrechnung, weil das Zeug ja nicht 1:1 an die Leute dort rangebracht werden kann. Aber dass hier wesentlich mehr geleistet werden könnte als wir tun und, und das ist zentral, dass das in unserem Interesse wäre, steht für mich schon fest. Oder übersehe ich was Zentrales?

5) Die säumige Mietpartei

Der Artikel beleuchtet die Wohnungsproblematik in Deutschland und die unzureichende Reaktion der Bundesregierung, insbesondere der SPD, auf die steigenden Mieten. Olaf Scholz hatte bei der Bundestagswahl 2021 versprochen, die Wohnungsnot zu bekämpfen und bezahlbare Mieten zu sichern. Dazu sollten 400.000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut und eine Mietrechtsreform durchgeführt werden. Drei Jahre später ist jedoch klar, dass diese Ziele verfehlt wurden: Weder wurden die geplanten Wohnungen gebaut, noch ist die Mietrechtsreform umgesetzt worden. Ein wesentlicher Grund für das Scheitern liegt in den Koalitionsstreitigkeiten zwischen SPD und FDP, insbesondere im Konflikt zwischen Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Buschmann blockierte die Mietrechtsreform, um Zugeständnisse bei der Vorratsdatenspeicherung zu erzwingen, was zu einer Pattsituation führte. Olaf Scholz griff nicht ein, um den Konflikt zu lösen, was letztlich zu einem schwachen Kompromiss führte, der die Mieter wenig schützt. Die SPD hat damit ihre Position als Stimme der Mieter eingebüßt, und das Versagen in der Wohnungspolitik könnte die Partei langfristig schwächen. Die AfD versucht nun, das Thema für sich zu nutzen, was angesichts der zunehmenden Unzufriedenheit über die Wohnsituation in Deutschland eine bedrohliche Entwicklung darstellt. Die Wohnungskrise bleibt ungelöst, und es drohen weitere Mietsteigerungen, was das Problem weiter verschärfen könnte. (Catarina Lobenstein, ZEIT)

Ich empfehle unbedingt den ganzen Artikel zu lesen, weil Lobenstein sehr schön herausarbeitet, wie ein Projekt des Koalitionsvertrags total kaputtgegangen ist - aus politischen Motiven, und zwar von beiden beteiligten Parteien (in dem Fall SPD und FDP). Jeweils eigene Anreize bringen beide Seiten dazu, total kontraproduktive Züge zu machen. Das ist natürlich normal: Akteure reagieren immer auf die Anreize des jeweiligen Systems. Aber für die SPD ist das Ganze natürlich viel schlimmer als für die FDP, die jetzt nicht unbedingt die Partei der Mieter*innen ist, weswegen das Führungs- und Koordinationsversagen der SPD-Spitzen umso schlimmer wiegt. Mich fasziniert endlos, dass die Leute irgendwie nicht in der Lage zu sein scheinen, diesee Anreizsysteme, unter denen sie operieren, zu verstehen und in ihre Strategie zu implementieren. Da sind die Grünen ja auch spitze drin, siehe Heizungsgesetz.

Resterampe

a) Hätte er mal besser ein paar Millionen Steuern hinterzogen. Gute juristische Einordnung dazu.

b) A tale of two election campaigns.

c) Artikel zum Trend der Trad Wives.

d) Abschiebungen aus Deutschland: Zahl im ersten Halbjahr gestiegen. Solche Fakten sind nur völlig irrelevant für die Debatte.

e) Korrekt zu Merz.

f) Der Mann kann das einfach.

g) Der nächste Teil der Notes on Hegemony bleibt brillant.

h) So true.

i) Interview mit Heiner Flassbeck.

j) The Political Tradition Harris and Walz Are Bringing Back. Meine Rede. Siehe auch: Rating the CNN interview(er)

k) A case study in propaganda.

l) Berlins Bürgermeister Kai Wegner über Schuldenbremse: »Wir dürfen uns nicht kaputtsparen«. Wenn man regiert sieht man das halt immer anders als in der Opposition...

m) Eurofighter-Mitflug von Friedrich Merz: Acht Minuten Aufklärung für 111.000 Euro. Mann o Mann, die können das Thema einfach nicht gut sein lassen.

n) SPD-Abgeordnete verlangen Sondervermögen für innere Sicherheit. So langsam wird die Forderung nach einem Sondervermögen echt albern.

o) Hintergrund zu Trumps Arlington-Debakel.

p) First rule of the conservative policy agenda.

q) Diese Leute sind echt so eklig.

r) Biden's greatest gift to Harris.

s) No shit, Sherlock.

t) Der Rhetorikunterschied ist schon krass.

u) Spannender Thread zu den russischen Wehrpflichtigen.

v) Der OERR-Blog fällt mal wieder negativ auf.

w) Man glaubt es kaum, aber die Ampel - und vor allem die Grünen (!) - haben auch Entbürokratisierungs-Erfolgsstories.

x) Geschichte Thüringens.

y) "Evanglikal" wird vom kulturellen zum politischen Merkmal.

z) Interessantes Interview.


Fertiggestellt am 03.09.2024

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