Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal komplett zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Gedämpfte Hoffnungen

Die Tagung "Das Scheitern des grünen Kapitalismus: Befunde, Gegenstimmen, Alternativen" an der Universität Hamburg hinterfragte kritisch den ökologischen Ansatz im Kapitalismus. Sozialwissenschaftler Sighard Neckel betonte das Scheitern des grünen Wachstums und umweltfreundlicher Märkte, da sie die Umweltzerstörung nicht aufhielten. Instrumente wie Emissionshandel oder nachhaltiger Konsum blieben ineffektiv gegen Klimawandel und Artensterben. CO2-Bepreisung sei unzureichend, könnte aber Branchen ruinieren. Physiker Martin Held war optimistischer, sah Teilerfolge im sinkenden Treibhausgasanstieg. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, sei unrealistisch. Er favorisierte das Zwei-Grad-Ziel mit CO2-Abscheidung. Klimaaktivist Andreas Malm kritisierte Geo-Engineering und Schutzmaßnahmen als Ablenkung von kapitalistischem Versagen. Die Alternativen blieben vage, mit Rufen nach Wirtschaftsdemokratisierung und sozialökologischen Steuern. Ralf Fücks setzte auf die Innovationskraft des grünen Kapitalismus, um Wachstum von Naturverbrauch zu entkoppeln. (Wolfgang Krischke, FAZ)

Mein genereller Eindruck vom Konzept des grünen Kapitalismus ist, dass das Hauptproblem nicht darin besteht, dass das grundlegende Konzept nicht tragfähig wäre, sondern dass der zeitliche Rahmen nicht ausreicht. Die Transformation über Marktkräfte, ob bei der elektrischen Mobilität, dem Geoengineering, CO2 Capture, dem Umstieg auf Erneuerbare und so weiter, ist schlichtweg zu langsam, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Dabei werden diese Ziele ohnehin bereits ständig verschoben: die 1,5 Grad als unrealistisch zu bezeichnen und stattdessen 2 Grad anzupeilen ist natürlich insofern „realistisch“, als dass es tatsächlich kaum mehr Chancen gibt, dieses Ziel zu erreichen. Das allerdings ist eine Bankrotterklärung der bisherigen Ansätze. Darin sind sich jedoch alle einig; wieso oft liegt die Crux darin, wie man darauf reagieren soll und woran es liegt. Mischt sich der Staat zu sehr ein? Dann braucht es logischerweise ein stärkeres Vertrauen auf Marktkräfte und eine Zurückhaltung des Staates. Macht er deutlich zu wenig und liegt unser bisheriges Versagen an einem zu großen Vertrauen auf den Markt? Dann bräuchte es besser heute als morgen massive Interventionen. Beide Ansätze schließen sich gegenseitig aus und wir haben keine Zeit oder Möglichkeit für Testläufe. In der Zwischenzeit wären wir einen Mittelweg, der nicht Fisch noch Fleisch ist.

2) Weniger Tempo bedeutet mehr Katastrophen

Im aktuellen Synthesebericht des Weltklimarats IPCC wird betont, dass das Zeitfenster für eine lebenswerte Zukunft rapide schließt. Stefan Rahmstorf, Klimaforscher, erklärt, dass dies durch die Physik und die Pariser Klimaziele bereits vorgegeben ist. Das globale Temperaturwachstum ist linear mit den kumulativen CO₂-Emissionen verbunden. Das Pariser Klimaabkommen verpflichtet alle Staaten, die Erderwärmung deutlich unter 2 Grad zu stoppen und Anstrengungen für 1,5 Grad zu unternehmen. Rahmstorf betont, dass das Restbudget für 1,5 Grad nur noch etwa 350 Milliarden Tonnen beträgt, was bei aktuellen Emissionen weniger als zehn Jahre reicht. Die Emissionen müssen drastisch sinken, weltweit bis 2030 um fast die Hälfte. Rahmstorf warnt vor Verzögerungstaktiken und betont, dass schneller Klimaschutz existenziell notwendig ist. (Stefan Rahmstorf, Spiegel)

Passend zu Fundstücke 1 haben wir hier noch einmal eine wissenschaftliche Expertise dazu, dass die Geschwindigkeit tatsächlich ein relevanter Faktor und wesentlich zu niedrig ist. Ansonsten grüßt hier täglich das Murmeltier: wir tun zu wenig, das CO2-Budget ist praktisch aufgebraucht, wir steuern auf die Katastrophe zu, es braucht dringend eine gewaltige Kraftanstrengung, yadda, yadda, yadda. Das alles erfahren wir seit mittlerweile 30 Jahren in angepassten Zahlen und Dringlichkeitswarnungen, ohne dass es allzu entscheidende Auswirkungen gehabt hätte. Es bleibt schlichtweg dabei, dass die Bekämpfung der Klimakrise politisch ein beinahe unlösbares Sandwichproblem ist.

3) Die Verniedlichung der Diktatur

Der Autor kritisiert die Vorstellung des "Tags der Einheit" und betont, dass Einheit an sich kein wertvoller Wert ist. Er argumentiert, dass Demokratie ein fortlaufender Prozess sei und dass Selbstzufriedenheit ihr schaden könne. Die Diktatur der DDR dürfe nicht verniedlicht werden, sowohl von linken als auch rechten Seiten. Historikerinnen wie Christina Morina und Katja Hoyer werden für ihre Ansichten zur DDR kritisiert, die als Relativierung der Diktatur interpretiert werden. Die Demokratie in Deutschland wurde durch Niederlagen gegen das Kaiserreich, das Hitler-Reich und das Sowjetreich errungen, wobei die USA eine entscheidende Rolle spielten. Der Autor warnt davor, die Errungenschaften der Demokratie zu delegitimieren und betont die Notwendigkeit, den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie zu bewahren. (Alan Posener, ZEIT)

Mich nervt Nostalgie gegenüber der DDR und die vom Autor so treffend bezeichnete Verniedlichung von Diktaturen auch ungemein. Ich möchte allerdings an dieser Stelle vor allem betonen, wie wichtig ich den Gedanken Poseners halte, dass Einigkeit keinen Wert an sich darstellt. In den letzten Tagen und Wochen ist mir vermehrt aufgefallen, wie häufig Einigkeit und eine Überwindung von Spaltungen gefordert wird, ohne dass da irgendeine Substanz dahinter stehen würde. Was genau soll Einheit überhaupt bedeuten? Nicht einmal in totalitären Staaten wie dem Nazi-Reich oder der DDR kann man von einer geeinten Bevölkerung sprechen. Was genau das in Demokratien bedeuten soll, die ihrer Natur nach Pluralistisch angelegt sind, ist vollkommen unklar. Hinter diesen Forderungen scheinen mehr allzu oft eher antidemokratische Instinkte zur Streitvermeidung und Ruhe zu liegen. Besonders im Zusammenhang mit den offen ausgetragenen Meinungskämpfen innerhalb der Ampelregierung fällt das nach der ständigen Kritik an der Friedhofsruhe der Merkeladministrationen besonders auf.

4) The World Needs a Unified and Resolute America

Der Autor beklagt die mangelnde Ernsthaftigkeit der USA und ihre politische Instabilität angesichts globaler Krisen. Er kritisiert die kindische Politik, insbesondere der Republikaner, und warnt vor der Aussicht, dass Donald Trump erneut als Präsidentschaftskandidat nominiert werden könnte. Die Abwesenheit eines Sprechers im Repräsentantenhaus wird als Zeichen politischer Dysfunktion betrachtet. Der Artikel hebt die potenzielle Kandidatur von Jim Jordan, einem Anhänger von Trump und Leugner der Wahlergebnisse, als gefährlich für die Demokratie hervor. Die Blockierung von militärischen Beförderungen und Botschafterernennungen im Senat durch Mitglieder wie Tommy Tuberville und Rand Paul wird ebenfalls kritisiert. Der Autor appelliert an verantwortungsbewusste Akteure, die politische Situation zu stabilisieren, um die USA als Führungsnation in globalen Krisenzeiten zu stärken. (Tom Nichols, The Atlantic)

Passend zu Fundstücke 3 habe ich in diesen Artikel hier zitiert, weil er einerseits ebenfalls auf der Förderung von irgendwie gearteter Einheit basiert - als ob es etwa jemals einen Konsens im Repräsentantenhaus bezüglich seines/seiner Sprecher*in gegeben hätte. Letztlich fast Nichols hier den Wunsch nach einer Rückkehr zu von ihm unterstützten politischen Konsensen zusammen, wie sie etwa die amerikanische Außenpolitik über längere Zeit oder zeitweise die amerikanische Wirtschaftspolitik (Stichwort Washington Consensus) bestimmt haben. Typisch amerikanisch dagegen ist die völlige Überhöhung mit dem „die Welt braucht ein geeintes und entschlossenes Amerika“. Ich bin sofort dabei, dass wir im Westen das brauchen, würde aber vermuten, dass diese Aussage in Beijing auf weniger Gegenliebe stoßen wird.

5) Angeschlagen - und immer weiter nach rechts

Die Analyse berichtet über den angeschlagenen Zustand der britischen Konservativen und ihres Parteichefs Rishi Sunak vor dem Parteitag. Sunaks unsichere Führung, unklare politische Ausrichtung und Anbiederung an rechtspopulistische Positionen werden kritisiert. Trotz schlechter Umfragewerte bleibt ein Rauswurf Sunaks vorerst unrealistisch. Die Labour-Partei verfolgt eine taktische Strategie des Abwartens. Sunaks Politik wird als orientierungslos und inkonsequent beschrieben, insbesondere in Bezug auf Migration und Klimapolitik. Die Innenministerin Suella Braverman wird für ihre rechtspopulistischen Äußerungen kritisiert. Sunaks U-Turns in politischen Entscheidungen und das Stoppen von wichtigen Projekten werden als Belastung für die Partei angesehen, die den Boden des Konservatismus verlässt. Spekulationen über eine mögliche Nachfolge werden diskutiert. (Anette Dittert, Tagesschau)

Der pessimistische Grundton dieses Artikels ist leider ebenso berechtigt wie besorgniserregend. Die britischen Konservativen sind, genauso wie ihr amerikanisches Pendant, immer weniger eine konservative Partei und verwandeln sich in eine rechtspopulistische Truppe. Die Rehabilitierung und Integration von Nigel Farage ist an dieser Stelle wie ein Kanarienvogel in der Kohlemine. Es ist allerdings nicht damit zu rechnen, dass sich das in näherer Zukunft ändern wird oder dass die Tories irrelevant werden. Selbst ein überzeugender Wahlsieg Labours bei den anstehenden Unterhauswahlen wird daher zwar für eine Legislaturperiode wieder mehr Rationalität in die britische Politik bringen, ähnlich wie in den USA unter Joe Biden allerdings keine nachhaltige Änderung des Problems mit sich bringen, dass eine Hälfte des politischen Spektrums destruktiv und irrational wird.

Resterampe

a) Die Reaktionen in Gaza zeigen gerade wieder schön Reflexe aller möglichen Seiten. Während auf Seiten von Linken der Hamas-Terror mit Verweis auf die Okkupation Gazas relativiert wird, findet die CDU in Sachsen-Anhalt, unser größtes Problem sei eine mögliche Flüchtlingswelle aus Gaza. Zeigt schön, dass man immer alles durch die eigene Brille liest.

b) Der RBB trommelt gerade ganz laut für die Abschaffung der ÖRR. Idiotenbande.

c) Wo wir es letzthin von Entbürokratisierung haben, gerade bei so was wäre das dringend geboten.

d) Wie viele Leute auf Basis völligen Blödsinns politische Entscheidungen treffen und Analysen anstellen ist echt bemerkenswert.

e) Tarifrunde – Ist die Forderung von 10,5 Prozent hoch genug? Lehrer-Kritik: „Das wäre immer noch ein kräftiger Reallohn-Verlust“.

f) Nikki Haley Is the New Ron DeSantis. Sehr großzügig gegenüber Nikki Haley.

g) Zur Sachleistungsdebatte eine rechtliche Einordnung.

h) Dieser Podcast über die Rolle von deutschen Ex-Nazis und Stasipersonals beim Aufbau des syrischen Geheimdiensts ist sehr spannend. Was mir dabei als Gedanke kam: das Decken der Nazischlächter (Alois Kaltenbrunner!) durch Gehlen und Globke, um in Syrien Einfluss zu behalten, scheint mir völlig nutzlos gewesen zu sein. Was genau war der Wert für die BRD, syrische Diktatoren beim Aufbau eines der übelsten Folterdienste der Welt zu stützen? Wäre da nicht der "wertebasierte" Ansatz gewinnbringender gewesen, besonders wenn man bedenkt, wie viele verbündete Länder Kaltenbrunner auf Fahndungslisten hatten, etwa Frankreich? Welchen Gewinn hatte das Land davon, hochrangige Nazimassenmörder mit gefälschten deutschen Pässen zu versorgen?

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