Die SPD leidet am Verlust ihres Wählerpotentials. Der alten Volkspartei droht bei den kommenden Wahlen der Absturz ins Spartensegment. Der Weg dorthin ist eine Kette von strategischen Fehlern und Versäumnissen
Fehler 1:
1989, Oskar Lafontaine wird Kanzlerkandidat und will von der Wiedervereinigung nichts hören und weist permanent auf die Kosten hin. Was faktisch richtig war, wird von einer Art Gefühlstsunami weg gespült. Schlauer wäre gewesen, womit Otto Schily im Oktober 1989 bei den Grünen gescheitert war: „Fordern wir die Wiedervereinigung Deutschlands entsprechend der Charta 77.“ Für die Überwindung der Konfrontation NATO vs. Warschauer Pakt galt den Dissidenten in Prag 1977 als erster nötiger Schritt die Wiedervereinigung Berlins und darauf folgend die Wiedervereinigung Deutschlands. Für die Erinnerung an diesen Teil der Charta 77 wurde Otto Schily von Joschka Fischer und anderen lediglich ausgelacht. Danach fiel die Mauer und Helmut Kohl schöpfte den Rahm mit seinem 10-Punkte Plan ab.
Oskar Lafontaine hätte dennoch eine Chance gehabt, keine zu großen Verluste zu verursachen, wenn er sich zur Einheit Deutschlands nach der Charta 77 bekannt hätte und dennoch den holprigen Weg Helmut Kohls kritisiert hätte. So wäre der SPD ein Plus an Seriosität zugekommen in Abgrenzung zu Kohls praktizierter „Hektik“.
Fehler 2:
1990 blieb die Vereinigung mit den Sozialdemokraten in der SED aus. Zur Erinnerung: Die SED war historisch gesehen, die Vereinigung zweier Parteien, der KPD und der SPD in der SBZ/DDR. Dokumentiert wurde der historische Händedruck von Otto Grotewohl und Wilhelm Pieck auf dem Gebäude des Zentralkomitees der SED. Diesen historischen Händedruck hätte Oskar Lafontaine auflösen können, die Reformer um den Dresdner Bürgermeister Berghofer und anderer in die wiedervereinigte SPD aufnehmen müssen. Damit wäre ein Rest der SED marginalisiert worden und hätte etwa mit der DKP fusionieren können und wäre für einige, wenige Wahlperioden in den fünf neuen Bundesländern vielleicht noch knapp in die Landesparlamente gelangt. Die SPD allerdings wäre erfolgreich gewesen, die „Rote Socken Kampagnen“ der CDU, die ihrerseits mit zwei Blockparteien fusioniert hatte, wäre ausgeblieben.
Weil aber die Auflösung des historischen Händedrucks ausblieb, hatte die SPD mit der neu gegründeten SDP im Osten zunächst genug mit dem Aufbau von Parteistrukturen zu tun und verlor Zeit und Wählerstimmen.
Fehler 3:
1994, Johannes Rau kandidiert für das Amt des Bundespräsidenten und schon vor dem ersten Wahlgang steht aufgrund der Machtverhältnisse in der Bundesversammlung sein Scheitern fest. Die SPD hat ihn in diesem Moment „verheizt“. Rudolf Scharping war damals der Vorsitzende und Spitzenkandidat für die bevorstehende Bundestagswahl. Ihm waren strategische Überraschungen nicht in den Sinn gekommen und ebensowenig zuzutrauen.
Die SPD hätte, ohne Johannes Rau dauerhaft zu beschädigen, mit den Grünen gemeinsam im ersten Wahlgang die Kandidatin der FDP, Hildegard Hamm-Brücher wählen können. Damit wäre ein Coup gelungen, der die FDP in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Ampelkoalition gedrängt hätte. Seinerzeit hatte es in Bremen eine erste Ampelkoalition mit dem Grünen Ralf Fücks gegeben.
Das knappe Wahlergebnis im Herbst, wäre so nicht für die Fortsetzung der Koalition aus CDU/CSU und FDP ausgefallen, sondern für Rot-Grün ob nun mit oder ohne die FDP. Und Johannes Rau war ohnehin „versorgt“ und regierte als Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen.
Fehler 4:
1998, die Orientierung an „New Labour“ trieb den linken Flügel aus der SPD. Mit Oskar Lafontaine verlor die SPD in atemberaubendem Tempo ihren glaubwürdigsten Analytiker und Vertreter „des kleinen Mannes“. Die Folge: Das Erstarken der PDS (vormals SED, heute Linkspartei).
Fehler 5:
2002, Hartz4 bedeutet bis heute die Abspaltung der wichtigsten Kernkompetenz der SPD: Die Beantwortung der Sozialen Frage. Die SPD bezahlt noch heute im Zusammenhang mit Hart4 für Härten, die die CDU hineinverhandelt hatte. Nichts spricht gegen die Zusammenlegung der alten Sozialhilfe mit dem alten Arbeitslosengeld 2. Beide Systeme nebeneinander her laufen zu lassen, bedeutete reine Verschwendung öffentlicher Gelder. Dass aber Lebensleistungen zugunsten weniger Jahre Hartz4-Bezug geopfert werden mussten, das traf den vielbeschworenen „kleinen Mann“ tief ins Mark.
Fehler 6:
Die vorgezogenen Bundestagswahlen aufgrund der Schröder'schen Basta-Politik. Bei der Bundestagswahl hätte Gerhard Schröder mit dem Rückenwind durch „das Sommermärchen“ leicht die Bundestagswahlen gewinnen können. Besser wäre natürlich noch gewesen, die Aussöhnung mit „dem kleinen Mann“, der unter den Härten von Hart4 zu leiden hatte, wenigstens zu suchen.
Fehler 7:
Der Eintritt in die „Große Koalition“ unter Angela Merkel 2005. Besser wäre gewesen, Gerhard Schröder hätte die Ampelkoalition von FDP und Grünen gefordert und beide so gezwungen, alternativ mit der CDU koalieren, was undenkbarer gewesen wäre als „die Ampel“. Zugeständnisse an beide wären möglich gewesen. Sein Spielraum war größer als der Angela Merkel, der die SPD es 2005 dann „zu leicht“ gemacht hatte. Mit der Folge, dass Angela Merkel von Schröders Agenda 2010, Hart4 und einer selbstbewussten Außenpolitik profitieren durfte.
Fehler 8:
2013: Die SPD hatte mit Grünen und Linkspartei eine Mehrheit der Abgeordneten-Mandate im Deutschen Bundestag und zog es vor, nicht diese progressive Mehrheit zu nutzen, sondern begab sich als Juniorpartnerin wieder in die Koalition mit der CDU/CSU und wählte erneut Angela Merkel zur Bundeskanzlerin. Damit machte die SPD auch das Erstarken der AfD möglich, denn eine CDU in der Opposition ab 2013 hätte locker 70 Prozent der Themen der AfD für sich beansprucht und damit als Polit-Profi den Polit-Amateur aus vielen Rennen bei den Landtagswahlen besiegt.
So aber legte sich eine Art klebrigen Mehltaus über das Land, die SPD verzweifelt an ihren Fehlentscheidungen, wird bei den Wahlen mit sinkenden Ergebnissen bestraft. Die alte Tante SPD löst sich selbst aus ihren traditionellen Bindungen, stößt ihr angestammtes Klientel vor den Kopf und verstrickt sich in kurzsichtigem Denken und innerparteilicher Bürokratie.
Sicher, Rheinland-Pfalz und Hamburg sind die beiden Ausnahmen, die nur scheinbar gegen die These vom endgültigen Niedergang widerlegen.
Die SPD verliert auch deshalb Zustimmungsraten, weil sie in atemberaubendem Tempo ihre Vorsitzenden verschleißt. Für die Akzeptanz bei Stammwählerinnen und Stammwählern gilt eben auch Verlässlichkeit und Konstanz. Ähnlich wie Fußballvereine, die im Niedergang permanent Trainer austauschen, den Vorstand und die Sportdirektoren, agiert die SPD hilflos und scheint für die Zukunft strategisch und inhaltlich schlecht aufgestellt zu sein.
Die Wahlergebnisse scheinen auf Niederlagen programmiert zu sein. Von der SPD gehen aktuell keine progressiven und keine kreativen Impulse aus. Gerade in einem „Superwahljahr“ sind dies schlechte Vorzeichen.
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