Tja, schon wieder ein Jahr rum, und schon wieder kann ich keinen besonders positiven Rückblick aufs vergangene Jahr an dessen Ende schreiben …

Letztes Jahr beendete ich meinen Jahresrückblick mit folgenden Worten:

Ach, was wäre es schön, mal einen positiv gestimmten Jahresrückblick schreiben zu können. Das war leider in gut acht Jahren unterströmt noch nicht möglich – und die negativen Prognosen haben sich in der Regel leider auch immer bestätigt.

Und das kann ich leider so auch genau für 2022 feststellen. Zwar ist das Hauptthema der letzten beiden Jahre COVID-19 ziemlich in den Hintergrund getreten, und die Zahlen derjenigen, die daran erkranken und daran oder damit sterben, sind ja zum Glück auch runtergegangen.

Das ist ja eigentlich schon mal eine gute Sache – allerdings ließ die nächste große Krise nicht lange auf sich warten, als nämlich Russland im Februar die Ukraine überfiel.

Und das ist nun nicht einfach nur ein Krieg zwischen zwei Nachbarländern, sondern hat reichlich Auswirkungen auf den Rest der Welt, da Russland eben ein großer Exporteur von fossilen Brennstoffen und die Ukraine ein großer Exporteur von Nahrungsmitteln ist.

Da Deutschland sehr viel Erdgas und Erdöl aus Russland bezieht bzw. bezog (und es anscheinend vorher auch niemanden gestört hat, dass Russlands Präsident Wladimir Putin kein allzu toller Typ ist), sind die Energiepreise nun als Folge der augenblicklich verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland bei Kriegsausbruch hierzulande reichlich angestiegen. Was dann zur Folge hatte, dass nicht nur Strom, Heizen und Autofahren deutlich teurer wurden, sondern eben auch viele Dinge, die transportiert werden müssen, beispielsweise Lebensmittel.

Und natürlich haben auch viele Unternehmen die Preise im Zuge dieser gestiegenen Inflationsrate einfach so erhöht, eben weil es gerade nicht so auffällt, sodass die Profite vieler Unternehmen auch reichlich angestiegen sind. Mal wieder wird also eine Krise vor allem zur Umverteilung von finanziellen Mitteln von „unten nach oben“ genutzt. Das war ja auch schon während der Corona-Pandemie so, als die Zahl der Millionäre zugenommen hat, genauso wie die Zahl derjenigen, die arm oder von Armut bedroht sind.

Das ist nämlich auch das Grundproblem am Kapitalismus, zumal in seiner neoliberal radikalisierten Form: Das System braucht Krisen, da die Bewältigung von deren Folgen die reale Produktion wachsen lässt, sodass deren Wachstum zumindest kurzzeitig mit dem höheren Wachstum der Rendite mithalten kann. Das ist zwar langfristig nicht der Fall, wie Thomas Piketty ja empirisch belegte (s. hier), aber durch solche krisenbedingten Wachstums-Pushs der Realwirtschaft kann die Finanzwirtschaft mit ihren leistungslosen Einkommen weiterhin am Laufen gehalten werden, ohne dass das System kollabiert – oder zumindest langsamer kollabiert.

Denn an diesem Punkt sind wir nun offensichtlich langsam, aber sicher angekommen. Denn schon wieder wurde deutlich, wie schon in den Jahren zuvor während der Pandemie, dass es dem ausführenden politischen Personal in der Regel anscheinend nicht darum geht, durch den Kapitalismus verursachte Krisen so zu lösen, dass sie für alle möglichst glimpflich ablaufen, sondern große Vermögen noch weiter zu vergrößern.

Genau wie das unendliche Wachstum, was der Kapitalismus benötigt und das in einem endlichen planetaren System einfach nicht stattfinden kann, ohne die Biosphäre zu zerstören, erwies sich im vergangenen Jahr auch das fundamentale Versprechen des Kapitalismus, nämlich dass es der nächsten Generation materiell besser gehen würde als der gegenwärtigen, als unrealistisch.

Und das ist ein untrügliches Zeichen für den Crash dieses Wirtschaftssystems. Ein weiteres Zeichen: Die relevante Infrastruktur funktioniert in immer größerem Maße nicht mehr.

Ein paar Beispiele:

Wasserversorgung ist ein elementares Gut. In Frankreich konnten wir im vergangenen Sommer schon sehen, dass etliche Gemeinden ihren Einwohnern keine Trinkwasserversorgung mehr gewährleisten können, und auch in Deutschland bahnen sich hier Engpässe an. Dazu muss man sich nur die vertrockneten Wälder und Felder anschauen, dann wird klar, dass Wasser zunehmend zu einem raren Gut wird.

Auch die Gesundheitsversorgung steht auf zunehmend tönernen Füßen. Das hat die Corona-Pandemie recht schonungslos offengelegt und das zeigt sich auch jetzt gerade in der Tatsache, dass Kinder, die (absehbar) nun vermehrt an der Atemwegserkrankung RSV erkranken, teilweise nicht mehr adäquat behandelt werden können. Miserable Behandlungen, blutige Entlassungen und profitable, aber nicht unbedingt zielführende Operationen gehören ja schon seit Jahren zur Tagesordnung – und wenn Patienten monatelang auf einen Termin beim Facharzt warten müssen, dann ist das ihrer Gesundheit auch nicht gerade zuträglich.

Bezahlbarer Wohnraum wird immer knapper, viele Menschen geraten da mittlerweile an ihre finanziellen Grenzen, gerade jetzt, wo auch noch die Energiekosten aus dem Ruder laufen. Ein Dach über dem Kopf zu haben und die Bude dabei auch hell und warm zu bekommen ist ja nun kein übertriebener Luxus, sondern ein Grundbedürfnis – das immer öfter nicht mehr erfüllt werden kann.

Dass generelle Energieengpässe entstehen konnten aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, zeigt auch, dass unser Wirtschaftssystem nicht gerade sonderlich stabil ist. Aber wenn immer nur darauf geschaut wird, alles möglichst billig irgendwoher zu bekommen, dann bleiben eben Nachhaltigkeit und Stabilität auf der Strecke.

Die Versorgung mit Lebensmitteln wird auch zunehmend für immer mehr Leute prekär. Das sieht man nicht nur daran, dass immer mehr Menschen (bis zu zwei Millionen) bei den Tafeln anstehen müssen, sondern auch daran, dass Lebensmittel massiv teurer geworden sind im letzten Jahr – auch aufgrund des Ukrainekrieges und der damit verbundenen gestiegenen Energiekosten, aber eben auch, weil viele Unternehmen nun im Zuge dieser Krise noch mal einen schönen Reibach machen wollen. Dass ich bestimmte Grundnahrungsmittel (wie Sahne beispielsweise) einfach nicht mehr bekomme im Supermarkt, weil es Lieferengpässe gibt, und man auch sonst öfter vor halb leeren Regalen steht, kannst ich so in dem Maße bisher auch noch nicht.

Die Altersversorgung wurde ja schon Anfang des Jahrtausends im Zuge der Agenda 2010 demontiert, und die Auswirkungen sehen wir mittlerweile immer deutlicher: Viele Menschen arbeiten ihr Leben lang, zahlen in die Sozialsysteme ein und bekommen dann am Ende nur die Mindestrente raus – was de facto Armut bedeutet. Und auch der Sozialstaat wurde in dem Zuge mit der Einführung des Hartz-IV-Regimes massiv beschädigt, sodass die Zahl der Armen in Deutschland seitdem jährlich steigt. Selbst eine sehr sanfte Korrektur dieses Missstandes, die in Form des Bürgergeldes stattfinden sollte, wird dann von der CDU im Bundesrat geblockt, sodass weitere Verwässerungen an einem eh schon nicht gerade großen Wurf vorgenommen werden mussten.

Und dann wäre da natürlich noch die Deutsche Bahn, über deren katastrophalen Zustand man wohl kaum noch Worte verlieren muss, oder?

Na ja, und in welch erbärmlichem Zustand viele Straßen, Brücken und öffentliche Gebäude (zum Beispiel Schulen) so sind, davon kann sich jeder überzeugen, der mit offenen Augen durchs Land geht oder fährt. Der „schwarzen Null“ sei dank – und dieser ökonomischen Blödsinnigkeit wird natürlich von einem Bundesfinanzminister der wirtschaftsinkompetenten FDP auch noch gehuldigt bis zum Erbrechen.

Sowieso zeigte sich im vergangenen Jahr auch überdeutlich, dass mit der FDP in der Bundesregierung keine wirklich nachhaltige oder gar progressive Politik zu machen ist – und ich behaupte ja, dass SPD und Grüne das auch gar nicht wollten, denn das hätte ihnen ja von vornherein klar sein müssen. Und zumindest hätte man dann nicht das so wichtige Bundesverkehrsministerium an einen FDP-Heini geben sollen. Volker Wissmann ist sich ja auch nicht zu schade dafür, seine Wähler für komplett dumm zu verkaufen, als er meinte, ein Tempolimit könne ja schon deswegen nicht eingeführt werden, weil man nicht genug Schilder hätte, auf denen „130“ stehen würde. Au weia!

Dabei wäre es gerade jetzt so wichtig, den Weiter-so-Kurs in der Politik zu beenden, da die Klimakatastrophe immer deutlicher in Erscheinung tritt. Nicht nur in Pakistan mit der verheerenden Flut oder der Dürre in Ostafrika, sondern zunehmend auch bei uns in Europa, wo wir einen extremen Hitze- und Dürresommer erlebten. Doch mit einer rechten Partei wie der FDP wird das eben nichts werden.

Und fatalerweise ist es ja auch in anderen Ländern so, dass die Rechten auf dem Vormarsch sind. In Schweden beispielsweise, wo die rechtsextremen Schwedendemokraten nun die konservative Regierung dulden. Oder in Italien, wo die Postfaschisten nun die Ministerpräsidentin stellen. Oder in Israel, dass noch nie so eine weit rechts stehende Regierung hatte wie zurzeit. Oder in den USA, wo sich die Republikaner zunehmend radikalisieren und auch zu einer offen rechtsextremen Partei mutieren. Oder in Frankreich, wo Präsident Emanuel Macron eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremen Marine Le Pen nicht mehr komplett ausschließt.

Da wirkt es eher wie ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass wenigstens der Rechtsextreme Jair Bolsonaro nicht mehr Präsident in Brasilien ist. Und dann gab es ja auch gleich einen Dämpfer im Nachbarland, als die neue progressive Verfassung in Chile von der Bevölkerung abgelehnt wurde.

Das Wirtschaftssystem kollabiert, wird aber dennoch nach wie vor als alternativlos angesehen. Die planetare Biosphäre kollabiert zeitgleich, was schon mal ein extrem ungünstiges Timing ist, da beide Vorgänge mit extremen Verwerfungen verbunden sind. Und viele Menschen wenden sich dann verängstigt rechten Rattenfängern zu.

Keine günstigen Aussichten für 2023 …

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