Da träumt ein krimineller Antidemokrat davon, sein Land zu einer Großmacht zu machen, überzieht seine Nachbarstaaten deswegen mit Krieg und scheut sich auch nicht, nur schwer nachvollziehbare Bedrohungen als Vorwand dafür zu nutzen. Da denken nun alle, durchaus zu Recht, an Wladimir Putin – allerdings ist er nicht der Einzige, der so handelt.
Ziemlich genau trifft das nämlich auch auf Benjamin Netanjahu, den Premierminister Israels, zu. Nur kommt der irgendwie dabei deutlich besser weg – zumindest in unseren Medien und was die Reaktion unserer hiesigen Politiker anbelangt. Wem das nun ein bisschen zu weit hergeholt erscheint, dem möchte ich doch die m. E. sehr deutlichen Parallelen aufzeigen.
Zunächst einmal dürfte an der kriminellen Energie Putins kaum ein Zweifel bestehen, denn dieser hat sich seinen Machtapparat so geformt, wie es ihm am besten zugutekommt. Mit Oppositionellen springt er alles andere als zimperlich um, und auch über seine kleptokratischen Anwandlungen wurde ja bereits mehr als einmal berichtet.
Da Israel (noch) demokratischer und rechtsstaatlicher ist als Russland, kommt Netanjahu mit seinen Machenschaften nicht so einfach durch wie Putin, sodass er gerade vor Gericht steht. Die Beschuldigungen: Betrug, Untreue und Bestechlichkeit. Und dafür könnte er bei einem Schuldspruch dann auch einige Jahre hinter Gitter kommen (s. hier). Natürlich bestreitet Netanjahu, dass die Vorwürfe zutreffen, aber das ist ja auch nicht weiter verwunderlich. Zumal er auch kürzlich auf andere Weise gezeigt hat, dass er es mit Recht und Gesetz nicht allzu genau nimmt, als aus seinem Büro Geheimdokumente an Medien durchgesteckt wurden, um politisch davon profitieren zu können (s. hier).
Die antidemokratischen Eigenschaften von Putin brauche ich hier bestimmt nicht aufzuzählen, denn auch diese wurden ja vielerorts hinlänglich thematisiert. Auch wenn Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kaum Chancen hatte, eine demokratische Kultur zu entwickeln, so hat Putin doch alles darangesetzt, jede diesbezügliche Entwicklung zu unterbinden, sodass Wahlen im heutigen Russland nicht viel mehr als eine Art Folklore sind, mit der er sich seine Machtposition bestätigen lässt.
Das würde Netanjahu wohl auch gern so handhaben, allerdings ist er damit noch nicht so weit, da die Demokratie in Israel doch um einiges gefestigter ist, als sie es in Russland war. Allerdings versucht er mit seinen rechtsextremen Spießgesellen schon recht viel, um gegen Rechtsstaat und Demokratie vorzugehen, was von Mordechai Kremnitzer im September 2023 als „Putsch von oben“ bezeichnet wurde. Auch Eliav Lieblich und Adam Shinar sahen im März 2023 die Demokratie in Israel durch die versuchte Demontage des Obersten Gerichtshofs durch die Netanjahu-Regierung als gefährdet an (s. hier). Dagegen gab es dann auch reichlich Proteste in Israel, sodass Netanjahu der Terroranschlag der Hamas durchaus gelegen kam, um dann durch den darauf folgenden Krieg in Gaza von diesem Thema ablenken zu können.
Auch dass mittlerweile in Israel recht rabiat mit Polizeigewalt gegen regierungskritische Demonstranten vorgegangen wird und die Medien zunehmend eindimensional über den Krieg in Gaza berichten (bzw. eben auch nicht berichten), beklagt Fania Oz-Salzberger in einem Artikel für das IPG-Journal. Das sind nun auch alles keine wirklich demokratischen Handlungsweisen, die da von der Netanjahu-Regierung praktiziert werden.
Putins Motivation für den Angriff auf die Ukraine wird ja immer wieder damit begründet, dass er Großmachtfantasien habe und den Zusammenbruch der Sowjetunion, den er als Katastrophe ansieht, so quasi wieder rückgängig machen will. Oft wird dann auch ein Bezug auf das zaristische Großreich Russlands hergestellt. In jedem Fall scheint Putin sich mit einer Rolle Russland als „Regionalmacht“, wie es ja provokant vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama bezeichnet wurde, abfinden zu wollen.
Nun sind solche Vorstellungen vielen in der Netanjahu-Regierung auch nicht gerade fremd. Das sieht man nicht nur an den immer wieder vorangetriebenen Siedlungen, sondern auch daran, dass schon 2017 in einem kritischen Artikel in der taz über ihn und seine Haltung zu einer Friedenslösung mit den Palästinensern von „Großisrael“ die Rede ist – eine Vorstellung, der die rechtsradikalen Koalitionspartner von Netanjahu generell sehr zugeneigt sind. Und wenn man sieht, dass zurzeit nicht nur in Gaza die Bevölkerung dezimiert und vertrieben wird, sondern israelische Truppen auch im Libanon aktiv sind und gerade nach dem Sturz des syrischen Despoten Baschar al-Assad nun auch die Gelegenheit des dortigen Machtvakuums nutzen, um dort fleißig herumzubombardieren (s. hier), dann sieht das für mich zumindest stark so aus, als sollte die eigene Machtsphäre, wenn nicht sogar das eigene Territorium schon im Sinne dieses „Großisrael“ erweitert werden.
Damit sind wir auch schon beim Thema Krieg: Dass Russland unter Putin da keine Hemmungen kennt, ist ja nun spätestens seit Februar 2022 und dem Einmarsch in der Ukraine mehr als offensichtlich. Und natürlich kann man das Vorgehen von Israels Armee in Gaza, Libanon und Syrien nicht einfach so damit gleichsetzen, denn schließlich gab es ja den entsetzlichen Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober 2023, der dann schon nicht nur eine Bedrohung darstellte, sondern einen konkreten Angriff. Genauso wie Israel natürlich immer wieder von der Hamas aus Gaza und der Hisbollah aus dem Libanon mit Raketen beschossen wurde. Wobei man natürlich berücksichtigen muss, dass die russischstämmigen Menschen in der Ostukraine sich seit dem Jahr 2014 durchaus so fühlen könnten wie die von Hamas und Hisbollah attackierten Israelis, wie beispielsweise ein Bericht von Spiegel TV aus dem Jahr zeigt.
Und dann gibt es da noch weitere, eindeutigere Parallelen, wie ich finde: So dürften die Palästinenser den immer weiter vorangetriebenen völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungsbau auf ihrem Territorium vermutlich ähnlich empfinden wie die Ukrainer die 2014 durch Russland vorgenommene ebenfalls völkerrechtswidrige Annektierung der Krim. Und spätestens mit den aktuellen Angriffen auf syrische Militäranlagen wird nicht auf eine konkrete, sondern nur eine mögliche Bedrohung reagiert – was ja auch Russlands Argumentation bezüglich immer mehr westlicher Waffenlieferungen an die Ukraine und deren möglicher Nato-Mitgliedschaft ist. Mal abgesehen davon, dass die syrische territoriale Integrität Netanjahu offenbar so wenig zu interessieren scheint, wie das bei Putin und der Ukraine der Fall ist.
Zudem sind sich wohl die meisten darüber einig, dass Putin nur auf eine Gelegenheit gewartet hat, die Ukraine anzugreifen, er diesen Krieg also schon vom Zaun brechen wollte. Wie schaut es damit dann bei Netanjahu aus? Nun, zumindest gibt es etliche Kritiker, wie beispielsweise die oben bereits verlinkte Fania Oz-Salzberger, die seiner Regierung eine erhebliche Mitschuld an der Eskalation geben, die dann zum Terrorangriff des 7. Oktober 2023 geführt haben – ohne dass dabei eine Täter-Opfer-Umkehr vorgenommen oder die Hamas in irgendeiner Weise in Schutz genommen wird. Auch ich hatte in einem Artikel vom Oktober letzten Jahres einiges zu dem Thema zusammengetragen, denn das „Versagen“ des israelischen Geheimdienstes, der diesen Terrorangriff angeblich nicht hat kommen sehen, hat doch einige Menschen sehr verwundert – zumal der Mossad ja sonst eher nicht für seine Ineffektivität bekannt ist. Und wenn man dann noch in der Times of Israel liest, dass ägyptische Sicherheitskreise Israel kurz zuvor vor genau einem solchen Anschlag gewarnt haben, sich dann aber über das völlige Desinteresse an dieser Information wunderten, dann drängt sich die Vermutung auf, dass der 7. Oktober vielleicht doch sehr gern in Kauf genommen wurde, um dann einen Grund zu haben, massiv gegen die Palästinenser in Gaza vorzugehen. Dass Angehörige des entführten Israelis kritisieren, dass viel zu wenig zur Befreiung ihrer Verwandten unternommen würde, rundet das Bild dann ab, dass es Netanjahu und seinen rechtsextremen Spießgesellen (die im Vorfeld zudem schon öfter von einer Eroberung Gazas fabuliert haben und das Massaker an der palästinensischen Zivilbevölkerung fröhlich tanzend gefeiert haben – s. hier) eben nicht primär um den Schutz ihrer Landsleute geht.
Dass russische Soldaten in der Ukraine Kriegsverbrechen begehen, wurde ja auch schon mehrfach aufgezeigt und scharf kritisiert. Nun scheint das alles, so grausam der Krieg dort wütet, doch bei Weitem nicht so grausem zu sein wie das, was in Gaza abgeht. Wenn man sich da mal Berichte von Ärzten und Sanitätern, die vor Ort waren, durchliest (s. hier und hier) oder Berichte von Augenzeugen, von denen ich vor einiger Zeit einige mal in einem Artikel zusammengetragen habe, dann kommt man nicht umhin, hier von Völkermord zu sprechen – wie es ja beispielsweise auch der israelische Holocaust-Forscher Amos Goldberg in einem Interview klar formuliert hat und auch ein Bericht von Amnesty International feststellt (s. hier).
Im Gegensatz zu den Menschen in der Ukraine sind die Zivilisten in Gaza nämlich in einem sehr kleinen Gebiet zusammengepfercht und können von dort nicht fliehen.
Auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) befasst sich mit dem Vorwurf des Völkermordes und hat, genauso wie vor einiger Zeit wegen des Angriffs auf die Ukraine für Putin, Haftbefehle gegen Netanjahu und seinen ehemaligen Verteidigungsminister Yoav Gallant erlassen. Und hier kommen wir nun zum entscheidenden Unterschied: Anders als bei Putin wird der Haftbefehl von der deutschen Bundesregierung nicht akzeptiert (s. hier). Sollte Netanjahu also nach Deutschland kommen, müsste er keine Verhaftung fürchten.
Das ist nicht nur ein Affront gegenüber dem IStGH, sondern es erschüttert auch massiv die deutsche Glaubwürdigkeit auf internationalem Parkett, wenn man so einer überstaatlichen Institution einfach nur nach Gutdünken mal folgt, mal eben nicht. Zudem zeigt dieses Verhalten, dass Menschenrechte für einen nichts universell Gültiges sind, sondern dass es davon abhängt, wer gegen sie verstößt. Und das ist dann natürlich Doppelmoral par excellence.
Wie sehr diese Doppelmoral in Deutschland verbreitet ist, sieht man auch an der unterschiedlichen Berichterstattung bei den Themen Ukraine und Gaza. Da wird dann beispielsweise schnell bei Kritik an der israelischen Regierung „Antisemitismus“ geschrien, wohingegen sich Kritik an Russlands Feldzug in der Ukraine selten mit dem Vorwurf der generellen Russlandfeindlichkeit konfrontiert sieht.
Das mag nun natürlich zum Teil auch der historischen Schuld aufgrund des Holocausts geschuldet sein, nur glaube ich nicht, dass man dieser gerecht wird, wenn man die Menschenrechte, deren Formulierung ja eine unmittelbare Folge der nationalsozialistischen Verbrechen war, derart selektiv auslegt bzw. sogar ignoriert, wen es einem gerade in den Kram passt.
Ein weiterer und durchaus schnöderer Grund für diese offen zur Schau gestellte Doppelmoral dürfte geopolitischer und auch monetärer Natur sein: Israel ist nun mal ein befreundetes Land, das auch noch in großem Stil Waffen von uns kauft, Russland ist das nicht, da verkauft Deutschland hingegen Waffen an dessen Gegner. Rheinmetall und Co. freuen sich sehr darüber, deren Aktien sind im Höhenflug seit einiger Zeit – da haben sich die Investitionen in Lobbyisten und Politiker dann doch so richtig gelohnt.
Doch das würde natürlich niemand offen so sagen, also argumentiert man lieber moralisch mit Gut und Böse, wobei diese Kategorien dann doch recht fließend und daher m. E. unglaubwürdig ausgelegt werden. Ich für meinen Teil finde ja, dass sowohl Putin als auch Netanjahu Verbrecher sind, denen das Handwerk gelegt werden sollte, da ihr Weltbild und ihre Art der Staatsführung meinen Vorstellungen von Demokratie und Rechtsstaat komplett entgegenstehen – mal davon abgesehen, dass ich für Kriegsverbrecher ohnehin keine Sympathien hege. Aber damit gehöre ich wohl eher zu einer Minderheit, zumindest was den politischen und medialen Betrieb angeht, denn dort werden Kriegsverbrechen eben je nach Interessenlage instrumentalisiert.
Schäbig, aber leider bezeichnend für unsere Zeit …
Ergänzung vom 18. 12.:
Aktuell wird offensichtlich, wie sehr die Pressefreiheit in Israel unter Beschuss gerät. So berichtet ein Artikel in der taz vom Vorgehen gegen regierungskritische Medien, das vom staatlichen Boykott bis hin zu gewalttätigen Übergriffen auf Journalisten reicht. Die davon betroffene Zeitung Haaretz stellt Netanjahu deswegen auf eine Stufe mit Erdogan, Orbàn – und auch Putin.
Dazu passt dann, dass laut einer Meldung des Deutschlandfunks die Zahl der inhaftierten Journalisten vor allem auch in zwei Ländern gestiegen ist im letzten Jahr: in Russland und in Israel.
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