Die Serie „Vermischtes“ stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Die "Fundstücke" werden mit einem Abschnitt des Textes, der paraphrasiert wurde, angeteasert. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels empfohlen; ich übernehme keine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Zusammenfassungen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten. Dazu gibt es die "Resterampe", in der ich nur kurz auf etwas verweise, das ich zwar bemerkenswert fand, aber zu dem ich keinen größeren Kommentar abgeben kann oder will. Auch diese ist geordnet (mit Buchstaben), so dass man sie gegebenenfalls in den Kommentaren referieren kann. Alle Beiträge sind üblicherweise in der Reihenfolge aufgenommen, in der ich auf sie aufmerksam wurde.

Fundstücke

1) Die Ungeduld des Kanzlers wird uns teuer zu stehen kommen

Im Kommentar wird dargestellt, Friedrich Merz habe im Rentenstreit unnötig politische Risiken erzeugt, indem er auf eine Kanzlermehrheit gedrungen habe. Im Text wird erläutert, diese Entscheidung sei weniger Ausdruck strategischer Klugheit als Resultat einer allgemein um sich greifenden Ungeduld – sowohl im politischen Umfeld als auch in konservativen Milieus, die sich ein „Durchgreifen“ ersehnten. Beschrieben wird, Merz habe der AfD unfreiwillig Raum verschafft, weil die Debatte sich auf das Machtspiel statt auf Inhalte konzentriert habe. Zugleich werde betont, wirtschaftliche Akteure schürten Erwartungsdruck und klagten über den „freien Fall“, ohne eigene Versäumnisse zu reflektieren, was eine gefährliche Nachfrage nach quasi-autoritärem Regieren begünstigen könne. Im Artikel wird ausgeführt, der Kanzler befeuere diesen Mechanismus selbst durch vollmundige Ankündigungen, die Erwartungen überhöhten und Enttäuschung erzeugten. Die Folge sei Vertrauensverlust, während eigentlich wichtige Entscheidungen – etwa zur Wehrpflicht – in der Wahrnehmung verblassten. Abschließend wird konstatiert, Merz fehle es an Erwartungsmanagement, was seine Autorität langfristig schwäche. (Nikolaus Blome, Der Spiegel)

An der Kritik ist nichts grundsätzlich Neues; spannend finde ich eher die bürgerliche Perspektive, die Blome hier einbringt. Ich halte es nämlich schon für auffällig, dass Merz und große Teile der CDU diese bürgerlichen Verhaltens- und Habitusformen überhaupt nicht mehr pflegen. Ich will das an der Stelle gar nicht werten; ich hatte selbst nie Zugang zu dieser Bürgerlichkeit und konnte damit nichts anfangen, deswegen will ich hier keinen Schwanengesang dafür starten. Aber sowohl die FDP als auch die CDU vertreten das nicht mehr, und die AfD hat es sowieso nie gehabt. Ich weiß nicht, wie man das nennen will, was die "bürgerlichen" Parteien heute vertreten, aber ich denke, die aktuelle Obsession der Welt mit dem Rechts-Begriff gibt da den Hinweis: "Mitte-Rechts" ist vermutlich die passendste Beschreibung, oder einfach schlicht "die rechten Parteien", sobald die unvermeidliche Kooperation mit der AfD Realität wird. Aber "bürgerlich" und "Mitte" wird mehr und mehr unpassend für das, wohin sich die entwickelt haben.

2) Australien sollte kein Vorbild für Deutschland sein

Im Leitartikel wird beschrieben, die australische Regierung habe in rasantem Tempo ein Social-Media-Verbot für unter 16-Jährige durchgesetzt und feiere dies nun als Erfolg. Im Text wird jedoch betont, der schnelle Eingriff beruhe auf zweifelhaften Annahmen und begünstige vor allem die Plattformen. So werde erläutert, dass sich Facebook, YouTube oder Reddit weitgehend auf selbst gemeldete Altersangaben stützen dürften und sogar die Altersverifikation primär über Algorithmen erfolge. Im Artikel wird zudem hervorgehoben, dass Jugendliche den Bann leicht umgehen könnten – sei es durch falsche Angaben oder durch Hilfe älterer Bekannter. Zugleich werde darauf hingewiesen, dass ein Ausschluss von Social Media gesellschaftliche Teilhabe mindere und letztlich nur den Eindruck von Schutz erzeuge. Auch werde ausgeführt, der Ansatz könne Tätergruppen wie im Fall „White Tiger“ begünstigen, da betroffene Kinder ohne jugendspezifische Schutzmechanismen agierten. Im Fazit warnt der Kommentar, Deutschland solle kein Hauruckverfahren übernehmen, sondern eine demokratische Debatte führen und Jugendliche selbst einbeziehen.

Da sind wir wie im letzten Vermischten wieder bei der Debatte um sinnvolle Regulierung. In dem Fall kann man gut sehen, wie die zu starke Rücksichtnahme auf die Betroffenen Megakonzerne das eigentliche Vorhaben ad absurdum führt. Aber natürlich ist nicht nur das Lobbying der Internetriesen dafür verantwortlich. Dem ganzen Vorhaben steht auch ein Grundsatzproblem im Weg: die Identifikation im Internet. Dafür gibt es ja nach wie vor kein geeignetes System, und es ist, milde ausgedrückt, auch sehr unklar, ob wir das haben wollen. Ohne ein technisch allgemein aufgesetztes Verifizierungssystem aber kann ich natürlich auch nur schwer die Jugendlichen mit Maßnahmen treffen. Da beißt sich die Maus selbst in den Schwanz. Wahrscheinlich kommt da am Ende jetzt nur ein weiteres Kästchen raus, das man ähnlich den AGB anklicken muss, vielleicht mit einer Art Videoidentifikation, die sich leicht umgehen lässt.

3) Polygloom - What's wrong with Germany?

Im Artikel wird beschrieben, Deutschland stecke in einem vielschichtigen Stimmungstief, das der Autor als „polygloom“ bezeichnet. Adam Tooze zeichnet das Bild einer Wirtschaft, deren Wachstum seit vor Corona stagniere und deren Industrie unter Energiepreisen, Konkurrenz aus China und schwacher Binnennachfrage leide. Zugleich wird erklärt, die apokalyptische Rhetorik in Medien verstärke das Gefühl eines allgemeinen Niedergangs und spiele der AfD in die Hände, deren Wählerschaft besonders häufig einen „Systemwechsel“ fordere. Historisch erinnert der Text an die Reformzeit unter Schröder, die zwar Wettbewerbsfähigkeit gebracht, aber Ungleichheit verschärft und die Linke gespalten habe. Heute gehe es weniger um Arbeitslosigkeit als um geopolitische Risiken, den Wandel der Globalisierung und eine stark gewachsene, diverse Bevölkerung, in die der Staat zu wenig investiert habe. Tooze betont, notwendig seien groß angelegte öffentliche Investitionen – in Infrastruktur wie in Bildung, Wohnen und Integration –, um wirtschaftliche Stagnation und politischen Rechtsruck zugleich anzugehen. (Adam Tooze, Chartbook)

Ich halte den Punkt der apokalyptischen Rhetorik hier für besonders wichtig. Und es sind ja nicht nur die Medien. Das Dauergenörgel wird zu einem Grundton, der nicht dazu angetan ist, die zweifellos vorhandenen Probleme anzugehen. Das erinnert mich ein wenig an das Dauergenörgel der 1990er zum "Reformstau" und dem "sick man of Europe". Das schafft keine Atmosphäre, in der Tatendrang gedeihen könnte. Und wie Tooze zurecht betont, hilft es jenen, die einen Totalangriff auf das System fahren. Ich nehme diese negative Grundstimmung auch um mich herum wahr. Leute reden ständig vom Auswandern (was dann eh kaum einer macht), jammern über die Höhe der Abgaben, die Wirtschaften unmöglich mache (als ob die nicht vor fünf Jahren genauso hoch gewesen wären), dass die Rente nicht reicht (die über Abgaben finanziert wird) und so weiter. Überall ist nur Katastrophenstimmung, immer mit "die Politik" versagt und "alles" klappt nicht und so weiter. Dieses undifferenzierte "alles ist scheiße" ist nicht gesund.

4) Die AfD muss sich entscheiden

Im Artikel wird geschildert, die AfD stehe zugleich unter politischem Druck und vor einer inneren Richtungsentscheidung. Andreas Rosenfelder hebt hervor, dass Weidel einerseits berechtigte Kritik an Versuchen äußere, die Partei durch Gewalt oder administrative Manöver – etwa die Einstufung als „extremistische Organisation“ in Rheinland-Pfalz – zu marginalisieren. Andererseits werde erläutert, dass Weidel sich weigere, klare Distanz zum Höcke-Lager und dessen völkischem Vokabular zu ziehen. Ihre sarkastische Reaktion auf die bei der Gießener Jugendgründung zitierte Parole „Jugend muss durch Jugend geführt werden“ erscheine als Versuch, problematische Signale herunterzuspielen. Im Artikel wird betont, dass diese Doppelstrategie den Eindruck verstärke, die radikale Strömung präge die gesamte Partei. Zugleich werde die AfD in einer Lage beschrieben, in der ihr Wachstum die politische Blockade verschärfen könnte, sofern sie keine Koalitionsfähigkeit anstrebe. Rosenfelder warnt, dass die zunehmende Debatte über Parteiverbote den demokratischen Grundkonsens gefährden könnte und dass die AfD entscheiden müsse, ob sie reale Macht oder symbolische Gegenkultur anstrebe. (Andreas Rosenfelder, WELT)

Ich sehe nicht, dass die AfD sich entscheiden muss. Aktuell zwingt sie niemand dazu. Sie ist Schrödingers Partei, gleichzeitig der Wunschpartner der Rechten und andererseits eine Protestpartei. Das ist auch eine Folge des substanzlosen Dauerangriffs auf die Brandmauer (und ihre leider genauso uninspirierte Verteidigung). Ist die AfD nun eine Partei, mit der die CDU eine Koalition eingehen kann, oder nicht? Und wenn nein, warum nicht? Die Botschaft ist überhaupt nicht klar. Merz hat nun (dankenswerterweise!) wieder eine rote Linie gezogen und die Brandmauer bestärkt, aber mit welchem Grund? Die CDU kommuniziert keinen. Kein Wunder kann Jens Spahn nebenher beständig daran arbeiten, doch mit der AfD zusammenzuarbeiten (und dazu steuerfinanzierte, rechte NGOs nutzen, was allerdings, da es keine linken NGOs sind, nicht schlimm ist). Es ist wahrlich nicht so, als ob es keine Gründe gegen die Zusammenarbeit gäbe, Gründe, für die man gar nicht das große Rad der Nazivorwürfe drehen muss. Die außenpolitischen Positionen der AfD sind völlig indiskutabel, viele innenpolitische lachhaft. Die CDU kann den Kulturkampf mit der AfD führen, aber keinen Staat machen. Warum hält sie die Brandmauer nicht genauso aufrecht wie die gegen die LINKE? Da war auch immer die außenpolitische Inkompatibilität das Totschlagargument.

5) Mette Frederiksens Stern sinkt

Im Artikel wird beschrieben, dass Mette Frederiksen nach Jahren sozialdemokratischer Dominanz erheblich an Rückhalt verliere. In den Umfragen rutschten die Sozialdemokraten auf ein Rekordtief, und die kommunalen Niederlagen hätten laut Julian Staib den Eindruck verstärkt, Frederiksen habe den bisherigen Balanceakt zwischen harter Migrationspolitik und sozialpolitischem Profil nicht mehr halten können. Im Artikel wird ausgeführt, die Ministerpräsidentin setze weiterhin auf Verschärfungen – etwa durch Forderungen nach Änderungen der Menschenrechtskonvention –, damit jedoch inzwischen sowohl Mitte-Wähler als auch klassische linke Unterstützer verliere. Zugleich erhielten rechtspopulistische Parteien Zulauf, was die Begrenztheit dieser Strategie verdeutliche. Weiter wird erläutert, dass Frederiksen in der breiten Koalition seit 2022 kaum noch sozialpolitische Akzente setze, während steigende Lebenshaltungskosten und als bevormundend empfundene Appelle an die Arbeitsethik ihren Ruf beschädigt hätten. Der Unmut im Land richte sich zudem gegen Entscheidungen wie die Abschaffung eines Feiertags zugunsten höherer Verteidigungsausgaben sowie gegen die umfangreiche Ukrainehilfe. Im Artikel wird betont, dass Frederiksen zunehmend als abgehoben wahrgenommen werde und ihre neuerliche Annäherung an die linke Volkspartei kaum geeignet erscheine, den Vertrauensverlust zu stoppen. (Julian Staib, F.A.S.)

Ich glaube nicht, dass diese Entwicklung die "wir müssen es wie Dänemark machen"-Fraktion beeinflussen wird, die der SPD ständig rät, sich innenpolitisch deutlich nach rechts zu bewegen. Ich würde es aber auch selbst nicht als Gegenargument sehen. Für mich bleibt die dänische Sozialdemokratie ein Rätsel. Keine andere sozialdemokratische Partei hat es geschafft, dieses Rezept zu wiederholen; am offenkundigsten scheitert gerade Keir Starmer damit. Es scheint, als sei sie ein Phänomen sui generis - oder aber sehr unzureichend verstanden. Der FAZ-Artikel liefert Hinweise darauf, dass der Mix aus hart linken und hart rechten Positionen für Frederiksen das Erfolgsrezept war, aber es scheint auch, dass ihre Persönlichkeit eine große Rolle spielt. Mir fehlen aber schlicht die Kenntnisse über Dänemark, um das beurteilen zu können, und leider bietet die deutsche Medienlandschaft die auch nicht. Ich brauche nicht noch einen rosinenpickenden Welt-Artikel, der die SPD auffordert, endlich rechter zu werden. Ich hätte gerne echte Informationen und Analysen dazu, konnte aber bisher nichts Vernünftiges finden. Wenn wer was hat, gerne in die Kommentare.

Resterampe

a) Die Unterwerfung (Welt). Die verlieren einfach jedes Maß.

b) Ein linker Renten-Pakt (Welt). Geld ausgeben ist nicht per se links. An der Mütterrente etwa finden sich wenig linke Ideen. Aber so was sieht man in dem Laden einfach gar nicht mehr.

c) Mehr Lässigkeit wagen (Welt). Als Nachtrag zum Thema vom letzten Vermischten mit der Empörung.

d) Der Verderber der Demokratie (Spiegel).

e) Christian Stöcker zum Netzausbau (Twitter).

f) Habeck all along (Twitter).

g) Direkte Demokratie ist immer nur gut, wenn sie die gewünschten Ergebnisse bringt. (Weltwoche)


Fertiggestellt am 15.12.2025

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