Corona, Corona, Corona – eigentlich könnte es das dann schon gewesen sein mit dem Rückblick auf dieses seltsame und unangenehme Jahr 2020. Doch da waren auch noch ein paar andere Dinge, die es sich zumindest zu erwähnen lohnt (gerade weil einige Herrschaften diese am liebsten unter den Tisch fallen lassen möchten), und zudem sollte man die Covid-19-Pandemie dann eben auch ein bisschen in den politisch-gesellschaftlichen Gesamtkontext einordnen und ihre Auswirkungen betrachten.
Natürlich ist die Pandemie das wichtigste Ereignis des Jahres 2020, da sie schließlich massiven Einfluss auf das Leben der allermeisten Menschen hatte. Und zudem natürlich auch viele Todesopfer forderte, derer es zu gedenken und die es zu betrauern gilt.
Was mir jedoch bei den meisten Sichtweisen darauf, die sich vor allem auf Infektions- und Opferzahlen beschränkten, fehlt, lässt sich ganz gut an einer Aussage festmachen, die ich vor einigen Monaten (ich weiß leider nicht mehr genau mehr, wo dies war) gelesen habe: Es handelt sich bei dieser Pandemie um die erste umfassende Krise des Anthropozäns.
Denn schließlich ist die Erkrankung nicht einfach so vom Himmel gefallen, sondern hat ihre Ursache in unserer Lebensweise, indem wir die Artenvielfalt auf unserem Planeten in großem Stil reduzieren und zudem in immer mehr unberührte Gebiete vordringen, sodass Menschen in häufigen Kontakt mit Wildtieren kommen, denen sie zuvor nicht oder nur selten begegneten.
Umso absurder ist jetzt auch der überall zu vernehmende Wunsch nach einer Rückkehr zur „Normalität“. Diese Normalität war es schließlich, die uns den ganzen Schlamassel erst eingebrockt hat. Mal davon abgesehen, dass diese Normalität die ohnehin schon obszön großen Vermögen der Reichsten dieser Welt noch weiter anwachsen lässt und immer mehr Menschen dadurch verarmen. Ach ja, und unsere Planeten macht diese Normalität so ganz nebenbei dann auch noch kaputt.
Aber leider ist es wohl so, dass gerade die Weiter-so-Fraktion von der Pandemie profitiert. Dazu braucht man sich ja nur mal anschauen, dass bei Wahlumfragen die CDU in diesem Jahr mächtig zugelegt hat. Also genau die Partei, die vor allem (neben der FDP) für die Politik steht, die zur Pandemie geführt hat. Und die ja auch gerade dabei ist, den Boden für weitere Pandemien und andere Katastrophen zu bereiten: auf EU-Ebene beispielsweise durch die Landwirtschaftssubventionen, die nach wie vor in erster Linie an die Betriebsfläche und nicht an ökologische Kriterien gekoppelt sind. Oder durch das Aufrechterhalten der Massentierhaltung, das Ausbremsen der Energiewende, das ständige Hofieren der Autoindustrie, Milliardenzahlungen für Luftfahrtunternehmen usw.
Denn der Klimawandel hat leider nicht pausiert aufgrund von Corona, sondern ist fatalerweise nur aus dem medialen und öffentlichen Fokus verschwunden.
Und neben der Weiter-so-Fraktion sind es dann eben auch die „üblichen Verdächtigen“, die sich als Krisengewinner herausstellen (wie ich schon im März in einem Artikel gemutmaßt habe): Die Reichsten der Reichen haben ihre Vermögen extrem vergrößern können, Konzerne mit einem Onlinegeschäft freuen sich über gesteigerte Umsätze und wegfallende Konkurrenz des stationären Handels, und die Überwachungsfanatiker freuen sich über verängstigte Bürger, die quasi darum betteln, dass der Sicherheitsapparat weiter ausgebaut wird und erweiterte Befugnisse erhält.
Und auch in unserer Regierung finden sich etliche Gestalten, für die sich die Pandemie als Segen herausgestellt hat, da das Corona-Geschehen eben alles andere in den Hintergrund drängt.
Wobei wir dann schon da wären, was sonst noch so gewesen ist in diesem Jahr.
Da wäre zum Beispiel der Wirecard-Skandal, der normalerweise das Zeug zu einer Staatskrise gehabt hätte. Immerhin ist das Finanzministerium mit seinen Aufsichtsgremien da mittenmang (mal wieder, nachdem Bundesfinanzminister Olaf Scholz ja schon mit Cum-Ex-Verbrechern gekungelt hat), und auch die Bundeskanzlerin ließ es sich nicht nehmen, sich vom Lügenbaron von und zu Guttenberg als Lobbytantchen einspannen zu lassen, um dann auf einer Chinareise trotz Warnungen aus dem eigenen Umfeld, dass bei Wirecard einiges im Argen liegt, Werbung für ebendiese Firma zu machen. Ach ja, und das Parlament hat sie dann, als deswegen nachgefragt wurde, auch noch dreist angelogen – eigentlich ein Grund zurückzutreten, wenn Merkel denn nur einen Funken von Anstand und Format hätte – und wenn nicht gerade „glücklicherweise“ das ganze Land mit der Corona-Pandemie beschäftigt wäre.
Doch das ist nicht das einzige unanständige Politikerverhalten gewesen im vergangenen Jahr. CDU-Youngster (oder Milchbubi, je nach Sichtweise) Philipp Amthor ließ sich mit Aktienoptionen, Luxusreisen und einem Direktorenposten von einem fragwürdigen Unternehmen dafür entlohnen, dass er ein wenig seinen Einfluss spielen lässt, um Lobbyismus für seine Gönner zu betreiben. Konsequenzen? Ein „Ich habe ja so einen Fehler gemacht“-Video, und das war’s dann. Ach ja, ein bisschen „Du, du, du“ gab’s für den armen Kleinen auch noch. Und schon darf er schön weiterwuschteln als Bundestagsabgeordneter.
Aber auch die erfahreneren Kollegen glänzten mit Wirtschaftshörigkeit und mangelndem politischen Anstand. So hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein Gutachten unter Verschluss gehalten, das aussagte, dass fünf Ortschaften nicht für einen Braunkohletagebau weichen müssten – das passte ihm halt nicht ins Konzept. Bei Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) folgte auf das Hunderte Millionen Euro teure Desaster mit der Pkw-Maut ein noch mal kostspieligeres Debakel mit der Autobahn GmbH, Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner veranlasst, dass die Fleischindustrie zukünftig weniger kontrolliert wird, und führt die Öffentlichkeit unter Mithilfe vieler Medien diesbezüglich an der Nase rum, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kauft Immobilien im großen Stil und vergibt dann einen Topjob an einen der Buddies, von dem er eine Luxusbude für knapp eine Million Euro gekauft hat, Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat bei ihrer Doktorarbeit offensichtlich plagiiert, ohne dies zu kennzeichnen, und bekommt von der Freien Universität in Berlin dafür noch eine milde Rüge (die für so ein Vorgehen gar nicht vorgesehen ist), da man es sich offensichtlich mit der potenziellen zukünftigen Berliner Bürgermeisterin nicht verscherzen möchte, und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) deckt illegale Pushback-Praktiken der griechischen Küstenwache.
Alles so richtig vertrauensbildende Maßnahmen, um den Politikverdruss in der Bevölkerung zu verringern. Nicht.
Na ja, und dann war da ja noch Anfang des Jahres das Gekungel von CDU und FDP mit der AfD in Thüringen, also ausgerechnet mit dem Landesverband von Björn Höcke, um Bodo Ramelow als Ministerpräsidenten zu verhindern. Es gab zwar viel Aufregung deswegen, aber mir kam das vor allem wie Theaterdonner vor, um der Öffentlichkeit Empörung zu suggerieren. Bei der nächsten größeren Zusammenarbeit (die es auf der Ebene von Stadt- und Kommunalparlamenten ohnehin schon öfter gab) dieser drei Parteien wird die Aufregung dann schon weniger sein, und so wächst da zusammen, was zusammengehört.
Wobei es ja vermutlich im nächsten Jahr nach der Bundestagswahl dann erst mal auf Schwarz-Grün hinauslaufen dürfte, und die Grünen tun zurzeit ja auch alles, um sich als Juniorpartner anzubiedern – von den ehemaligen Idealen dieser Partei wie Pazifismus und Basisdemokratie ist in jedem Fall nicht mehr viel übrig geblieben. Und vom Umweltschutz auch nicht, wenn man sieht, dass ein grüner Umweltminister in Hessen den Dannenröder Wald abholzen lassen möchte, um dort eine Autobahn hindurchzuzimmern. Aber so sind die Grünen ja schon seit Längerem, wenn sie in Regierungsverantwortung sind, dazu muss man nur nach Hamburg (Elbvertiefung und Kohlekraftwerk Moorburg) oder Baden-Württemberg (Politik direkt aus dem Anus von Daimler-Benz) schauen.
Womit ich dann auch schon beim Ausblick auf das kommende Jahr wäre, und der fällt leider, wie in den letzten Jahren schon, nicht besonders optimistisch aus.
Die Corona-Pandemie hat die neoliberale Agenda, nämlich das Umverteilen von öffentlichen Geldern und dem Einkommen ärmerer Personen hin zu ohnehin schon riesigen Privatvermögen, noch weiter vorangebracht und forciert. Und dieser Weg wird aller Voraussicht nach auch weiterverfolgt. Die „Kollateralschäden“ sind jetzt schon absehbar: Die Kulturszene hat einen massiven Aderlass zu verkraften, viele Kleinbetriebe werden nicht mehr existieren, die psychologischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen als Folge der Lockdown-Maßnahmen sind ohnehin schon angestiegen, genauso wie die Verschlechterung des Gesundheitszustandes vieler psychisch kranker Menschen. Da werden dann die zu erwartenden Einschnitte im Sozialsystem, um die Corona-Schulden auszugleichen, noch mal zu einer Verschärfung der Situation für diese Betroffenen führen.
Und das alles werden sich die braven Untertanen schön so gefallen lassen, denn leider ist ja der Untertanengeist wieder sehr en vogue, wie ich schon seit Monaten immer wieder feststelle. Daher fällt die Kritik daran, dass die Exekutive gerade durchregiert und damit die Gewaltenteilung (immerhin eines der wichtigsten Grundprinzipien unserer Demokratie) außer Kraft gesetzt ist, auch nur sehr leise aus. Was auch an einer überwiegend regierungsunkritischen medialen Berichterstattung liegt (was im Sommer eine Studie belegt hat, die exemplarisch mal die Nachrichtensendungen von ARD und ZDF diesbezüglich analysiert hat; s. hier).
Denn zu kritisieren hätte es genügend gegeben, angefangen mit der anfänglichen Bagatellisierung der Pandemie über die schlechte Koordination der ersten Schutzmaßnahmen bis hin zur Untätigkeit im Sommerhalbjahr im Hinblick auf die zu erwartende zweite Welle im Herbst. Dass diese kommen würde, was schließlich wenig überraschend und wurde ja auch von vielen Fachleuten prognostiziert, allerdings wurden weder infrastrukturelle Vorkehrungen getroffen, um damit besser klarzukommen als im Frühling, noch wurden parlamentarische Entscheidungsgremien geschaffen, die dann auch tatsächlich legitimiert wären nach unserer Verfassung – was die Zusammenkunft von Bundeskanzleramt und Ministerpräsidenten, die als Exekutive quasi alle relevanten Corona-Entscheidungen im Alleingang trifft, nämlich nicht ist.
So hätte man beispielsweise Entlüftungsanlagen in Schulen installieren können, was nur einen Bruchteil der Lufthansa-Milliarden gekostet hätte, um so diese Hotspots der Virusverbreitung zu entschärfen. Man hätte gezielt die Personalkapazitäten der Krankenhäuser ausbauen können, anstatt mit der Gießkanne Gelder auszuschütten, von denen vor allem private Klinikbetreiber profitiert haben, und dem Pflegepersonal außer symbolischem Applaus und schönen Worten auch materielle Zuwendungen zukommen lassen können. Man hätte damit beginnen können, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen (sollte wegen der drohenden Klimakatastrophe eh geschehen) und neue Konzepte zu entwickeln, um die Ansteckung in überfüllten Bussen und Bahnen zu minimieren. Man hätte Konzepte für das Einkaufen in Supermärkten entwickeln können, damit dort nicht ständiges Gedrängel von vielen Menschen stattfindet, anstatt die Geschäfte und Betriebe mit stimmigen Hygienekonzepten dann als Erstes dichtzumachen (was ja wenig überraschend dann auch gar nichts gebracht hat).
Hier liegt also offensichtliches Politikversagen vor, und der dafür wohl zumindest nicht unerheblich verantwortliche Bundesgesundheitsminister wird zum beliebtesten Politiker des Landes – woran man sieht, was einseitige Berichterstattung so alles bewirken kann.
Ach ja: Einen rechtsterroristischen Anschlag hat es Anfang des Jahres ja auch noch gegeben. Doch daran hat man sich in den letzten Jahren ja leider fast schon gewöhnt. Passend dazu ist dann auch, dass die sogenannten Querdenker eine Plattform bieten für Rechtsextremisten – und auch stinknormale Bürger mit diesen auf einer Demo mitlaufen. Dass durch die Fokussierung der Berichterstattung hierauf, wenn es um Kritik an der Corona-Politik der Bundesregierung geht, Kritik nicht nur generell diskreditiert wird, sondern auch die AfD gestärkt wird, um sich so als „einzig wirkliche Opposition“ präsentieren zu können, dürfte dem Rechtsruck zudem auch weiteren Schwung geben. Und was diesen Rechtsruck dann noch bedenklicher macht, ist das aufgrund von stetig neuen „Einzelfällen“ nicht mehr zu übersehende strukturelle Problem mit Rechtsextremisten bei Polizei und Bundeswehr.
Wobei: Vielleicht wird das ja gar nicht von einer Politik als Problem wahrgenommen, die sich selbst auf dem Weg immer weiter nach rechts befindet …
Eine progressive Politik wäre vonnöten, und das sehr schnell, um die Klimakatastrophe noch in einigermaßen erträglichen Bahnen ablaufen lassen zu können. Stattdessen nahm gerade im nun abgelaufenen Jahr der reaktionäre Backlash (s. dazu meinen Artikel vom Juni) reichlich Fahrt auf – und ich fürchte, dass es dieser Aspekt des Jahres 2020 sein wird, der in einigen Jahren hauptsächlich die Erinnerung an dieses unselige Jahr prägen wird. Gegen die Auswirkungen der Klimakatastrophe, wenn sie weiterhin ungebremst geschehen lassen wird, dürfte sich Corona rückblickend dann nämlich wie ein Kindergeburtstag ausnehmen.
Nun bleibt zu hoffen fürs Jahr 2021, dass die gerade angelaufenen Impfungen auch den gewünschten Effekt zeitigen und so Covid-19 in den Griff zu bekommen ist. Und dass die Neoliberalen nicht auf die Idee kommen, dass eine in ihrem Sinne dermaßen erfolgreiche Krise doch bitte eine Fortsetzung finden sollte – wie auch immer die dann genau aussehen mag.
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