Ein höchst verstörender Tag

Es ist kalt geworden. Sehr kalt. Der goldene Oktober zeigt uns sein Volkstrauertagnovembergesicht. Wenn, wenn nicht heute dürfte die Selbstmordrate deutlich ansteigen.
Ganz im Gegenteil zum Thermometer, was sich im Bereich von Gefrierbrand bewegt.
Die sonntäglichen Kirchenglocken drohen Gottesdienste an.
Ich sehe aus dem Fenster.
Dort hat sich eine Großfamilie, samt buckliger Verwandtschaft, von niedlichen kleinen Tauben auf meiner Balkonbrüstung versammelt. Hübsch aufgereiht nebeneinander. Fröhlich gurren sie vor sich hin und schauen mich an, wie ich so den Tag im Bett vertrödele.
Bereits dreimal habe ich sie heute Morgen schon verscheucht, indem ich nackt aus dem Bett aufgestanden bin und mich ihnen mit Wegscheuchhänden signalisiert habe, sie wären unerwünscht. Jedes mal erschraken sie bei meinem Anblick, was ich ihnen auch nicht verübeln kann. Jedoch währt dieses Schreckensbild nur Minuten. Dann sind sie wieder da, aufgereiht wie Perlen an einer Kette und diskutieren über das Gesehene. So jedenfalls meine Vermutung. Ich bin längst wieder in mein Bett gehüpft, denn noch ist ja nur gefühlt November. Erst wenn der auch kalendarisch angebrochen ist, wird unsere Zentralheizung angeschaltet.
Deshalb liege ich bereits seit Mitte September mit meinem Hausmeister im Dissens.
Er meint, ich sei ein kälteempfindliches Weichei. Ich stimme ihm da uneingeschränkt zu. Aber an seiner Haltung, die Heizung vorzeitig für mich einzuschalten, hat sich nichts geändert. Dann muss er auch damit leben, zu Weihnachten nicht von mir bedacht zu werden. Und wenn er glaubt, bis dahin hätte ich es längst vergessen, so irrt er sich. An meiner Pinnwand hängt ein großer weißer Zettel, mit der dringenden Aufforderung, keinerlei Geschenke für den Hausmeister!
Und in meiner Geldbörse habe ich zudem denselben Zettel noch einmal, nur im Scheckkartenformat. Damit bin ich bestens gewappnet. Und falls ich dennoch versehentlich für ihn kaufen sollte, weil ich vergessen habe auf die Zettel zu sehen, hängt noch ein übergroßes DIN-a1 hoch kopiertes Plakat an meiner Eingangstür, was verhindern soll, dass kein Geschenk für ihn meine Wohnung verlässt. Nur in meinem wohligen warmen Bett und durch die tatkräftige Unterstützung von zwei zusätzlichen Wolldecken, ist es erträglich. So kann ich meinen Gedanken nachhängen.
All die wesentlichen Fragen, die mich so beschäftigen. So zum Beispiel, was ich dem Hausmeister geschenkt hätte, wenn ich ihm etwas schenken würde.
Und auch die noch weitaus wichtigere, weshalb ich kein Schrotgewehr habe. Letzteres für die Phalanx der Tauben, die längst wiedergekehrt sind.
Das Problem mit dem Hausmeister ist rasch gelöst und ich habe mich entschieden, ihm in diesem Jahr keine Flasche Moselwein zu überreichen, mit meinen allerbesten Wünschen.
Keinen Handschlag gibt es als Zugabe noch obendrauf.
Mit dieser Entscheidung kann ich gut leben und beobachte konzentriert weiter die Tauben, deren gesunde Verdauung mir Respekt abtrotzt. Gegen meine chronische Verstopfung flutscht es bei ihnen hervorragend.
Nur, selbst wenn mein Verdauungstrakt ähnlich wäre, so würde ich niemals auf meinen Balkon kacken, schon alleine der Nachbarn wegen nicht. Mir gegenüber wohnt in Sichtweite ein Ehepaar, was sich unentwegt streitet. Momentan ist es jedoch nur als Schattenspiel zu sehen, da sie witterungsbedingt ihre Fenster geschlossen halten, sehr zu meinem Missfallen. Auch auf eine höfliche Bitte meinerseits, die ich ihnen anonym in den Briefkasten geworfen habe, sie mögen bei offenem Fenster streiten, gingen sie bedauerlicherweise nicht ein.
Neben meinen Tauben bieten diese beiden Schimpftiraden schwingenden Dauernörgler am jeweils anderen, bestes Entertainment.
Meinen Fernseher habe ich nur noch zur Dekoration. Er dient mir nur noch als Abstellfläche für die illuminierte venezianische  Gondel, die ich aus einem Italienurlaub bekam, von meinem Hausmeister.
Alleine für diese ständig blinkende Geschmacklosigkeit verdient er kein Weihnachtsgeschenk.
Leider bin ich verpflichtet, es leuchtend auszustellen, denn wenn er einmal im Jahr in die Wohnung kommt, um die Heizung zu entlüften, damit ich es schön warm habe, und dann sieht er sie nicht, dann denkt er, es gefällt mir nicht. Er ist für einen Hausmeister sehr sensibel. Nur eben leider nicht vergesslich. Dafür sehr nachtragend, wie ich von meinem Nachbar weiß, der sich ständig über meine Tauben beschwert. Doch für die Tauben kann ich nichts, die habe ich schon vom Vormieter übernommen und genießen hier ältere Rechte.
Anfangs hatte ich es ja noch im Guten mit ihnen gemeint und  extra ein Katzenklo gekauft, schön mit Streu. Doch, statt es dankbar zu benutzen, wie es jeder anständige Mensch auch getan hätte, haben sie daraus eine Kinderaufzuchtstation daraus gemacht. Eines Morgens lagen mehrere Eier drinnen, gelegt von mehreren Müttern, die dann tagelang drauf saßen.
Nur zum Kacken sind sie raus geflogen, wegen der Hygiene, nehme ich an. An ein Betreten des von mir so geschätzten Balkons, ist damit auf absehbare Zeit nicht möglich, denn ich möchte die Jungen und auch die inzwischen geschlüpften Mädchen nicht mit meiner Anwesenheit in ihrem Wachstum stören. Dafür betrachte ich von meinem Fenster aus ihre Aufzucht. Dieses Privileg gestatten sie mir. Um dem Vorwurf, ich sei ein Exhibitionist, entgegenzuwirken, schlafe ich nun auch vollkommen bekleidet.
Dies hat auch den Vorteil, ich kann morgens direkt vom Bett zum Bäcker laufen! Heute gibt es Aufbackbrötchen, weil der Bäcker glaubt, sonntags frei machen zu müssen.
Deshalb findet mein Tag heute auch ausschließlich im Bett statt, von Frühstück, über Mittag- hin zum Abendessen. Duschen entfällt, weil ich ja niemanden zu nahe komme und mich es nicht weiter stört. Selbst mein Laptop liegt startklar auf meinem Zweimeterbett, was ich ganz für mich alleine habe. Die Kaffeemaschine steht auf dem Nachttisch und läuft schon. All diese Maßnahmen, die ich bereits gestern schon eingerichtet haben, versprechen einen fantastischen und entspannten Sonntag. Nur noch ein Klick auf den Laptop und ich kann mir einen unterhaltsamen nonstop Filmtag machen.
„He, was ist denn jetzt los? Wieso fährt der denn jetzt nicht hoch? Gestern ging er doch noch.“
Wie eine Seifenblase zerplatzt mein schöner Traum von einem traumhaften Sonntag. Er ist tot! Kein Lämpchen leuchtet. Mit versteinertem Gesicht starre ich auf einen pechschwarzen Bildschirm.
„Nicht heute, Bitte!“, flehe ich sämtliche Schutzheiligen an, die mir gerade einfallen, ob sie für mich zuständig sind oder nicht. In diesem Moment ist mir das vollkommen egal. Darauf kann ich jetzt keine Rücksicht nehmen.
Ich stecke inmitten einer existenziellen Krise. Wie soll ich den Tag, ohne elektronisches Unterhaltungsprogramm überstehen? Zeitung lesen, Post checken, Schach mit mir selbst spielen, auf Youtube nach dem besten Film suchen. Und wie, verdammt nochmal soll ich zu meinem Mittag- und Abendessen kommen, wenn ich die Lieferdienste nicht anklicken kann?
Ich werde verhungern müssen, wenn ich nicht schon zuvor vor lauter Langeweile sterbe. Ohne mein Firefox bin ich ja hilflos. Nichteinmal mit meiner Mutter kann ich skypen! Ich bin ein Ausgestoßener! Ein an ein Bett gefesselter! Ein hilfloses Wesen, dem man den Stecker des Lebens gezogen hat. Mein Fenster hinaus in die Welt, ist mir verwehrt.
Selbst die Telefonseelsorge ist für mich unerreichbar. Virtuell hat Gott mich verlassen. Ich würde mich ja zu einem Gebet hinreißen lassen, wenn ich in die entsprechende Datei mit den abgelegten Gebetstexten kommen würde. Andererseits, wenn ich sie einsehen könnte, brauchte ich sie wiederum nicht. Ein Teufelskreis! Die Kaffeemaschine hat das letzte Wasser durchgejagt und der Duft der schwarzen Brühe erfüllt den Raum.
Doch wen interessiert das, angesichts meines persönlichen Armageddons, meiner Weltuntergangsstimmung! Niemand! Am wenigsten mich. Ohne Vorwarnung, ohne Hoffnung, ohne die Anteilnahme meiner Facebook Community! Verloren, Verlassen, vereinsamt!
Nicht einmal mehr Zugang auf eine entspannende und beruhigende Meditationsmusik oder esoterische Klangschalen, die „positives Denken“ verströmen.
Diese unheimliche Stille treibt mich noch in den Wahnsinn.
Ein Blick auf meine analoge Uhr sagt mir, noch dreiundzwanzig Stunden, ehe der erste Elektronikmarkt öffnet, der mir mein Leben zurückgeben kann. Dreiundzwanzig Stunden in elektronischer Askese, in der Verbannung. Dabei kann in dreiundzwanzig Stunden doch so viel geschehen, ohne das ich davon Kenntnis erlange. Was, wenn Luxemburg uns plötzlich angreift? Oder die Regierung zurücktritt?
Der Aktienmarkt könnte einstürzen. Eine Weltwirtschaftskrise ausbrechen.
Beim Frauenfußball wird das Trikottauschen verpflichtend eingeführt. RTL entschuldigt sich öffentlich für sein Programm und löst sich auf. Progressive und aggressive Frauen stürmen den Vatikan und nehmen den Papst als Geisel. China verbietet das Stäbchenessen und führt Messer und Gabel ein. Sämtliche Influencer und Realitystars aus dem Trash-Tv, werden auf den Mars umgesiedelt.
Und ich sitze hier und bekomme von all dem nichts mit.
Ohne Unterlass starre ich auf das Display, inständig hoffend, es hat mich nur getäuscht und fährt plötzlich hoch. Doch nein, so sehr ich auch bettle, wie ich auch bitte, er tut es nicht. Er hat mich für alle Zeiten verlassen.
Er ist tot, wie man Toter nicht sein kann! Längst schon habe ich mir alle Fingernägel abgekaut. Und würde ich rauchen, dann wäre die Schachtel längst leer. Kein Christal Meth im Haus, gedacht für genau solche Extremmomente. Ich muss feststellen, ich bin für das Worstcaseszenarium nicht ausreichend genug vorbereitet. Und nun ist es für Hamsterkäufe zu spät.
„Jetzt, da die Not am größten ist, da hast du mich verlassen oh Herr!“, rufe ich anklagend hinaus in eine Welt, die für mich unerreichbar ist. Unerhört, wie mein Schrei nach Hilfe unerhört bleibt.
Verzweifelt sehe ich erneut auf die Uhr. Noch zweiundzwanzig Stunden und fünfundfünfzig Minuten. Jede Minute ein gefühlter Tag. Nicht nur mein Laptop ist tot, ich bin es mit ihm. Warum habe ich mir kein Ersatzgerät gekauft? Jetzt rächt sich bitterlich, was ich damals versäumt habe. Damals bot mir der Verkäufer ja noch an: „Nehmen sie doch zwei zum Preis von Zweien und sie erhalten einen Kleinventilator mit USB-Anschluss.“
Doch damals war mir die Tragweite dieses fantastischen Angebots nicht klar.
Heute, da es zu spät ist, weiß ich darum. Schon immer habe ich in meinem Leben die falsche Entscheidung getroffen, was sich nun bitterlich rächt. Mein ganzes Leben liegt nun in Trümmern!
Ich muss nun eine der schwersten Entscheidungen, nach dem Rauswurf meiner Frau, treffen. Zitternd und am ganzen Körper bebend, klappe ich das Display, die tote Hülle meines ehemals besten Freundes, zu. Trostlos wie er so daliegt, beraubt seiner Bestimmung, mir auf ewig zu dienen. Verstorben außerhalb der Garantieleistung, wenn auch nur um wenige Tage! Nun steht mir noch der schwere Gang, der Beisetzung bevor. Mit dem Fahrstuhl geht es hinab in den Keller. Es ist seine letzte reise, die ich so würdevoll wie nur möglich für ihn gestalte. Der Hausmüllcontainer wird zu seiner letzten Ruhestätte. Doch wortlos kann ich ihn so nicht einfach ziehen lassen. Also raffe ich mich auf, ihm zu Ehren, einige, an ihn erinnernde Anekdoten zu erzählen, wenn meine Stimme auch dabei immer wieder bricht. Ich bin es ihm einfach schuldig.
„Du, alter Freund, du hinterlässt eine große Lücke in meinem Herzen. Auf deiner Festplatte ist mein ganzes Leben verewigt. Niemand kennt mich besser als du. Nie hast du mir Vorwürfe gemacht, wenn ich auf Pornoseiten gesurft bin. Du warst mein Hirn, meine Inspiration, du gabst meinen sexuellen Trieben Nahrung, du meine Rechtschreibhilfe. Dein Photoshop hat aus mir erst einen attraktiven Mann gemacht. Ohne dich wäre ich virtuell verkümmert, wie ein Gänseblümchen in der Wüste Gobi, die ich ohne dich früher immer Gabi nannte. All deinen Platinen gilt mein ewiger Dank.“
Ein letzter Blick, dann warf ich ihm seine Maus, statt Blumen, als letzten Gruß ins Grab und schloss lautlos den Müllcontainer. Der Weg zurück, in die elektronische Einsamkeit meiner Wohnung, war wohl der schwerste Gang meines Lebens. Jeder von uns hat wohl schon einmal einen geliebten Menschen verloren! Aber gleichzeitig den Geliebten, den Vertrauten und unersetzlichen Freund in einem Gerät, das ist einfach zu viel für mich. Auf der ersten Treppenstufe breche ich zusammen. Ich kann einfach nicht mehr, jetzt wo mein Lebensinhalt weg ist. Wie soll ich nun diese schwere Zeit überstehen? Eine Frage auf die ich keine Antwort habe.
„Auf dem Treppenabsatz sitzen ist laut Hausordnung verboten!“, dröhnt mir eine mir wohl bekannte Stimme ins Ohr.
Mit meinen glasigen und feuchten Augen blicke ich auf. Mit seinem Wischmopp in der Hand steht er da, die leibhaftige Menschwerdung der gnadenlosen Hausordnung, in Gestalt unseres ach so geliebten Hausmeisters.
„Ich beweine mein trauriges tristes Leben, was mir einen Freund, in der Blüte seiner Jahre, hinweggerafft hat.“, schluchze ich ihm entgegen.
„Mein Beileid, aber hier geht das nicht! Ein Treppenhaus ist kein Ort der Trauer. Das macht man in der Abgeschiedenheit seiner angemieteten Wohnung, um die Mitbewohner nicht emotional zu belästigen.“
Hartherzigkeit sprach aus seinem Mund. Ich erhebe mich und schleppe mich wortlos an ihm vorbei. Dieser Mann ist für mich menschlich gestorben und so strafe ich ihn mit hemmungsloser Ignoranz. Das tröstet mich einwenig über meinen Schmerz hinweg. Wer schon keinen Freund mehr hat, der braucht wenigstens einen feind. Und der Hausmeister erfüllt sämtliche Kriterien dafür. Hinter der eigenen Wohnungstür, die genau so eingeschnappt ist wie ich, lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf. Hier wirft mir niemand meine tiefe Trauer vor und lege mich in mein Bett, dort wo vor kurzem noch mein Freund lag, der nun in einer anderen, hoffentlich besseren Welt, weilt. Endlos zäh vergehen die Stunden. Unaufhörlich starre ich an die Decke, weil es sonst nichts Spannendes zu sehen gibt. Im Fünfminutentakt schaue ich auf meine Uhr, doch die Stunden verfliegen nicht so, wie ich es gerne hätte.
Ich bleibe vollkommen angezogen, um möglichst keine Zeit zu verlieren, wenn der morgige Tag anbricht. Ich will, werde und muss, das bin ich ihm schuldig, Erster Kunde vor dem Elektronikmarkt sein, um einen Bruder des Verstorbenen zu erstehen, dem ich dann ein schönes Zuhause ermöglichen will. In der Nacht werde ich von heftigen Tagträumen geplagt. Schweißgebadet werde ich wach. Sofort drückt meine Hand den Knopf, doch er greift ins Leere. Erst da wird mir bewusst, er ist ja nicht mehr da. Im Traum kam ich in den Elektronikmarkt und alle Laptops waren ausverkauft. Alle Verkäufer lachen, als ich sie auf Knien anflehe, mir zu helfen, weil mein Leben sonst keinen Sinn mehr hat. Von ihnen erfuhr ich, dass ein weltweiter Virus sämtliche Geräte erfasst hat und die Seuche sie dahingerafft hat. Und ein Gegenmittel gäbe es noch nicht. Überstürzt renne ich aus dem Haus.
Sollte der Traum Wirklichkeit sein? In meiner Panik laufe ich durch die nächtliche Stadt. Außer Atem erreiche ich den Markt, der noch verschlossen ist. Ich hämmere gegen die Eingangstür und werde kurz darauf von einer Polizeistreife gestoppt und in Handschellen abgeführt. In einer Zelle, ohne wlan-Anschluss friste ich den ganzen Tag, ehe ich einem Richter vorgeführt werde, dem ich von meinem Schicksal berichte. Geduldig und verständnisvoll hörte er sich meine Geschichte an und dann darf ich, gegen eine Strafzahlung von eintausend Euro, als freier Mann das Gerichtsgebäude wieder verlassen.
Auf mein Argument hin, es wäre eine Verzweiflungstat und ich sei nicht zurechnungsfähig gewesen, ging er leider nicht ein. Stattdessen bot er mir an, mich auf eigenen Wunsch in eine Psychiatrie einweisen zu lassen, was ich dankbar ablehnte. Dennoch gab er mir die Adresse einer Klinik mit, die er wärmstens empfehlen könne. Er wäre selbst dort bereits mehrfach gewesen und jedes mal als geheilt entlassen worden, teilte er mir noch freundlich mit. Demoralisiert und finanziell ausgeblutet gehe ich zurück in meine Wohnung, wo mich nur eine triste Tristesse erwartet. Doch als ich das Haus betrete, da erwartet mich eine Überraschung. Ich traue meinen Augen nicht. Unter einem an der Wand befestigten Plakat, liegt mein verstorbener Laptop, auferstanden aus dem Hausmüll! Ich hebe ihn auf und drücke ihn fest gegen meine Brust. Mit Entsetzen und tiefer Abscheu muss ich lesen, was da auf dem Plakat, in gemeinster Weise, hingekritzelt ist.
„Elektroschrott gehört nicht in den Hausmüll!“
Wie man es überhaupt schafft, in nur fünf Worten, so viel Missgunst, Bösartigkeit und offene Feindseligkeit in einen Satz zu packen, der nur so vor Hass strotzt! Ich bin fassungslos, verletzt und in höchstem Maße enttäuscht von diesem anonymen Schmierfinken und Denunzianten, der nur Zwietracht unter den Hausbewohnern säen will. Reinste Stasimethoden, die hier angewendet werden, damit die Saat des Bösen aufgehen kann! Wer auch immer das getan haben mag, der möge im siedenden Öl der Hölle schmoren. Ich nehme einen Stift aus meiner Jacke, den ich für solche Gelegenheiten stets mit mir führe und antworte, entsprechend geharnischt, auf das Pamphlet übelster Machart.
„Grabschändung ist eine schwerwiegende Straftat, die spätestens vor dem jüngsten Gericht zu verhandeln sein wird! Ein extrem trauender und aufgebrachter Mitbewohner, der seine Empörung darüber nicht zurückhalten kann.“
Zufrieden mit meiner ausgewogenen Reaktion gehe ich, erhobenen Hauptes, mit meinem Laptop in meine Wohnung, Trutzburg aller Geschlagenen. Behutsam lege ich meinen allzu früh verstorbenen Freund auf seinen angestammten Platz, direkt neben mir im Bett. Aus reinen Nostalgiegründen verbinde ich ihn sogar mit dem Ladekabel, der ihm so treu immer die nötige Energie einflößte. Doch die grüne kleine Leuchte bleibt erloschen. Würde sie leuchten, dann wäre es der Beweis für eine Wiederauferstehung von den Toten, die bislang nur einmal, was historisch belegt ist, von Erfolg gekrönt war. Darüber spricht ja heute noch die Welt. Etwas, was ich meinem Freund auch gönnen würde, wenngleich ich nicht gläubig bin. Doch mein Glaube ist nicht so stark, der ja angeblich Berge versetzen soll, dass es meinen Freund wieder zum Leben erwecken könnte. Sonst könnte aus dem heutigen Tag zukünftig ein kirchlicher Feiertag erwachsen und die Menschen hätten alle frei. Es wäre wohl die Krönung seines Lebens gewesen! Noch nie zuvor habe ich direkt neben einem Toten gelegen. Meine Hand streichelt über seine leblose Tastatur.
Da der Bildschirm sein totenschwarzes Kleid weiterhin zeigt, streift mein Blick durch das Zimmer, suchend nach etwas, was mir die Trauer etwas erleichtern könnte und bleibt an der Kaffeemaschine hängen. Dies ist nun genau die zeit und Stunde, sich einen frisch gebrühten Kaffee zu machen.
Ich erhebe mich wieder aus dem Bett und beginne nun mit meiner Kaffeezubereitungszeremonie. Nachdem ich Wasser und Pulver eingefüllt habe, schalte ich die Maschine ein und warte bis ein Duft mich umweht, der mir verrät, der Kaffee ist fertig. Doch nach einer gefühlten Stunde ungeduldigen Wartens macht sich Nervosität breit. Denn der erhoffte Erfolg bleibt aus. Dies kommt mir spanisch vor und verlangt nach detektivischer Aufklärung. Tatortuntersuchung und Indizien zusammentragen, sind nun das Gebot der Stunde.
Und obwohl ich weder Hercule Poirots kleine graue Zellen, geschweige Mrs Marples Spürsinn besitze, entdecke ich nach intensiver Recherche den offensichtlichen Auslöser der Misere.
Scheinbar habe ich, im Zuge eines unbedachten Fehltritts, auf den Schalter meiner Mehrfachsteckdose getreten und damit die Stromzufuhr versehentlich unterbrochen.
Sofort behebe ich dieses kleine Missgeschick meinerseits und schon leuchtet der Kaffeemaschineneinschaltknopf in seinem leuchtenden Rot.
Schon wenig später zieht ein wunderbarer Kaffeeduft durch mein Zimmer, der auf einen vielversprechenden Kaffee hindeutet. Wenigstens etwas Erfreuliches in den Stunden der Trauer. Aus der Küche komme ich mit einer noch wenig benutzten Tasse zurück und mein Atem stockt!
„Ein Wunder! Übernatürliche Mächte haben Mitleid mit mir! Er lebt! Auferstanden aus dem Schlaf des Todes! Hosianna!“
All dies sind nur unbedeutende Worte, die nicht vermögen zu beschreiben, was unbeschreiblich ist. Ein Mysterium hat Einzug in meine kleine Behausung gefunden. Ich, der Auserwählte, einziger Zeuge göttlicher Fügung! Ehrfurcht erfasst mich, wie zuvor mich noch nie etwas erfasst hat, wenn man von einem leichten touchierens mit einem Linienbus einmal absieht, der jedoch ohne größere Blessuren blieb, jedenfalls bei dem Bus.
Und ich weiß nun was ich zu tun habe. Ich werfe mich in den Staub meiner Wohnung und frohlocke! Mit staunenden Kinderaugen starre ich auf ein kleines Leuchtsymbol, was an meinem Laptop plötzlich leuchtet. Ein kleines Licht in einer dunklen Zeit. Es erweckt eine nicht mehr für möglich gehaltene Hoffnung. Mein ganzer Körper befindet sich in einer zittrig angespannten Grundstimmung. Was, wenn es nur sein letztes Aufleuchten ist? Nur ein Fünkchen Akkustrom? Oder ist es nur eine hinterhältige Fata Morgana, die mich täuschen will? Vor Aufregung habe ich schon ganz schwitzige Hände bekommen. Damit nun das Gerät zu berühren, könnte sich als fatal für mich auswirken.
„Wasser leitet!“, sagte schon mein alter Schwimmlehrer.
Schnell reibe ich sie an meiner Hose trocken.
Ganz vorsichtig nähere ich mich seinem Touchpad, dem berührungsempfindlichen Mausersatz, zur Cursorbewegung, mittels ausgewählte Fingers.
Die Spannung des Geräts überträgt sich, im übertragenen Sinne, auch auf mich. Ich gestatte dem rechten Zeigefinger eine leichte Berührung und der vormals schwarze Bildschirm zeigt sich in den schönsten leuchtenden Farben. Ich weine vor Glück. Triumphierend recke ich den Zeigefinger in die Luft, der den Tod aus dem leblosen Körper meines Laptops zum Teufel geschert hat. Friede und Zuversicht kehrt mit meinen gebeutelten Hausstand zurück. Und auch meine Lebensfreude, die so stark gelitten hat.
Diese dramatische und auch traumatische Erfahrung hat mich Eines gelehrt! Ich komme nur nicht drauf was! Aber jetzt kann ich das ja wieder googeln.

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