Ein allzu guter Nikolaus

„Hans-Günther Sorgenbrecher ist tot. Er starb nach
kurzer schwerer Krankheit im Dienste der gesamten
Gemeinde. Wir alle haben ihn auf dem Gewissen!“ Der Pfarrer, der diese Worte sprach, schaute vorwurfs-
voll  von  der  Kanzel  herab,  in  jedes  einzelne  Gesicht  der
verstreuten, rumsitzenden Trauergäste. Vorne, in der
ersten Reihe, saß Frau Sorgenbrecher und schluchzte.
Neben ihr die kleine Tochter. Sie hatte den Vater verloren.
Die Trauergäste sahen verstohlen zu Boden, denn sie
wussten genau, was der Pfarrer meinte. Ja, sie trugen eine
Mitschuld. Einige Frauen rutschten unruhig auf den harten
Kirchenbänken.  Unruhig  nicht  der  Worte  wegen,  sondern
wegen des Abendessens, das ja gerade heute besonders gut
werden  sollte.  Musste  die  Trauerfeier  denn  ausgerechnet
an Heiligabend sein? Einigen konnte man den Unmut ob der
Terminierung  durchaus  ansehen.  Andere  blätterten  emsig
in  alten  Kochbüchern,  die  sie  geschickt  in  der  übergroßen
Handtasche verbargen. Gans oder nicht Gans, das war hier
die  Frage.  Die  Zeiten,  wo  es  Würstchen  mit  Kartoffelsalat
gab, sind vorbei. Denn gerade in der Vorweihnachtszeit wird
man  mit  Fernsehendungen  von  Sterneköchen  überrannt,
die  die  feudalsten  Menüs  auftischen.  Waren  es  früher  die
unseligen Talkshownachmittage mit Bärbel Schäfer,
Arabella, Britt und Meisers Hans, bügelt die fleißige
Hausfrau heute mit Lafer, Lichter, Lecker, Schubeck,
Zacherl, Frank Rosin, Lea Linster, den Kochprofis, Kochduell,
Rach  der  Restauranttester  und  Grillt  den  Henssler.  Wieso
grillt  den  eigentlich  keiner?  Täglich  kommen  sie  in  unsere
Wohnzimmer  und  Kochen  und  Kochen  und  Kochen.  Man
fragt sich, wieso kochen die nicht in ihren Restaurants? Aber
das haben die nicht  mehr nötig. Die sind ja inzwischen die
größten  Stars.  Die  kochen  ja  nicht  nur,  nein,  die  hängen  
auch noch in jeder Talkshow rum. Wäre Lanz nicht auch so
schon  schlimm  genug,  nein,  wir  müssen  ja  auch  alles  über
das  Leben  unserer  Promiköche  erfahren.  Bahnchef  Grube
hat jetzt Spitzenköchin  Cornelia Poletto geheiratet. Ob jetzt
das Essen im ICE besser wird? Der hätte doch früher nie eine
Köchin  genommen,  doch  nicht  eine  Friteusenschwenkerin
und Schnitzelpaniererin. Früher hatten Köche eine 16-Stunden-Schicht und
rochen  nach  verranztem  Fett  und  heute  rennen  sie  über
jeden roten Teppich. Stehen in den Gazetten mit Homestory
und Liebesleben. Füllen die größten Hallen mit Koch-
comedy.  Und  Lafern  nur  Scheiße!  Und  Lichter  macht  mit
seinem  Butterfimmel  seinen  Reibach  und  ist  Gast  in  jeder
Quizshow. Man fragt sich unweigerlich, welche Berufs-
gruppe kriegt demnächst seine eigene Show und wird in den
Fernseholymp gehievt? Sendungen wie: Das Müllduell, Das
Promieinzelhandelsduell, Der ZDF Fernsehgärtner, Will-
kommen  bei  Bäcker  Schulze  ...  kann  auch  nicht  schlechter
sein wie die benebelte Carmen. Der internationale
Frühschoppen, heute mit vier Winzern aus fünf Ländern, mit
dem Thema: „Die Reblaus - Geheimwaffe von Putin?“ Aber  kehren  wir  zurück  ...  wahrscheinlich  kriegen  die
Straßenkehrer auch noch eine eigene Sendung ... Verkehrte
Welt!  Aber nun endgültig zurück zu unserer Trauerfeier. „Mit
gerade  einmal  zweiundvierzig  Jahren  starb  Hans-Günther
Sorgenbrecher, in der Blüte seiner Jahre. Er war ein
wundervoller Ehemann, ein hingebungsvoller Vater, ein
Vereinskamerad, ein wahrer Menschenfreund.“ Langsam kam der Pfarrer in Fahrt. Seit seinem
Rhetorikseminar konnte er wirklich die Gemeinde
mitreißen.  Auch  die  Kosten  für  einen  Privatcoach  hatten
sich  ausgezahlt.  Doch  erst  die  Vorlesungsreihe  Show  vor
Inhalt  bei  John  de  Mol,  brachte  ihm  den  Durchbruch.  Zur  
Abrundung  hat  ihn  der  Pfarrgemeinderat  auch  noch  zum
Dschungelcamp angemeldet. Er ist zwar noch nicht
berühmt,  aber  das  hat  er  ja mit  den  anderen  Teilnehmern
gemein. Der  Pfarrer  illustrierte  seine  Trauerrede  mit  privaten
Dias von Hans-Günther Sorgenbrecher. Erst als ein Bild mit
Hans-Günther als Nikolaus erschien, schluchzte die
Gemeinde. Der Pfarrer registrierte dies mit innerer Freude,
fast  wäre  ihm  ein  Jubelschrei  entwichen,  so  froh  war  er,
endlich  die  Gemeinde  im  Mark  getroffen  zu  haben.    Nun
konnte er zu seinem  furiosen  Finale  ansetzen:  „Liebe
Gemeinde,  wir  alle  ...“ Er  wiederholte: „Ja,  wir  alle  haben
uns  schuldig  gemacht.“ Er ließ eine Pause ... ein
dramaturgisches  Stilmittel  nannte  es  der  Rhetoriklehrer  ...
und es wirkte ... Peinliches Schweigen allerorten ... nicht mal
das Seitenblättern der Kochbücher war zu hören.
„Hans-Günther  hat  sich  für  uns  alle  auf  dem  Altar  der
Weihnachtszeit  geopfert.  Wir  werden  diesen  6.  Dezember
niemals  vergessen.  Er  wird  uns  als  Gedenktag  ewig  daran
erinnern, welch ein selbstloser und aufopfernder Men-
schenfreund unser Hans-Günther war. Denn dieser Tag war
der  Beginn  eines  Martyriums,  welches  er  für  uns  auf  sich
geschultert  hat. An jenem Tag“, fast überschlug sich seine
Stimme, „haben wir Schuld auf uns geladen. Ob wir jemals
unser Seelenheil wiederfinden, jemals nachts  wieder ruhig
schlafen können oder jemals einen Nikolaustag wieder
unbeschwert  feiern  können,  vermag  ich  nicht  zu  sagen.
Denken wir an seine Familie, an seine Witwe und die kleine
Jaqueline-Charlotte-Jennifer, die durch uns zu einer
Halbwaisen  wurde und ohne ihren geliebten Vater nun ihr
Leben  fristen  muss.  Ihnen  gebührt  zukünftig  unsere  ganze
Liebe. Euer Schmerz ist unser Schmerz. Darüber kann auch
die  Lebensversicherungssumme  von  zwei  Millionen  nicht
hinwegtrösten.“ Über Frau Sorgenbrechers Gesicht huschte  
ein  Grinsen.  Sie  sah  verstohlen  nach  hinten zu  Ulf  Ulffson,
dem örtlichen Briefträger, der sich die letzten Tage rührend
um sie gekümmert hatte. Für  einige  Gemeindemitglieder  zu  sehr.  Er  kam  damals
als schwedischer Austauschpraktikant zur hiesigen Post und
erfreute  sich  bald  großer  Beliebtheit,  besonders  bei  den
weiblichen Gemeindemitgliedern. Er gilt als großer Frauen-
versteher, um es freundlich zu formulieren. Schon vor
Jahren wurde gemunkelt, dass die kleine Jaqueline-
Charlotte-Jennifer  doch  schon  sehr  Blond  sei.  Auch  ihre
frühe Leidenschaft für Knäckebrot und Köttbullar heizte die
Gerüchteküche  an.  Als  sie  sich  zum  letzten  Geburtstag  ein
IKEA  Schlafzimmer  wünschte,  ging  ein  Aufschrei  durch  die
Gemeinde und konnte nur im letzten Augenblick durch eine
einstweilige  Verfügung  des  Stadtrates  verhindert  werden.
Spätestens  da  wussten  es  alle,  dass  Ulf  Ulffsen  nicht  nur
Briefe in den Briefkasten steckte. Alle  wussten es. Alle, bis
auf  Hans-Günther.  Durch  seine  Gutmütigkeit,  gepaart  mit
seiner Einfältigkeit, bemerkte er nichts. Selbst als der
Pfarrer  vier  Wochen  hintereinander  die  Geschichte  von
Maria  Magdalena  predigte,  kam  ihm  kein  Verdacht.  Im
Gegenteil. Er freute sich darüber, dass er nicht nur dreimal
am  Tage  Post  erhielt,  sondern  auch  die  Briefe  und  Pakete
abgeholt wurden. Selbst Briefmarken wurden ihm ins Haus
geliefert. Er lobte auf seinem wöchentlichen Stammtisch die
deutsche Post und deren Serviceleistung.  Dabei  weiß  jeder,  Serviceleistung  und  Post  sind  zwei
Begriffe,  die  niemals  miteinander  in  Einklang  zu  bringen
sind. Man  verbindet ja auch nicht Mario Barth mit Niveau,
McDonald ́s mit gutem Essen oder Angela Merkel mit
Erotik!  Der  Pfarrer  warf  einen  Blick  auf  Ulf  Ulffsen,  der  nichts,
aber  auch  gar  nichts  mit  christlicher  Nächstenliebe  zu  tun
hatte.  Die  ganze  Gemeinde  folgte  seinem  Blick  und  alle  
starrten auf Ulf Ulffsen. Mit einem Schlag spürte man eine
Eiseskälte! Im  Film  würde man  jetzt Nebelschwaden  durch  die
Kirchenpforte strömen oder zumindest die Musik aus  Spiel
mir  das  Lied  vom  Tod  erklingen  lassen.  Ein  einzelner  Spot
würde Ulf Ulffsen beleuchten und jedem Filmfan wäre klar,
der überlebt diesen Film nicht. Wahrscheinlich wird er von
der  Meute  gemeuchelt  oder  in  den  Selbstmord  getrieben.
Der Polizei würde man sagen, er sei ins Taufbecken gefallen
und  darin  ertrunken,  dabei  sei  die  Taufkerze  umgefallen
und hätte das Taufwasser entzündet, welches aus Versehen
von der Küsterin, beim Befüllen von Weihwasser, mit Benzin
verwechselt  wurde.  Woher  das  Messer  in  seinem  Rücken
käme,  könne  man  sich  jedoch  nicht  erklären.  Die  Polizei
hätte  keinen  Grund,  diesen  Aussagen  nicht  zu  glauben!
Lediglich  das  Messer  und  die  45  Einstiche  ließen  Fragen
offen. Der Fall würde dann als „Tod ohne Fremdeinwirkung“
zu  den  Akten  gelegt.  Schlussszene  im  Film  wäre  dann  ein
fröhliches Gemeindefest bei Zwetschgenkuchen und Kaffee.
Und unter dem Tisch sieht man die kleine Jaqueline-
Charlotte-Jennifer, die fröhlich mit einem Messer aus einem
Stück Holz einen Elchkopf schnitzt. Von  diesen  Gedanken  bekam  Ulf  Ulffsen  zum  Glück
nichts mit. Er bemerkte auch  nicht, wie alle ihn hasserfüllt
anstarrten,  denn  er  war  eingeschlafen  und  träumte  von
seiner nächsten Postzustellung. Aber nun fragen sie sich, was ist an jenem denkwürdigen
sechsten Dezember passiert? Warum musste Hans-Günther
Sorgenbrecher sterben? Wieso  fühlt  sich  eine  ganze  Gemeinde,  samt  Pfarrer,
schuldig? Und wann ist diese unselige Geschichte endlich zu
Ende?  Um  diese  Fragen  zu  beantworten,  müssen  wir  diesen
Trauergottesdienst  verlassen  und  das  Rad  der  Ereignisse
zurückdrehen. Wir befinden uns nun im Schlafzimmer der Familie
Sorgenbrecher,  an  einem  kalten  Novemberabend.  Hans-
Günther liest gerade die Morgenpost, seine Frau liegt neben
ihm im Bett. Das tut sie heute nicht zum ersten Mal. Denn
sie  hatte  nachmittags  schon  einmal  eine  Postzustellung.
Hans-Günther  empfand  es  immer  als  einen  Service  seiner
Frau,  dass  die  tägliche  Post  auf  dem  Nachttisch  auf  ihn
wartete.  
„Schatz“, rief sie völlig unvermittelt aus, „Wir brauchen
einen Nikolaus!“ Hans-Günther  war  von  der  Idee  sofort  begeistert  und
meinte,  er  könne  ja  in  diesem  Jahr  selbst  den  Nikolaus
geben. Theaterspielen hätte ihm von jeher viel Spaß
gemacht  und  er  hätte  in  der  Schule  damals  viel  Erfolg
gehabt, mit der Darstellung einer Runkelrübe. „Und vergiss
nicht“,  meinte  er,  „im Krippenspiel war ich ein
überzeugendes Schaf!“ Sie erinnerte sich, wie er im vergangenen Jahr als
blökendes  Schaf  durch  die  Kirche  lief.  Ein  erwachsener
Mann in einem Ensemble, bestehend aus Viertklässlern. Er
leitete  das  Krippenspiel  schon  seit  Jahren  und  musste  für
den kleinen Nils-Peter einspringen, der an Ziegenpeter
erkrankte. Nils-Peter steckte auch noch einige andere
Kinder  an  und  so  war  die  ganze  Schafherde  dahingerafft
worden  und  Hans-Günther  musste  nun  die  ganze  Herde
alleine  darstellen.  Bei  der  Erinnerung  daran,  lief  ihr  noch
heute ein eiskalter Schauer den Rücken runter. Niemals war
ihr etwas so peinlich.
„Vielleicht  sollte  doch  jemand  anderes  den  Nikolaus
spielen“, meinte sie.  „Unsere  Jaqueline-Charlotte-Jennifer
könnte  dich  erkennen,  und  dann  ist  ihr  Glauben  an  den  
echten Nikolaus nachhaltig gestört. Denk daran, letztes Jahr
hat sie dich auch als Osterhase enttarnt.“ Im vergangenen Jahr hatte er sich ein Osterhasen-
kostüm im Internet bestellt, leider drei Nummern zu klein.
Damals riss das Kostüm und er rief ein: „Scheiße“ aus. Seine
Tochter, Jaqueline-Charlotte-Jennifer, erkannte ihn an
seiner  Stimme  und  weinte  über  die  ganzen  Feiertage  und
hat seitdem ein „Ei-Trauma“. Sie verweigert seitdem bei der
Nahrungsaufnahme jede Form von Eierspeisen. Schon beim
Anblick eines Spiegeleis beginnt sie zu weinen. Sie
verweigerte ihren  Geburtstagskuchen, als sie  sah, wie ihre
Mutter ein Ei ins Mehl schlug. Auf Anraten eines
Psychologen wurden sämtliche Eier von der Sorgen-
brecherschen Speisekarte gestrichen und sicherheitshalber
auch  gleich  Hühner,  die  als  Ei-Lieferant    ebenfalls  bei  der
kleinen Jaqueline-Charlotte-Jennifer einen irreperablen,
seelischen Schaden auslösen könnten. Und  so  wurde  nun  im  Hause  Sorgenbrecher  die  halbe
Nacht  darüber  diskutiert,  ob  und  wer  nun  in  diesem  Jahr
den Nikolaus spielen soll. Als der Morgen graute, kam man zu folgendem Ergebnis.
Hans-Günther verpflichtete sich Schauspielunterricht zu
nehmen und seine Frau sollte das Kostüm selbst herstellen. In  den  nächsten  Tagen  nähte,  strickte,  klöppelte  und
bastelte sie nachts am Kostüm und er ging zweimal
wöchentlich  zur  alten  Frau  Schneider,  die  in  ihrer  Jugend
einmal  Edelstatisterie  am  Stadttheater  von  Niedererlen-
bach gemacht hatte. Zusätzlich nahm er Stimm- und
Atemtraining, sowie Phonetikunterricht beim hiesigen
Pfarrer. Ein Tai-Chi-Kurs sollte ihm noch den letzten
Feinschliff im Bezug auf sein Körpergefühl geben. Die
Bibliothekarin der Gemeinde versorgte ihn mit Hintergrund-
informationen  über  Leben  und  Wirken  von  Nikolaus.  Ein
Journalist der Lokalzeitung erarbeitete mit ihm die  
Nikolausrede.  Zwei  Psychologen,  ein  Germanist  und  ein
Historiker überprüften die Rede auf Glaubwürdigkeit,
historische  Wahrheit,  kindgerechte  Umsetzung,  sowie  ob
der Jambus in der in Reimform geschriebenen Rede
eingehalten wurde. Dann wurde an der Phonetik gearbeitet.
Hier zeigte sich, dass sein O zu wünschen übrig ließ. Das  O
müsse  mehr  rund  und  weniger  oval  gebildet  werden.  Am
Tag vor Nikolaus trafen sich alle Experten zu einer
Generalprobe im Gemeindehaus. Nach sieben Stunden und
mehreren  Krächen  unter  den  Experten  kam  man  überein,
mehr  könnte  man  nicht  mehr  machen  und  ging  ermattet
und  mit  vielen  Tipps  und  Ratschlägen  auseinander,  in  der
Hoffnung,  dass  alles  gut  ginge  und  im  nächsten  Jahr  wolle
man  sich  doch  ab  September  treffen,  denn  man  hätte  viel
zu wenig Zeit gehabt. Natürlich hatte es sich längst in der Gemeinde
herumgesprochen,  dass  hier  etwas  ganz  Großes  entsteht.
Nach und nach kamen vereinzelt Anfragen, ob er nicht auch
anderswo  den  Nikolaus  geben  könnte.  Je  mehr  Experten
hinzugezogen  wurden,  desto  mehr  Interesse  gab  es.  Nicht
nur  einzelne  Familien  fragten  an.  Kindergärten,  Senioren-
heime, der Heimatverein, Karnevalsgesellschaften, evange-
lische  und  katholische  Kirche,  Freikirchen  und  Freimaurer,
schlagende  Verbindungen,  Einzelhändler,  Autohäuser,  ja,
selbst  die  anonymen  Alkoholiker,  deren  Treffpunkt  streng
geheim war,  fragten an. Eine  Feministinnengruppe bat, ob
man  sich  nicht  vorstellen  könnte,  eine  Frau  Nikolaus  ins
Repertoire aufzunehmen und das Weibliche mehr
herausarbeiten.  Die  Vereinigung  der  Bartträger  forderte
eine  Diskussion  über  Form  und  Art  des  Bartwuchses,  die
Selbsthilfegruppe der Kahlköpfigen forderte einen mit
ihnen  solidarischen,  glatzköpfigen  Nikolaus.  Dem  wider-
sprach  die Friseurinnung  entschieden  und  brachte  eine
Unterschriftenpetition im Gemeinderat ein. Inzwischen gab  
es eine eigene Nikolaushomepage, eine Facebookseite,
Twitteraccount, sowie einen vierundzwanzigstündigen
Livestream  von  den  Proben.  Eine  Werbeagentur  entwarf
Merchandisingprodukte. Es entstanden Tassen, Regen-
schirme, Postkarten und man wollte sogar eine CD
produzieren. Ein Telefonanbieter bot eine kostenlose
Hotline  an,  wenn  man  dafür,  zwar  sichtbar,  aber  dennoch
dem Anlass entsprechend geschmackvoll, ihr Logo auf dem
Kostüm anbringen könnte. Man entschied sich in der
Gemeindeversammlung,  die  eilig  einberufen  wurde,  nicht
mehr  als  sieben  Werbeträger  zuzulassen.  Der  Schwulen-
und  Lesbenverband  forderte  die  klare  Positionierung  des
Nikolaus  für  die  Homoehe  und  drohte  sogleich  mit  dem
Gleichstellungsbeauftragten der Bundesregierung. Der
Vatikan fragte besorgt an, was da eigentlich los sei. Der Papst brach eine Pilgerreise ins Heilige Land ab, für
den Fall, dass er vor Ort gebraucht würde. Die Schul-
sekretärin, die für die Terminplanung eingesetzt war, brach
bei dieser  Gemeindeversammlung weinend zusammen, da
die Anfragen überhandnahmen und wurde in die
Psychiatrie  eingeliefert,  nachdem  sie  sich  vor  aller  Augen
versuchte  hatte,  die  Pulsadern  aufzuschneiden.  Auf  der
Nikolaus-DVD ist dies als Bonustrack zu sehen. Die
Vorbestellungen  bei  Amazon  waren  gigantisch.  Ein  ARD-
Brennpunkt  lieferte  Hintergrundberichte.  Ein  Auftritt  bei
Maybritt  Illner  brachte  Hans-Günther  eine  deutschland-
weite Aufmerksamkeit. Inzwischen wurden aus dem
Nikolaustag  Nikolaustage.  Dann  wurden  es  Wochen.  Das
hinzugezogene Management, das auch Robbie Williams
vertritt,  forderte  mehr  Einsatztage.  Man  käme  mit  den
wenigen Nikolaustagen nicht aus. Bis zum 24. Dezember sei
man ausgebucht, und man findet jetzt schon keinen Termin
mehr  für  die  Rede  bei  der  Vollversammlung  der  Vereinten
Nationen.  
 Kurz  nachdem  aus  Oslo  die  Zuerkennung  des  Friedens-
nobelpreises an Hans-Günther Sorgenbrecher kam, starb er
plötzlich  und  unerwartet.  Ob  es  nun  eine  verschleppte
Erkältung  oder  sein  Lampenfieber  war,  konnte  nie  geklärt
werden.

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