Der „Zweite Karabachkrieg“ hat den Status Quo im Südkaukasus verändert. Aserbaidschan eroberte viele Gebiete zurück, Russland und die Türkei stärkten ihren Einfluss in der Region. Zugleich wurde der Konflikt auch zum bislang größten Beweis, dass Kampfdrohnen die Zukunft der Kriege dauerhaft verändern könnten.

Der Hauptgrund für den Erfolg der aserbaidschanischen Armee in Bergkarabach war die unbestreitbare Luftdominanz über dem Schlachtfeld. Die Neuheit lag diesmal jedoch in der Tatsache, dass diese Dominanz nicht durch traditionelle Kampfjets, sondern nahezu ausschließlich durch unbemannte Kampfdrohnen erreicht wurde.

Die zahlenmäßig gut aufgestellten, aber veralteten armenischen Luftabwehrsysteme zeigten sich weitgehend hilflos gegen die gut koordinierten Drohnenschwärme aus türkischer und israelischer Produktion, die Baku in den Kampf schickte.

Konfliktbeobachter sehen im aserbaidschanischen Vorgehen wenn nicht eine Revolution, so zumindest ein neues Kapitel in der modernen Kriegsführung.

Vorzeichen schon lange da gewesen

Die Vorzeichen, dass Kampfdrohnen in der nahen Zukunft die Kriegsführung und das politische Gleichgewicht auf taktischer Ebene verändern könnten, waren bereits seit Jahren in verschiedenen Teilen der Welt immer deutlicher zu sehen.

  • Im September des letzten Jahres griffen jemenitische Huthis mit primitiven Drohnen die saudische Ölinfrastruktur an. Infolge des Angriffs wurde ein Teil der saudischen Ölproduktion zum Erliegen gebracht und schlagartig fünf Millionen Barrel Öl für einige Zeit vom Weltmarkt genommen. Der Angriff verunsicherte die internationalen Börsen und sorgte für Preisschwankungen.
  • Im Januar und Februar dieses Jahres spielten Kampfdrohnen die Schlüsselrolle beim türkischen Einsatz in der syrischen Provinz Idlib gegen die syrische Armee (SAA). Obwohl die SAA dennoch weit vorrücken konnte, verzeichnete sie in Folge der Drohnenangriffe erhebliche Verluste.
  • Im libyschen Bürgerkrieg erzielte die pro-türkische Sarradsch-Regierung im Mai wichtige Siege gegen Feldmarschall Haftar...erst nachdem Ankara der Sarradsch-Armee (GNA) ihre Drohnen zur Verfügung stellte. Zuvor erzielte Haftar einen Sieg nach dem nächsten. Nachdem die Angriffsdrohnen in den Kampf einbezogen wurden, wurde seine Armee (LNA) weit aus Tripolis zurückgeworfen. Die Frontlinie stabilisierte sich erst in der Nähe der Stadt Sirte.

In anderen Worten: die durch Kampfdrohnen erzielten taktischen Erfolge mehrten sich in der letzten Zeit mit progressiver Geschwindigkeit.

Der Einsatz in Bergkarabach

Der Höhepunkt dieser Entwicklung fand jedoch zwischen dem 27. September und dem 10. November in Bergkarabach zwischen Aserbaidschan und Armenien statt. Erstmals agierten die Kampfdrohnen auf einem extrem kleinen Gebiet, wo sowohl die Dichte verschiedener Luftabwehrsysteme als auch das bergige Terrain eigentlich keinen breiten Einsatz der Luftwaffe hätten zulassen sollen, so zumindest die Sichtweise in Armenien. Die meisten Systeme, die die Armenier in der „Republik Bergkarabach“ zur Verfügung hatten, waren sowjetische „Osa“-Abwehrsysteme (zu Deutsch: Wespe), die noch in den 1970-er Jahren entwickelt wurden. Trotz ihres beachtlichen Alters gelten diese Systeme als relativ effektiv gegen Kampfhubschrauber und Kampfjets.

Doch die von Aserbaidschan eingesetzten Drohnen aus israelischer und türkischer Produktion zeigten eindrucksvoll, wie wenig ältere Abwehrsysteme gegen Drohnen unternehmen können. Ihre veralteten Radare konnten die Drohnen meist nicht erkennen, sodass die Systeme gnadenlos zerschossen wurden.

Nachdem die Hauptmasse der armenischen „Osa“-Luftabwehr eliminiert wurde, nahmen die Kampfdrohnen modernere Abwehrsysteme ins Visier, die Jerewan in einer sehr limitierten Zahl hatte.

Diese einzelnen moderneren Systeme hatten keine Chance gegen die Masse der Kampfdrohnen und wurden durch systematische und dauerhafte Drohnenangriffe ebenfalls nach und nach während der wochenlangen Kampfhandlungen ausgeschaltet.

Die Erkenntnis, die damals offensichtlich wurde, ist banal wie aber auch folgenreich: Ein noch so modernes Luftabwehrsystem wird gegen einen Drohnenschwarm machtlos sein. Jedes Abwehrsystem führt nur eine bestimmte Anzahl an Raketen mit sich (eine hochentwickelte BUK etwa nur 3 Raketen, eine S-300 vier Raketen). Wenn diese Raketen verschossen sind, wird das System absolut hilflos.

In ganz einfachen Worten ausgedrückt: Wenn es im Himmel mehr Drohnen gibt, als ein Abwehrsystem Abwehrraketen, so zieht das System den Kürzeren.

Nachdem Aserbaidschan schließlich auch diese moderneren Systeme weitgehend ausgeschaltet hatte, konnte seine Armee nahezu ungehindert die armenischen Verteidigungslinien zermalmen.

Kurz darauf brach die Front zusammen, die strategisch wichtige Stadt Shusha fiel und Armenien musste eine Waffenruhevereinbarung unterzeichnen, die den Verlust von nahezu dem gesamten Bergkarabach bedeutete.

Welche Drohnen eingesetzt wurden

Aserbaidschan nutzte vor dem Konflikt sein vielfach höheres Militärbudget und kaufte in Israel und der Türkei massenhaft Kampfdrohnen ein.

Aus Israel wurden vor allem Aufklärungs- und sogenannte „Kamikaze“-Drohnen eingekauft. Die Letzteren tragen Sprengsätze mit sich und werden vom „operator“ aus dem Kontrollzentrum direkt in die gegnerische Technik gelenkt. Baku nutzte israelische Aufklärungsdrohnen vom Typ Heron TP und Hermes sowie Kamikaze-Drohnen vom Typ Sky Striker und Harop. Zudem haben Aserbaidschan und Israel eine gemeinsame Produktion von weiteren Aufklärungs- und Kamikazedrohnen vom Typ Aerostar, Orbiter1K und Orbiter-3.

Um es auf den Schlusspunkt zu bringen: Israel hat Aserbaidschan signifikant zum Sieg in Bergkarabach verholfen, und sei es auch nur durch die massenweise Lieferung und gemeinsame Produktion der Aufklärungs- und Kampfdrohnen.

Die noch größere Hilfe lieferte sicherlich die Türkei.

Türkische Bayraktar Tb2-Drohnen zeigten schon in Libyen und Syrien, dass sie das Kampfgeschehen stark beeinflussen können. In Bergkarabach setzten sie ihre Erfolgsgeschichte fort. Der Einsatz der Bayraktar-Drohnen ist auch deshalb brisant, weil Aserbaidschan nie offiziell diese Drohnen eingekauft hatte. Dies bedeutet, dass im Himmel über Bergkarabach explizit türkische Drohnen agierten und nahezu mit hundertprozentiger Sicherheit von türkischen Militärs bedient wurden.

Die direkte türkische Einmischung in diesem Krieg ist durch den Tb2-Einsatz nahezu unbestreitbar.

Militärische Vorteile der Drohnen

Die militärischen Vorteile von Drohnen gegenüber „klassischen“ Kampfjets oder Kampfhubschraubern zeigten sich eindrucksvoll in den Konflikten in Syrien, Libyen und Bergkarabach:

  • Einsatzdauer: Drohnen können stunden-, teilweise tagelang nahezu unsichtbar über dem Schlachtfeld schweben und auf den richtigen Zeitpunkt für den Angriff warten. Kein Kampfjet oder Kampfhubschrauber der Welt vermag das, da ihre Einsätze zeitlich extrem begrenzt sind.
  • Einsatzkosten: Die Produktionskosten für Drohnen sind um ein Vielfaches niedriger als für Kampfjets. Selbst mit relativ begrenzten Finanzmitteln lassen sich ganze Drohnenschwärme zusammenstellen. Der Verlust von Drohnen hat dementsprechend auch keinen großen Kosteneffekt. Die Türkei verlor Dutzende Tb2-Kampfdrohnen über Libyen und Syrien und verkraftete diese Verluste ohne Probleme.
  • Keine Personalopfer: Man riskiert keine Opfer unter Piloten. Die „operators“ der Drohnen sitzen kilometerweit weg in ihren Einsatzzentralen.
  • Weniger politische Risiken: Der Einsatz von Drohnen hat viel weniger politische Risiken als der Einsatz von Kampfjets. Ein Kampfjet, der im Luftraum eines Drittstaates operiert, kann zu erheblichen politischen Turbulenzen führen. Eine Drohne, die in einen fremden Luftraum hineinfliegt, ist aus politischer Sicht viel ungefährlicher.
  • Propaganda-Effekt: Und schließlich natürlich der große Propaganda-Effekt. Jeder Drohnen-Treffer wird durch die Kamera-Optik aufgenommen und lässt sich medial aufpushen. Deutlich zu sehen war dieser Effekt im türkischen Einsatz in Idlib gegen die syrische Armee. Dieser Einsatz war - realistisch betrachtet - bestenfalls „teilweise erfolgreich“. Großspurig wurde am Einsatzbeginn von Ankara angekündigt, die gesamte „Sicherheitszone Idlib“ unter Kontrolle bringen zu wollen. Daraus wurde nichts. Die syrische Armee rückte trotz hoher Verluste weit vor, nahm etwa die Hälfte der Idlib-Zone ein und erfüllte wichtige strategische Ziele. Der Propaganda-Effekt lag aber auf türkischer Seite. Die Bilder, wie türkische Bayraktar Tb2-Drohnen die syrischen Panzer und „Pantsir“-Abwehreinheiten zerstören, gingen um die Welt und sorgten in der Türkei selbst für einen Freudentaumel und im Ausland für steigendes Kaufinteresse an diesen Drohnen.

Wo die nächsten Drohneneinsätze und Eskalation drohen

Die nächste große Eskalation, hervorgerufen auch durch den Einsatz von Kampfdrohnen, droht derzeit ausgerechnet auf dem europäischen Kontinent – nämlich im Osten der Ukraine.

Kiew zeigt immer offener, dass eine Militärlösung für den Donbass-Konflikt angestrebt wird. Die Vorbereitungen für eine mögliche „Winteroffensive“ sind nicht zu übersehen. Kiew verlegt Truppen an die Konfliktlinie, trainiert „Offensivoperationen“ und kündigt einen „Plan B“ für den Donbass an.

Zu alledem kaufte die ukrainische Regierung bei der Türkei bereits sechs Tb2-Drohnen, weitere fünf Stück sollen folgen. Kiew versucht es auch gar nicht zu verbergen, dass diese Drohnen für konkrete, bereits geplante Militäreinsätze gekauft werden. Konfliktbeobachter gehen davon aus, dass Kiew die Erfahrungen aus Bergkarabach nutzen und nach der gleichen Strategie gegen die selbst erklärten Donbass-Republiken vorgehen will, wie Aserbaidschan gegen die „Republik Arzach“.

Dazu gehört vor allem der massive Einsatz von Kampfdrohnen.

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