Innerhalb weniger Monate hat sich in der Bundesrepublik ein politisches Erdbeben vollzogen, das bisher noch wenig geschätzt und mit der nötigen Schwerpunktsetzung in der Debatte gewürdigt wird: Klimaschutz hat sich von dem Anliegen einer spezialisierten Themenpartei und einiger Aktivisten, als der es 2019, auf dem Höhepunkt der #FridaysForFuture-Proteste noch stand, zu einer mit Ausnahme der AfD überparteilich anerkannten Priorität der Politik entwickelt. Dieser Wandel, vergleichbar wohl nur mit dem Schwung von SPD und Grünen hinter die Reformpolitik Ende der 1990er Jahre, hat nachhaltige Wirkung.

Das hat mehrere Gründe. Einer ist sicherlich das bahnbrechende BVerfG-Urteil zur Generationengerechtigkeit, aber die Erkenntnis, dass die bisherige Klimapolitik wenn nicht krachend gescheitert, so doch zumindest völlig unzureichend ist, hat mittlerweile so breite Kreise erreicht, dass die übliche Politik kosmetischer Änderungen und weitgehender Blockadehaltung, wie sie die rot-gelb-schwarze Politik der letzten anderthalb Dekaden ausgezeichnet hat, nicht aufrechterhalten werden kann. Schlicht: In einer Demokratie muss die Politik auf eine Stimmungsänderung reagieren, und diese Stimmungsänderung haben wir.

Wirklich zementiert aber wurde sie durch das erwähnte Bundesverfassungsgerichtsurteil. Dieses einzuordnen hilft der Verfassungsblog:

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts fordert hier einen verantwortungsvollen Umgang mit der Freiheit ein. Freiheit kann nach diesen Vorgaben nicht nur im hier und jetzt gedacht werden, sondern muss immer die Implikationen ihres Gebrauchs für die Zukunft bedenken. Das Gericht kommt zu diesem Ergebnis in einem bemerkenswert diskursiven Vorgang, der zudem stets in enger Tuchfühlung mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgt. Diese werden nicht blind als Vorgabe gesetzt, sondern im Hinblick auf ihre Aussagekraft kontextualisiert und in ein Spannungsfeld zu politischer Entscheidungsfreiheit gesetzt. Die Betonung der auch für die Zukunft notwendigerweise zu erhaltenden Freiheit ist zudem demokratieschonend: Je später gehandelt wird, desto drastischer müssen Maßnahmen ausfallen und desto weniger Spielraum werden zukünftige demokratische Gesetzgeber haben. Dem Beschluss wohnt bei aller Ausgewogenheit eine klare Aussage inne: Wir können uns unsere Freiheit nur so lange erlauben, wie wir die Auswirkungen ihres Gebrauchs mitbedenken. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, an deren Bedeutung aber auch im Kontext der Eindämmung der Covid-19 Pandemie anscheinend doch erinnert werden muss.

Es ist dieses Framing, das so entscheidend ist, weil es die bisherige Polarität der Klimaschutzdebatte durchbricht. Bislang kamen CDU, FDP und SPD immer damit durch, dass sie eine falsche Äquivalenz aufbauten und den Klimaschutz als einen Luxus betrachteten, den man sich leisten können müsse. Stets wurde darauf verwiesen, dass Klimaschutz Arbeitsplätze koste (eine ohnehin höchst zweifelhafte Annahme), wurde also eine Art Bonbon gesehen, das man sich in guten Zeiten leistet beziehungsweise das man sich an anderer Stelle abspart. Dieses Framing ist in den letzten Monaten fast vollständig verschwunden. Die tödliche Debatte, OB wir Klimaschutz betreiben müssen, hat endlich, nach mehr als drei Jahrzehnten, der Frage Platz gemacht, WIE wir Klimaschutz betreiben sollen.

Das ist gleich aus mehreren Gründen wichtig. Bisher war Klimaschutz ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen, denen unbesehen Kompetenz bei diesem Thema zugesprochen wurde, weil sie die einzige wirklich dafür eintretende Partei waren. Ihre Lösungsansätze waren der Leitstern der Debatte, und weil die Grünen eine progressive Partei sind, waren diese Lösungsansätze eher im linken Spektrum der policies zu finden. Das wiederum führte zur ideologisch basierten, reflexhaften Ablehnung vor allem durch CDU und FDP, die aber keine eigenen Ideen in die Debatte einbrachten. Dass sich das nun massiv ändert, ist ein sehr gutes Zeichen.

Das Scheitern der Gipfel-Politik

Befassen wir uns aber zuerst einmal mit der Frage, warum die bisherige Klimapolitik - deren Beginn ich mit dem ersten Gipfel in Rio de Janeiro 1992 ansetzen würde - gescheitert ist. Der Wissenschaftsjournalist Lars Fischer beschreibt in Spektrum die Lage folgendermaßen:

Das zeigt nachdrücklich: Diplomatische Erfolge auf internationalen Konferenzen und rechnerische Emissionsrückgänge reichen nicht aus. Die Klimapolitik muss eben auch Auswirkungen aufs Klima haben. Und die hat sie im Moment nicht, eine Tatsache, die man mindestens ebenso dringend diskutieren sollte wie das nächste Emissionsziel.

Dass es mit dem Klimaschutz nicht so recht klappt, hat triftige Gründe. Der Klimawandel ist ein Problem der Zukunft, während die Gegenwart ihre eigenen Herausforderungen mit sich bringt. Essen, Bildung und Gesundheit. Ein Dach über dem Kopf, Sicherheit und einen gewissen Komfort. Das zu ermöglichen, ist die zentrale Aufgabe staatlicher Politik. [...] Die Klimapolitik muss diese beiden Aufträge irgendwie miteinander und mit den Anforderungen internationaler Diplomatie vereinbaren. Die bisherige Strategie: Klimaschutz findet dort statt, wo er die zentralen Pfeiler des Alltags nicht einreißt. Deswegen ruht der Fokus so stark auf erneuerbaren Energien, Elektroautos und verschiedenen Strategien, Kohlendioxid einzufangen – alles Methoden, die Welt klimafreundlich umzubauen, ohne radikale Änderungen. [...]

Doch der Preis ist hoch. Die Klimapolitik eilt von Erfolg zu Erfolg, von einem hart verhandelten Emissionsziel zum nächsten Erneuerbare-Energie-Rekord, deren Auswirkungen aber bei der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre oder den schmelzenden Gletschern zur Unmessbarkeit verdünnt sind. Zwei Welten eben, nur sehr bedingt durch Ursache und Wirkung verknüpft.

Und deswegen ist es sekundär, welche Emissionsziele und andere Klimaschutzpläne beim »Leaders Summit on Climate« herauskommen. Es stellt sich vielmehr die zentrale Frage, wie man aus dieser Falle der großen Erfolge mit winzigen Effekten wieder herauskommt. Nach zwei Jahrzehnten Klimaschutz in der einen Welt und immer schneller steigenden Treibhausgaskonzentrationen in der anderen ist die entscheidende politische Aufgabe, die getrennten Welten wieder zusammenzuführen.

Damit berührt Fischer ein grundlegendes Problem. Ein Erhalt des Status Quo war (und ist in großen Teilen) das vordringliche Ziel der Klimapolitik. Die Überzeugung der Politik ist, ob zu Recht oder Unrecht (ich denke zu Recht), dass die Bevölkerung zwar Klimaschutzmaßnahmen wünscht und es eine Mehrheit für solche gibt, nicht aber für einen tiefgreifenden Wandel des Alltags. Deswegen bleiben Gruppen wie Extinction Rebellion, die "Grenzen des Wachstums"-Ideen vertreten, auch seit deren ersten Auftauchen in den frühen 1970er Jahren eine unbedeutende Minderheit. Noch ist der Veränderungsdruck bei weitem nicht hoch genug, um eine Einsicht in Notwendigkeiten von massiven Alltags- und Verhaltensänderungen mit sich zu bringen.

Dieser Stimmungswandel würde auch erst kommen, wenn es zu spät ist. So wie in der Pandemie dann eine Mehrheit für eingreifende Maßnahmen ist, wenn die Totenzahlen in die Höhe schießen, und nicht vorher, wenn man sie verhindern könnte, so ist auch beim Klimawandel damit zu rechnen, dass dann, wenn Hochwasser und Dürren Jahr um Jahr breite Landstriche verheeren, entsprechende Bereitschaft entstehen wird. Nur ist es dann natürlich zu spät. Diesem Dilemma liegt die gesamte bisherige Klimapolitik zugrunde. Wie Fischer es so schön beschreibt: man hat viel Klimapolitik betrieben, aber die erhofften Auswirkungen blieben aus.

Die Autoren James Dyke, Robert Watson und Wolfgang Knorr machen in ihrem lesenswerten Artikel die Idee von "net zero", also der Vorstellung, dass um die Mitte des 21. Jahrhunderts die Emissionen durch CO2-Entnahme aus der Luft in Summe null erreichen sollen, direkt für das Dilemma verantwortlich:

We have arrived at the painful realisation that the idea of net zero has licensed a recklessly cavalier “burn now, pay later” approach which has seen carbon emissions continue to soar. It has also hastened the destruction of the natural world by increasing deforestation today, and greatly increases the risk of further devastation in the future.

Die Versuchung für die Politik, besonders für das liberale Spektrum, war unwiderstehlich. Der Verweis auf irgendwelche zukünftigen Technologien gehörte noch zu Beginn diesen Jahres zum Standard-Argumente-Baukasten sowohl von FDP als auch CDU. Besonders Christian Lindner und Peter Altmaier verwiesen sehr gerne auf "Innovationen" unbestimmter Art, die in einer ebenso unbestimmten Zukunft das Klima retten sollten. Ich hatte diese Argumentationsweise bereits hier im Blog kritisiert, und sie fiel den Urhebern nun krachend auf die Füße. Der technische Machbarkeitswahn, so fahren die Artikelautoren fort, führte zu inkrementellen Reförmchen:

It was around that time that the first computer models linking greenhouse gas emissions to impacts on different sectors of the economy were developed. These hybrid climate-economic models are known as Integrated Assessment Models. They allowed modellers to link economic activity to the climate by, for example, exploring how changes in investments and technology could lead to changes in greenhouse gas emissions. They seemed like a miracle: you could try out policies on a computer screen before implementing them, saving humanity costly experimentation. They rapidly emerged to become key guidance for climate policy. A primacy they maintain to this day. Unfortunately, they also removed the need for deep critical thinking. Such models represent society as a web of idealised, emotionless buyers and sellers and thus ignore complex social and political realities, or even the impacts of climate change itself. Their implicit promise is that market-based approaches will always work. This meant that discussions about policies were limited to those most convenient to politicians: incremental changes to legislation and taxes.

Dadurch verschoben sich die Maßstäbe von dem, was notwendig und sinnvoll wäre, zu dem, was man zumutbar glaubte. In der Vorstellung, Klimaschutz heute sei im Endeffekt nur ein nutzloser Luxus, quasi grüne Identitätspolitik, die man sich eben leiste, weil in Zukunft irgendetwas ganz Tolles passiere, das das Problem löse, verzettelte man sich im ideenlosen Klein-Klein. Darüber ging der Blick dafür, wie groß die Herausforderung eigentlich ist, völlig verloren. Das gigantische Investitonsprogramm, das etwa Joe Biden in seinem aufsehenserregenden Bruch mit der wirtschaftlichen Orthodoxie aufgelegt hat, ist zwar weltweit unerreicht. Adam Tooze weist aber zurecht darauf hin, dass Bidens Programm alles andere als radikal ist - es ist nur weniger unzureichend als das, was alle anderen machen. Der Groschen ist immer noch nicht wirklich gefallen, inkrementelle Lösungen scheinen vielen immer noch das Gelbe vom Ei zu sein:

i’m so tired man pic.twitter.com/MrkKQTNNHp

— The May AtreyuQueen (@atreyupilled) April 29, 2021

Ein weiteres durch die Gipfeldiplomatie bereitetes Problem ist das Vernebeln einer simplen Tatsache: je früher Maßnahmen ergriffen werden desto leichter und realistischer sind sie. Das ist das, worüber ich meinem eigenen Artikel geschrieben habe: eine realistische Klimaschutzpolitik ist gerade eine, die als unrealistisch angesehen wird. Unrealistisch aber ist es, auf inkrementelle Verbesserungen und die Zukunft zu hoffnen, denn diese Wette auf die Zukunft wird immer abenteuerlicher, je länger nichts geschieht. Wären in den 1990er Jahren entschlossene Schritte zur CO2-Reduzierung angegangen worden, wäre das Problem heute wahrscheinlich größtenteils gelöst. Stattdessen hat man 30 Jahre lang gezockt.

Dabei geholfen haben die von Dyke, Watson und Knorr erwähtnen Modelle. Je unerreichbarer das 1,5°-Ziel durch tatsächliche Emissionsreduzierungen wurde - und es ist unerreichbar! -, desto mehr wurden die mathematischen Modelle einfach durch carbon-capture-Technologie modifiziert. Das Problem ist nur: diese Technologie existiert nicht, zumindest nicht in einer sicheren und wirtschaftlichen Art. Die marktwirtschaftliche Logik macht die Dinger völlig unrentabel, und dementsprechend kümmern sich die "brillanten deutschen Ingenieure" auch darum, dass der neueste Mercedes 0,05l weniger Benzin auf 100km verbraucht, statt am eigentlichen Problem zu arbeiten. Auch darüber hatte ich bereits geschrieben: die Kräfte der Marktwirtschaft sind unsere beste, unsere einzige, Hoffnung, das Problem Klimawandel anzugehen. Aber sie sind aktuell fehlallokiert, und diese Fehlallokation wird sich nicht von selbst beheben. Es muss wirtschaftlich sein, das Klima zu schützen, besser noch: man muss die dicken Kohlen damit machen können, so wie Pfizer, Moderna und so weiter Milliarden mit dem Covid-Impfstoff verdienten. Das ist aber gerade nicht der Fall.

Inzwischen hat sich die Lage noch weiter verschlimmert. Die Modelle aber wurden einfach angepasst. Neben der zwar existierenden, aber nicht wirtschaftlichen und massentauglichen carbon-capture-Technologie hat man einfach den Einsatz verdoppelt und carbon-removal-Technologien mit eingepreist, die das CO2 aus der Atmosphäre saugen sollen. Diese Technologien existieren überhaupt nicht; ob sie es je werden, ist völlig unklar. Sie sind aktuell genauso realistisch wie eine Kolonie auf dem Mars. Dadurch besteht aber kein Handlungsdruck - denn in den Modellen lässt sich die Klimakurve ja immer weiter abflachen. Und genau deswegen ist der bisherige Ansatz gescheitert.

Die Kehrtwende der Parteien

Und damit kommen wir zu der politischen Situation in Deutschland zurück, die sich gerade massiv verändert. Das BVerfG-Urteil war dabei nicht der Auslöser, aber so etwas wie der finale Sargnagel in der Verleugnungshaltung der Parteien (außer der AfD, selbstverständlich). Ich empfinde dieses Urteil aber nicht als Sieg, sondern als Niederlage. Einerseits weil ich "Politik durch das Verfassungsgericht" ablehne, andererseits aber auch, weil die entsprechende Einsicht viel zu spät kommt. Aber natürlich: besser spät als nie. Betrachten wir nun die Parteien selbst.

Da wären zuerst die Grünen. Sie haben das Thema als letzten überlebenden Markenkern ihrer einstigen Identität aus der Gründerzeit bewahrt und waren lange die einzige Partei, die sich überhaupt darum bemüht hat, es in den öffentlichen Diskurs zu bringen. Aber selbst bei den Grünen geriet es bis zu den #FridaysForFuture-Protesten ziemlich in den Hintergrund.

Noch schlimmer: Die Partei ruhte sich auf ihren Lorbeeren aus. Weil sie die einzige Partei war, die Klimaschutz als zentrales politisches Ziel einforderte, gab es keine große Notwendigkeit, hier über das Niveau der anderen Parteien hinaus zu gehen. Seit der Aufnahme eines reichlich unbestimmten "Green New Deal" ins Parteiprogramm 2013 kamen keine neuen Impulse. Man übernahm das Bekenntnis zu einer CO2-Steuer auf einem geradezu lächerlichen Niveau und ohne große Überzeugung.

Die beste Perspektive für einen Anschub in Sachen Klimawandel bietet ironischerweise ausgerechnet die FDP. Nachdem die Partei lange Jahre als entschiedener Gegner von Klimaschutzpolitik in Erscheinung getreten war, hat sie nun eine rhetorische Kehrtwende hingelegt. Das passt auch hervorragend ins Profil.

Die FDP hat sich unter Christian Lindner neu als junge, fortschrittliche Partei erfunden. Der Fokus im Bundestagswahlkampf 2017 lag klar auf Digitalisierung und Bildung; beides Themen, die unter den beiden seit 2005 praktisch dauerregierenden "Volksparteien" nicht eben hoch im Kurs standen. Dass jenseits der Rhetorik nicht allzuviel Inhalt da war, ist ein Thema, das die FDP mit den Grünen teilt. Aber das ist auch nicht so dramatisch; diese Lücke kann im Zweifel entsprechend schnell aufgefüllt werden.

Ein Beispiel dafür ist Lindners jüngster Vorstoß für ein "Investitionspaket": Er schlägt vor, Steuererleichterungen von 600 Milliarden Euro zu gewähren, damit diese für jeden gesparten Steuer-Euro zwei Euro investieren. Letztlich handelt es sich um eine exakte Spiegelung des keynesianischen Multiplikators. Natürlich gibt es nicht die geringste Garantie, dass das passieren würde - sehr viel wahrscheinlicher ist, dass die Unternehmen das Geld einfach einstecken; bei Trumps Steuerkürzungen, dem jüngsten Beispiel dieser Politik, ist genau das passiert. Aber die Wirklichkeitsfremde des FDP-Vorschlags, der auf dem ideologischen Reflex beruht, zu jedem Thema erst mal die Steuern zu senken, ist nicht das Wichtige. Das Wichtige ist, dass die FDP überhaupt in Begriffen von Milliardeninvestitionen denkt, die durch die deutsche Wirtschaft in den Klimaschutz gelenkt werden.

Denn was die FDP zum Hoffnungsträger von Klimaschutzpolitik macht ist, dass sie die Kehrseite der Medaille der Grünen sein können. Wenn beide Seiten bereit sind, sich gegenseitig nicht als ideologische Geisterfahrer, sondern als das zu sehen, was sie sind - komplementäre Herangehensweisen an dasselbe Thema - dann haben sie die Werkzeuge an der Hand, um sowohl die Schaffenskraft der Marktwirtschaft und der "deutschen Ingenieure" zu entfesseln als auch die des deutschen Staates und der entsprechenden international verästelten Organisationen wie der EU zu mobilisieren. Und gerade dieser ganzheitliche Ansatz wäre notwendig. Aktuell bin ich bestenfalls verhalten optimistisch, dass es hier statt der Antithese zur Synthese kommt, aber das Potenzial ist unbestreitbar vorhanden.

Wesentlich problematischer ist es mit der CDU. So darf man etwaLaschets offenen Aufruf zur Klimakriminalität durchaus als emblematisch für die Mentalität dieser Partei verstehen, in der die Korruptionsskandale der jüngsten Vergangenheit einmal mehr aufgezeigt haben, was für ein Selbstbedienungsladen für viele Funktionäre der deutsche Staat zu sein scheint. Gerade Peter Altmaier, dessen ganze Regierungszeit geradezu als Sabotage ernstzunehmender Klimaschutzmaßnahmen gewertet werden muss, kann hier als Exponent stehen. In diesem Zusammenhang ist Svenja Schulzes Kritik an Peter Altmaier sehr lesenswert. Und wo wir gerade bei dieser Riege sind: Merkel bewies direkt, dass sie ihr Mojo noch besitzt, als sie nach dem BVerfG-Urteil verkündete, man müsse jetzt Klimagesetze verschärfen. Es ist typisch für sie, dass sie mit einigen wertlosen Zugeständnissen ein Thema abräumen will, bevor es ihrer Partei gefährlich werden kann. Für die CDU ist das ein guter Ansatz, politisch sehr wirkungsvoll; für das Land und die Welt eine Katastrophe. Das reiht sich daher gut in Merkels Bilanz bei diesem Thema ein.

Noch viel schlimmer ist der rechte Flügel der Partei, wie ihn Friedrich Merz verkörpert, der angesichts des BVerfG-Urteils nur ein verächtliches Lachen übrig hat. Diese Leute leisten bestenfalls Lippenbekenntnisse zu der Notwendigkeit von Klimaschutz, sind aber noch zu sehr in ihrer ideologischen Verhaftung der früheren Grabenkämpfe gefangen, in denen es um eine Frontstellung "der Wirtschaft" gegen "das Klima" ging, als ob diese zwei gleichberechtigte, gegeneinander abzuwägende Seiten wären. Dieselbe Logik haben wir im Lockdown erlebt, als denselben Leuten nicht klar war, dass es kein Abwägen gibt. Ohne Klima keine Wirtschaft. Weder ein Virus noch der Klimawandel interessieren sich für Lobby-Politik, da schafft die Realität im Zweifel Fakten. Nur ist es dann zu spät.

Ganz ohne Potenzial ist natürlich auch die CDU nicht. In Reaktion auf die "Werteunion" einerseits (die Laschet dankenswerterweise verurteilt hat, das sei hier positiv erwähnt) und die Notwendigkeit und Bedeutung des Themas andererseits hat sich in der CDU nun ein Flügel gebildt, der sich "Klimaunion" nennt und klar für weitreichende Maßnahmen und moderne Politik eintritt. Leider ist er bisher noch sehr einflusslos und kommt medial auch kaum vor. Dazu will die CDU "auch inhaltlich überzeugen", worunter der Versuch der Positionierung zwischen den "Extremen" Grüne und FDP zu verstehen ist - in Theorie Erfolg versprechend, in der Praxis schwierig umsetzbar, schon allein mit diesem ausgebrannten Personalbestand.

Noch düsterer sieht es für die SPD aus. Für die Genossen war Klimaschutz nie eine Herzensangelegenheit; immer noch ist es ihnen nicht gelungen, herauszufinden, wie sie das Thema ihrer rapide schmelzenden Wählerschaft schmackhaft machen können; ja, es bleibt unklar, ob die verbliebenen SPD-Wähler*innen eigentlich mehrheitlich für oder gegen Klimaschutz sind. Entsprechend duckt sich die Partei weitgehend weg und heuchelt Glück über das BVerfG-Urteil, als habe sie es selbst herbeigeführt und schon immer diese Forderungen aufgestellt.

Bleibt die LINKE. Diese bekennt sich natürlich rhetorisch schon seit Langem zum Kimaschutz, doch ist der Verdacht erlaubt, dass sie ihn vor allem als nettes Einfallstor betrachtet, um die Rolle des Staates im Wirtschaftsleben zu heben. Genauso wie Christian Lindner reflexartig die Unternehmenssteuern senken will, um das Klima zu retten, will die LINKE den Spitzensteuersatz heben, um dasselbe zu tun. Dahinter steht keinerlei Konzept; man verwendet lediglich ein gerade aktuelles Thema, um zu fordern, was man immer schon gefordert hat. Dass die linke Kernwählerschaft mit dem Thema nicht sonderlich viel anfangen kann, kommt noch hinzu.

Die AfD können wir völlig außen vor lassen. Wie die Republicans in den USA hat sich die Partei der Klimawandelleugnung verschrieben, nutzt sie das Thema für ihre antidemokratischen Mobilisierungskräfte. Die zerstörerische Kraft, denn diese Truppe entfaltet, ist hier nur einmal mehr zu sehen. Ob Covid, ob Klima, ob irgendetwas anderes, was die AfD will, ist Zerstörung, um auf den Trümmern dann zu herrschen. Zum Glück ist das eine Vision, die die überwältigende Mehrheit der Deutschen deutlich ablehnt.

Fazit

Letztlich bleibe ich hin- und hergerissen, was die Zukunft des Klimaschutzes angeht. Auf der einen Seite ist es positiv, dass zum ersten Mal ein klarer überparteilicher Konsens zur Notwendigkeit von Handeln vorhanden ist, und dass dieses Handeln lagerübergreifend ist. Auf der anderen Seite haben wir drei Dekaden verschleudert, die wir nie zurückbekommen werden, und zumindest die CDU ist ein sehr unsicherer und gleichzeitig der größte Kantonist, den wir in Deutschland haben. Ich stelle die These auf, dass die 2020er Jahre die entscheidenden Jahre für die Zukunft des Planeten und unserer gesamten Spezies werden. Wenn wir es in diesem Jahrzehnt nicht schaffen, das Ruder herumzureißen, sind wir erledigt.

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