In der letzten Woche wurde in vielen Medien verkündet, dass die Bundesregierung doch schon zwei Drittel der Versprechen aus ihrem Koalitionsvertrag umgesetzt oder zumindest angepackt hätte (s. beispielsweise hier). Hurra – oder doch kein so großer Grund zum Jubeln?
Zunächst mal: Der Koalitionsvertrag trägt ja sehr deutlich die Handschrift der FDP (s. hier), sodass es nicht unbedingt etwas Tolles für die meisten Menschen sein muss, wenn die Vorstellungen dieser korrupten Klientelpartei dann auch umgesetzt werden. Zudem lautete ja der Grundtenor des Koalitionsvertrags, eine sozialverträgliche ökologische Transformation in Gang zu bringen. Doch davon ist bisher leider so gut wie nichts zu erkennen, und das ist meines Erachtens der entscheidende Punkt, an dem sich die Ampelkoalition messen lassen muss – weil das eben auch die entscheidendste Herausforderung für unsere Gesellschaft (wenn nicht sogar die gesamte Menschheit) ist.
Und wenn man da mal schaut, was bisher so passiert ist, dann sieht das nicht so rosig aus, wie die Zwei-Drittel-umgesetzt-Meldungen vermuten lassen.
Klimaschutz
O. k., für den Ukraine-Krieg und die damit zusammenhängenden Verwerfungen auf dem Energiemarkt kann die jetzigen Bundesregierung nichts – wobei natürlich die SPD in den Jahren zuvor oft genug mit in einer großen Koalition war, um die Versäumnisse in diesem Bereich zumindest auch ein Stück weit mitzuverantworten.
Wie dann aber darauf reagiert wurde, ist schon was anderes. Dass beispielsweise Robert Habecks altes Lieblingsprojekt LNG-Terminals (s. hier), mit denen u. a. extrem schmutziges Fracking-Gas aus den USA importiert werden kann, als Allheilmittel präsentiert wurde, ist nicht gerade klima- und umweltfreundlich. Das haben auch etliche Umweltschutz-NGOs so gesehen, die deswegen nicht wirklich zufrieden mit der Arbeit der Ampelkoalition sind. Und dass nun auch noch in Rügen einfach ohne Absprache mit anderen Anrainerstaaten ein weiteres (aller Wahrscheinlichkeit gar nicht benötigtes) LNG-Terminal mitten in das sensible Ökosystem des Greifswalder Boddens hineingezimmert wird, spricht auch nicht dafür, dass man bei der Regierung in irgendeiner Weise Klimaschutz als eine vordringliche Aufgabe ansieht.
Ein weiterer Meilenstein der Energiepolitik sollte das Heizungsgesetz werden. Dies wurde allerdings gleich von Beginn an aus der eigenen Koalition heraus vor allem von der FDP unter Beschuss genommen, die sich dabei mal wieder der kräftigen Mithilfe der Springer-Schmierblätter sicher sein konnte. Davon abgesehen, was das Gesetz einfach handwerklich mangelhaft gestaltet (s. hier). Und nun wird es in einer reichlich abgespeckten Version umgesetzt, die kaum ausreichen dürfte, um die Klimaziele im Gebäudesektor zu erreichen.
Apropos Sektor: Die Sektorenziele wurde ja auch abgeschafft, sodass die einzelnen politischen Ressorts keine Verantwortung mehr dafür übernehmen müssen, ihre Klimaschutzvorgaben einzuhalten. Das freut besonders Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der zudem durchsetzen konnte, dass wesentlich mehr Autobahnen gebaut werden sollen. Eine sozial-ökologische Verkehrswende würde zwar das genaue Gegenteil bedeuten, nämlich einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs, aber das interessiert offensichtlich (nicht nur) in der FDP niemanden.
Auch von einer Umgestaltung der Landwirtschaft ist nichts zu merken, vielmehr eiert die Bundesregierung beispielsweise zurzeit rum bei EU-weiten Verbot von Glyphosat, sodass dieses Totalpestizid, das extrem schädlich für die Artenvielfalt ist und zudem mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Krebs verursacht, weiterhin zugelassen werden dürfte.
Stattdessen kriminalisiert man dann lieber Klimaaktivisten und ist damit voll auf Kurs der Rechtsparteien CDU/CSU und AfD.
Sozialpolitik
Dass eine ökologische Transformation unserer Gesellschaft nur dann funktionieren kann und großen Rückhalt in der Bevölkerung findet, wenn sie auch mit entsprechenden sozialpolitischen Maßnahmen flankiert wird, hat sich mittlerweile ja in progressiven Kreisen weitestgehend rumgesprochen. Bei der Ampelkoaltion allerdings wohl leider nicht, denn auch in der Sozialpolitik muss man ihr ein eher schlechtes Zeugnis ausstellen, wenn man nicht gerade sehr reich und zugleich sehr unsozial drauf ist.
So hatten ja Grüne und SPD immer wieder eine meines Erachtens sehr sinnvolle Bürgerversicherung diskutiert – aber das war natürlich mit der FPD nicht zu machen, die sich hier als kleinster Koalitionspartner mal wieder durchgesetzt hat. Stattdessen beharrt Finanzminister Christian Lindner (FDP) als überzeugter Voodoo-Ökonomist auf der „schwarzen Null“, die den Gestaltungsspielraum der Bundesregierung in Zeiten multipler Krisen massiv einschränkt und zudem ökonomisch auch kompletter Unfug ist (s. beispielsweise hier). Und es gibt jetzt das Bürgergeld, das im Prinzip aber nur, neben einigen kleinen Verbesserungen, ein neuer Name für das alte Hartz-IV-Regime ist (s. hier).
Das führt dann dazu, das aufgrund der massiv gestiegenen Militärausgaben (die übrigens auch nichts zu einer sozial-ökologischen Transformation beitragen) vor allem im Sozialbereich gespart wird. Das würdelose Gezeter wegen der Kindergrundsicherung, das gerade vor Kurzem durch den Mediendschungel hallte, ist da nur ein Beispiel, auch ansonsten wird der Rotstift nun vor allem dort angesetzt, wo es darum geht, ärmere Menschen zu unterstützen. Eine Übergewinnsteuer, die man stattdessen hätte erheben können, da sich ja etliche Unternehmen am Ukraine-Krieg bzw. der daraus resultierenden Energiekrise und Inflation massiv bereichern (s. hier und hier), kommt leider nicht infrage im Ampeluniversum. Schade eigentlich …
Ein Entgegenkommen für Menschen mit wenig Geld war dann das 9-Euro-Ticket für die Bahn, und das wurde auch reichlich genutzt. Der Nachfolger dieses zeitlich begrenzten Angebots ist nun das 49-Euro-Ticket, was dann leider für nicht wenige Menschen doch schon wieder eine Nummer zu teuer ist. Davon abgesehen, dass die Deutsche Bahn in einem zunehmend desaströsen Zustand ist, sodass für viele, die auf zuverlässige und einigermaßen pünktliche Verbindungen angewiesen sind, eine Zugfahrt ohnehin nicht das Mittel der Wahl ist.
Für eine gezielte Entlastung vieler Haushalte hätte beispielsweise auch das Aussetzen des Merit-Order-Prinzips an den Strommärkten gesorgt, aber auch hier ist die Bundesregierung nicht aktiv geworden, sodass die Inflation durch die hohen Energiepreise erst mal ordentlich Fahrt aufnehmen konnte. So wurde dann die Umverteilung von unten nach oben, wie eigentlich in jeder Krise der letzten Jahren, noch mal deutlich vorangetrieben, sodass immer mehr Menschen mit Existenzsorgen immer absurdere Riesenvermögen entgegenstehen, wie ich in einem Artikel vor gut einem Jahr schon mal feststellte. Entlastung gibt es dagegen nur nach dem „Gießkannenprinzip“, was dazu führt, das vor allem die wirklich Bedürftigen nichts bis kaum was davon haben und in erster Linie diejenigen profitieren, denen es ohnehin schon gut oder sogar sehr gut geht.
Und sonst noch?
Darüber hinaus gibt es dann noch so einiges Weiteres, wo sich die Ampelkoalition nicht eben progressiv zeigt, so zum Beispiel bei der Zustimmung zur EU-Asylrechtsreform, die menschenrechtlich ausgesprochen bedenklich ist (s. dazu hier) und das Asylrecht dermaßen verschärft, dass die AfD das auch kaum noch fieser hätte hinbekommen können, wären die Blaubraunen in Regierungsverantwortung.
Dazu passend: Gegen den nach wie vor bestehenden Neokolonialismus als Grundlage dafür, dass bei uns die Wirtschaft läuft, wird auch vonseiten der Ampel nichts gemacht, sondern im Gegenteil werden neue Abkommen zu initiieren versucht, um den Status quo zu zementieren (s. hier).
Na ja, und wer eben gern günstig Rohstoffe aus Ländern des globalen Südens bekommt, der hat auch kein Interesse daran, dass sich die Arbeitsbedingungen für die Menschen dort verbessern, sodass das immer wieder groß angekündigte Lieferkettengesetz nicht mehr als ein reichlich zahnloser Papiertiger geworden ist (s. hier).
Auch ein Lobbyregister sollte endlich her, um mal ein bisschen Transparenz in den Politbetrieb zu bringen, damit die Bürger beispielsweise auch nachvollziehen können, wer denn auf welche Gesetze Einfluss genommen hat. Das wurde nun zwar initiiert, aber scheint dann doch ebenfalls reichlich schwachbrüstig zu sein, so zumindest die Einschätzung der Experten von abgeordnetenwatch.de.
Ich mag da hinsichtlich dieser Bilanz wahrlich nicht in Jubelstürme ausbrechen, sondern sehe mich vielmehr in meiner anfänglichen Einschätzung der Ampelkoalition bestätigt, die ich kurz nach der Wahl in einem Artikel beschrieb: ein von der FDP dominierter Weiter-so-Kurs, der kaum was mit der populistisch angekündigten sozial-ökologischen Transformation zu tun hat – die doch so dringend notwendig wäre.
Und da es aufgrund der zahlreichen Krisen immer mehr Menschen im Land immer schlechter geht, ist es kein Wunder, dass sich beim Ausbleiben einer Politik, die sich ernsthaft diesen Krisen stellt und versucht, dabei die Belange möglichst vieler Menschen im Blick zu haben, immer mehr Menschen rechten Rattenfängern zuwenden. Denn absurderweise fällt es vor allem auf Grüne und SPD zurück, dass vor allem die FDP dafür sorgt, die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufzureißen. Was natürlich auch daran liegt, dass SPD und Grüne mittlerweile selbst viel zu viel neoliberalen FDP-Wirtschaftsnonsens praktizieren.
Und dann kommt mir abschließend noch ein gar nicht schöner Gedanke angesichts der enorm gestiegenen Militärausgaben: Wenn es dann nach der nächsten Bundestagswahl eine Koalition von CDU und AfD (vielleicht noch mit der FDP) gäbe, was ja nun nicht mehr sehr unwahrscheinlich erscheint, dann könnte es unter Umständen einen blaubraunen Verteidigungsminister geben, die über dieses Riesenbudget verfügt. Und das sind nun wahrlich keine schönen Aussichten, wie ich finde …
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