Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann.
Fundstücke
1) Alex Capus: Der Tag, an dem ich das Gendern erlernte
Als ich dann mit dem Buch in die Gänge kam, stellte ich fest: Fürs literarische Schreiben ist das Gendern kein Problem. Meine Heldin heisst Susanna. Sie ist eine Frau und versteht sich als solche, für sie verwende ich die weibliche Form. Ihr Ehemann heisst Claude. Er ist ein Mann und will einer sein. Und so weiter. Man berichtet in einer Erzählung ja meist von konkreten Menschen und nicht von Gruppen, in denen andere mitgemeint sein könnten. Mag sein, dass ich die Menschen auf einem Dampfschiff früher als Passagiere bezeichnet hätte. Jetzt nenne ich sie halt Reisende. Da fällt mir kein Zacken aus der Krone. Fair enough, wie gesagt. Ich selbst möchte auch nicht mitgemeint sein in einer grammatikalischen Form, die mich eigentlich ausschliesst. Und es gibt keinen Zweifel daran, dass unsere Sprache und Kultur seit Jahrtausenden patriarchalisch geprägt ist. Das muss ein Ende haben. Es ist ein schönes und ehrbares Ziel, dass alle Menschen frei und gleich und geschwisterlich zusammenleben und dass diese Gleichheit sich auch in unserer Kultur und Sprache manifestiert. Ob Schrägstriche, Sternchen und Pünktchen dafür das richtige Mittel sind, bezweifle ich. Ich vermute, das sind Zeichen des Umbruchs, die künftige Generationen als drollige Phänomene unserer Epoche registrieren werden. Persönlich neige ich zur Ansicht, dass wir auf dem Weg zu Gleichheit und Freiheit für alle nicht die Differenzen vertiefen, sondern den Akzent aufs Gemeinsame, Verbindende legen sollten. (Alex Capus, NZZ)
Ich finde Capus' Selbstreflexion sehr interessant, vor allem, was seinen Punkt mit dem dem Übergangspunkt angeht. Ich teile die Überzeugung, dass Binnen-I, Genderstern und Co vermutlich nicht das sind, was in 100 Jahren im Deutschen Standard sein wird. Aber als Übergangsform ist es so gut wie alles andere, und letztlich dienen all diese Formen vor allem dazu, ein Bewusstsein zu schaffen den Weg für andere Lösungen frei zu machen. Vielleicht wird das, wie Capus im Interview vorschlägt, ein generisches Neutrum sein. Vielleicht irgendetwas ganz anderes. Vielleicht entscheidet sich die Gesellschaft auch, bei der rein männlichen Form zu bleiben und entkontextualisiert diese. Who knows? Es ist ein Prozess, dem man offen gegenübertreten muss.
2) Schutz vor Corona, Schutz vor Einsamkeit: Lasst junge Menschen im Freien lernen
Seit bald einem Jahr besteht die deutsche Schulpolitik, deren Verantwortliche auf den merkwürdigen Namen Kultusminister hören, nicht so sehr im Infektionsschutz in der Schule (sonst wären zum Beispiel flächendeckend Luftfilter installiert), sondern hauptsächlich darin, die räumliche Anordnung der Kinder, Jugendlichen und ihrer Lehrenden zueinander zu verwalten. Die jungen Menschen sollen wahlweise zuhause bleiben – was aus vielen guten Gründen und mit wachsender Dauer der Pandemie für ihre Entwicklung als Problem gilt – oder aber im Klassenzimmer zusammensitzen und damit riskieren, sich und ihre Familien anzustecken. Daraus ist eine ungute Lage entstanden, in der sich in Hashtags gesprochen #SchulenundKitasZu und #SchulenundKitasAuf gegenüberstehen. [...] Über viele Jahrzehnte hinweg blieb die Praxis, Heranwachsende in großen Gruppen in Zimmer zu versammeln und zum stundenlangen Sitzen Ellenbogen an Ellenbogen zu zwingen, weitgehend unhinterfragt. Daran änderte sich auch wenig, als bei Erwachsenen das Sitzen aufgrund von Thrombosegefahr, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Übergewicht und anderen Risiken zum „neuen Rauchen“ avancierte und Schulärzte begannen, bei immer mehr Kindern die Folgen von Bewegungsmangel zu diagnostizieren. Die Aufgabe der Institution Schule besteht offensichtlich noch immer ganz wesentlich darin, Kinder und Jugendliche räumlich in Sicht- und Hörweite einer Lehrperson zu verdichten und von der Welt fernzuhalten, über die sie etwas lernen sollen. (Christian Schwägerl, Riffereporter)
Ich teile die Begeisterung für außerschulische Lernorte nicht ganz so wie Schwägerl - sie haben ihren Platz, sicherlich, aber als Fundament einer Umgestaltung des Bildungssystems sehe ich sie nicht. Das Aufbrechen der Klassenzimmer-Infrastruktur dagegen ist absolut notwendig. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, wobei die schlimm genug wiegen. Die Tische und Stühle sind ergonomische Desaster, Sitzen ist ohnehin ungesund und die Luft in den Zimmern notorisch schlecht, was Konzentration erschwert und Krankheiten verbreitet. Dazu kommt der Zwang hin zu einem lehrkraftzentrierten Lernen, das jeder Erkenntnis der Bildungsforschung der letzten 50 Jahre hohnlacht. Das klassische Klassenzimmer ist jeder Hinsicht ein Fossil.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat mehrfach Ökonomen kritisiert, wegen ihrer Berechnungen zum Gasembargo, aber auch schon zuvor wegen angeblich kruder Berechnungen zur Rente. Wie erklären Sie sich das Ökonomen-Bashing der Politik?
Das ist eine gute Frage. Es scheint so, als ob manche Regierungsvertreter nur dann auf Experten hören, wenn diese die vorgefertigte Meinung der Politik vertreten. Wenn aber die Ergebnisse nicht zur politischen Überzeugung passen – oder noch schlimmer, Stimmen im Wahlkampf kosten könnten, dann wird die Verwendung von Gleichungen oder Modellen kritisiert oder die Veröffentlichung von Gutachten verzögert. [...]
Ist nicht auch ein Problem, dass manche Ihrer Kollegen mit einem argen Selbstbewusstsein ausgestattet sind? Gerade in der Debatte über ein Gasembargo hatte man den Eindruck, manche Volkswirte ließen keine Meinung zu, die von ihrem Modell und ihrer Prognose abweicht.
Menschen mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein gibt es doch überall. Eine Diskussion auf Twitter ist immer verkürzt, und bei diesem Thema sind sicherlich teilweise die Emotionen hochgekocht. Was man aber auch bedenken muss, ist, dass wissenschaftliche Diskussionen in der Sache immer hart geführt werden, weil man zunächst mal jedes Ergebnis infrage stellt. Das ist für Außenstehende oft gewöhnungsbedürftig, und manche Menschen reagieren persönlich beleidigt auf inhaltlich harte Kritik. In der wissenschaftlichen Diskussion geht es um das verwendete Modell oder die gewählten Parameter und Annahmen. [...]
Haben Sie noch den Eindruck, die Politik hört auf Ökonomen und bezieht die Ratschläge in ihre Überlegungen ein? Oder werden sie einfach wegignoriert, weil ihre Vorhersagen oder Ratschläge nicht in den politischen Entscheidungsspielraum passen?
An vielen Stellen klappt der Austausch ja sehr gut. Daher bin ich so verwundert über die Aussagen einzelner Spitzenpolitiker dazu und reagiere deshalb vielleicht auch ein wenig allergisch. Es ist ja völlig okay und auch klar, dass eine politische Entscheidung nicht immer die ökonomisch sinnvollste Lösung wählt, weil noch andere Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Das könnte die Politik meines Erachtens noch viel besser erklären. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand sagt: „Vielen Dank für die Rechnungen, die sind sehr nützlich für unseren Entscheidungsprozess. Wir wählen jedoch nicht die ökonomisch präferierte Variante A, sondern nehmen Plan C, weil diese unter Abwägung der politischen Risiken und folgender Gesichtspunkte einfach sinnvoller erscheint“. (Martin Greive, Handelsblatt)
Zu einem gewissen Teil kann ich Peichls Kritik völlig verstehen. Die politischen Mechanismen müssen für Fachwissenschaftler*innen wirklich furchtbar frustrierend sein (sie sind es ja meist schon für Politiker*innen...). Man hat das ja in der Pandemie auch gesehen, Christian Drosten etwa kann davon ein Liedchen singen. Aber andererseits kann Politik in einer Demokratie auch nicht einfach 1:1 Expert*innenratschläge umsetzen, schon allein weil - siehe auch hier Drosten - es die eine klar zweisbar richtige Expertise ohnehin nicht gibt. Peichl sieht das natürlich, was man ihm - anders als diversen anderen Ökonom*innen - auch zugute halten muss. Aber sein Vorschlag, so gut gemeint und verständlich er auch ist, geht an den Realitäten politischer Kommunikation und ihren Anforderungen weit vorbei.
Natürlich bleiben viele Probleme in der Ukraine ungelöst oder schwierig. In der ukrainischen Gesellschaft gibt es immer noch viele Vorurteile gegenüber den Ideen des Feminismus sowie gegenüber LGBT+-Menschen. Laut einer von der soziologischen Gruppe „Rating“ im August 2021 durchgeführten Umfrage haben 47 % der Ukrainer:innen eine negative Einstellung zu LGBT-Menschen. Der Anteil dieser Befragten ist jedoch in der Altersgruppe 16-24 Jahre am niedrigsten (24 %). Die Ukraine war elf Jahre lang nicht imstande, die „Istanbul-Konvention“ zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu ratifizieren, vor allem wegen des Widerstands religiöser Organisationen, die aktive Gegner:innen der Gleichstellungsideen sind. Schließlich stimmte das ukrainische Parlament am 20. Juni 2022 für die Ratifizierung, die möglicherweise von der eigentlichen Absicht angetrieben wurde, der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidatin zu verleihen. [...] In Kriegszeiten können traditionelle Vorstellungen von Frauen- und Männerrollen verstärkt werden, da in den meisten Ländern, auch in der Ukraine, Frauen nicht zum Wehrdienst eingezogen werden. Auch die Staatsbürgerschaft ist stark geschlechtsspezifisch geprägt. Demnach ist es die Pflicht eines Mannes als Bürger, sein Land im Krieg zu verteidigen. Es ist die Bürgerpflicht der Frauen, die Männer im Krieg zu unterstützen. So werden in Kriegszeiten Geschlechtervorstellungen konstruiert, die auf der essentialistischen Vorstellung beruhen, dass Männer Beschützer sind, während Frauen durch ihre angeblich verletzliche „Natur“ geschützt werden. Das im Februar 2022 in der Ukraine verabschiedete Gesetz über das Kriegsrecht basiert auf dieser Perspektive: Die meisten zivilen Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren können mobilisiert werden und dürfen das Land nicht verlassen. (Olena Strelnyk, Geschichte der Gegenwart)
Ich finde die Betonung, welche Fortschritte die Ukraine gemacht hat, ebenso wichtig wie das Eingeständnis, welche Defizite noch bestehen und wie der Krieg hier für einen echten Rückschritt gesorgt hat. Aber ich will vor allem bei den Fortschritten bleiben. Es wird mir, je mehr ich mit der Thematik beschäftige, immer klarer, welchen Einschnitt 2014 für die Ukraine bedeutete. In diesem Jahr wandte sich das Land dem Westen zu, nicht nur politisch, sondern gesamtgesellschaftlich. Der Reformprozess, der damals begonnen wurde, ist hierzulande weitgehend unbemerkt geblieben. Aber er ist einer der Gründe dafür, dass Putin den Angriff überhaupt gestartet hat. Die Macht des "neuen Adels" der Geheimdienstcliquen wurde weitgehend gebrochen, das Land demokratisierte sich und gab seinen Bürger*innen reale Freiheiten. Klar ist das für den Autokraten unerträglich.5) Japan’s Secret to Taming the Coronavirus: Peer Pressure
Japan’s Covid death rate, just one-twelfth of that in the United States, is the lowest among the world’s wealthiest nations. With the world’s third-largest economy and 11th-largest populace, Japan also tops global rankings in vaccination and has consistently had one of the globe’s lowest infection rates. Although no government authority has ever mandated masks or vaccinations or instituted lockdowns or mass surveillance, Japan’s residents have largely evaded the worst ravages of the virus. Instead, in many ways, Japan let peer pressure do a lot of the work. [...] The term “face pants” has become a buzzword, implying that dropping a mask would be as embarrassing as taking off one’s underwear in public. Many factors have undoubtedly contributed to Japan’s coronavirus outcomes, including a nationalized health care system and severe border controls that have outlasted those in many other countries. But social conformity — and a fear of public shaming that is instilled from the youngest ages — has been a key ingredient in Japan’s relative success in Covid prevention, experts say. Unlike in many other countries, Japanese law does not permit the government to order lockdowns or vaccinations. The majority of the population followed each other in heeding guidance from scientific experts who encouraged people to wear masks and avoid situations where they would be in enclosed, unventilated areas with large crowds. (Motoko Rich/Ben Dooley, New York Times)
Aus großer Freiheit wächst große Verantwortung. Japan zeigt ziemlich klar, wie das in der Pandemie eigentlich funktionieren müsste: Menschen übernehmen für sich und andere Verantwortung, und die Gesellschaft setzt das eigenständig durch. Dann kann man problemlos ohne strenge Regeln auskommen. Nur, in einem Land, in dem die Kubicki-Liberalen den Ton angeben, wo es als unzulässige Freiheitseinschränkung gilt auf das richtige Tragen der Maske hinzuweisen, wo genügend Leute der Überzeugung sind, ihre Freiheit andere zu infizieren sei das wichtigste, funktioniert das eben nicht. Freiheit und Verantwortung gehören direkt zusammen. Leider scheinen das in Deutschland nur wenige zu begreifen.
Bisher tendierte der Liberalismus dazu, seinen Ideen die Kraft zuzutrauen, sich über kurz oder lang von allein durchzusetzen. Das scheint sich geändert zu haben. Obwohl die staatlichen Institutionen und erst recht die Regierung fest in der Hand liberaler Prinzipien sind, sehen deren Vertreter ihre kulturelle Hegemonie unter dem Druck der „antiliberalen Konterrevolution“ (so Fücks, Timothy Garton Ash zitierend) offenbar keineswegs gesichert. So ist die eigentümliche Konstellation zu erklären, dass ein Regierungsvertreter zugleich um „organische Intellektuelle“ im Sinne Gramscis wirbt und damit zu einer Art kulturellem Guerillakampf um die Avantgarde der Zukunft aufruft. Ganz allein steht er damit übrigens nicht. Unlängst hatte auch der 23 Jahre alte Autor Nikodem Skrobisz einen „liberalen Gramscismus“ propagiert: Wir bräuchten „viel mehr liberale Rapper, liberale Dichter und liberale Romanautoren, die die liberale Mentalität massentauglich machen und vermenschlichen“. (Marc Siemons, FAZ)
Ich mache jetzt einfach auch mal den offensichtlichen Scherz: Man sollte annehmen, dass der freie Markt diese Künstler*innen hervorbringt. Aber Spaß beiseite, grundsätzlich hat Siemons einen Punkt. Der Liberalismus spielt im kulturellen Betrieb allenfalls eine Nebenrolle. Dass wenig Vertrauen in die Überzeugungskraft der eigenen Ideen besteht, ist bereits seit Langem absehbar. In den Diskussionen über die FDP, die wir hier im Blog hatten, war die Prämisse stets, dass nur ein Teil der Gesellschaft (signifikant unter 20%) für die Ideen der Partei offen ist. Es ist eine vergleichsweise schmale Schicht, die liberal denkt, wesentlich schmaler als in angelsächsischen Ländern. Woran das liegt? Schwierig zu sagen. Ein Teil ist sicher die Milieubezogenheit des Liberalismus in Deutschland, er konnte sich nie ernsthaft als Vertretung zahlreicher anderer Milieus präsentieren. Und ich rede hier explizit nicht mehr von der FDP; keine Partei erreicht in Deutschland noch riesige Repräsentationswerte. Aber die Anschlussfähigkeit anderer Themen ist wesentlich höher. Wäre gespannt, wie eher liberal tickende Menschen das sehen.
7) Defund the Democrats: Stop giving money to the party of surrender and inaction
For many Democratic candidates, the prospect of losing Roe has been their only point of leverage with voters, the linchpin of a "vote blue no matter who" electoral strategy. In practice, this has translated into a hollow "we're not the other party" message of fear. [...] In 2016, after Democratic leadership colluded to defeat the pro-choice candidate Bernie Sanders in the primaries — when some polls showed Sanders doing better than Hillary Clinton against Donald Trump — they picked Clinton, who had at times stigmatized abortion and who chose Sen. Tim Kaine of Virginia as her running mate. [...] Leaders do not blame, they lead. Movers and shakers such as Lyndon Johnson, warts and all, knew that the art of politics necessitated deal-making to get things accomplished. Today's Democrats rely on the art of inaction and lecture voters on what they contend is possible, rather than working to make the purportedly impossible become reality. Their argument is always that if the public wants us to protect X (such as abortion right), they need to elect more Democrats in November. How many more Novembers are we supposed to wait? Voting for the same milquetoast neoliberal centrists who made the collapse of Roe possible (or inevitable) will do nothing to change our current political reality. Indeed, that is the definition of insanity: doing the same thing over and over again and expecting different results. Women deserve better, as do all of us. The Democratic Party should recognize this, and change course dramatically. (Nolan Higdon/Mickey Huff, Salon)
Deiser Artikel kommt aus derselben Idiotenecke wie dieser von 2016. Die radikale Linke hat echt überhaupt nichts aus diesem Desaster gelernt. Die Vorstellung, dass es keinen relevanten Unterschied zwischen den beiden Parteien gäbe und dass es besser wäre, nicht für Democrats zu stimmen und so effektiv den Republicans zum Sieg zu verhelfen, um so einen radikalen Wandel innerhalb der Democrats zu erzwingen ("heightening the contradictions") ist nicht totzukriegen, ganz egal, wie oft das völlig danebengeht. Wir kennen das auch aus Deutschland, wo die radikale Linke gerne die SPD als Hauptgegnerin identifziert; Sahra Wagenknecht kuschelt ja auch gerne mit der AfD, wäre aber nicht bereit, Klingbeil auch nur zehn Sekunden lang ihr Eis halten zu lassen. Völliger Wahnsinn.
8) Hugh Hewitt vs. Bob Woodward and the Washington Post
So: Hugh Hewitt says that Bob Woodward is “not a responsible journalist.” Presumably, that means that Hewitt does not—or did not—believe that the Post should have been publishing Woodward’s work. The Post believed then and believes now that Woodward is a responsible journalist. That Woodward’s work conforms to the standards of the profession and adds to the public discourse. When it comes to fundamental disagreements about the soundness of someone’s judgment, it doesn’t get much bigger. If Hewitt’s view of Woodward was the least bit defensible, then the Post shouldn’t be publishing Woodward’s reporting. If Hewitt’s view of Woodward is not at all defensible, then how could the Post trust his judgment on anything? How could it, in good conscience, present such to readers as just one more viewpoint to consider? We believe you should trust Bob Woodward’s professional integrity! But maybe you don’t! Everyone’s entitled to their opinion! And so there Hewitt is, on the Post’s op-ed page, chugging along with his column once a week since 2017. The Post smiling and grinning while serving him up to readers as just another exercise in ideological diversity. To be clear: This isn’t a Hugh Hewitt problem. God bless him—he is what he is. You might as well get mad at water for being wet. No, this is a Washington Post problem. And maybe even a liberalism problem. Do you ever get the sense that diversity has turned into a suicide pact? (Jonathan Last, The Bulwark)
Über dieses Dilemma habe ich hier im Blog ja schon öfter geschrieben. Auf der einen Seite will man Meinungsdiversität, aber auf der anderen Seite macht es keinen Sinn, bad-faith-actors den Raum zu geben, weil die den Diskurs nur zerstören, aber nicht voranbringen. Anders ausgedrückt: das Meinungsspektrum zu erweitern macht nur Sinn, wenn die Leute, die man sich holt, ein Interesse an Diskurs haben. Es macht wenig Sinn, einfach nur Trolle oder Sprachrohre zu holen (einer der Gründe, warum ich Talkshows so verabscheue; die Leute schreien sich nur an, da ist null Interesse an Diskurs). Und gerade Medien wie die New York Times oder Washington Post haben da einige sehr fragwürdige Entscheidungen für Kolumnenplätze getroffen.
9) "Nicht alle Eltern erkennen, dass sich das Kind unter Druck setzt" (Interview mit Björn Nölte)
ZEITmagazin ONLINE: Oft merken Kinder schon beim Übergang von der Grundschule zu weiterführenden Schulen: Wer einen guten Durchschnitt hat, hat die Wahl. Wer keinen guten Durchschnitt hat, hat ein Problem. Was sagen Noten über Schülerinnen und Schüler überhaupt aus?
Nölte: Sie geben an, wie testfähig eine Schülerin oder ein Schüler in bestimmten Szenarien ist. Sie geben aber nicht an, wie groß das Entwicklungspotenzial oder das Leistungsvermögen sind. [...]
ZEITmagazin ONLINE: Sollten Noten so schnell es geht abgeschafft werden?
Nölte: Wenn wir Noten abschaffen wollen, müssen wir erst eine neue Lernkultur etablieren, die dialogisches Lernen in den Vordergrund stellt: viel Feedback, viele Gespräche mit den Schülern, um Selbstreflexion und Eigenverantwortung zu stärken und darüber die Kinder und Jugendlichen in die Lage zu versetzen, ihre eigene Leistung einzuschätzen. Dann fällt es auch leichter, nach Stärken zu suchen und Fehler nicht mehr als etwas Schlimmes anzusehen. In der Pädagogik ist man sich inzwischen einig, dass es um die sogenannten vier K als Zukunftskompetenzen gehen muss. Die erreicht man nicht mit Noten.
ZEITmagazin ONLINE: Was verbirgt sich hinter den vier K?
Nölte: Kommunikation, Kollaboration, Kritisches Denken und Kreativität im Sinne von Problemlösen. Wir brauchen also eine neue Form von Prüfungen, die diese vier K ermöglichen oder einfordern. In den Prüfungen, die wir derzeit haben, gelten zum Beispiel Kommunikation und Kollaboration als Betrugsversuche. Das heißt, wir bilden in den Prüfungen immer noch etwas ganz anderes ab, als wir bei Lernenden eigentlich als Kompetenzen fördern wollen. (Katrin Blum, ZEIT)
Die Abschaffung der Noten ist natürlich nur ein ideales Fernziel; nichtsdestotrotz ist es wichtig, entsprechende Schritte zu gehen. Noten stehen nachhaltigem Lernerfolg massiv im Weg, von den im Interview angesprochenen psychologischen Problemen für die Schüler*innen einmal ganz zu schweigen. Ich mag auch Nöltes Formulierung, dass Noten "Testfähigkeit" aussagen. Genau das ist es nämlich. So wie Intelligenz das ist, was Intelligenztests prüfen, so sind Noten eben das, was die Schule prüft.
Viele wichtige Kompetenzen können aber eben durch Noten nicht abgeprüft werden, dementsprechend spielen sie in der Schule keine Rolle (werden aber gleichwohl mit salbungsvollen Worten in die Bildungspläne geschrieben). Das betrifft auch die Prüfungsformate. Die baden-württembergische Prüfungsordnung ist extrem strikt, so dass nur schriftliche Klausuren mit einem klaren Zeitbereich und Aufgabenspektrum zulässig sind, was selbst später so wichtige Formen wie mündliche Prüfungen (die werden im Abi häufig zum ersten Mal (!) angewandt), Portfolios und vieles mehr nicht gehen. Das sollte selbst jene stören, die Noten an sich für unverzichtbar halten. Und die Vergleichbarkeit und Objektivität von Klausurergebnissen sind eh eine große Lebenslüge der Schule.
10) „Man kann der Bevölkerung etwas zumuten und trotzdem beliebt sein“ (Interview mit Hedwig Richter)
Bleiben wir noch einen Moment bei der Klimakrise: Inwiefern sind demokratische Systeme im Vergleich mit autokratischen Systemen für den Kampf gegen die Klimakrise gewappnet?
Auch autoritäre Systeme können Klimapolitik machen. Was Demokratien aber auszeichnet, ist, dass sie die komplexen Anforderungen der unterschiedlichen Funktionssysteme wie Politik, Wissenschaft oder Ökonomie integrieren und nicht zuletzt dadurch die Mehrheit der Bevölkerung mitnehmen können. Und dennoch können sie ihre Politik im parlamentarischen System notfalls auch gegen Mehrheiten durchsetzen. Natürlich ist es mühsam, die Bevölkerung zu überzeugen. Aber wir erleben, dass die Klimakrise eines der wichtigsten Themen für die Wähler:innen ist. Ich hatte oft den Eindruck, die Bevölkerung wäre viel eher bereit, die Zumutungen im Kampf gegen die Klimakrise auf sich zu nehmen, als es die Regierung machen wollte. Demokratie ist eigentlich das System, das Zumutungen für die Bevölkerung mit demokratischer Legitimation umsetzen kann. [...]
Weiter gedacht: Ohne das Verständnis einer hybriden Identität ist es kaum möglich, auf Menschheitsherausforderungen wie die Klimakrise zu reagieren, die uns alle angeht, oder?
Absolut. Uns muss klar sein, dass wir zum Beispiel keine Politik machen können, ohne den globalen Süden im Blick zu haben. Nicht nur aus Solidarität, auch aus reinem Egoismus. Was passiert denn, wenn im globalen Süden die Regierungen beschließen, die Industrialisierung wie wir durchlaufen zu wollen? Das wäre nicht in Einklang zu bringen mit dem Kampf gegen die Klimakrise. Man muss eine solidarische Politik hinbekommen. Zu der hybriden Identität gehört daher unbedingt ein globaleres Selbstverständnis. (Anna-Katharina Ahnefeld, FR)
Ich bin mir etwas unsicher, ob ich die These der Zumutbarkeit in Demokratien teile. Autokratien haben historisch wenig Probleme, ihrer Bevölkerung etwas zuzumuten. Ich würde es eher so sehen: Zumutungen in Demokratien können beachtliche Ausmaße erreichen, solange sie eine breite Mehrheit hinter sich haben und so legitimiert sind. Aber das kann sich sehr schnell ändern. Ein Beispiel dafür ist der Zweite Weltkrieg: die britische und amerikanische Bevölkerung trug große Zumutungen während des Krieges, aber als er sich absehbar dem Ende neigte, kippte die Stimmung rapide (einer der Gründe, warum Truman so willens war, die Atombomben einzusetzen).
Das Problem bei der Klimakrise ist, dass von einer solchen breiten Mehrheit keine Rede sein kann. Selbst wenn wir die hätten - und sie wird entstehen, wenn die Folgen erst krass genug sind, daran habe ich keinen Zweifel - ist es kaum vorstellbar, dass sie den Erstkontakt mit solchen Maßnahmen überlebt UND über Dekaden aufrechterhalten werden kann. Wir sehen das ja auch bei Corona oder dem Ukrainekrieg: Es gibt praktisch keine echte Bereitschaft, signifikante Änderungen auf sich zu nehmen, weswegen die Ampel ja auch alles versucht, keine solchen durchführen zu müssen.
Resterampe
a) A requiem for the Supreme Court, in der New York Times.
b) Surprise! Das 9-Euro-Ticket ist ein ziemlicher Erfolg.
c) David Frum hat eine ziemlich gute Erklärung, warum die Abtreibungdebatte so polarisiert und von der Mehrheitsmeinung entfernt ist.
d) Das Problem der Meritokratie in Prüfungen.
e) Ich lese viel über die Ergebnisse der Studie, aber außer dem üblichen ideologischen Blabla vom Philologenverband nichts darüber, woher die Probleme kommen. Weiß da jemand mehr?
f) Hervorragende Kritik am jüngsten Offenen Brief zur Ukraine.
g) Gutes Beispiel dafür, dass das Personal in Ministerien ziemlich wichtig ist.
h) Guter Artikel über die Unterschiede von Marx und Keynes.
i) Scholz' Kommunikation ist echt nur noch grauenhaft. Er wirkt für mich mehr und mehr wie eine Fehlbesetzung im Amt.
j) Sehr gute Betrachtung zum Thema Wissenschaftsfreiheit angesichts des HU-Desasters.
k) Weiterhin kümmert die illegale Pushback-Praxis keine Sau. Vor allem nicht diejenigen, die sonst so auf Grundrechte und Rechtsstaat pochen.
l) Gute Einordnung von Romneys Essay im Atlantic.
m) Die Journalistin Nicole Dieckmann über das Gendern und warum sie aufgehört hat.
n) Für Interessierte hier was zur Causa Ataman. Ich kenne mich zu wenig aus um eine fundierte Meinung zu haben, aber: wenn Rechte beklagen, dass sie zu radikal ist, und Linke beklagen, dass sie zu wenig radikal ist, kann sie so falsch nicht sein.
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